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Allgemeine Zeitung. Nr. 129. München, 18. März 1908.

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München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 18. März 1908. Nr. 123.
[Spaltenumbruch]
Politische Rundschau
Beschränkung der eigenen Arbeitsfähigkeit.

* Aus den Kreisen der Industrie wird uns geschrieben:

Der englische Arbeiter gebraucht zur Erzwingung seiner
Forderung außer dem Streik noch das Mittel zur Ar-
beitseinschränkung,
das heißt, er treibt Ca'canny-
Politik (Ca'canny = nur immer hübsch langsam). Außer-
dem versucht er das Verhältnis zwischen Angebot und Nach-
frage auf dem Arbeitsmarkt zu regeln, und vor allem durch
Beschränkung der eigenen Arbeitsleistung und der dadurch
notwendigerweise sich ergebenden Mehrung der Arbeits-
gelegenheit der Arbeitslosennot zu steuern. Mit dieser
Ca'canny-Politik haben die englischen Gewerkschaften es
so weit gebracht daß ganze Zweige der englischen Industrie
dem Ausland gegenüber nicht mehr konkur-
renzfähig
geblieben sind. Von diesem Gesichtspunkte
aus wäre gegen eine derartige Wirtschaftspolitik der eng-
lischen Gewerkschasten gar nichts einzuwenden, wenn nicht
Anzeichen dafür vorhanden wären, daß auch der deut-
schen Industrie ähnliches Unheil
droht. Zwar
hat noch vor kurzem das Organ des Metallarbeiterverban-
des, die Metallarbeiterzeitung, entschieden erklärt, daß die
Gewerkschaften Deutschlands diese Bestrebungen der eng-
lischen Arbeiter ablehnten; daß aber in Wirklichkeit der-
artige Strömungen innerhalb der Gewerkschaften vorhan-
den sind, zeigt ein Artikel des Vereinsanzeigers, des Organs
des Verbandes der Maler, Lackierer, Anstreicher, Tüncher
und Weißbindergehilfen, der sich in seiner Nummer 6 vom
8. Februar 1908 folgendermaßen verlauten läßt:

"Zunächst muß die Gewerkschaft ihre Mitglieder dazu er-
ziehen, die Arbeitsleistung einzuschränken; sei es, daß die Ar-
beitszeit verkürzt, oder daß die Arbeitsintensität herabgesetzt
wird. Die Kollegen müssen solidarisch denken und fühlen, den
Egoismus eindämmen und bewußtermaßen auf die Interessen
der anderen Kollegen Rücksicht nehmen. Das Drauflosschusten
und das Raffen für den eigenen Geldbeutel muß aufhören, und
jeder Kollege muß denken, daß auch andere Leute etwas ver-
dienen wollen. Es ist ja traurig, aber wahr, daß manchmal in
den schlechtesten Zeiten gewisse Auchkollegen so wenig Kol-
legialität besitzen, den anderen Kollegen die Arbeit vor dem
Munde wegzunehmen, indem sie Ueberstunden machen und ihre
Leistungen steigern. Wir wissen sehr wohl, daß es im
Grunde genommen ein Unsinn
ist und daß es jeder
vernünftigen Wirtschaftsweise widerspricht, seine Leistung
einzuschränken,
aber der Kapitalismus ist nun einmal
eine verrückte Ordnung und die Arbeiter müssen sich leider
dieser Verrücktheit anpassen. Und außerdem kommt hinzu, daß
die Zeiten einer Krisis Maßnahmen fordern, die unter nor-
malen Verhältnissen zu verwerfen sind. Deshalb bleiben wir
dabei, daß die Gewerkschaften ihren Mitgliedern ein ge-
mächliches Arbeiten zur Pflicht machen
müssen,
unbekümmert darum, ob auch die Unternehmer Zeter und
Mordio schreien."

Dieser Artikel richtet sich zunächst dadurch, daß er selbst
zugesteht, daß es im Grunde genommen ein Unsinn sei und
jeder vernünftigen Wirtschaftsweise widerspräche, seine
Leistungen einzuschränken. Ganz abgesehen von den Fol-
gen, die eine Befolgung derartiger Grundsätze für die
Unternehmer und damit auch für die Arbeiter haben müßte,
bedarf es aber doch der Feststellung, daß eine solche Auf-
fassung und Auslegung des Arbeitsvertrages allen Ge-
setzen von Treu und Glauben ins Gesicht
schlägt
und gegen die guten Sitten verstößt. Auf der
einen Seite soll der Unternehmer Mindestlöhne garantieren
und auf der anderen Seite behält sich der Arbeiter vor, je
nach Lage der Konjunktur hiefür mehr oder weniger zu
leisten!

Die Münznovelle

soll in dieser Woche den Bundesrat beschäftigen. Nach
einer Mitteilung der Mil.-pol. Korrespondenz sieht der
Gesetzentwurf vor: 1. Die Schaffung eines 25 Pfennigstücks
in Gestalt einer -- nicht durchlochten -- dünnen Platte aus
reinem Nickel mit einem Durchmesser von etwa 23 Milli-
meter. Die Größe der neuen Münze steht also zwischen
dem früheren großen 20 Pfg. und dem 1 Markstück. 2. Die
Erhöhung der Silberausprägungsquote von 15
auf 20 M für den Kopf der Bevölkerung. 3. Eine Reihe
münzpolizeilicher Vorschriften. Von der Re-
gierung abgelehnt und nicht in den Entwurf ange-
[Spaltenumbruch] nommen ist dagegen die Wiedereinführung des Talers
oder die Ausprägung eines Dreimarkstücks.

Ein Widerruf der Weser-Zeitung.

* Die Weser-Zeitung widerruft heute förmlich, indem sie
schreibt: "Die von uns veröffentlichte, uns aus parlamentarischen
Kreisen zugegangene Nachricht von der Vereinbarung und regie-
rungsseitigen Begünstigung eines Wahlkartells zwischen
den Konservativen, Freikonservativen und
Nationalliberalen
gegen die Freisinnigen ist irrtümlich.
-- Wir erklären das rund heraus. -- Die Redaktion hat sich
vollkommen überzeugen können und müssen, daß die Mitteilung
in der Hauptsache falsch gewesen ist. Wir bedauern es lebhaft,
durch Aufnahme des Berichts den Irrtum verbreitet zu haben.
Die Zuschrift kam von einer Seite, der wir die größte Vorsicht
zutrauten und wurde durch begleitende briefliche Mitteilungen
so nachdrücklich und zuversichtlich unterstützt, daß unsere Zweifel
erlahmten und wir die Angelegenheit der Oeffentlichkeit über-
gaben. Richtig ist, daß am letzten Dienstag eine "interfraktionelle
Besprechung des Finanzministers mit den Führern der politischen
Parteien des Abgeordnetenhauses" stattgefunden hat und daß
die Freisinnigen nicht dabei waren. Richtig ist auch, daß Frhr.
v. Zedlitz, wie er in seinem Dementi anerkennt, gesagt hat: "Die
preußische Staatsregierung hat ein überaus lebhaftes Interesse
daran, zur Einschränkung der freisinnigen Wahlrechtsagitation
die Wahlen so früh wie möglich anzusetzen. Es muß das schon
aus dem Grunde angestrebt werden, weil die Gefahr nahe liegt,
daß die gemeinsame Agitation für die Wahlreform die Frei-
sinnigen und Sozialdemokraten im Wahlkampfe jeden Augenblick
zusammenführen kann." Aber die weitere Mitteilung, die man
uns als ganz bestimmte Tatsache meldete, ist, wie wir uns über-
zeugt haben, falsch. Daß die Konservativen für sich etwas Der-
artiges anstreben, kann sein. Ob die Freikonservativen, die frei-
lich eigentlich für eine Verstärkung der Linken eintreten müßten,
um nicht von den Klerikalen beider Konfessionen matt gesetzt
zu werden, sich daran beteiligen würden, mag dahingestellt
bleiben. Weit wichtiger wäre, wenn auch die Nationalliberalen
bei der Sache wären. Das ist nicht der Fall. Ihre Presse hat
keinen Zweifel darüber gelassen. Das Entscheidende hätte darin
gelegen, ob die Regierung sich an einem solchen, zu den weitesten
Folgen führenden Bruch mit der Blockpolitik beteiligt hätte. Ein
solches Wahlkartell wäre für die Blockpolitik im Reiche ein
wahrer "Stoß ins Herz" gewesen. Die Meldung ist auch in
diesem wichtigsten Punkte falsch gewesen. Von einer Seite, deren
unbedingte Unterrichtetheit und Zuverlässigkeit wir kennen, wird
uns das ausführlich geschrieben und hinzugesetzt: "Es ist nichts,
aber auch wirklich nichts Wahres an der Geschichte, soweit die
Regierung in Frage kommt. Ein preußischer Minister, der so
spräche, wäre heute unmöglich."

Aus den kolonialen Ergänzungsetats

ist noch mitzuteilen: "Der Etat für Ostafrika enthält als Ein-
nahmetitel 152,000 M, das Ergebnis der Neuverpachtung
der Usambarabahn an die Deutsche Kolonial-
eisenbahnbau- und Betriebsgesellschaft
zu Ber-
lin: Nach dem Vertrage läuft das Pachtverhältnis bis zum
31. März 1920, doch ist ein Kündigungsrecht zum Ende des 3., 6.
und 9. Betriebsjahres vorgesehen. Der jährliche Mindestpachtzins
beträgt 152,000 M; von dem nach Abzug dieses Pachtzinses, der
Betriebsausgaben und einer Entschädigung für die Pächterin in
Höhe von 30 000 M verbleibenden Teile der Betriebseinnahmen
erhält das Reich neun Zehntel, außerdem muß die Pächterin
die Strecke Mombo-Pangani, die noch gebaut werden soll (Kosten
31/2 Millionen und für die 2 Millionen als erste Rate aus-
geworfen werden) später unter angemessener Erhöhung des Pacht-
zinses betreiben.

