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Allgemeine Zeitung, Nr. 137, 23. März 1908.

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München, Montag Allgemeine Zeitung 23. März 1908. Nr. 137.
[Spaltenumbruch]

Stelle sind kluge Berechnung und tiefe Gesetzkenntnis ge-
treten. Kaum ein Anfänger, der seinem Direktor nicht mit
einem ganzen Rüstzeug von Paragraphen entgegentritt --
selbstverständlich erst nach Unterschrift des Vertrages. Ueber-
griffe des Direktors sind immer eine -- "Gemeinheit",
Uebergriffe des Künstlers immer eine begreifliche -- "Ner-
vosität".

Der Schauspieler ist Frondeur seiner Natur nach, er ist
immer unzufrieden, immer unterschätzt. Fangen die Proben
um 12 an, so räsoniert er, daß sie nicht schon um 10 Uhr be-
ginnen; beginnen sie um 10 Uhr, schimpft er, daß er sich nicht
ausschlafen kann. Wird ein Stück mit wenig Proben her-
ausgebracht, räsoniert er, daß "das kein Arbeiten" ist; sind
viele Proben angesetzt, schimpft er, daß das Stück "überpro-
biert" wird. Hat er die Rolle vom Franz Moor, räsoniert
er, daß er nicht den Karl spielt; soll er den Karl spielen,
schimpft er, daß er nicht den Franz bekommen hat. Wird er
jeden Abend beschäftigt, räsoniert er über die "Ausbeu-
terei"; gibt ihm der Direktor in einem Stück keine Rolle,
schimpft er, daß man ihm "nichts zu spielen gibt". Wird er
groß annonciert, räsoniert er, daß das Theater ohne ihn
"pleite geh'n müßte"; wird sein Name gedruckt, wie der der
anderen, schimpft er, daß man ihn nicht "zu schätzen weiß".
Und so geht es fort. Gegen jede Forderung der Dißiplin
revoltiert er. Hat ihm die Zensur etwas gestrichen, ruht er
nicht eher, als bis er das Gestrichene doch in dieser oder
jener Form wieder bringt. Der Komiker beschwört die tra-
gischsten Konflikte herauf: für ihn ist die Dißiplin das rote
Tuch, und er läßt sie nur so weit gelten, als sie den Mit-
spielenden gegenüber zur Anwendung kommt, indem ihnen
jedes Extemporieren im Gegensatz zu ihm strengstens unter-
sagt wird.

Zur Aufrechterhaltung der Dißiplin stehen dem Direk-
tor nur zwei Mittel zu Gebote: Geldstrafen in aufsteigender
Höhe oder "Spazierengehen lassen". Aber wer läßt einen
brauchbaren, guten Schauspieler spazieren gehen? Bleibt
also nur die Geldstrafe. Die Androhungen nehmen sich in
der Hausordnung ungeheuerlich aus, in Wirklichkeit werden
sie nur in besonders eklatanten Fällen zur Anwendung ge-
bracht. Es ergeht dem Direktor wie einem Familienober-
haupt: zwei Kinder werden leichter verzogen, lassen sich
schwerer regieren als sechs. Je kleiner das Ensemble, desto
schwerer ist es, Dißiplin zu halten. Denn je kleiner das
Ensemble, desto näher sind die Beziehungen, die sich von
Schauspieler zu Direktor ergeben. Und da, wo die persön-
lichen Beziehungen einsetzen, hört das Wesen der Dißi-
plin auf.

Dißiplin darf sich weder um Zweck noch Gründe küm-
mern, sondern nur um die Tatsachen. Kein Wunder daher,
daß junge und geschickte Direktoren zur Wahrung ihrer per-
sönlichen Autorität und der damit verbundenen Dißiplin
die Politik befolgen, sich unsichtbar zu machen. Da, wo
früher eine kraftvolle Persönlichkeit ihr Reich beherrschte,
sind jetzt Vorzimmer, Vorräume, Sekretäre und Anmelde-
diener die Hüter der Dißiplin.

Aber all dies fällt weg, muß wegfallen da, wo gemein-
same Arbeit einsetzt: bei der Probe. Hier ist es, wo sich die
Macht der Dißiplin am stärksten zeigt und sich die Macht
der Persönlichkeit des Regisseurs am eklatantesten äußert.
Je weniger handwerksmäßig gearbeitet wird, desto mehr
Explosivstoff sammelt sich an. All diese zuckenden, vibrieren-
den Nervenbündel zu dirigieren, sie in die ruhige breite
Bahn einheitlicher künstlerischer Wirkung zu führen, ist eine
Aufgabe, die selbst dem begabtesten und kraftvollsten Re-
gisseur nur auf Grund einer hundertjährigen traditionellen
Dißiplin möglich ist.

Bei allem Frondeurtum, aller kindischen Eitelkeit hat
der Schauspieler einen scharfen und sicheren Instinkt für das
echt Künstlerische, und er beugt sich ihm, mag die Form, in
der es sich äußert, auch noch so sehr seinem persönlichen Ge-
schmack widerstreben. Spürt er diese Künstlerschaft nicht,
so bleibt die Unterordnung äußerlich. Der Regisseur, der
Kapellmeister ist ihm dem Empfinden nach mehr Vorgesetz-
ter als der Direktor.

Es ist selbstverständlich, daß man eine Schar von Künst-
lern nicht so dißiplinieren kann wie eine Kompagnie Sol-
daten. Rekrutentum hat sich von jeher schlecht mit Kunst
vertragen, und es haben sich nachweislich überall da, wo
drakonische Hausgesetze die persönliche Freiheit einzwängten,
starke Rückschläge in künstlerischer Beziehung gezeigt.

Undißipliniertheiten vor dem Publikum sind ja auch
ein seltener Fall in der Theatergeschichte und lassen sich
[Spaltenumbruch] meist auf einen moralischen Defekt zurückführen. Dem
Schauspieler ist das Publikum der einzig wahre "Vorge-
setzte", und er hütet sich, mit ihm in Konflikt zu geraten.
Als einzelner würde er auch wohl den kürzeren ziehen!



Die Konkurrenz der Frau.

Die "Konkurrenz" der Frau, so wird die außerhäusliche
Berufstätigkeit der Frau oft bezeichnet. Wer so spricht,
hält an der Nationalökonomie der Bibel fest, wie sie vor
unzähligen Jahren in dem Verdammungsurteil über unsere
sündigen Ureltern festgelegt wurde: "Im Schweiße deines
Angesichts sollst du dein Brot essen" (für den Mann), und:
"Du sollst mit Schmerzen Kinder gebären" (für die Frau).
Damit schien die Berufstätigkeit der Geschlechter, primi-
tiven Verhältnissen entsprechend, primitiv geregelt. Aber
die Rekrutierung des Menschengeschlechts zum alleinigen
Beruf des Frauengeschlechts zu machen, geht nicht an. Für
eine derartige Betätigung fehlt einfach schon der Raum,
die Erde ist dafür zu klein geraten, und die tatsächliche Ver-
mehrung der Bevölkerung in Deutschland z. B. ist eine so
viel langsamere als die oben theoretisch angedeutete, daß
nur jede achtzehnte der erwachsenen Frauen in Deutschland
zur wirklichen Volksvermehrung beiträgt (etwa eine Mil-
lion Geburtenüberschüsse über die Todesfälle).

Nun gut, wird man sagen, fassen wir die Aufgabe der
Frau dann in den funkelnagelneuen Spruch: "Die Frau
gehört ins Haus." Damit ist die Arbeitsteilung zwischen
Mann und Frau vollzogen, ihr häuslich-mütterlicher, ihm
außerhäuslicher Beruf, und jedes Uebergreifen ihrerseits
ins Außerhäusliche ist "Konkurrenz". Schon gut, nur
dauert es nicht lange, kann man darauf mit Mephisto
entgegnen.

Auch diesem nationalökonomischen Axiom haben die
Tatsachen sich nie ganz gefügt. Es hat, so weit unsere
Schriftdenkmäler reichen, stets Frauen in entschieden
außerhäuslichen Berufen gegeben: Fürstinnen, Priesterin-
nen, Richterinnen, Kriegerinnen, Tänzerinnen, Sängerin-
nen, Schauspielerinnen, Gelehrte, Dichterinnen, Schrift-
stellerinnen; gewerbliche, landwirtschaftliche und kauf-
männische Arbeiterinnen, deren Tätigkeit den Charakter
bestimmter, außerhäuslicher Gewerbe annahm, wie wir
aus der Geschichte allein schon der Zünfte hinreichend
wissen. Es gab also, dem Wort: "Die Frau gehört ins
Haus," zum Trotz, zu allen Zeiten eine größere oder kleinere
Zahl von Frauen im außerhäuslichen Beruf. Zeitweise,
wenn die Männerschlächterei besonders ausgiebig gewesen,
machte die Versorgung der häuslich unversorgten Frauen
sogar rechte Schwierigkeit, Klöster, Beguinenhäuser mußten
dann aufnehmen, was in Gewerbe, Landwirtschaft und
Handel oder bei den "fahrenden Fräulein" keinen Unter-
stand fand. Das "Haus" hat sich also von jeher als zu eng
erwiesen, dem gesamten Frauengeschlecht Arbeit und Unter-
halt zu bieten.