Der Etat für Togo enthält als Einnahmeposten 306,500 M
als Pachtzins für die Verpachtung der Eisenbahnen Lome-Anecho
und Lome-Palime an die Deutsche Kolonialeisenbahnbau- und
Betriebsgesellschaft. Die Verpachtung erfolgt unter ganz gleichen
Bedingungen wie die der ostafrikanischen Bahnen. Die 306,500
Mark sind der Mindestpachtzins.

Der Etat für Südwestafrika bringt eine Anzahl Er-
mäßigungen, die dadurch entstehen, daß die Ausgestaltung der
Forstverwaltung um ein Jahr verschoben wird und die Ver-
pflegungskosten für die Farbigen sich etwas ermäßigen. Die
Frachtkosten ermäßigen sich auf Grund einer neuen Dislokation
der Schutztruppe um 765,000 M. Eine anderweite Ausführung
von Bauten von Beamtenwohnhäusern, Schulhäusern, Ställen
bringt eine Ersparnis von 288,000 M. Für Wege, Brunnen
und Wasseranlagen werden 100,000 M weniger gebraucht, und
so werden noch mehrere andere Titel ermäßigt. Dagegen werden
100,000 M ausgeworfen zur Unterstützung leistungsschwacher
Schulverbände, denen in Zukunft der Schulbau überlassen werden
soll. Für Privatärzte und Hebammen, die sich im Schutzgebiete
niederlassen, sind 15,000 M ausgeworfen, die während der Auf-
[Spaltenumbruch] stände treu gebliebenen Eingeborenen sollen für die erlittenen
Verluste mit 40,000 M entschädigt werden.

Gleichzeitig ist dem Reichstage das Anleihegesetz für
die Schutzgebiete zugegangen, das, wie schon angekündigt, die
Schaffung besonderer Kolonialanleihen vorsieht. Die Anleihe
soll vom 6. Jahre an nach der Begebung mit 3/5 Proz. getilgt
werden. Vom 15. Jahre ab kann der Reichskanzler die Tilgung
verstärken oder die umlaufenden Schuldverschreibungen zur Ein-
lösung zum Nennbetrage binnen 3 Monaten über Frist kündigen;
für die Verzinsung und Tilgung haftet das Reich. Soweit die
Anleihe für Bahnzwecke verwendet wird, sind die Grund-
eigentümer
im Verkehrsbezirke dieser Bahnen zu einer
ihrem Interesse an der Bahn entsprechenden Leistung zugunsten
des Schutzgebietes heranzuziehen. Es kann verlangt werden,
daß die Leistung in Form von Landabtretung erfolgt, sofern das
Grundstück durch die Abtretung nicht derart zerstückelt wird, daß
das Restgrundstück nach seiner bisherigen Bestimmung nicht mehr
zweckmäßig benutzt werden kann. Mangels einer Einigung über
die Höhe der Leistung, sowie über Größe und Art der abzu-
tretenden Flächen entscheidet eine vom Reichskanzler zu bestellende
besondere Kommission von drei Mitgliedern endgültig. Als
Vorsitzender der Kommission ist der Oberrichter des Schutzgebietes
zu berufen. Die Beisitzer werden auf Vorschlag des Gouverne-
mentsrates ernannt.

Ein weiterer Gesetzentwurf ändert § 2 des Darlehensgesetze-
für Togo dahin ab, daß der bis zum 1. Juli 1907 nicht getilgte
Betrag des Darlehens mit 31/2 Proz. zu verzinsen und 3/5 Proz.
zu amortisieren ist.

Die Folgen des Bauernaufstandes in Rumänien.

* Während der Revolten im vorigen Jahre wurde
ein Leutnant, namens Nitzuculescu, im Distrikte Wlaschka,
von seinen eigenen Soldaten erschossen, als er den Befehl
gab, gegen die aufständischen Bauern von der Waffe Ge-
brauch zu machen. 74 Soldaten hatten sich wegen dieser
Tat zu verantworten. 57 von ihnen wurden zu lebens-
länglicher Zuchthausstrafe, 3 zu Zuchthausstrafen von
20 Jahren, alle zur Degradation verurteilt. Diese letztere
wurde vor Deputationen aus allen Regimentern der Gar-
nison Bukarest vollzogen. Es wurde ein Viereck gebildet,
in dessen Mitte die Verurteilten standen. Ein Offizier
verlas das Urteil mit lauter Stimme. Der Schluß lautete:
"Ihr seid unwürdig, im Namen Seiner Majestät des
Königs Waffen zu tragen. Ihr seid degradiert." Unter
den Klängen der Militärmusik trat darauf ein Offizier
an die Verurteilten heran und riß ihnen zum Zeichen der
Degradation die Knöpfe und Achselklappen ab. Unmittel-
bar nach der Degradation wurden die 60 Verurteilten in
die Salzminen geschafft, aus denen wohl keiner von ihnen
wieder in die Welt zurückkehren dürfte.



-- Der bisherige Vertreter des Landtagswahlkreises Fulda
Oberlandesgerichtspräsident Dr. Spahn hat auf eine Kandida-
tur verzichtet.

-- Die Dortmunder Zeitung, die von Zeit zu Zeit durch eine
sensationelle Meldung von sich reden macht, hatte behauptet, die
Ueberreichung eines Ehrengeschenkes, das das 8. Armeekorps
seinem scheidenden Kommandanten General v. Bissing ge-
stiftet hat, sei auf Befehl des Kaisers unterblieben, weil Frhr.
v. Bissing sich mit dem militärischen Mitarbeiter des Berliner
Tageblattes, dem früheren Oberst Gaedke in Verbindung gesetzt
und ihn für die Begleiterscheinungen seiner Verabschiedung zu
interessieren versucht habe. General v. Bissing erklärt jetzt diese
Nachricht für erlogen; das Geschenk sei ihm am 13. März in wür-
diger Weise durch eine Abordnung überreicht worden und von
einer Verbindung mit Herrn Gaedke könne keine Rede sein.

-- Wie das Stuttgarter Neue Tagblatt meldet, hat die dieser
Tage verstorbene Frau Geheimrat v. Knosp unter anderen
reichen Legaten auch der Stadt Stuttgart ein Vermächtnis
von zwei Millionen bestimmt zu dem Zweck, im Hasen-
bergwalde ein Genesungsheim zu gründen, wozu die Stadt
nur Grund und Boden zu geben hat.

-- Die Freie kirchlich-soziale Konferenz hält ihren 13. Kon-
greß vom 27. bis 29. April in Bielefeld ab.

-- Das Zentrum hat zur zweiten Beratung des Kolo-
nialetats
eine Resolution eingebracht, in der Anordnun-
gen verlangt werden, daß 1. die Rechtspflege unter den Einge-
borenen mit erhöhten Garantien umgeben wird, 2. in Rechts-
angelegenheiten zwischen Eingeborenen und Weißen die Rechte
der Eingeborenen genügend gewahrt werden, 3. für die Weißen
in Strafsachen eine Berufungsinstanz in dem Schutzgebiete ge-
schaffen und als Revisionsinstanz das Reichsgericht bestimmt wird,
in Zivilsachen eine Berufungs- und Revisionsinstanz im Deut-
schen Reiche errichtet wird.

(Letzte Nachrichten siehe Seite 6.)
[Spaltenumbruch]
Adolph v. Menzel in München.

Die Schenkung Menzelscher Originalwerke an den
bayerischen Staat.

Die Zeitungen brachten bereits in Kürze die für unser
einheimisches Kunstleben hochbedeutsame Nachricht, daß der
bayerische Staat durch eine großartige Schenkung in den
Besitz einer stattlichen Reihe von Meisterwerken Adolph
v. Menzels gelangt ist. Das Legendenhafte dieser freudigen
Botschaft schwindet, wenn man hört, welche Motive die
hochherzige Schenkerin, die Nichte Menzels, Frl. Krigar-
Menzel
in Berlin, dazu bestimmten, sich ihres wertvollen
Besitzes zu entäußern und ihn der Allgemeinheit zu künst-
lerischem Genießen zuzuführen. Es war ein Wunsch ihrer
im vorigen Jahre verstorbenen Mutter, der Schwester des
Künstlers, daß die sorgsam gehüteten Schätze einst gesam-
melt der Oeffentlichkeit überantwortet würden, und in sin-
niger Wahrung der Vorliebe ihres Bruders für den deut-
schen Süden hatte sie an den Ort gedacht, den der Meister
40 Jahre seines Lebens hindurch immer wieder mit gleicher
Freudigkeit besucht hatte: an München und seine Kunst-
sammlungen. Der Wille, ihm an der Stätte, die ihm so
viele Anregung gebracht hatte, mit seinen eigenen Werken
ein künstlerisches Denkmal zu setzen, hat sie zu diesem gro-
ßen Entschlusse geführt. Was die alternde Mutter sich er-
dacht hatte, das hat in pietätvollster Weise die Tochter schon
jetzt, zu Lebzeiten, zu schöner Ausführung gebracht. Der
Dank aller wahren Kunstfreunde wird ihr für diese wahr-
haft fürstliche Förderung unserer künstlerischen Interessen
nicht versagt bleiben.

Ihre vornehme Tat ist um so freudiger zu begrüßen,
als in den Sammlungen des bayerischen Staates zurzeit
die Kunst Menzels noch ganz unzulänglich vertreten ist. In
der Zukunft wird auch in der Münchener Pinakothek, der
die Oelgemälde, Guaschen und Aquarelle dieser Schenkung
zugeführt werden sollen, ein in sich geschlossener Raum dem
gewaltigen Schaffen eines unserer größten neueren deut-
schen Meister geweiht sein können. Das Ererbte würdig
zu verwalten, den Grundstock in ebenbürtiger Weise aus-
zubauen, wird eine der vornehmsten Aufgaben der Dank-
barkeit gegenüber der Stifterin sein müssen.