Eine letzte Entwicklung ließ das durchgewetzte Axiom
vollends fadenscheinig werden. Der Haushalt, von dem
die eigentliche Landwirtschaft schon abgezweigt und zu einer
vorwiegenden Männerarbeit geworden war, verlor in den
letzten 60 Jahren durch die Konkurrenz der Großindustrie,
die Spezialisierung der Arbeit und des Großbetriebs die
Hauptgebiete seiner gewerblich-produktiven Arbeit an die
Textil- und Konfektions-, an die Nahrungsmittel- und
Reinigungsindustrie. Es blieb ihm nur noch ein verringer-
ter Teil produktiver und ermattender Tätigkeit: der indi-
viduelle Kochtopf, die tägliche Reinigung, daneben selbst-
verständlich die Intendanz des Ganzen, die Anleitung und
Ueberwachung der Dienenden, die Gestaltung des Heims,
die Erziehung der Kinder, die Pflege von Kunst und Ge-
selligkeit. Hier liegen vor allem die geistig-sittlichen Werte
des häuslichen Frauenberufs, der den größten Teil seiner
gewerblich produzierenden Tätigkeit aber unstreitig an die
Großindustrie verloren hat.

Für die Frau ergab sich daraus, daß sie in noch höherem
Maße als früher auf den außerhäuslichen Arbeitsmarkt
trat, und aß der Satz: "Die Frau gehört ins Haus" arg
ins Gedränge geriet. Seit 60 Jahren ist er immer brock-
fälliger geworden. Und diese Entwertung des angeblichen
Axioms ging um so schneller vonstatten, je mehr Frauen
durch die Großindustrie in die Fabrik gezogen wurden, je
[Spaltenumbruch] stärkere Arbeiterinnenkontignente sich entwickelten, je
mehr Frauen auch der bürgerlichen Stände außerhäusliche
Versorgung suchen mußten. Heute ist das Wort: "Die Frau
gehört ins Haus" nur kaum noch eine Halbwahrheit, die
über 50 Prozent ihres einstigen Wertes eingebüßt. Denn
von 18 Millionen erwachsener Frauen in Deutschland sind
nur neun Millionen verheiratet, die anderen neun Millio-
nen sind verwitwet (zwei Millionen) und ledig (sieben
Millionen). Da überhaupt in Deutschland 1,200,000 mehr
Frauen als Männer existieren, da die Mehrzahl der neun
Millionen unverehelichter Frauen auf eigenen Erwerb an-
gewiesen sind und da auch von den neun Millionen Ehe-
frauen noch über eine Million außerhäuslich tätig ist, so
ist das anspruchsvolle Axiom in folgende bescheidene
Schranken zurückzuweisen: Nicht einmal die Hälfte der
deutschen Frauen gehört noch ins Haus.

Und unter diesen Umständen spricht man von der
"Konkurrenz" der Frau? Das ist sehr leichtfertig, denn
obige Zahlen entsprechen tatsächlichen Verhältnissen --
aber sehr roh: denn es bedeutet dann doch nur, entweder
daß der Frau die Straße bleibt oder daß die Frau verhun-
gern soll. Ein drittes, außer freier Berufswahl, gibt
es nicht.

Diese freie Berufswahl nun, das einzig würdige Aus-
kunftsmittel für die Frau, sucht man durch das Schlagwort
der "Konkurrenz" zu hindern.

Das heißt die Sache aber wirklich noch von dem alt-
testamentlichen Gesichtspunkt auffassen, als sei alle außer-
häusliche Arbeit Sache des Mannes. Diese Anschauung
dürfen wir nun als widerlegt betrachten; sie war nie völlig
zutreffend und hat mit steigender Zivilisation dauernd an
Richtigkeit verloren. Derart falsche Anschauungen soll man
aber, wie entwertete Münzen, außer Umlauf setzen. Beide
Geschlechter stehen unter dem Gesetz des Daseinskampfes,
beide wollen "leben", beide wollen "nicht hungern", beide
möglichst "glücklich" sein. Unter diesen Bedingungen haben
beide ein Recht auf und eine Pflicht zur Arbeit, bieten beide
sich auf dem Arbeitsmarkt an, machen beide sich gegenseitig
Konkurrenz. Weil aber das alte Arbeitsgebiet der Frau,
das Haus, auf die Hälfte reduziert ist, die Frau sich also
neuen Absatz außerhäuslich suchen muß, dieses außerhäus-
liche Gebiet nun zum großen Teil bisher Männergebiet war,
ist das Schlagwort von der "Konkurrenz" der Frau geprägt
worden, das dem dahinsinkenden Axiom: "Die Frau gehört
ins Haus" beispringen soll. Doch ist diese Anschauung nicht
haltbar: die auf außerhäusliche Arbeit angewiesene Frau
muß eben arbeiten. Wie soll sie das, ohne die Zahl der
Arbeitenden zu vermehren? Ihre "Konkurrenz" ist ebenso
unvermeidlich und notwendig wie ihre Tätigkeit, und diese
großen wirtschaftlichen Selbstverständlichkeiten darf man
nicht mit einer Gehässigkeit abtun.



Nr. 115. Schachzeitung.

Geleitet vom Akademischen Schachklub München.

(Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet.)
Aufgabe Nr. 120.

O. Würzburg, Grandrapids.

[Abbildung] Mat in 3 Zügen.
[Spaltenumbruch]

Toiletten. Die leichten Gewebe der Sommerkleider sind
übersät mit Erbsen, Ringen, Plätzchen, Rauten, eierförmi-
gen Figürchen, die bald regelmäßig nebeneinander, bald in
lustigem Durcheinander auf hellem Grunde sich abheben
oder einen dunklen mit ihren frischeren Tönen beleben.
Manchmal sind sie in abgestufter Größe angeordnet, so daß
sie nach dem unteren Rande hin eine dicht gedrängte Borte
bilden. Es ist wahrscheinlich, daß auch die Kattune der
Waschkleider mit ähnlichen Mustern bedruckt sein werden,
und dies vielleicht um so mehr, als das Bestreben vorhan-
den ist, der Kattundruckerei, die in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts mit den Erzeugnissen der Fabrik von
Jony hoffähig war, zu einem neuen Aufschwung zu ver-
helfen. Der herrschende Geschmack, der allem Einfarbigen
abgeneigt scheint, ist natürlich auch dem Foulard sehr günstig,
für den allerlei neue Nuancen und Muster erfunden worden
sind. Ein anderer Stoff, der Tussor oder die Rohseide, steht
nun auch schon seit mehreren Jahren in großer Gunst und
wird sowohl zu Schneiderkleidern als eleganten Besuchs-
toiletten verwendet. In letzterem Falle kommt es vor
allem auf den Besatz an, der möglichst zierlich und reich aus-
fallen muß, um dem an sich etwas rauhen Gewebe ein vor-
nehmes Ansehen zu geben. Dazu eignen sich Stickereien
der verschiedenen Genres, wie sie seit einiger Zeit so sehr
Mode sind, seien es nun griechische Borten, die farbenkräf-
tigen russischen Muster oder die in matteren Nuancen ab-
gestimmten der Japaner. Das Wichtigste dabei ist ja, die
Garnierung mit der Farbe des Tussor in Einklang zu
bringen, dem man keineswegs immer seinen gelblichen
Naturton läßt. Viele geben ihm jedoch den Vorzug, und
mit einer weißen Stickerei auf schwarzem Grunde, z. B.
schwarzem Seidenmusselin, der in seiner Weichheit einen
scharfen Kontrast mit den Unebenheiten der Rohseide bil-
det, entsteht eine Toilette vom besten Geschmack. Von der
Launenhaftigkeit der Mode bekommen wir einen Begriff,
wenn wir sehen, daß sie Voile-, Tüll-, Musselinkleider mit
Tuch besetzt; ja, es wird ihr nachgesagt, daß sie diese eigen-
trtige Garnierung auch auf die Leinwandkleider auszu-
dehnen gedenkt. Da sollte man denn doch den Mut haben,
ihr nicht zu folgen! Sonst wäre es vorbei mit dem Be-
[Spaltenumbruch] hagen, in der Sommerhitze in ein frisch gewaschenes Ko-
stüm zu schlüpfen, und nur die chemischen Reinigungs-
anstalten würden daraus Nutzen ziehen. Andrerseits spricht
man von einem Baumwollenmusselin, der ein ereponähn-
liches Aussehen hat und die vorzügliche Eigenschaft besitzt,
nach der Wäsche des Plättens nicht zu bedürfen. Das wäre
immerhin eine kleine Entschädigung für die Tuchstreifen auf
den Leinenkleidern.

Bis zu ihnen hin liegt freilich noch ein ziemlich weiter
Weg vor uns, und wir können getrost einen Rückblick auf
die Gesellschaftstoiletten tun, die während der nun einge-
tretenen Fastenzeit ein wenig ruhen können. Man hat sich
sehr an die Empiremoden mit der kurzen Taille gehalten,
andrerseits aber auch das peplumartige Uebergewand und
die Tunika in mehreren Varianten eingeführt. Das Unter-
kleid blieb dabei ziemlich einfach, seine Schönheit bestand
in der Kostbarkeit des Stoffes und einem graziösen Falten-
wurf, der besonders mit den weichen schillernden Liberty-
Stoffen leicht zu erzielen war. Alle Pracht der Verzierung
wurde auf den Courmantel und die Tunika verwendet, die
bald an der Seite, bald vorn sich öffnete. Beide strahlten
von Perlen und Steinen, mit denen sie besetzt waren, oder
glänzten von Gold und Silber, die ihr Gewebe durchzogen.
Volants von echten Spitzen umsäumten ihre Ränder oder
verdeckten ihre Nähte, und wundervolle Seidenstickereien
wanden sich dazwischen gleich bunten Blumengirlanden.
Den Haarschmuck bildeten Blüten, die mit Kristallperlen
übersät waren und die funkelnde Herrlichkeit vermehrten,
die sich aus Diamanten- und Perlengeschmeiden in die fest-
lichen Räume ergoß. Obwohl Paris außer der ziemlich
wüsten Konfettischlacht an Fastnacht auf den Boulevards
keinen Karneval mehr kennt, sind doch die Maskenbälle und
Kostümfeste in diesem Jahre recht zahlreich gewesen. Auch
hier soll eine unbeschreibliche Pracht entfaltet worden sein
in einer Fülle von orientalischen Kostümen, die in allen
Einzelheiten wahrheitsgetreu nachgebildet waren.

Jetzt sind die rauschenden Vergnügungen, in der vor-
nehmsten Gesellschaft wenigstens, für ein Weilchen ver-
stummt. Es gibt aber eine Unterhaltung stillerer Art, die
auch mit der Fastenstimmung im Einklang steht und doch
[Spaltenumbruch] unwillkürlich den Anstrich eines mondänen Zeitvertreibs
gewonnen hat. Das sind die Vorträge einiger Leuchten der
literarischen Welt, unter denen Jules Lemaitre voran steht.
Während die Vorlesungen der Sorbonne seit Pailleron
welcher in seinem bekannte Stücke "Le Monde ou l'on
s'ennuie"
die Schöngeisterei der Zuhörerinnen eines da-
mals sehr gefeierten Professors und dessen Selbstgefällig-
keit verspottete, sich stark demokratisiert haben, tragen die
in einem häßlichen dunklen Saale am Boulevard Saint-
Germain stattfindenden ganz und gar den Charakter einer
auserlesenen Versammlung, in der die Damen bei weitem
die Mehrzahl bilden. Sie kommen allerdings in ausge-
sucht hübschen Toiletten dorthin und zeigen vielleicht auch
die Hüte, die ihnen im Theater nicht mehr zu tragen ge-
stattet sind. Da sagen nun gleich die bösen Zungen wieder,
das sei der alleinige Zweck ihrer Anwesenheit, und wollen
nicht zugeben, daß die Frauen des 20. Jahrhunderts sich
wirklich für die Heldinnen Racines interessieren. Niemand
aber besser als der feinsinnige Kritiker Jules Lemaitre,
der in den Werken Racines augenscheinlich ein Lieblings-
thema behandelt, könnte in seinen eleganten Zuhörerinnen
das Mitempfinden der Liebesqualen einer Phädra und der
mütterlichen Angst einer Andromache wecken, wie er letztes
Jahr wahrscheinlich in einer ersten Serie von Vorträgen
die etwa noch vorhandene Rousseau-Schwärmerei beträcht-
lich gedämpft hat. Wenn es gewiß auch zum guten Ton
gehört, sich während einer Reihe von Mittwoch-Nachmit-
tagen unter dem Katheder Jules Lemaitres einzufinden
und überhaupt bei allen literarischen Ereignissen, an denen
das große Publikum wegen der Höhe der Eintrittspreise
nicht teilnehmen kann, dabei zu sein, so sind die Französin-
nen im allgemeinen doch viel zu gut beschlagen in ihren
Klassikern, um nicht aus Liebe zur Sache und mit Vorteil
und Genuß ein Stündchen reine Literatur dabei über sich
ergehen zu lassen. Die Mode, die sie da hinführt, leistet
ihnen höchstens einen Dienst und gehört zu denen, die man
ohne Bedenken mitmachen darf.

Paris, Mitte März.



München, Montag Allgemeine Zeitung 23. März 1908. Nr. 137.
[Spaltenumbruch]

Stelle ſind kluge Berechnung und tiefe Geſetzkenntnis ge-
treten. Kaum ein Anfänger, der ſeinem Direktor nicht mit
einem ganzen Rüſtzeug von Paragraphen entgegentritt —
ſelbſtverſtändlich erſt nach Unterſchrift des Vertrages. Ueber-
griffe des Direktors ſind immer eine — „Gemeinheit“,
Uebergriffe des Künſtlers immer eine begreifliche — „Ner-
voſität“.

Der Schauſpieler iſt Frondeur ſeiner Natur nach, er iſt
immer unzufrieden, immer unterſchätzt. Fangen die Proben
um 12 an, ſo räſoniert er, daß ſie nicht ſchon um 10 Uhr be-
ginnen; beginnen ſie um 10 Uhr, ſchimpft er, daß er ſich nicht
ausſchlafen kann. Wird ein Stück mit wenig Proben her-
ausgebracht, räſoniert er, daß „das kein Arbeiten“ iſt; ſind
viele Proben angeſetzt, ſchimpft er, daß das Stück „überpro-
biert“ wird. Hat er die Rolle vom Franz Moor, räſoniert
er, daß er nicht den Karl ſpielt; ſoll er den Karl ſpielen,
ſchimpft er, daß er nicht den Franz bekommen hat. Wird er
jeden Abend beſchäftigt, räſoniert er über die „Ausbeu-
terei“; gibt ihm der Direktor in einem Stück keine Rolle,
ſchimpft er, daß man ihm „nichts zu ſpielen gibt“. Wird er
groß annonciert, räſoniert er, daß das Theater ohne ihn
„pleite geh’n müßte“; wird ſein Name gedruckt, wie der der
anderen, ſchimpft er, daß man ihn nicht „zu ſchätzen weiß“.
Und ſo geht es fort. Gegen jede Forderung der Diſziplin
revoltiert er. Hat ihm die Zenſur etwas geſtrichen, ruht er
nicht eher, als bis er das Geſtrichene doch in dieſer oder
jener Form wieder bringt. Der Komiker beſchwört die tra-
giſchſten Konflikte herauf: für ihn iſt die Diſziplin das rote
Tuch, und er läßt ſie nur ſo weit gelten, als ſie den Mit-
ſpielenden gegenüber zur Anwendung kommt, indem ihnen
jedes Extemporieren im Gegenſatz zu ihm ſtrengſtens unter-
ſagt wird.

Zur Aufrechterhaltung der Diſziplin ſtehen dem Direk-
tor nur zwei Mittel zu Gebote: Geldſtrafen in aufſteigender
Höhe oder „Spazierengehen laſſen“. Aber wer läßt einen
brauchbaren, guten Schauſpieler ſpazieren gehen? Bleibt
alſo nur die Geldſtrafe. Die Androhungen nehmen ſich in
der Hausordnung ungeheuerlich aus, in Wirklichkeit werden
ſie nur in beſonders eklatanten Fällen zur Anwendung ge-
bracht. Es ergeht dem Direktor wie einem Familienober-
haupt: zwei Kinder werden leichter verzogen, laſſen ſich
ſchwerer regieren als ſechs. Je kleiner das Enſemble, deſto
ſchwerer iſt es, Diſziplin zu halten. Denn je kleiner das
Enſemble, deſto näher ſind die Beziehungen, die ſich von
Schauſpieler zu Direktor ergeben. Und da, wo die perſön-
lichen Beziehungen einſetzen, hört das Weſen der Diſzi-
plin auf.