Die Provenienz der Kunstwerke aus der Familie des
[Spaltenumbruch] Künstlers bringt es mit sich, daß die Oelgemälde der
Schenkung zumeist der Frühzeit des Meisters entstammen,
einer Epoche, in der Menzel noch um Anerkennung zu rin-
gen hatte. Es sind intime, anspruchslose Werke, die nie für
den Verkauf bestimmt, lange Zeit unbeachtet im Atelier
standen, durch die späteren großen Geschichtsbilder des
Friderizianischen Zeitalters ganz in den Hintergrund ge-
drängt. Erst in den letzten Jahren hat man ihren wahren
Wert als Malerwerke erkannt; und es ist nicht zu viel ge-
sagt, wenn v. Tschudi, der diesen Abschnitt in Menzels Ent-
wicklung mit den Jahren 1845 bis ca. 1857 umgrenzt, "die-
sen bescheidenen Sachen malerische Werte" zuschreibt, "die
in gleicher Stärke und Reinheit in Menzels großen und
berühmten Werken nicht vorhanden sind".

In der Tat begegnet man in einem gegenständlich
so einfachen Bilde wie: "Menzels Schwester an der Türe
eines durch Lampenlicht spärlich erleuchteten Raumes" ko-
loristischen Problemen, die in ihrer sicheren Lösung für ihre
Zeit -- 1847 -- aufs höchste überraschen müssen. Die har-
monische Kombinierung und feine Abstimmung ihrer Ton-
werte stempeln diese Studie zu einem koloristischen Meister-
stück. Es scheint vor allem die Frage der Lichtabstufung und
der Beleuchtungseffekte zu sein, die den Künstler bei solch
rasch hingesetzten Studien damals interessierte. Das my-
stische Halbdunkel einer nur durch Altarkerzen erhellten
Kirche in Innsbruck, bei der der Blick wie mit magnetischer
Gewalt über die andächtige Menge auf die heilige Handlung
gezogen wird, das geheimnisvolle Spiel des Mondlichts
um den Chor einer Dorfkirche, aus deren tiefbeschatteten
Pfeilerpartien der rötliche Schein eines schwach erleuchteten
heiligen Grabes hervordämmert, der Widerstreit des fahlen
Vollmondglanzes mit den gelblichen Lichtern eines von
innen und außen erleuchteten Fabriketablissements -- in
solchen Motiven zeigt sich sein sonst auf scharfe zeichnerische
Auffassung der Objekte ausgehendes Auge auch den maleri-
schen Erscheinungsformen offen.

Mit einem für seine Zeit bewunderungswürdigen
Wagemut machte er sich -- 1851 -- daran, die dumpfschwüle
Atmosphäre eines kerzenerleuchteten Konzertsaales festzu-
halten, in der sich eine illustre Gesellschaft versammelt hat.
Der bräunliche Papierton dieser unvollendeten Studie gibt
den Grundakkord der in diskretesten Farben gehaltenen
Komposition, deren geistreiche Zeichnung sich mit knappster
[Spaltenumbruch] Charakterisierung begnügt. Und wenn den Künstler auch
ein eminentes Gedächtnis in den Stand setzte, aus der Er-
innerung die ganze Skala der Tonwerte wiederzugeben, die
das eindringende Tageslicht in der Dachkammer eines
Büchertrödlers auf den schmucklosen Wänden hervorzau-
bert, so verschmähte er es doch nicht, gelegentlich auch vor
der Natur selbst den Pinsel in die Hand zu nehmen. Die
Schenkung enthält dafür zwei treffliche Belege: eine kleine
Landschaft mit einem unter mächtigen Bäumen versteckten
Bildstock aus den Salzburger Bergen, und eine, zwar im
Vorwurf unscheinbare, in der Ausführung aber malerisch
breite Studie: des Meisters Pelz, nachlässig auf ein rot-
braunes Sofa geworfen.

Aus viel späterer Zeit (1863) datiert das nach seiner
Bildwirkung abgeschlossenste Oelgemälde der ganzen
Reihe: der Ausblick von einem Balkon des kgl. Schlosses in
Berlin. Hier erscheint die Tonmalerei bis zu ihren äußer-
sten Konsequenzen verfolgt: ein herrlicher Zusammenklang
warmer goldener Töne, vom dunkeln Braun durch gelb-
liches Grau bis zum Weißgelb der Luft geführt.

Es ist kein Zufall, daß Menzel in jener frühen maleri-
schen Epoche um die Mitte des Jahrhunderts auch bei seinen
Zeichnungen mit Vorliebe zum farbigen Stifte greift. Die
Schenkung enthält auch hiefür neben einigen kleineren
Porträtskizzen ein hervorragendes Beispiel, das mit Deck-
farben gehöhte Pastell: Adam mit Jagdbeute zu Eva
und ihren beiden Kindern, Kain und Abel, zurückkehrend
(ca. 1857). Wie dieses Bild durch die unberührte Frische
seiner Farben in Erstaunen setzt, so überrascht es nicht
minder durch seine psychologische Vertiefung. In der
Gruppe der mit selig-müdem Lächeln zu Adam aufblickenden
Eva klingt auch die bei Menzel so selten angeschlagene Saite
des Gemütes in leiser Schwingung mit. Das Motiv der
diffusen, auf den Körperchen der Kinder spielenden Son-
nenstrahlen läßt unwillkürlich an das ungefähr gleichzeitig
entstandene Böcklinsche Bild "Pan im Schilf" denken --
einer der wenigen Punkte, in denen sich die Kunst der beiden
großen Meister berührt.

In einem Aquarell aus dem Jahre 1847 -- Ter-
rasse und Kirche, im Vordergrund eine genrehaft aufgefaßte
Staffagefigur -- geht der Künstler auf starke, fast bunte
Farbenwirkung aus. Weniger Bedeutung kann der "Mau-
rischen Szenerie" beigemessen werden, die als Skizze zu

München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 18. März 1908. Nr. 123.
[Spaltenumbruch]
Politiſche Rundſchau
Beſchränkung der eigenen Arbeitsfähigkeit.

* Aus den Kreiſen der Induſtrie wird uns geſchrieben:

Der engliſche Arbeiter gebraucht zur Erzwingung ſeiner
Forderung außer dem Streik noch das Mittel zur Ar-
beitseinſchränkung,
das heißt, er treibt Ca’canny-
Politik (Ca’canny = nur immer hübſch langſam). Außer-
dem verſucht er das Verhältnis zwiſchen Angebot und Nach-
frage auf dem Arbeitsmarkt zu regeln, und vor allem durch
Beſchränkung der eigenen Arbeitsleiſtung und der dadurch
notwendigerweiſe ſich ergebenden Mehrung der Arbeits-
gelegenheit der Arbeitsloſennot zu ſteuern. Mit dieſer
Ca’canny-Politik haben die engliſchen Gewerkſchaften es
ſo weit gebracht daß ganze Zweige der engliſchen Induſtrie
dem Ausland gegenüber nicht mehr konkur-
renzfähig
geblieben ſind. Von dieſem Geſichtspunkte
aus wäre gegen eine derartige Wirtſchaftspolitik der eng-
liſchen Gewerkſchaſten gar nichts einzuwenden, wenn nicht
Anzeichen dafür vorhanden wären, daß auch der deut-
ſchen Induſtrie ähnliches Unheil
droht. Zwar
hat noch vor kurzem das Organ des Metallarbeiterverban-
des, die Metallarbeiterzeitung, entſchieden erklärt, daß die
Gewerkſchaften Deutſchlands dieſe Beſtrebungen der eng-
liſchen Arbeiter ablehnten; daß aber in Wirklichkeit der-
artige Strömungen innerhalb der Gewerkſchaften vorhan-
den ſind, zeigt ein Artikel des Vereinsanzeigers, des Organs
des Verbandes der Maler, Lackierer, Anſtreicher, Tüncher
und Weißbindergehilfen, der ſich in ſeiner Nummer 6 vom
8. Februar 1908 folgendermaßen verlauten läßt:

„Zunächſt muß die Gewerkſchaft ihre Mitglieder dazu er-
ziehen, die Arbeitsleiſtung einzuſchränken; ſei es, daß die Ar-
beitszeit verkürzt, oder daß die Arbeitsintenſität herabgeſetzt
wird. Die Kollegen müſſen ſolidariſch denken und fühlen, den
Egoismus eindämmen und bewußtermaßen auf die Intereſſen
der anderen Kollegen Rückſicht nehmen. Das Drauflosſchuſten
und das Raffen für den eigenen Geldbeutel muß aufhören, und
jeder Kollege muß denken, daß auch andere Leute etwas ver-
dienen wollen. Es iſt ja traurig, aber wahr, daß manchmal in
den ſchlechteſten Zeiten gewiſſe Auchkollegen ſo wenig Kol-
legialität beſitzen, den anderen Kollegen die Arbeit vor dem
Munde wegzunehmen, indem ſie Ueberſtunden machen und ihre
Leiſtungen ſteigern. Wir wiſſen ſehr wohl, daß es im
Grunde genommen ein Unſinn
iſt und daß es jeder
vernünftigen Wirtſchaftsweiſe widerſpricht, ſeine Leiſtung
einzuſchränken,
aber der Kapitalismus iſt nun einmal
eine verrückte Ordnung und die Arbeiter müſſen ſich leider
dieſer Verrücktheit anpaſſen. Und außerdem kommt hinzu, daß
die Zeiten einer Kriſis Maßnahmen fordern, die unter nor-
malen Verhältniſſen zu verwerfen ſind. Deshalb bleiben wir
dabei, daß die Gewerkſchaften ihren Mitgliedern ein ge-
mächliches Arbeiten zur Pflicht machen
müſſen,
unbekümmert darum, ob auch die Unternehmer Zeter und
Mordio ſchreien.“

Dieſer Artikel richtet ſich zunächſt dadurch, daß er ſelbſt
zugeſteht, daß es im Grunde genommen ein Unſinn ſei und
jeder vernünftigen Wirtſchaftsweiſe widerſpräche, ſeine
Leiſtungen einzuſchränken. Ganz abgeſehen von den Fol-
gen, die eine Befolgung derartiger Grundſätze für die
Unternehmer und damit auch für die Arbeiter haben müßte,
bedarf es aber doch der Feſtſtellung, daß eine ſolche Auf-
faſſung und Auslegung des Arbeitsvertrages allen Ge-
ſetzen von Treu und Glauben ins Geſicht
ſchlägt
und gegen die guten Sitten verſtößt. Auf der
einen Seite ſoll der Unternehmer Mindeſtlöhne garantieren
und auf der anderen Seite behält ſich der Arbeiter vor, je
nach Lage der Konjunktur hiefür mehr oder weniger zu
leiſten!