Diſziplin darf ſich weder um Zweck noch Gründe küm-
mern, ſondern nur um die Tatſachen. Kein Wunder daher,
daß junge und geſchickte Direktoren zur Wahrung ihrer per-
ſönlichen Autorität und der damit verbundenen Diſziplin
die Politik befolgen, ſich unſichtbar zu machen. Da, wo
früher eine kraftvolle Perſönlichkeit ihr Reich beherrſchte,
ſind jetzt Vorzimmer, Vorräume, Sekretäre und Anmelde-
diener die Hüter der Diſziplin.

Aber all dies fällt weg, muß wegfallen da, wo gemein-
ſame Arbeit einſetzt: bei der Probe. Hier iſt es, wo ſich die
Macht der Diſziplin am ſtärkſten zeigt und ſich die Macht
der Perſönlichkeit des Regiſſeurs am eklatanteſten äußert.
Je weniger handwerksmäßig gearbeitet wird, deſto mehr
Exploſivſtoff ſammelt ſich an. All dieſe zuckenden, vibrieren-
den Nervenbündel zu dirigieren, ſie in die ruhige breite
Bahn einheitlicher künſtleriſcher Wirkung zu führen, iſt eine
Aufgabe, die ſelbſt dem begabteſten und kraftvollſten Re-
giſſeur nur auf Grund einer hundertjährigen traditionellen
Diſziplin möglich iſt.

Bei allem Frondeurtum, aller kindiſchen Eitelkeit hat
der Schauſpieler einen ſcharfen und ſicheren Inſtinkt für das
echt Künſtleriſche, und er beugt ſich ihm, mag die Form, in
der es ſich äußert, auch noch ſo ſehr ſeinem perſönlichen Ge-
ſchmack widerſtreben. Spürt er dieſe Künſtlerſchaft nicht,
ſo bleibt die Unterordnung äußerlich. Der Regiſſeur, der
Kapellmeiſter iſt ihm dem Empfinden nach mehr Vorgeſetz-
ter als der Direktor.

Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß man eine Schar von Künſt-
lern nicht ſo diſziplinieren kann wie eine Kompagnie Sol-
daten. Rekrutentum hat ſich von jeher ſchlecht mit Kunſt
vertragen, und es haben ſich nachweislich überall da, wo
drakoniſche Hausgeſetze die perſönliche Freiheit einzwängten,
ſtarke Rückſchläge in künſtleriſcher Beziehung gezeigt.

Undiſzipliniertheiten vor dem Publikum ſind ja auch
ein ſeltener Fall in der Theatergeſchichte und laſſen ſich
[Spaltenumbruch] meiſt auf einen moraliſchen Defekt zurückführen. Dem
Schauſpieler iſt das Publikum der einzig wahre „Vorge-
ſetzte“, und er hütet ſich, mit ihm in Konflikt zu geraten.
Als einzelner würde er auch wohl den kürzeren ziehen!



Die Konkurrenz der Frau.

Die „Konkurrenz“ der Frau, ſo wird die außerhäusliche
Berufstätigkeit der Frau oft bezeichnet. Wer ſo ſpricht,
hält an der Nationalökonomie der Bibel feſt, wie ſie vor
unzähligen Jahren in dem Verdammungsurteil über unſere
ſündigen Ureltern feſtgelegt wurde: „Im Schweiße deines
Angeſichts ſollſt du dein Brot eſſen“ (für den Mann), und:
„Du ſollſt mit Schmerzen Kinder gebären“ (für die Frau).
Damit ſchien die Berufstätigkeit der Geſchlechter, primi-
tiven Verhältniſſen entſprechend, primitiv geregelt. Aber
die Rekrutierung des Menſchengeſchlechts zum alleinigen
Beruf des Frauengeſchlechts zu machen, geht nicht an. Für
eine derartige Betätigung fehlt einfach ſchon der Raum,
die Erde iſt dafür zu klein geraten, und die tatſächliche Ver-
mehrung der Bevölkerung in Deutſchland z. B. iſt eine ſo
viel langſamere als die oben theoretiſch angedeutete, daß
nur jede achtzehnte der erwachſenen Frauen in Deutſchland
zur wirklichen Volksvermehrung beiträgt (etwa eine Mil-
lion Geburtenüberſchüſſe über die Todesfälle).

Nun gut, wird man ſagen, faſſen wir die Aufgabe der
Frau dann in den funkelnagelneuen Spruch: „Die Frau
gehört ins Haus.“ Damit iſt die Arbeitsteilung zwiſchen
Mann und Frau vollzogen, ihr häuslich-mütterlicher, ihm
außerhäuslicher Beruf, und jedes Uebergreifen ihrerſeits
ins Außerhäusliche iſt „Konkurrenz“. Schon gut, nur
dauert es nicht lange, kann man darauf mit Mephiſto
entgegnen.

Auch dieſem nationalökonomiſchen Axiom haben die
Tatſachen ſich nie ganz gefügt. Es hat, ſo weit unſere
Schriftdenkmäler reichen, ſtets Frauen in entſchieden
außerhäuslichen Berufen gegeben: Fürſtinnen, Prieſterin-
nen, Richterinnen, Kriegerinnen, Tänzerinnen, Sängerin-
nen, Schauſpielerinnen, Gelehrte, Dichterinnen, Schrift-
ſtellerinnen; gewerbliche, landwirtſchaftliche und kauf-
männiſche Arbeiterinnen, deren Tätigkeit den Charakter
beſtimmter, außerhäuslicher Gewerbe annahm, wie wir
aus der Geſchichte allein ſchon der Zünfte hinreichend
wiſſen. Es gab alſo, dem Wort: „Die Frau gehört ins
Haus,“ zum Trotz, zu allen Zeiten eine größere oder kleinere
Zahl von Frauen im außerhäuslichen Beruf. Zeitweiſe,
wenn die Männerſchlächterei beſonders ausgiebig geweſen,
machte die Verſorgung der häuslich unverſorgten Frauen
ſogar rechte Schwierigkeit, Klöſter, Beguinenhäuſer mußten
dann aufnehmen, was in Gewerbe, Landwirtſchaft und
Handel oder bei den „fahrenden Fräulein“ keinen Unter-
ſtand fand. Das „Haus“ hat ſich alſo von jeher als zu eng
erwieſen, dem geſamten Frauengeſchlecht Arbeit und Unter-
halt zu bieten.

Eine letzte Entwicklung ließ das durchgewetzte Axiom
vollends fadenſcheinig werden. Der Haushalt, von dem
die eigentliche Landwirtſchaft ſchon abgezweigt und zu einer
vorwiegenden Männerarbeit geworden war, verlor in den
letzten 60 Jahren durch die Konkurrenz der Großinduſtrie,
die Spezialiſierung der Arbeit und des Großbetriebs die
Hauptgebiete ſeiner gewerblich-produktiven Arbeit an die
Textil- und Konfektions-, an die Nahrungsmittel- und
Reinigungsinduſtrie. Es blieb ihm nur noch ein verringer-
ter Teil produktiver und ermattender Tätigkeit: der indi-
viduelle Kochtopf, die tägliche Reinigung, daneben ſelbſt-
verſtändlich die Intendanz des Ganzen, die Anleitung und
Ueberwachung der Dienenden, die Geſtaltung des Heims,
die Erziehung der Kinder, die Pflege von Kunſt und Ge-
ſelligkeit. Hier liegen vor allem die geiſtig-ſittlichen Werte
des häuslichen Frauenberufs, der den größten Teil ſeiner
gewerblich produzierenden Tätigkeit aber unſtreitig an die
Großinduſtrie verloren hat.

Für die Frau ergab ſich daraus, daß ſie in noch höherem
Maße als früher auf den außerhäuslichen Arbeitsmarkt
trat, und aß der Satz: „Die Frau gehört ins Haus“ arg
ins Gedränge geriet. Seit 60 Jahren iſt er immer brock-
fälliger geworden. Und dieſe Entwertung des angeblichen
Axioms ging um ſo ſchneller vonſtatten, je mehr Frauen
durch die Großinduſtrie in die Fabrik gezogen wurden, je
[Spaltenumbruch] ſtärkere Arbeiterinnenkontignente ſich entwickelten, je
mehr Frauen auch der bürgerlichen Stände außerhäusliche
Verſorgung ſuchen mußten. Heute iſt das Wort: „Die Frau
gehört ins Haus“ nur kaum noch eine Halbwahrheit, die
über 50 Prozent ihres einſtigen Wertes eingebüßt. Denn
von 18 Millionen erwachſener Frauen in Deutſchland ſind
nur neun Millionen verheiratet, die anderen neun Millio-
nen ſind verwitwet (zwei Millionen) und ledig (ſieben
Millionen). Da überhaupt in Deutſchland 1,200,000 mehr
Frauen als Männer exiſtieren, da die Mehrzahl der neun
Millionen unverehelichter Frauen auf eigenen Erwerb an-
gewieſen ſind und da auch von den neun Millionen Ehe-
frauen noch über eine Million außerhäuslich tätig iſt, ſo
iſt das anſpruchsvolle Axiom in folgende beſcheidene
Schranken zurückzuweiſen: Nicht einmal die Hälfte der
deutſchen Frauen gehört noch ins Haus.

Und unter dieſen Umſtänden ſpricht man von der
„Konkurrenz“ der Frau? Das iſt ſehr leichtfertig, denn
obige Zahlen entſprechen tatſächlichen Verhältniſſen —
aber ſehr roh: denn es bedeutet dann doch nur, entweder
daß der Frau die Straße bleibt oder daß die Frau verhun-
gern ſoll. Ein drittes, außer freier Berufswahl, gibt
es nicht.

Dieſe freie Berufswahl nun, das einzig würdige Aus-
kunftsmittel für die Frau, ſucht man durch das Schlagwort
der „Konkurrenz“ zu hindern.

Das heißt die Sache aber wirklich noch von dem alt-
teſtamentlichen Geſichtspunkt auffaſſen, als ſei alle außer-
häusliche Arbeit Sache des Mannes. Dieſe Anſchauung
dürfen wir nun als widerlegt betrachten; ſie war nie völlig
zutreffend und hat mit ſteigender Ziviliſation dauernd an
Richtigkeit verloren. Derart falſche Anſchauungen ſoll man
aber, wie entwertete Münzen, außer Umlauf ſetzen. Beide
Geſchlechter ſtehen unter dem Geſetz des Daſeinskampfes,
beide wollen „leben“, beide wollen „nicht hungern“, beide
möglichſt „glücklich“ ſein. Unter dieſen Bedingungen haben
beide ein Recht auf und eine Pflicht zur Arbeit, bieten beide
ſich auf dem Arbeitsmarkt an, machen beide ſich gegenſeitig
Konkurrenz. Weil aber das alte Arbeitsgebiet der Frau,
das Haus, auf die Hälfte reduziert iſt, die Frau ſich alſo
neuen Abſatz außerhäuslich ſuchen muß, dieſes außerhäus-
liche Gebiet nun zum großen Teil bisher Männergebiet war,
iſt das Schlagwort von der „Konkurrenz“ der Frau geprägt
worden, das dem dahinſinkenden Axiom: „Die Frau gehört
ins Haus“ beiſpringen ſoll. Doch iſt dieſe Anſchauung nicht
haltbar: die auf außerhäusliche Arbeit angewieſene Frau
muß eben arbeiten. Wie ſoll ſie das, ohne die Zahl der
Arbeitenden zu vermehren? Ihre „Konkurrenz“ iſt ebenſo
unvermeidlich und notwendig wie ihre Tätigkeit, und dieſe
großen wirtſchaftlichen Selbſtverſtändlichkeiten darf man
nicht mit einer Gehäſſigkeit abtun.



Nr. 115. Schachzeitung.

Geleitet vom Akademiſchen Schachklub München.

(Nachdruck nur mit Quellenangabe geſtattet.)
Aufgabe Nr. 120.

O. Würzburg, Grandrapids.

[Abbildung] Mat in 3 Zügen.
[Spaltenumbruch]

Toiletten. Die leichten Gewebe der Sommerkleider ſind
überſät mit Erbſen, Ringen, Plätzchen, Rauten, eierförmi-
gen Figürchen, die bald regelmäßig nebeneinander, bald in
luſtigem Durcheinander auf hellem Grunde ſich abheben
oder einen dunklen mit ihren friſcheren Tönen beleben.
Manchmal ſind ſie in abgeſtufter Größe angeordnet, ſo daß
ſie nach dem unteren Rande hin eine dicht gedrängte Borte
bilden. Es iſt wahrſcheinlich, daß auch die Kattune der
Waſchkleider mit ähnlichen Muſtern bedruckt ſein werden,
und dies vielleicht um ſo mehr, als das Beſtreben vorhan-
den iſt, der Kattundruckerei, die in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts mit den Erzeugniſſen der Fabrik von
Jony hoffähig war, zu einem neuen Aufſchwung zu ver-
helfen. Der herrſchende Geſchmack, der allem Einfarbigen
abgeneigt ſcheint, iſt natürlich auch dem Foulard ſehr günſtig,
für den allerlei neue Nuancen und Muſter erfunden worden
ſind. Ein anderer Stoff, der Tuſſor oder die Rohſeide, ſteht
nun auch ſchon ſeit mehreren Jahren in großer Gunſt und
wird ſowohl zu Schneiderkleidern als eleganten Beſuchs-
toiletten verwendet. In letzterem Falle kommt es vor
allem auf den Beſatz an, der möglichſt zierlich und reich aus-
fallen muß, um dem an ſich etwas rauhen Gewebe ein vor-
nehmes Anſehen zu geben. Dazu eignen ſich Stickereien
der verſchiedenen Genres, wie ſie ſeit einiger Zeit ſo ſehr
Mode ſind, ſeien es nun griechiſche Borten, die farbenkräf-
tigen ruſſiſchen Muſter oder die in matteren Nuancen ab-
geſtimmten der Japaner. Das Wichtigſte dabei iſt ja, die
Garnierung mit der Farbe des Tuſſor in Einklang zu
bringen, dem man keineswegs immer ſeinen gelblichen
Naturton läßt. Viele geben ihm jedoch den Vorzug, und
mit einer weißen Stickerei auf ſchwarzem Grunde, z. B.
ſchwarzem Seidenmuſſelin, der in ſeiner Weichheit einen
ſcharfen Kontraſt mit den Unebenheiten der Rohſeide bil-
det, entſteht eine Toilette vom beſten Geſchmack. Von der
Launenhaftigkeit der Mode bekommen wir einen Begriff,
wenn wir ſehen, daß ſie Voile-, Tüll-, Muſſelinkleider mit
Tuch beſetzt; ja, es wird ihr nachgeſagt, daß ſie dieſe eigen-
trtige Garnierung auch auf die Leinwandkleider auszu-
dehnen gedenkt. Da ſollte man denn doch den Mut haben,
ihr nicht zu folgen! Sonſt wäre es vorbei mit dem Be-
[Spaltenumbruch] hagen, in der Sommerhitze in ein friſch gewaſchenes Ko-
ſtüm zu ſchlüpfen, und nur die chemiſchen Reinigungs-
anſtalten würden daraus Nutzen ziehen. Andrerſeits ſpricht
man von einem Baumwollenmuſſelin, der ein ereponähn-
liches Ausſehen hat und die vorzügliche Eigenſchaft beſitzt,
nach der Wäſche des Plättens nicht zu bedürfen. Das wäre
immerhin eine kleine Entſchädigung für die Tuchſtreifen auf
den Leinenkleidern.

Bis zu ihnen hin liegt freilich noch ein ziemlich weiter
Weg vor uns, und wir können getroſt einen Rückblick auf
die Geſellſchaftstoiletten tun, die während der nun einge-
tretenen Faſtenzeit ein wenig ruhen können. Man hat ſich
ſehr an die Empiremoden mit der kurzen Taille gehalten,
andrerſeits aber auch das peplumartige Uebergewand und
die Tunika in mehreren Varianten eingeführt. Das Unter-
kleid blieb dabei ziemlich einfach, ſeine Schönheit beſtand
in der Koſtbarkeit des Stoffes und einem graziöſen Falten-
wurf, der beſonders mit den weichen ſchillernden Liberty-
Stoffen leicht zu erzielen war. Alle Pracht der Verzierung
wurde auf den Courmantel und die Tunika verwendet, die
bald an der Seite, bald vorn ſich öffnete. Beide ſtrahlten
von Perlen und Steinen, mit denen ſie beſetzt waren, oder
glänzten von Gold und Silber, die ihr Gewebe durchzogen.
Volants von echten Spitzen umſäumten ihre Ränder oder
verdeckten ihre Nähte, und wundervolle Seidenſtickereien
wanden ſich dazwiſchen gleich bunten Blumengirlanden.
Den Haarſchmuck bildeten Blüten, die mit Kriſtallperlen
überſät waren und die funkelnde Herrlichkeit vermehrten,
die ſich aus Diamanten- und Perlengeſchmeiden in die feſt-
lichen Räume ergoß. Obwohl Paris außer der ziemlich
wüſten Konfettiſchlacht an Faſtnacht auf den Boulevards
keinen Karneval mehr kennt, ſind doch die Maskenbälle und
Koſtümfeſte in dieſem Jahre recht zahlreich geweſen. Auch
hier ſoll eine unbeſchreibliche Pracht entfaltet worden ſein
in einer Fülle von orientaliſchen Koſtümen, die in allen
Einzelheiten wahrheitsgetreu nachgebildet waren.