Die Münznovelle

ſoll in dieſer Woche den Bundesrat beſchäftigen. Nach
einer Mitteilung der Mil.-pol. Korreſpondenz ſieht der
Geſetzentwurf vor: 1. Die Schaffung eines 25 Pfennigſtücks
in Geſtalt einer — nicht durchlochten — dünnen Platte aus
reinem Nickel mit einem Durchmeſſer von etwa 23 Milli-
meter. Die Größe der neuen Münze ſteht alſo zwiſchen
dem früheren großen 20 Pfg. und dem 1 Markſtück. 2. Die
Erhöhung der Silberausprägungsquote von 15
auf 20 M für den Kopf der Bevölkerung. 3. Eine Reihe
münzpolizeilicher Vorſchriften. Von der Re-
gierung abgelehnt und nicht in den Entwurf ange-
[Spaltenumbruch] nommen iſt dagegen die Wiedereinführung des Talers
oder die Ausprägung eines Dreimarkſtücks.

Ein Widerruf der Weſer-Zeitung.

* Die Weſer-Zeitung widerruft heute förmlich, indem ſie
ſchreibt: „Die von uns veröffentlichte, uns aus parlamentariſchen
Kreiſen zugegangene Nachricht von der Vereinbarung und regie-
rungsſeitigen Begünſtigung eines Wahlkartells zwiſchen
den Konſervativen, Freikonſervativen und
Nationalliberalen
gegen die Freiſinnigen iſt irrtümlich.
— Wir erklären das rund heraus. — Die Redaktion hat ſich
vollkommen überzeugen können und müſſen, daß die Mitteilung
in der Hauptſache falſch geweſen iſt. Wir bedauern es lebhaft,
durch Aufnahme des Berichts den Irrtum verbreitet zu haben.
Die Zuſchrift kam von einer Seite, der wir die größte Vorſicht
zutrauten und wurde durch begleitende briefliche Mitteilungen
ſo nachdrücklich und zuverſichtlich unterſtützt, daß unſere Zweifel
erlahmten und wir die Angelegenheit der Oeffentlichkeit über-
gaben. Richtig iſt, daß am letzten Dienstag eine „interfraktionelle
Beſprechung des Finanzminiſters mit den Führern der politiſchen
Parteien des Abgeordnetenhauſes“ ſtattgefunden hat und daß
die Freiſinnigen nicht dabei waren. Richtig iſt auch, daß Frhr.
v. Zedlitz, wie er in ſeinem Dementi anerkennt, geſagt hat: „Die
preußiſche Staatsregierung hat ein überaus lebhaftes Intereſſe
daran, zur Einſchränkung der freiſinnigen Wahlrechtsagitation
die Wahlen ſo früh wie möglich anzuſetzen. Es muß das ſchon
aus dem Grunde angeſtrebt werden, weil die Gefahr nahe liegt,
daß die gemeinſame Agitation für die Wahlreform die Frei-
ſinnigen und Sozialdemokraten im Wahlkampfe jeden Augenblick
zuſammenführen kann.“ Aber die weitere Mitteilung, die man
uns als ganz beſtimmte Tatſache meldete, iſt, wie wir uns über-
zeugt haben, falſch. Daß die Konſervativen für ſich etwas Der-
artiges anſtreben, kann ſein. Ob die Freikonſervativen, die frei-
lich eigentlich für eine Verſtärkung der Linken eintreten müßten,
um nicht von den Klerikalen beider Konfeſſionen matt geſetzt
zu werden, ſich daran beteiligen würden, mag dahingeſtellt
bleiben. Weit wichtiger wäre, wenn auch die Nationalliberalen
bei der Sache wären. Das iſt nicht der Fall. Ihre Preſſe hat
keinen Zweifel darüber gelaſſen. Das Entſcheidende hätte darin
gelegen, ob die Regierung ſich an einem ſolchen, zu den weiteſten
Folgen führenden Bruch mit der Blockpolitik beteiligt hätte. Ein
ſolches Wahlkartell wäre für die Blockpolitik im Reiche ein
wahrer „Stoß ins Herz“ geweſen. Die Meldung iſt auch in
dieſem wichtigſten Punkte falſch geweſen. Von einer Seite, deren
unbedingte Unterrichtetheit und Zuverläſſigkeit wir kennen, wird
uns das ausführlich geſchrieben und hinzugeſetzt: „Es iſt nichts,
aber auch wirklich nichts Wahres an der Geſchichte, ſoweit die
Regierung in Frage kommt. Ein preußiſcher Miniſter, der ſo
ſpräche, wäre heute unmöglich.“

Aus den kolonialen Ergänzungsetats

iſt noch mitzuteilen: „Der Etat für Oſtafrika enthält als Ein-
nahmetitel 152,000 M, das Ergebnis der Neuverpachtung
der Uſambarabahn an die Deutſche Kolonial-
eiſenbahnbau- und Betriebsgeſellſchaft
zu Ber-
lin: Nach dem Vertrage läuft das Pachtverhältnis bis zum
31. März 1920, doch iſt ein Kündigungsrecht zum Ende des 3., 6.
und 9. Betriebsjahres vorgeſehen. Der jährliche Mindeſtpachtzins
beträgt 152,000 M; von dem nach Abzug dieſes Pachtzinſes, der
Betriebsausgaben und einer Entſchädigung für die Pächterin in
Höhe von 30 000 M verbleibenden Teile der Betriebseinnahmen
erhält das Reich neun Zehntel, außerdem muß die Pächterin
die Strecke Mombo-Pangani, die noch gebaut werden ſoll (Koſten
3½ Millionen und für die 2 Millionen als erſte Rate aus-
geworfen werden) ſpäter unter angemeſſener Erhöhung des Pacht-
zinſes betreiben.

Der Etat für Togo enthält als Einnahmepoſten 306,500 M
als Pachtzins für die Verpachtung der Eiſenbahnen Lome-Anecho
und Lome-Palime an die Deutſche Kolonialeiſenbahnbau- und
Betriebsgeſellſchaft. Die Verpachtung erfolgt unter ganz gleichen
Bedingungen wie die der oſtafrikaniſchen Bahnen. Die 306,500
Mark ſind der Mindeſtpachtzins.

Der Etat für Südweſtafrika bringt eine Anzahl Er-
mäßigungen, die dadurch entſtehen, daß die Ausgeſtaltung der
Forſtverwaltung um ein Jahr verſchoben wird und die Ver-
pflegungskoſten für die Farbigen ſich etwas ermäßigen. Die
Frachtkoſten ermäßigen ſich auf Grund einer neuen Dislokation
der Schutztruppe um 765,000 M. Eine anderweite Ausführung
von Bauten von Beamtenwohnhäuſern, Schulhäuſern, Ställen
bringt eine Erſparnis von 288,000 M. Für Wege, Brunnen
und Waſſeranlagen werden 100,000 M weniger gebraucht, und
ſo werden noch mehrere andere Titel ermäßigt. Dagegen werden
100,000 M ausgeworfen zur Unterſtützung leiſtungsſchwacher
Schulverbände, denen in Zukunft der Schulbau überlaſſen werden
ſoll. Für Privatärzte und Hebammen, die ſich im Schutzgebiete
niederlaſſen, ſind 15,000 M ausgeworfen, die während der Auf-
[Spaltenumbruch] ſtände treu gebliebenen Eingeborenen ſollen für die erlittenen
Verluſte mit 40,000 M entſchädigt werden.

Gleichzeitig iſt dem Reichstage das Anleihegeſetz für
die Schutzgebiete zugegangen, das, wie ſchon angekündigt, die
Schaffung beſonderer Kolonialanleihen vorſieht. Die Anleihe
ſoll vom 6. Jahre an nach der Begebung mit ⅗ Proz. getilgt
werden. Vom 15. Jahre ab kann der Reichskanzler die Tilgung
verſtärken oder die umlaufenden Schuldverſchreibungen zur Ein-
löſung zum Nennbetrage binnen 3 Monaten über Friſt kündigen;
für die Verzinſung und Tilgung haftet das Reich. Soweit die
Anleihe für Bahnzwecke verwendet wird, ſind die Grund-
eigentümer
im Verkehrsbezirke dieſer Bahnen zu einer
ihrem Intereſſe an der Bahn entſprechenden Leiſtung zugunſten
des Schutzgebietes heranzuziehen. Es kann verlangt werden,
daß die Leiſtung in Form von Landabtretung erfolgt, ſofern das
Grundſtück durch die Abtretung nicht derart zerſtückelt wird, daß
das Reſtgrundſtück nach ſeiner bisherigen Beſtimmung nicht mehr
zweckmäßig benutzt werden kann. Mangels einer Einigung über
die Höhe der Leiſtung, ſowie über Größe und Art der abzu-
tretenden Flächen entſcheidet eine vom Reichskanzler zu beſtellende
beſondere Kommiſſion von drei Mitgliedern endgültig. Als
Vorſitzender der Kommiſſion iſt der Oberrichter des Schutzgebietes
zu berufen. Die Beiſitzer werden auf Vorſchlag des Gouverne-
mentsrates ernannt.

Ein weiterer Geſetzentwurf ändert § 2 des Darlehensgeſetze-
für Togo dahin ab, daß der bis zum 1. Juli 1907 nicht getilgte
Betrag des Darlehens mit 3½ Proz. zu verzinſen und ⅗ Proz.
zu amortiſieren iſt.

Die Folgen des Bauernaufſtandes in Rumänien.

* Während der Revolten im vorigen Jahre wurde
ein Leutnant, namens Nitzuculescu, im Diſtrikte Wlaſchka,
von ſeinen eigenen Soldaten erſchoſſen, als er den Befehl
gab, gegen die aufſtändiſchen Bauern von der Waffe Ge-
brauch zu machen. 74 Soldaten hatten ſich wegen dieſer
Tat zu verantworten. 57 von ihnen wurden zu lebens-
länglicher Zuchthausſtrafe, 3 zu Zuchthausſtrafen von
20 Jahren, alle zur Degradation verurteilt. Dieſe letztere
wurde vor Deputationen aus allen Regimentern der Gar-
niſon Bukareſt vollzogen. Es wurde ein Viereck gebildet,
in deſſen Mitte die Verurteilten ſtanden. Ein Offizier
verlas das Urteil mit lauter Stimme. Der Schluß lautete:
„Ihr ſeid unwürdig, im Namen Seiner Majeſtät des
Königs Waffen zu tragen. Ihr ſeid degradiert.“ Unter
den Klängen der Militärmuſik trat darauf ein Offizier
an die Verurteilten heran und riß ihnen zum Zeichen der
Degradation die Knöpfe und Achſelklappen ab. Unmittel-
bar nach der Degradation wurden die 60 Verurteilten in
die Salzminen geſchafft, aus denen wohl keiner von ihnen
wieder in die Welt zurückkehren dürfte.



— Der bisherige Vertreter des Landtagswahlkreiſes Fulda
Oberlandesgerichtspräſident Dr. Spahn hat auf eine Kandida-
tur verzichtet.

— Die Dortmunder Zeitung, die von Zeit zu Zeit durch eine
ſenſationelle Meldung von ſich reden macht, hatte behauptet, die
Ueberreichung eines Ehrengeſchenkes, das das 8. Armeekorps
ſeinem ſcheidenden Kommandanten General v. Biſſing ge-
ſtiftet hat, ſei auf Befehl des Kaiſers unterblieben, weil Frhr.
v. Biſſing ſich mit dem militäriſchen Mitarbeiter des Berliner
Tageblattes, dem früheren Oberſt Gaedke in Verbindung geſetzt
und ihn für die Begleiterſcheinungen ſeiner Verabſchiedung zu
intereſſieren verſucht habe. General v. Biſſing erklärt jetzt dieſe
Nachricht für erlogen; das Geſchenk ſei ihm am 13. März in wür-
diger Weiſe durch eine Abordnung überreicht worden und von
einer Verbindung mit Herrn Gaedke könne keine Rede ſein.

— Wie das Stuttgarter Neue Tagblatt meldet, hat die dieſer
Tage verſtorbene Frau Geheimrat v. Knoſp unter anderen
reichen Legaten auch der Stadt Stuttgart ein Vermächtnis
von zwei Millionen beſtimmt zu dem Zweck, im Haſen-
bergwalde ein Geneſungsheim zu gründen, wozu die Stadt
nur Grund und Boden zu geben hat.

— Die Freie kirchlich-ſoziale Konferenz hält ihren 13. Kon-
greß vom 27. bis 29. April in Bielefeld ab.

— Das Zentrum hat zur zweiten Beratung des Kolo-
nialetats
eine Reſolution eingebracht, in der Anordnun-
gen verlangt werden, daß 1. die Rechtspflege unter den Einge-
borenen mit erhöhten Garantien umgeben wird, 2. in Rechts-
angelegenheiten zwiſchen Eingeborenen und Weißen die Rechte
der Eingeborenen genügend gewahrt werden, 3. für die Weißen
in Strafſachen eine Berufungsinſtanz in dem Schutzgebiete ge-
ſchaffen und als Reviſionsinſtanz das Reichsgericht beſtimmt wird,
in Zivilſachen eine Berufungs- und Reviſionsinſtanz im Deut-
ſchen Reiche errichtet wird.

(Letzte Nachrichten ſiehe Seite 6.)
[Spaltenumbruch]
Adolph v. Menzel in München.

Die Schenkung Menzelſcher Originalwerke an den
bayeriſchen Staat.

Die Zeitungen brachten bereits in Kürze die für unſer
einheimiſches Kunſtleben hochbedeutſame Nachricht, daß der
bayeriſche Staat durch eine großartige Schenkung in den
Beſitz einer ſtattlichen Reihe von Meiſterwerken Adolph
v. Menzels gelangt iſt. Das Legendenhafte dieſer freudigen
Botſchaft ſchwindet, wenn man hört, welche Motive die
hochherzige Schenkerin, die Nichte Menzels, Frl. Krigar-
Menzel
in Berlin, dazu beſtimmten, ſich ihres wertvollen
Beſitzes zu entäußern und ihn der Allgemeinheit zu künſt-
leriſchem Genießen zuzuführen. Es war ein Wunſch ihrer
im vorigen Jahre verſtorbenen Mutter, der Schweſter des
Künſtlers, daß die ſorgſam gehüteten Schätze einſt geſam-
melt der Oeffentlichkeit überantwortet würden, und in ſin-
niger Wahrung der Vorliebe ihres Bruders für den deut-
ſchen Süden hatte ſie an den Ort gedacht, den der Meiſter
40 Jahre ſeines Lebens hindurch immer wieder mit gleicher
Freudigkeit beſucht hatte: an München und ſeine Kunſt-
ſammlungen. Der Wille, ihm an der Stätte, die ihm ſo
viele Anregung gebracht hatte, mit ſeinen eigenen Werken
ein künſtleriſches Denkmal zu ſetzen, hat ſie zu dieſem gro-
ßen Entſchluſſe geführt. Was die alternde Mutter ſich er-
dacht hatte, das hat in pietätvollſter Weiſe die Tochter ſchon
jetzt, zu Lebzeiten, zu ſchöner Ausführung gebracht. Der
Dank aller wahren Kunſtfreunde wird ihr für dieſe wahr-
haft fürſtliche Förderung unſerer künſtleriſchen Intereſſen
nicht verſagt bleiben.

Ihre vornehme Tat iſt um ſo freudiger zu begrüßen,
als in den Sammlungen des bayeriſchen Staates zurzeit
die Kunſt Menzels noch ganz unzulänglich vertreten iſt. In
der Zukunft wird auch in der Münchener Pinakothek, der
die Oelgemälde, Guaſchen und Aquarelle dieſer Schenkung
zugeführt werden ſollen, ein in ſich geſchloſſener Raum dem
gewaltigen Schaffen eines unſerer größten neueren deut-
ſchen Meiſter geweiht ſein können. Das Ererbte würdig
zu verwalten, den Grundſtock in ebenbürtiger Weiſe aus-
zubauen, wird eine der vornehmſten Aufgaben der Dank-
barkeit gegenüber der Stifterin ſein müſſen.

Die Provenienz der Kunſtwerke aus der Familie des
[Spaltenumbruch] Künſtlers bringt es mit ſich, daß die Oelgemälde der
Schenkung zumeiſt der Frühzeit des Meiſters entſtammen,
einer Epoche, in der Menzel noch um Anerkennung zu rin-
gen hatte. Es ſind intime, anſpruchsloſe Werke, die nie für
den Verkauf beſtimmt, lange Zeit unbeachtet im Atelier
ſtanden, durch die ſpäteren großen Geſchichtsbilder des
Friderizianiſchen Zeitalters ganz in den Hintergrund ge-
drängt. Erſt in den letzten Jahren hat man ihren wahren
Wert als Malerwerke erkannt; und es iſt nicht zu viel ge-
ſagt, wenn v. Tſchudi, der dieſen Abſchnitt in Menzels Ent-
wicklung mit den Jahren 1845 bis ca. 1857 umgrenzt, „die-
ſen beſcheidenen Sachen maleriſche Werte“ zuſchreibt, „die
in gleicher Stärke und Reinheit in Menzels großen und
berühmten Werken nicht vorhanden ſind“.

In der Tat begegnet man in einem gegenſtändlich
ſo einfachen Bilde wie: „Menzels Schweſter an der Türe
eines durch Lampenlicht ſpärlich erleuchteten Raumes“ ko-
loriſtiſchen Problemen, die in ihrer ſicheren Löſung für ihre
Zeit — 1847 — aufs höchſte überraſchen müſſen. Die har-
moniſche Kombinierung und feine Abſtimmung ihrer Ton-
werte ſtempeln dieſe Studie zu einem koloriſtiſchen Meiſter-
ſtück. Es ſcheint vor allem die Frage der Lichtabſtufung und
der Beleuchtungseffekte zu ſein, die den Künſtler bei ſolch
raſch hingeſetzten Studien damals intereſſierte. Das my-
ſtiſche Halbdunkel einer nur durch Altarkerzen erhellten
Kirche in Innsbruck, bei der der Blick wie mit magnetiſcher
Gewalt über die andächtige Menge auf die heilige Handlung
gezogen wird, das geheimnisvolle Spiel des Mondlichts
um den Chor einer Dorfkirche, aus deren tiefbeſchatteten
Pfeilerpartien der rötliche Schein eines ſchwach erleuchteten
heiligen Grabes hervordämmert, der Widerſtreit des fahlen
Vollmondglanzes mit den gelblichen Lichtern eines von
innen und außen erleuchteten Fabriketabliſſements — in
ſolchen Motiven zeigt ſich ſein ſonſt auf ſcharfe zeichneriſche
Auffaſſung der Objekte ausgehendes Auge auch den maleri-
ſchen Erſcheinungsformen offen.