Jetzt ſind die rauſchenden Vergnügungen, in der vor-
nehmſten Geſellſchaft wenigſtens, für ein Weilchen ver-
ſtummt. Es gibt aber eine Unterhaltung ſtillerer Art, die
auch mit der Faſtenſtimmung im Einklang ſteht und doch
[Spaltenumbruch] unwillkürlich den Anſtrich eines mondänen Zeitvertreibs
gewonnen hat. Das ſind die Vorträge einiger Leuchten der
literariſchen Welt, unter denen Jules Lemaitre voran ſteht.
Während die Vorleſungen der Sorbonne ſeit Pailleron
welcher in ſeinem bekannte Stücke „Le Monde ou l’on
ſ’ennuie“
die Schöngeiſterei der Zuhörerinnen eines da-
mals ſehr gefeierten Profeſſors und deſſen Selbſtgefällig-
keit verſpottete, ſich ſtark demokratiſiert haben, tragen die
in einem häßlichen dunklen Saale am Boulevard Saint-
Germain ſtattfindenden ganz und gar den Charakter einer
auserleſenen Verſammlung, in der die Damen bei weitem
die Mehrzahl bilden. Sie kommen allerdings in ausge-
ſucht hübſchen Toiletten dorthin und zeigen vielleicht auch
die Hüte, die ihnen im Theater nicht mehr zu tragen ge-
ſtattet ſind. Da ſagen nun gleich die böſen Zungen wieder,
das ſei der alleinige Zweck ihrer Anweſenheit, und wollen
nicht zugeben, daß die Frauen des 20. Jahrhunderts ſich
wirklich für die Heldinnen Racines intereſſieren. Niemand
aber beſſer als der feinſinnige Kritiker Jules Lemaitre,
der in den Werken Racines augenſcheinlich ein Lieblings-
thema behandelt, könnte in ſeinen eleganten Zuhörerinnen
das Mitempfinden der Liebesqualen einer Phädra und der
mütterlichen Angſt einer Andromache wecken, wie er letztes
Jahr wahrſcheinlich in einer erſten Serie von Vorträgen
die etwa noch vorhandene Rouſſeau-Schwärmerei beträcht-
lich gedämpft hat. Wenn es gewiß auch zum guten Ton
gehört, ſich während einer Reihe von Mittwoch-Nachmit-
tagen unter dem Katheder Jules Lemaitres einzufinden
und überhaupt bei allen literariſchen Ereigniſſen, an denen
das große Publikum wegen der Höhe der Eintrittspreiſe
nicht teilnehmen kann, dabei zu ſein, ſo ſind die Franzöſin-
nen im allgemeinen doch viel zu gut beſchlagen in ihren
Klaſſikern, um nicht aus Liebe zur Sache und mit Vorteil
und Genuß ein Stündchen reine Literatur dabei über ſich
ergehen zu laſſen. Die Mode, die ſie da hinführt, leiſtet
ihnen höchſtens einen Dienſt und gehört zu denen, die man
ohne Bedenken mitmachen darf.

Paris, Mitte März.