Mit einem für ſeine Zeit bewunderungswürdigen
Wagemut machte er ſich — 1851 — daran, die dumpfſchwüle
Atmoſphäre eines kerzenerleuchteten Konzertſaales feſtzu-
halten, in der ſich eine illuſtre Geſellſchaft verſammelt hat.
Der bräunliche Papierton dieſer unvollendeten Studie gibt
den Grundakkord der in diskreteſten Farben gehaltenen
Kompoſition, deren geiſtreiche Zeichnung ſich mit knappſter
[Spaltenumbruch] Charakteriſierung begnügt. Und wenn den Künſtler auch
ein eminentes Gedächtnis in den Stand ſetzte, aus der Er-
innerung die ganze Skala der Tonwerte wiederzugeben, die
das eindringende Tageslicht in der Dachkammer eines
Büchertrödlers auf den ſchmuckloſen Wänden hervorzau-
bert, ſo verſchmähte er es doch nicht, gelegentlich auch vor
der Natur ſelbſt den Pinſel in die Hand zu nehmen. Die
Schenkung enthält dafür zwei treffliche Belege: eine kleine
Landſchaft mit einem unter mächtigen Bäumen verſteckten
Bildſtock aus den Salzburger Bergen, und eine, zwar im
Vorwurf unſcheinbare, in der Ausführung aber maleriſch
breite Studie: des Meiſters Pelz, nachläſſig auf ein rot-
braunes Sofa geworfen.

Aus viel ſpäterer Zeit (1863) datiert das nach ſeiner
Bildwirkung abgeſchloſſenſte Oelgemälde der ganzen
Reihe: der Ausblick von einem Balkon des kgl. Schloſſes in
Berlin. Hier erſcheint die Tonmalerei bis zu ihren äußer-
ſten Konſequenzen verfolgt: ein herrlicher Zuſammenklang
warmer goldener Töne, vom dunkeln Braun durch gelb-
liches Grau bis zum Weißgelb der Luft geführt.

Es iſt kein Zufall, daß Menzel in jener frühen maleri-
ſchen Epoche um die Mitte des Jahrhunderts auch bei ſeinen
Zeichnungen mit Vorliebe zum farbigen Stifte greift. Die
Schenkung enthält auch hiefür neben einigen kleineren
Porträtſkizzen ein hervorragendes Beiſpiel, das mit Deck-
farben gehöhte Paſtell: Adam mit Jagdbeute zu Eva
und ihren beiden Kindern, Kain und Abel, zurückkehrend
(ca. 1857). Wie dieſes Bild durch die unberührte Friſche
ſeiner Farben in Erſtaunen ſetzt, ſo überraſcht es nicht
minder durch ſeine pſychologiſche Vertiefung. In der
Gruppe der mit ſelig-müdem Lächeln zu Adam aufblickenden
Eva klingt auch die bei Menzel ſo ſelten angeſchlagene Saite
des Gemütes in leiſer Schwingung mit. Das Motiv der
diffuſen, auf den Körperchen der Kinder ſpielenden Son-
nenſtrahlen läßt unwillkürlich an das ungefähr gleichzeitig
entſtandene Böcklinſche Bild „Pan im Schilf“ denken —
einer der wenigen Punkte, in denen ſich die Kunſt der beiden
großen Meiſter berührt.

In einem Aquarell aus dem Jahre 1847 — Ter-
raſſe und Kirche, im Vordergrund eine genrehaft aufgefaßte
Staffagefigur — geht der Künſtler auf ſtarke, faſt bunte
Farbenwirkung aus. Weniger Bedeutung kann der „Mau-
riſchen Szenerie“ beigemeſſen werden, die als Skizze zu