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[14/0014] München, Montag Allgemeine Zeitung 23. März 1908. Nr. 137. Stelle ſind kluge Berechnung und tiefe Geſetzkenntnis ge- treten. Kaum ein Anfänger, der ſeinem Direktor nicht mit einem ganzen Rüſtzeug von Paragraphen entgegentritt — ſelbſtverſtändlich erſt nach Unterſchrift des Vertrages. Ueber- griffe des Direktors ſind immer eine — „Gemeinheit“, Uebergriffe des Künſtlers immer eine begreifliche — „Ner- voſität“. Der Schauſpieler iſt Frondeur ſeiner Natur nach, er iſt immer unzufrieden, immer unterſchätzt. Fangen die Proben um 12 an, ſo räſoniert er, daß ſie nicht ſchon um 10 Uhr be- ginnen; beginnen ſie um 10 Uhr, ſchimpft er, daß er ſich nicht ausſchlafen kann. Wird ein Stück mit wenig Proben her- ausgebracht, räſoniert er, daß „das kein Arbeiten“ iſt; ſind viele Proben angeſetzt, ſchimpft er, daß das Stück „überpro- biert“ wird. Hat er die Rolle vom Franz Moor, räſoniert er, daß er nicht den Karl ſpielt; ſoll er den Karl ſpielen, ſchimpft er, daß er nicht den Franz bekommen hat. Wird er jeden Abend beſchäftigt, räſoniert er über die „Ausbeu- terei“; gibt ihm der Direktor in einem Stück keine Rolle, ſchimpft er, daß man ihm „nichts zu ſpielen gibt“. Wird er groß annonciert, räſoniert er, daß das Theater ohne ihn „pleite geh’n müßte“; wird ſein Name gedruckt, wie der der anderen, ſchimpft er, daß man ihn nicht „zu ſchätzen weiß“. Und ſo geht es fort. Gegen jede Forderung der Diſziplin revoltiert er. Hat ihm die Zenſur etwas geſtrichen, ruht er nicht eher, als bis er das Geſtrichene doch in dieſer oder jener Form wieder bringt. Der Komiker beſchwört die tra- giſchſten Konflikte herauf: für ihn iſt die Diſziplin das rote Tuch, und er läßt ſie nur ſo weit gelten, als ſie den Mit- ſpielenden gegenüber zur Anwendung kommt, indem ihnen jedes Extemporieren im Gegenſatz zu ihm ſtrengſtens unter- ſagt wird. Zur Aufrechterhaltung der Diſziplin ſtehen dem Direk- tor nur zwei Mittel zu Gebote: Geldſtrafen in aufſteigender Höhe oder „Spazierengehen laſſen“. Aber wer läßt einen brauchbaren, guten Schauſpieler ſpazieren gehen? Bleibt alſo nur die Geldſtrafe. Die Androhungen nehmen ſich in der Hausordnung ungeheuerlich aus, in Wirklichkeit werden ſie nur in beſonders eklatanten Fällen zur Anwendung ge- bracht. Es ergeht dem Direktor wie einem Familienober- haupt: zwei Kinder werden leichter verzogen, laſſen ſich ſchwerer regieren als ſechs. Je kleiner das Enſemble, deſto ſchwerer iſt es, Diſziplin zu halten. Denn je kleiner das Enſemble, deſto näher ſind die Beziehungen, die ſich von Schauſpieler zu Direktor ergeben. Und da, wo die perſön- lichen Beziehungen einſetzen, hört das Weſen der Diſzi- plin auf. Diſziplin darf ſich weder um Zweck noch Gründe küm- mern, ſondern nur um die Tatſachen. Kein Wunder daher, daß junge und geſchickte Direktoren zur Wahrung ihrer per- ſönlichen Autorität und der damit verbundenen Diſziplin die Politik befolgen, ſich unſichtbar zu machen. Da, wo früher eine kraftvolle Perſönlichkeit ihr Reich beherrſchte, ſind jetzt Vorzimmer, Vorräume, Sekretäre und Anmelde- diener die Hüter der Diſziplin. Aber all dies fällt weg, muß wegfallen da, wo gemein- ſame Arbeit einſetzt: bei der Probe. Hier iſt es, wo ſich die Macht der Diſziplin am ſtärkſten zeigt und ſich die Macht der Perſönlichkeit des Regiſſeurs am eklatanteſten äußert. Je weniger handwerksmäßig gearbeitet wird, deſto mehr Exploſivſtoff ſammelt ſich an. All dieſe zuckenden, vibrieren- den Nervenbündel zu dirigieren, ſie in die ruhige breite Bahn einheitlicher künſtleriſcher Wirkung zu führen, iſt eine Aufgabe, die ſelbſt dem begabteſten und kraftvollſten Re- giſſeur nur auf Grund einer hundertjährigen traditionellen Diſziplin möglich iſt. Bei allem Frondeurtum, aller kindiſchen Eitelkeit hat der Schauſpieler einen ſcharfen und ſicheren Inſtinkt für das echt Künſtleriſche, und er beugt ſich ihm, mag die Form, in der es ſich äußert, auch noch ſo ſehr ſeinem perſönlichen Ge- ſchmack widerſtreben. Spürt er dieſe Künſtlerſchaft nicht, ſo bleibt die Unterordnung äußerlich. Der Regiſſeur, der Kapellmeiſter iſt ihm dem Empfinden nach mehr Vorgeſetz- ter als der Direktor. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß man eine Schar von Künſt- lern nicht ſo diſziplinieren kann wie eine Kompagnie Sol- daten. Rekrutentum hat ſich von jeher ſchlecht mit Kunſt vertragen, und es haben ſich nachweislich überall da, wo drakoniſche Hausgeſetze die perſönliche Freiheit einzwängten, ſtarke Rückſchläge in künſtleriſcher Beziehung gezeigt. Undiſzipliniertheiten vor dem Publikum ſind ja auch ein ſeltener Fall in der Theatergeſchichte und laſſen ſich meiſt auf einen moraliſchen Defekt zurückführen. Dem Schauſpieler iſt das Publikum der einzig wahre „Vorge- ſetzte“, und er hütet ſich, mit ihm in Konflikt zu geraten. Als einzelner würde er auch wohl den kürzeren ziehen! Die Konkurrenz der Frau. Von Dr. Käthe Schirmacher-Paris. Die „Konkurrenz“ der Frau, ſo wird die außerhäusliche Berufstätigkeit der Frau oft bezeichnet. Wer ſo ſpricht, hält an der Nationalökonomie der Bibel feſt, wie ſie vor unzähligen Jahren in dem Verdammungsurteil über unſere ſündigen Ureltern feſtgelegt wurde: „Im Schweiße deines Angeſichts ſollſt du dein Brot eſſen“ (für den Mann), und: „Du ſollſt mit Schmerzen Kinder gebären“ (für die Frau). Damit ſchien die Berufstätigkeit der Geſchlechter, primi- tiven Verhältniſſen entſprechend, primitiv geregelt. Aber die Rekrutierung des Menſchengeſchlechts zum alleinigen Beruf des Frauengeſchlechts zu machen, geht nicht an. Für eine derartige Betätigung fehlt einfach ſchon der Raum, die Erde iſt dafür zu klein geraten, und die tatſächliche Ver- mehrung der Bevölkerung in Deutſchland z. B. iſt eine ſo viel langſamere als die oben theoretiſch angedeutete, daß nur jede achtzehnte der erwachſenen Frauen in Deutſchland zur wirklichen Volksvermehrung beiträgt (etwa eine Mil- lion Geburtenüberſchüſſe über die Todesfälle). Nun gut, wird man ſagen, faſſen wir die Aufgabe der Frau dann in den funkelnagelneuen Spruch: „Die Frau gehört ins Haus.“ Damit iſt die Arbeitsteilung zwiſchen Mann und Frau vollzogen, ihr häuslich-mütterlicher, ihm außerhäuslicher Beruf, und jedes Uebergreifen ihrerſeits ins Außerhäusliche iſt „Konkurrenz“. Schon gut, nur dauert es nicht lange, kann man darauf mit Mephiſto entgegnen. Auch dieſem nationalökonomiſchen Axiom haben die Tatſachen ſich nie ganz gefügt. Es hat, ſo weit unſere Schriftdenkmäler reichen, ſtets Frauen in entſchieden außerhäuslichen Berufen gegeben: Fürſtinnen, Prieſterin- nen, Richterinnen, Kriegerinnen, Tänzerinnen, Sängerin- nen, Schauſpielerinnen, Gelehrte, Dichterinnen, Schrift- ſtellerinnen; gewerbliche, landwirtſchaftliche und kauf- männiſche Arbeiterinnen, deren Tätigkeit den Charakter beſtimmter, außerhäuslicher Gewerbe annahm, wie wir aus der Geſchichte allein ſchon der Zünfte hinreichend wiſſen. Es gab alſo, dem Wort: „Die Frau gehört ins Haus,“ zum Trotz, zu allen Zeiten eine größere oder kleinere Zahl von Frauen im außerhäuslichen Beruf. Zeitweiſe, wenn die Männerſchlächterei beſonders ausgiebig geweſen, machte die Verſorgung der häuslich unverſorgten Frauen ſogar rechte Schwierigkeit, Klöſter, Beguinenhäuſer mußten dann aufnehmen, was in Gewerbe, Landwirtſchaft und Handel oder bei den „fahrenden Fräulein“ keinen Unter- ſtand fand. Das „Haus“ hat ſich alſo von jeher als zu eng erwieſen, dem geſamten Frauengeſchlecht Arbeit und Unter- halt zu bieten. Eine letzte Entwicklung ließ das durchgewetzte Axiom vollends fadenſcheinig werden. Der Haushalt, von dem die eigentliche Landwirtſchaft ſchon abgezweigt und zu einer vorwiegenden Männerarbeit geworden war, verlor in den letzten 60 Jahren durch die Konkurrenz der Großinduſtrie, die Spezialiſierung der Arbeit und des Großbetriebs die Hauptgebiete ſeiner gewerblich-produktiven Arbeit an die Textil- und Konfektions-, an die Nahrungsmittel- und Reinigungsinduſtrie. Es blieb ihm nur noch ein verringer- ter Teil produktiver und ermattender Tätigkeit: der indi- viduelle Kochtopf, die tägliche Reinigung, daneben ſelbſt- verſtändlich die Intendanz des Ganzen, die Anleitung und Ueberwachung der Dienenden, die Geſtaltung des Heims, die Erziehung der Kinder, die Pflege von Kunſt und Ge- ſelligkeit. Hier liegen vor allem die geiſtig-ſittlichen Werte des häuslichen Frauenberufs, der den größten Teil ſeiner gewerblich produzierenden Tätigkeit aber unſtreitig an die Großinduſtrie verloren hat. Für die Frau ergab ſich daraus, daß ſie in noch höherem Maße als früher auf den außerhäuslichen Arbeitsmarkt trat, und aß der Satz: „Die Frau gehört ins Haus“ arg ins Gedränge geriet. Seit 60 Jahren iſt er immer brock- fälliger geworden. Und dieſe Entwertung des angeblichen Axioms ging um ſo ſchneller vonſtatten, je mehr Frauen durch die Großinduſtrie in die Fabrik gezogen wurden, je ſtärkere Arbeiterinnenkontignente ſich entwickelten, je mehr Frauen auch der bürgerlichen Stände außerhäusliche Verſorgung ſuchen mußten. Heute iſt das Wort: „Die Frau gehört ins Haus“ nur kaum noch eine Halbwahrheit, die über 50 Prozent ihres einſtigen Wertes eingebüßt. Denn von 18 Millionen erwachſener Frauen in Deutſchland ſind nur neun Millionen verheiratet, die anderen neun Millio- nen ſind verwitwet (zwei Millionen) und