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[2/0002] München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 18. März 1908. Nr. 123. Politiſche Rundſchau Beſchränkung der eigenen Arbeitsfähigkeit. * Aus den Kreiſen der Induſtrie wird uns geſchrieben: Der engliſche Arbeiter gebraucht zur Erzwingung ſeiner Forderung außer dem Streik noch das Mittel zur Ar- beitseinſchränkung, das heißt, er treibt Ca’canny- Politik (Ca’canny = nur immer hübſch langſam). Außer- dem verſucht er das Verhältnis zwiſchen Angebot und Nach- frage auf dem Arbeitsmarkt zu regeln, und vor allem durch Beſchränkung der eigenen Arbeitsleiſtung und der dadurch notwendigerweiſe ſich ergebenden Mehrung der Arbeits- gelegenheit der Arbeitsloſennot zu ſteuern. Mit dieſer Ca’canny-Politik haben die engliſchen Gewerkſchaften es ſo weit gebracht daß ganze Zweige der engliſchen Induſtrie dem Ausland gegenüber nicht mehr konkur- renzfähig geblieben ſind. Von dieſem Geſichtspunkte aus wäre gegen eine derartige Wirtſchaftspolitik der eng- liſchen Gewerkſchaſten gar nichts einzuwenden, wenn nicht Anzeichen dafür vorhanden wären, daß auch der deut- ſchen Induſtrie ähnliches Unheil droht. Zwar hat noch vor kurzem das Organ des Metallarbeiterverban- des, die Metallarbeiterzeitung, entſchieden erklärt, daß die Gewerkſchaften Deutſchlands dieſe Beſtrebungen der eng- liſchen Arbeiter ablehnten; daß aber in Wirklichkeit der- artige Strömungen innerhalb der Gewerkſchaften vorhan- den ſind, zeigt ein Artikel des Vereinsanzeigers, des Organs des Verbandes der Maler, Lackierer, Anſtreicher, Tüncher und Weißbindergehilfen, der ſich in ſeiner Nummer 6 vom 8. Februar 1908 folgendermaßen verlauten läßt: „Zunächſt muß die Gewerkſchaft ihre Mitglieder dazu er- ziehen, die Arbeitsleiſtung einzuſchränken; ſei es, daß die Ar- beitszeit verkürzt, oder daß die Arbeitsintenſität herabgeſetzt wird. Die Kollegen müſſen ſolidariſch denken und fühlen, den Egoismus eindämmen und bewußtermaßen auf die Intereſſen der anderen Kollegen Rückſicht nehmen. Das Drauflosſchuſten und das Raffen für den eigenen Geldbeutel muß aufhören, und jeder Kollege muß denken, daß auch andere Leute etwas ver- dienen wollen. Es iſt ja traurig, aber wahr, daß manchmal in den ſchlechteſten Zeiten gewiſſe Auchkollegen ſo wenig Kol- legialität beſitzen, den anderen Kollegen die Arbeit vor dem Munde wegzunehmen, indem ſie Ueberſtunden machen und ihre Leiſtungen ſteigern. Wir wiſſen ſehr wohl, daß es im Grunde genommen ein Unſinn iſt und daß es jeder vernünftigen Wirtſchaftsweiſe widerſpricht, ſeine Leiſtung einzuſchränken, aber der Kapitalismus iſt nun einmal eine verrückte Ordnung und die Arbeiter müſſen ſich leider dieſer Verrücktheit anpaſſen. Und außerdem kommt hinzu, daß die Zeiten einer Kriſis Maßnahmen fordern, die unter nor- malen Verhältniſſen zu verwerfen ſind. Deshalb bleiben wir dabei, daß die Gewerkſchaften ihren Mitgliedern ein ge- mächliches Arbeiten zur Pflicht machen müſſen, unbekümmert darum, ob auch die Unternehmer Zeter und Mordio ſchreien.“ Dieſer Artikel richtet ſich zunächſt dadurch, daß er ſelbſt zugeſteht, daß es im Grunde genommen ein Unſinn ſei und jeder vernünftigen Wirtſchaftsweiſe widerſpräche, ſeine Leiſtungen einzuſchränken. Ganz abgeſehen von den Fol- gen, die eine Befolgung derartiger Grundſätze für die Unternehmer und damit auch für die Arbeiter haben müßte, bedarf es aber doch der Feſtſtellung, daß eine ſolche Auf- faſſung und Auslegung des Arbeitsvertrages allen Ge- ſetzen von Treu und Glauben ins Geſicht ſchlägt und gegen die guten Sitten verſtößt. Auf der einen Seite ſoll der Unternehmer Mindeſtlöhne garantieren und auf der anderen Seite behält ſich der Arbeiter vor, je nach Lage der Konjunktur hiefür mehr oder weniger zu leiſten! Die Münznovelle ſoll in dieſer Woche den Bundesrat beſchäftigen. Nach einer Mitteilung der Mil.-pol. Korreſpondenz ſieht der Geſetzentwurf vor: 1. Die Schaffung eines 25 Pfennigſtücks in Geſtalt einer — nicht durchlochten — dünnen Platte aus reinem Nickel mit einem Durchmeſſer von etwa 23 Milli- meter. Die Größe der neuen Münze ſteht alſo zwiſchen dem früheren großen 20 Pfg. und dem 1 Markſtück. 2. Die Erhöhung der Silberausprägungsquote von 15 auf 20 M für den Kopf der Bevölkerung. 3. Eine Reihe münzpolizeilicher Vorſchriften. Von der Re- gierung abgelehnt und nicht in den Entwurf ange- nommen iſt dagegen die Wiedereinführung des Talers oder die Ausprägung eines Dreimarkſtücks. Ein Widerruf der Weſer-Zeitung. * Die Weſer-Zeitung widerruft heute förmlich, indem ſie ſchreibt: „Die von uns veröffentlichte, uns aus parlamentariſchen Kreiſen zugegangene Nachricht von der Vereinbarung und regie- rungsſeitigen Begünſtigung eines Wahlkartells zwiſchen den Konſervativen, Freikonſervativen und Nationalliberalen gegen die Freiſinnigen iſt irrtümlich. — Wir erklären das rund heraus. — Die Redaktion hat ſich vollkommen überzeugen können und müſſen, daß die Mitteilung in der Hauptſache falſch geweſen iſt. Wir bedauern es lebhaft, durch Aufnahme des Berichts den Irrtum verbreitet zu haben. Die Zuſchrift kam von einer Seite, der wir die größte Vorſicht zutrauten und wurde durch begleitende briefliche Mitteilungen ſo nachdrücklich und zuverſichtlich unterſtützt, daß unſere Zweifel erlahmten und wir die Angelegenheit der Oeffentlichkeit über- gaben. Richtig iſt, daß am letzten Dienstag eine „interfraktionelle Beſprechung des Finanzminiſters mit den Führern der politiſchen Parteien des Abgeordnetenhauſes“ ſtattgefunden hat und daß die Freiſinnigen nicht dabei waren. Richtig iſt auch, daß Frhr. v. Zedlitz, wie er in ſeinem Dementi anerkennt, geſagt hat: „Die preußiſche Staatsregierung hat ein überaus lebhaftes Intereſſe daran, zur Einſchränkung der freiſinnigen Wahlrechtsagitation die Wahlen ſo früh wie möglich anzuſetzen. Es muß das ſchon aus dem Grunde angeſtrebt werden, weil die Gefahr nahe liegt, daß die gemeinſame Agitation für die Wahlreform die Frei- ſinnigen und Sozialdemokraten im Wahlkampfe jeden Augenblick zuſammenführen kann.“ Aber die weitere Mitteilung, die man uns als ganz beſtimmte Tatſache meldete, iſt, wie wir uns über- zeugt haben, falſch. Daß die Konſervativen für ſich etwas Der- artiges anſtreben, kann ſein. Ob die Freikonſervativen, die frei- lich eigentlich für eine Verſtärkung der Linken eintreten müßten, um nicht von den Klerikalen beider Konfeſſionen matt geſetzt zu werden, ſich daran beteiligen würden, mag dahingeſtellt bleiben. Weit wichtiger wäre, wenn auch die Nationalliberalen bei der Sache wären. Das iſt nicht der Fall. Ihre Preſſe hat keinen Zweifel darüber gelaſſen. Das Entſcheidende hätte darin gelegen, ob die Regierung ſich an einem ſolchen, zu den weiteſten Folgen führenden Bruch mit der Blockpolitik beteiligt hätte. Ein ſolches Wahlkartell wäre für die Blockpolitik im Reiche ein wahrer „Stoß ins Herz“ geweſen. Die Meldung iſt auch in dieſem wichtigſten Punkte falſch geweſen. Von einer Seite, deren unbedingte Unterrichtetheit und Zuverläſſigkeit wir kennen, wird uns das ausführlich geſchrieben und hinzugeſetzt: „Es iſt nichts, aber auch wirklich nichts Wahres an der Geſchichte, ſoweit die Regierung in Frage kommt. Ein preußiſcher Miniſter, der ſo ſpräche, wäre heute unmöglich.“ Aus den kolonialen Ergänzungsetats iſt noch mitzuteilen: „Der Etat für Oſtafrika enthält als Ein- nahmetitel 152,000 M, das Ergebnis der Neuverpachtung der Uſambarabahn an die Deutſche Kolonial- eiſenbahnbau- und Betriebsgeſellſchaft zu Ber- lin: Nach dem Vertrage läuft das Pachtverhältnis bis zum 31. März 1920, doch iſt ein Kündigungsrecht zum Ende des 3., 6. und 9. Betriebsjahres vorgeſehen. Der jährliche Mindeſtpachtzins beträgt 152,000 M; von dem nach Abzug dieſes Pachtzinſes, der Betriebsausgaben und einer Entſchädigung für die Pächterin in Höhe von 30 000 M verbleibenden Teile der Betriebseinnahmen erhält das Reich neun Zehntel, außerdem muß die Pächterin die Strecke Mombo-Pangani, die noch gebaut werden ſoll (Koſten 3½ Millionen und für die 2 Millionen als erſte Rate aus- geworfen werden) ſpäter unter angemeſſener Erhöhung des Pacht- zinſes betreiben. Der Etat für Togo enthält als Einnahmepoſten 306,500 M als Pachtzins für die Verpachtung der Eiſenbahnen Lome-Anecho und Lome-Palime an die Deutſche Kolonialeiſenbahnbau- und Betriebsgeſellſchaft. Die Verpachtung erfolgt unter ganz gleichen Bedingungen wie die der oſtafrikaniſchen Bahnen. Die 306,500 Mark ſind der Mindeſtpachtzins. Der Etat für Südweſtafrika bringt eine Anzahl Er- mäßigungen, die dadurch entſtehen, daß die Ausgeſtaltung der Forſtverwaltung um ein Jahr verſchoben wird und die Ver- pflegungskoſten für die Farbigen ſich etwas ermäßigen. Die Frachtkoſten ermäßigen ſich auf Grund einer neuen Dislokation der Schutztruppe um 765,000 M. Eine anderweite Ausführung von Bauten von Beamtenwohnhäuſern, Schulhäuſern, Ställen bringt eine Erſparnis von 288,000 M. Für Wege, Brunnen und Waſſeranlagen werden 100,000 M weniger gebraucht, und ſo werden noch mehrere andere Titel ermäßigt. Dagegen werden 100,000 M ausgeworfen zur Unterſtützung leiſtungsſchwacher Schulverbände, denen in Zukunft der Schulbau überlaſſen werden ſoll. Für Privatärzte und Hebammen, die ſich im Schutzgebiete niederlaſſen, ſind 15,000 M ausgeworfen, die während der Auf- ſtände treu gebliebenen Eingeborenen ſollen für die erlittenen Verluſte mit 40,000 M entſchädigt werden. Gleichzeitig iſt dem Reichstage das Anleihegeſetz für die Schutzgebiete zugegangen, das, wie ſchon angekündigt, die Schaffung beſonderer Kolonialanleihen vorſieht. Die Anleihe ſoll vom 6. Jahre an nach der Begebung mit ⅗ Proz. getilgt werden. Vom 15. Jahre ab kann der Reichskanzler die Tilgung verſtärken oder die umlaufenden Schuldverſchreibungen zur Ein- löſung zum Nennbetrage binnen 3 Monaten über Friſt kündigen; für die Verzinſung und Tilgung haftet das Reich. Soweit die Anleihe für Bahnzwecke verwendet wird, ſind die Grund- eigentümer im Verkehrsbezirke dieſer Bahnen zu einer ihrem Intereſſe an der Bahn entſprechenden Leiſtung zugunſten des Schutzgebietes heranzuziehen. Es kann verlangt werden, daß die Leiſtung in Form von Landabtretung erfolgt, ſofern das Grundſtück durch die Abtretung nicht derart zerſtückelt wird, daß das Reſtgrundſtück nach ſeiner bisherigen Beſtimmung nicht mehr zweckmäßig benutzt werden kann. Mangels einer Einigung über die Höhe der Leiſtung, ſowie über Größe und Art der abzu- tretenden Flächen entſcheidet eine vom Reichskanzler zu beſtellende beſondere Kommiſſion von drei Mitgliedern endgültig. Als Vorſitzender der Kommiſſion iſt der Oberrichter des Schutzgebietes zu berufen. Die Beiſitzer werden auf Vorſchlag des Gouverne- mentsrates ernannt. Ein weiterer Geſetzentwurf ändert § 2 des Darlehensgeſetze- für Togo dahin ab, daß der bis zum 1. Juli 1907 nicht getilgte Betrag des Darlehens mit 3½ Proz. zu verzinſen und ⅗ Proz. zu amortiſieren iſt. Die Folgen des Bauernaufſtandes in Rumänien. * Während der Revolten im vorigen Jahre wurde ein Leutnant, namens Nitzuculescu, im Diſtrikte Wlaſchka, von ſeinen eigenen Soldaten erſchoſſen, als er den Befehl gab, gegen die aufſtändiſchen Bauern von der Waffe Ge- brauch zu machen. 74 Soldaten hatten ſich wegen dieſer Tat zu verantworten. 57 von ihnen wurden zu lebens- länglicher Zuchthausſtrafe, 3 zu Zuchthausſtrafen von 20 Jahren, alle zur Degradation verurteilt. Dieſe letztere wurde vor Deputationen aus allen Regimentern der Gar- niſon Bukareſt vollzogen. Es wurde ein Viereck gebildet, in deſſen Mitte die Verurteilten ſtanden. Ein Offizier verlas das Urteil mit lauter Stimme. Der Schluß lautete: „Ihr ſeid unwürdig, im Namen Seiner Majeſtät des Königs Waffen zu tragen. Ihr ſeid degradiert.“ Unter den Klängen der Militärmuſik trat darauf ein Offizier an die Verurteilten heran und riß ihnen zum Zeichen der Degradation die Knöpfe und Achſelklappen ab. Unmittel- bar nach der Degradation wurden die 60 Verurteilten in die Salzminen geſchafft, aus denen wohl keiner von ihnen wieder in die Welt zurückkehren dürfte. — Der bisherige Vertreter des Landtagswahlkreiſes Fulda Oberlandesgerichtspräſident Dr. Spahn hat auf eine Kandida- tur verzichtet. — Die Dortmunder Zeitung, die von Zeit zu Zeit durch eine ſenſationelle Meldung von ſich reden macht, hatte behauptet, die Ueberreichung eines Ehrengeſchenkes, das das 8. Armeekorps ſeinem ſcheidenden Kommandanten General v. Biſſing ge- ſtiftet hat, ſei auf Befehl des Kaiſers unterblieben, weil Frhr. v. Biſſing ſich mit dem militäriſchen Mitarbeiter des Berliner Tageblattes, dem früheren Oberſt Gaedke in Verbindung geſetzt und ihn für die Begleiterſcheinungen ſeiner Verabſchiedung zu intereſſieren verſucht habe. General v. Biſſing erklärt jetzt dieſe Nachricht für erlogen; das Geſchenk ſei ihm am 13. März in wür- diger Weiſe durch eine Abordnung überreicht worden und von einer Verbindung mit Herrn Gaedke könne keine Rede ſein. — Wie das Stuttgarter Neue Tagblatt meldet, hat die dieſer Tage verſtorbene Frau Geheimrat v. Knoſp unter anderen reichen Legaten auch der Stadt Stuttgart ein Vermächtnis von zwei Millionen beſtimmt zu dem Zweck, im Haſen- bergwalde ein Geneſungsheim zu gründen, wozu die Stadt nur Grund und Boden zu geben hat. — Die Freie kirchlich-ſoziale Konferenz hält ihren 13. Kon- greß vom 27. bis 29. April in Bielefeld ab. — Das Zentrum hat zur zweiten Beratung des Kolo- nialetats eine Reſolution eingebracht, in der Anordnun- gen verlangt werden, daß 1. die Rechtspflege unter den Einge- borenen mit erhöhten Garantien umgeben wird, 2. in Rechts- angelegenheiten zwiſchen Eingeborenen und Weißen die Rechte der Eingeborenen genügend gewahrt werden, 3. für die Weißen in Strafſachen eine Berufungsinſtanz in dem Schutzgebiete ge- ſchaffen und als Reviſionsinſtanz das Reichsgericht beſtimmt wird, in Zivilſachen eine Berufungs- und Reviſionsinſtanz im Deut- ſchen Reiche errichtet wird. (Letzte Nachrichten ſiehe Seite 6.) Adolph v. Menzel in München. Die Schenkung Menzelſcher Originalwerke an den bayeriſchen Staat. Die Zeitungen brachten bereits in Kürze die für unſer einheimiſches Kunſtleben hochbedeutſame Nachricht, daß der bayeriſche Staat durch eine großartige Schenkung in den Beſitz einer ſtattlichen Reihe von Meiſterwerken Adolph v. Menzels gelangt iſt. Das Legendenhafte dieſer freudigen Botſchaft ſchwindet, wenn man hört, welche Motive die hochherzige Schenkerin, die Nichte Menzels, Frl. Krigar- Menzel in Berlin, dazu beſtimmten, ſich ihres wertvollen Beſitzes zu entäußern und ihn der Allgemeinheit zu künſt- leriſchem Genießen zuzuführen. Es war ein Wunſch ihrer im vorigen Jahre verſtorbenen Mutter, der Schweſter des Künſtlers, daß die ſorgſam gehüteten Schätze einſt geſam- melt der Oeffentlichkeit überantwortet würden, und in ſin- niger Wahrung der Vorliebe ihres Bruders für den deut- ſchen Süden hatte ſie an den Ort gedacht, den der Meiſter 40 Jahre ſeines Lebens hindurch immer wieder mit gleicher Freudigkeit beſucht hatte: an München und ſeine Kunſt- ſammlungen. Der Wille, ihm an der Stätte, die ihm ſo viele Anregung gebracht hatte, mit ſeinen eigenen Werken ein künſtleriſches Denkmal zu ſetzen, hat ſie zu dieſem gro- ßen Entſchluſſe geführt. Was die alternde Mutter ſich er- dacht hatte, das hat in pietätvollſter Weiſe die Tochter ſchon jetzt, zu Lebzeiten, zu ſchöner Ausführung gebracht. Der Dank aller wahren Kunſtfreunde wird ihr für dieſe wahr- haft fürſtliche Förderung unſerer künſtleriſchen Intereſſen nicht verſagt bleiben. Ihre vornehme Tat iſt um ſo freudiger zu begrüßen, als in den Sammlungen des bayeriſchen Staates zurzeit die Kunſt Menzels noch ganz unzulänglich vertreten iſt. In der Zukunft wird auch in der Münchener Pinakothek, der die Oelgemälde, Guaſchen und Aquarelle dieſer Schenkung zugeführt werden ſollen, ein in ſich geſchloſſener Raum dem gewaltigen Schaffen eines unſerer größten neueren deut- ſchen Meiſter geweiht ſein können. Das Ererbte würdig zu verwalten, den Grundſtock in ebenbürtiger Weiſe aus- zubauen, wird eine der vornehmſten Aufgaben der Dank- barkeit gegenüber der Stifterin ſein müſſen. Die Provenienz der Kunſtwerke aus der Familie des Künſtlers bringt es mit ſich, daß die Oelgemälde der Schenkung zumeiſt der Frühzeit des Meiſters entſtammen, einer Epoche, in der Menzel noch um Anerkennung zu rin- gen hatte. Es ſind intime, anſpruchsloſe Werke, die nie für den Verkauf beſtimmt, lange Zeit unbeachtet im Atelier ſtanden, durch die ſpäteren großen Geſchichtsbilder des Friderizianiſchen Zeitalters ganz in den Hintergrund ge- drängt. Erſt in den letzten Jahren hat man ihren wahren Wert als Malerwerke erkannt; und es iſt nicht zu viel ge- ſagt, wenn v. Tſchudi, der dieſen Abſchnitt in Menzels Ent- wicklung mit den Jahren 1845 bis ca. 1857 umgrenzt, „die- ſen beſcheidenen Sachen maleriſche Werte“ zuſchreibt, „die in gleicher Stärke und Reinheit in Menzels großen und berühmten Werken nicht vorhanden ſind“. In der Tat begegnet man in einem gegenſtändlich ſo einfachen Bilde wie: „Menzels Schweſter an der Türe eines durch Lampenlicht ſpärlich erleuchteten Raumes“ ko- loriſtiſchen Problemen, die in ihrer ſicheren Löſung für ihre Zeit — 1847 — aufs höchſte überraſchen müſſen. Die har- moniſche Kombinierung und feine Abſtimmung ihrer Ton- werte ſtempeln dieſe Studie zu einem koloriſtiſchen Meiſter- ſtück. Es ſcheint vor allem die Frage der Lichtabſtufung und der Beleuchtungseffekte zu ſein, die den Künſtler bei ſolch raſch hingeſetzten Studien damals intereſſierte. Das my- ſtiſche Halbdunkel einer nur durch Altarkerzen erhellten Kirche in Innsbruck, bei der der Blick wie mit magnetiſcher Gewalt über die andächtige Menge auf die heilige Handlung gezogen wird, das geheimnisvolle Spiel des Mondlichts um den Chor einer Dorfkirche, aus deren tiefbeſchatteten Pfeilerpartien der rötliche Schein eines ſchwach erleuchteten heiligen Grabes hervordämmert, der Widerſtreit des fahlen Vollmondglanzes mit den gelblichen Lichtern eines von innen und außen erleuchteten Fabriketabliſſements — in ſolchen Motiven zeigt ſich ſein ſonſt auf ſcharfe zeichneriſche Auffaſſung der Objekte ausgehendes Auge auch den maleri- ſchen Erſcheinungsformen offen. Mit einem für ſeine Zeit bewunderungswürdigen Wagemut machte er ſich — 1851 — daran, die dumpfſchwüle Atmoſphäre eines kerzenerleuchteten Konzertſaales feſtzu- halten, in der ſich eine illuſtre Geſellſchaft verſammelt hat. Der bräunliche Papierton dieſer unvollendeten Studie gibt den Grundakkord der in diskreteſten Farben gehaltenen Kompoſition, deren geiſtreiche Zeichnung ſich mit knappſter Charakteriſierung begnügt. Und wenn den Künſtler auch ein eminentes Gedächtnis in den Stand ſetzte, aus der Er- innerung die ganze Skala der Tonwerte wiederzugeben, die das eindringende Tageslicht in der Dachkammer eines Büchertrödlers auf den ſchmuckloſen Wänden hervorzau- bert, ſo verſchmähte er es doch nicht, gelegentlich auch vor der Natur ſelbſt den Pinſel in die Hand zu nehmen. Die Schenkung enthält dafür zwei treffliche Belege: eine kleine Landſchaft mit einem unter mächtigen Bäumen verſteckten Bildſtock aus den Salzburger Bergen, und eine, zwar im Vorwurf unſcheinbare, in der Ausführung aber maleriſch breite Studie: des Meiſters Pelz, nachläſſig auf ein rot- braunes Sofa geworfen. Aus viel ſpäterer Zeit (1863) datiert das nach ſeiner Bildwirkung abgeſchloſſenſte Oelgemälde der ganzen Reihe: der Ausblick von einem Balkon des kgl. Schloſſes in Berlin. Hier erſcheint die Tonmalerei bis zu ihren äußer- ſten Konſequenzen verfolgt: ein herrlicher Zuſammenklang warmer goldener Töne, vom dunkeln Braun durch gelb- liches Grau bis zum Weißgelb der Luft geführt. Es iſt kein Zufall, daß Menzel in jener frühen maleri- ſchen Epoche um die Mitte des Jahrhunderts auch bei ſeinen Zeichnungen mit Vorliebe zum farbigen Stifte greift. Die Schenkung enthält auch hiefür neben einigen kleineren Porträtſkizzen ein hervorragendes Beiſpiel, das mit Deck- farben gehöhte Paſtell: Adam mit Jagdbeute zu Eva und ihren beiden Kindern, Kain und Abel, zurückkehrend (ca. 1857). Wie dieſes Bild durch die unberührte Friſche ſeiner Farben in Erſtaunen ſetzt, ſo überraſcht es nicht minder durch ſeine pſychologiſche Vertiefung. In der Gruppe der mit ſelig-müdem Lächeln zu Adam aufblickenden Eva klingt auch die bei Menzel ſo ſelten angeſchlagene Saite des Gemütes in leiſer Schwingung mit. Das Motiv der diffuſen, auf den Körperchen der Kinder ſpielenden Son- nenſtrahlen läßt unwillkürlich an das ungefähr gleichzeitig entſtandene Böcklinſche Bild „Pan im Schilf“ denken — einer der wenigen Punkte, in denen ſich die Kunſt der beiden großen Meiſter berührt. In einem Aquarell aus dem Jahre 1847 — Ter- raſſe und Kirche, im Vordergrund eine genrehaft aufgefaßte Staffagefigur — geht der Künſtler auf ſtarke, faſt bunte Farbenwirkung aus. Weniger Bedeutung kann der „Mau- riſchen Szenerie“ beigemeſſen werden, die als Skizze zu

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2021-09-13T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 129. München, 18. März 1908, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine129_1908/2>, abgerufen am 04.10.2024.