ledig (ſieben Millionen). Da überhaupt in Deutſchland 1,200,000 mehr Frauen als Männer exiſtieren, da die Mehrzahl der neun Millionen unverehelichter Frauen auf eigenen Erwerb an- gewieſen ſind und da auch von den neun Millionen Ehe- frauen noch über eine Million außerhäuslich tätig iſt, ſo iſt das anſpruchsvolle Axiom in folgende beſcheidene Schranken zurückzuweiſen: Nicht einmal die Hälfte der deutſchen Frauen gehört noch ins Haus. Und unter dieſen Umſtänden ſpricht man von der „Konkurrenz“ der Frau? Das iſt ſehr leichtfertig, denn obige Zahlen entſprechen tatſächlichen Verhältniſſen — aber ſehr roh: denn es bedeutet dann doch nur, entweder daß der Frau die Straße bleibt oder daß die Frau verhun- gern ſoll. Ein drittes, außer freier Berufswahl, gibt es nicht. Dieſe freie Berufswahl nun, das einzig würdige Aus- kunftsmittel für die Frau, ſucht man durch das Schlagwort der „Konkurrenz“ zu hindern. Das heißt die Sache aber wirklich noch von dem alt- teſtamentlichen Geſichtspunkt auffaſſen, als ſei alle außer- häusliche Arbeit Sache des Mannes. Dieſe Anſchauung dürfen wir nun als widerlegt betrachten; ſie war nie völlig zutreffend und hat mit ſteigender Ziviliſation dauernd an Richtigkeit verloren. Derart falſche Anſchauungen ſoll man aber, wie entwertete Münzen, außer Umlauf ſetzen. Beide Geſchlechter ſtehen unter dem Geſetz des Daſeinskampfes, beide wollen „leben“, beide wollen „nicht hungern“, beide möglichſt „glücklich“ ſein. Unter dieſen Bedingungen haben beide ein Recht auf und eine Pflicht zur Arbeit, bieten beide ſich auf dem Arbeitsmarkt an, machen beide ſich gegenſeitig Konkurrenz. Weil aber das alte Arbeitsgebiet der Frau, das Haus, auf die Hälfte reduziert iſt, die Frau ſich alſo neuen Abſatz außerhäuslich ſuchen muß, dieſes außerhäus- liche Gebiet nun zum großen Teil bisher Männergebiet war, iſt das Schlagwort von der „Konkurrenz“ der Frau geprägt worden, das dem dahinſinkenden Axiom: „Die Frau gehört ins Haus“ beiſpringen ſoll. Doch iſt dieſe Anſchauung nicht haltbar: die auf außerhäusliche Arbeit angewieſene Frau muß eben arbeiten. Wie ſoll ſie das, ohne die Zahl der Arbeitenden zu vermehren? Ihre „Konkurrenz“ iſt ebenſo unvermeidlich und notwendig wie ihre Tätigkeit, und dieſe großen wirtſchaftlichen Selbſtverſtändlichkeiten darf man nicht mit einer Gehäſſigkeit abtun. Nr. 115. Schachzeitung. Geleitet vom Akademiſchen Schachklub München. (Nachdruck nur mit Quellenangabe geſtattet.) Aufgabe Nr. 120. O. Würzburg, Grandrapids. [Abbildung Mat in 3 Zügen.] Toiletten. Die leichten Gewebe der Sommerkleider ſind überſät mit Erbſen, Ringen, Plätzchen, Rauten, eierförmi- gen Figürchen, die bald regelmäßig nebeneinander, bald in luſtigem Durcheinander auf hellem Grunde ſich abheben oder einen dunklen mit ihren friſcheren Tönen beleben. Manchmal ſind ſie in abgeſtufter Größe angeordnet, ſo daß ſie nach dem unteren Rande hin eine dicht gedrängte Borte bilden. Es iſt wahrſcheinlich, daß auch die Kattune der Waſchkleider mit ähnlichen Muſtern bedruckt ſein werden, und dies vielleicht um ſo mehr, als das Beſtreben vorhan- den iſt, der Kattundruckerei, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit den Erzeugniſſen der Fabrik von Jony hoffähig war, zu einem neuen Aufſchwung zu ver- helfen. Der herrſchende Geſchmack, der allem Einfarbigen abgeneigt ſcheint, iſt natürlich auch dem Foulard ſehr günſtig, für den allerlei neue Nuancen und Muſter erfunden worden ſind. Ein anderer Stoff, der Tuſſor oder die Rohſeide, ſteht nun auch ſchon ſeit mehreren Jahren in großer Gunſt und wird ſowohl zu Schneiderkleidern als eleganten Beſuchs- toiletten verwendet. In letzterem Falle kommt es vor allem auf den Beſatz an, der möglichſt zierlich und reich aus- fallen muß, um dem an ſich etwas rauhen Gewebe ein vor- nehmes Anſehen zu geben. Dazu eignen ſich Stickereien der verſchiedenen Genres, wie ſie ſeit einiger Zeit ſo ſehr Mode ſind, ſeien es nun griechiſche Borten, die farbenkräf- tigen ruſſiſchen Muſter oder die in matteren Nuancen ab- geſtimmten der Japaner. Das Wichtigſte dabei iſt ja, die Garnierung mit der Farbe des Tuſſor in Einklang zu bringen, dem man keineswegs immer ſeinen gelblichen Naturton läßt. Viele geben ihm jedoch den Vorzug, und mit einer weißen Stickerei auf ſchwarzem Grunde, z. B. ſchwarzem Seidenmuſſelin, der in ſeiner Weichheit einen ſcharfen Kontraſt mit den Unebenheiten der Rohſeide bil- det, entſteht eine Toilette vom beſten Geſchmack. Von der Launenhaftigkeit der Mode bekommen wir einen Begriff, wenn wir ſehen, daß ſie Voile-, Tüll-, Muſſelinkleider mit Tuch beſetzt; ja, es wird ihr nachgeſagt, daß ſie dieſe eigen- trtige Garnierung auch auf die Leinwandkleider auszu- dehnen gedenkt. Da ſollte man denn doch den Mut haben, ihr nicht zu folgen! Sonſt wäre es vorbei mit dem Be- hagen, in der Sommerhitze in ein friſch gewaſchenes Ko- ſtüm zu ſchlüpfen, und nur die chemiſchen Reinigungs- anſtalten würden daraus Nutzen ziehen. Andrerſeits ſpricht man von einem Baumwollenmuſſelin, der ein ereponähn- liches Ausſehen hat und die vorzügliche Eigenſchaft beſitzt, nach der Wäſche des Plättens nicht zu bedürfen. Das wäre immerhin eine kleine Entſchädigung für die Tuchſtreifen auf den Leinenkleidern. Bis zu ihnen hin liegt freilich noch ein ziemlich weiter Weg vor uns, und wir können getroſt einen Rückblick auf die Geſellſchaftstoiletten tun, die während der nun einge- tretenen Faſtenzeit ein wenig ruhen können. Man hat ſich ſehr an die Empiremoden mit der kurzen Taille gehalten, andrerſeits aber auch das peplumartige Uebergewand und die Tunika in mehreren Varianten eingeführt. Das Unter- kleid blieb dabei ziemlich einfach, ſeine Schönheit beſtand in der Koſtbarkeit des Stoffes und einem graziöſen Falten- wurf, der beſonders mit den weichen ſchillernden Liberty- Stoffen leicht zu erzielen war. Alle Pracht der Verzierung wurde auf den Courmantel und die Tunika verwendet, die bald an der Seite, bald vorn ſich öffnete. Beide ſtrahlten von Perlen und Steinen, mit denen ſie beſetzt waren, oder glänzten von Gold und Silber, die ihr Gewebe durchzogen. Volants von echten Spitzen umſäumten ihre Ränder oder verdeckten ihre Nähte, und wundervolle Seidenſtickereien wanden ſich dazwiſchen gleich bunten Blumengirlanden. Den Haarſchmuck bildeten Blüten, die mit Kriſtallperlen überſät waren und die funkelnde Herrlichkeit vermehrten, die ſich aus Diamanten- und Perlengeſchmeiden in die feſt- lichen Räume ergoß. Obwohl Paris außer der ziemlich wüſten Konfettiſchlacht an Faſtnacht auf den Boulevards keinen Karneval mehr kennt, ſind doch die Maskenbälle und Koſtümfeſte in dieſem Jahre recht zahlreich geweſen. Auch hier ſoll eine unbeſchreibliche Pracht entfaltet worden ſein in einer Fülle von orientaliſchen Koſtümen, die in allen Einzelheiten wahrheitsgetreu nachgebildet waren. Jetzt ſind die rauſchenden Vergnügungen, in der vor- nehmſten Geſellſchaft wenigſtens, für ein Weilchen ver- ſtummt. Es gibt aber eine Unterhaltung ſtillerer Art, die auch mit der Faſtenſtimmung im Einklang ſteht und doch unwillkürlich den Anſtrich eines mondänen Zeitvertreibs gewonnen hat. Das ſind die Vorträge einiger Leuchten der literariſchen Welt, unter denen Jules Lemaitre voran ſteht. Während die Vorleſungen der Sorbonne ſeit Pailleron welcher in ſeinem bekannte Stücke „Le Monde ou l’on ſ’ennuie“ die Schöngeiſterei der Zuhörerinnen eines da- mals ſehr gefeierten Profeſſors und deſſen Selbſtgefällig- keit verſpottete, ſich ſtark demokratiſiert haben, tragen die in einem häßlichen dunklen Saale am Boulevard Saint- Germain ſtattfindenden ganz und gar den Charakter einer auserleſenen Verſammlung, in der die Damen bei weitem die Mehrzahl bilden. Sie kommen allerdings in ausge- ſucht hübſchen Toiletten dorthin und zeigen vielleicht auch die Hüte, die ihnen im Theater nicht mehr zu tragen ge- ſtattet ſind. Da ſagen nun gleich die böſen Zungen wieder, das ſei der alleinige Zweck ihrer Anweſenheit, und wollen nicht zugeben, daß die Frauen des 20. Jahrhunderts ſich wirklich für die Heldinnen Racines intereſſieren. Niemand aber beſſer als der feinſinnige Kritiker Jules Lemaitre, der in den Werken Racines augenſcheinlich ein Lieblings- thema behandelt, könnte in ſeinen eleganten Zuhörerinnen das Mitempfinden der Liebesqualen einer Phädra und der mütterlichen Angſt einer Andromache wecken, wie er letztes Jahr wahrſcheinlich in einer erſten Serie von Vorträgen die etwa noch vorhandene Rouſſeau-Schwärmerei beträcht- lich gedämpft hat. Wenn es gewiß auch zum guten Ton gehört, ſich während einer Reihe von Mittwoch-Nachmit- tagen unter dem Katheder Jules Lemaitres einzufinden und überhaupt bei allen literariſchen Ereigniſſen, an denen das große Publikum wegen der Höhe der Eintrittspreiſe nicht teilnehmen kann, dabei zu ſein, ſo ſind die Franzöſin- nen im allgemeinen doch viel zu gut beſchlagen in ihren Klaſſikern, um nicht aus Liebe zur Sache und mit Vorteil und Genuß ein Stündchen reine Literatur dabei über ſich ergehen zu laſſen. Die Mode, die ſie da hinführt, leiſtet ihnen höchſtens einen Dienſt und gehört zu denen, die man ohne Bedenken mitmachen darf. Paris, Mitte März. Eliſabeth.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 137, 23. März 1908, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine137_1908/14>, abgerufen am 10.06.2024.