Allgemeine Zeitung, Nr. 104, 14. April 1849.Beilage zu Nr. 104 der Allgemeinen Zeitung vom 14 April 1849. [Spaltenumbruch] Skizzen aus dem deutschen Parlament.*) I. H. Die Menschen behalten ihre Gespenster; es wechseln nur die So dachte ich in ziemlich düsterer Stimmung als ich um 10 Uhr zum Aeußerst merkwürdig in deutscher Geschichte war diese Versammlung Friedrich Wilhelm und die Rationalversammlung. f. Frankfurt a. M., 10 April.Während der Maulwurf der Und doch, wer Friedrich Wilhelms Charakter und Gemüthsart, wer *) Fortsetzung der im vorigen Jahre mitgetheilten Skizzen aus dem Vor-
parlament. Beilage zu Nr. 104 der Allgemeinen Zeitung vom 14 April 1849. [Spaltenumbruch] Skizzen aus dem deutſchen Parlament.*) I. H. Die Menſchen behalten ihre Geſpenſter; es wechſeln nur die So dachte ich in ziemlich düſterer Stimmung als ich um 10 Uhr zum Aeußerſt merkwürdig in deutſcher Geſchichte war dieſe Verſammlung Friedrich Wilhelm und die Rationalverſammlung. f. Frankfurt a. M., 10 April.Während der Maulwurf der Und doch, wer Friedrich Wilhelms Charakter und Gemüthsart, wer *) Fortſetzung der im vorigen Jahre mitgetheilten Skizzen aus dem Vor-
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Dort fand ich das erſte deutſche Parlament, umgürtet, wie<lb/> von einem Säbel, von einem Publicum welches wohl fünfmal ſo zahlreich<lb/> war als das Parlament ſelbſt und welches mit Scheide und Klinge ver-<lb/> nehmlich raſſelte. Ein Publicum kleiner ſüddeutſcher Staaten welches<lb/> einem Organismus des großen Ganzen nur ungemeſſene Wünſche und<lb/> keine Opfer zu bringen hatte. Dieſe Paulskirche welche ſo leicht zu haben<lb/> war, ſcheint einem ungeſchilderten Gott der Zukunft gewidmet worden zu<lb/> ſeyn. Möge man ihn bald ſchildern können dieſen Gott. Sie iſt ein runder<lb/> Tempel, deſſen Mittelgrund ringsum durch Säulen abgegränzt wird. In<lb/> dieſem Mittelgrunde ſaßen auf Kirchenbänken die erſten deutſchen Volks-<lb/> vertreter, gegen Mittag ſchauend auf eine Rednerbühne in Geſtalt einer<lb/> Kanzel, auf eine Präſidentſchaftseſtrade hinter dieſer Kanzel, auf rothe<lb/> Vorhänge mit Schwarz und Gold geſäumt und mit dem zweiköpfigen<lb/> Reichsadler geſchmückt hinter dieſer Eſtrade, und auf ein romantiſches<lb/> Bild der Germania hoch, hoch oben über dem Präſidenten, ein Bild voll<lb/> ſtrenger Unſchuld aber geringer Kraft. Hinter dieſem Kern- und Mittel-<lb/> grunde, alſo hinter jenen Säulen ſteigt amphitheatraliſch noch eine vier-<lb/> fache Reihe von Bänken aufwärts zu den Fenſtern, ein Berg der ſeine<lb/> Montagnards erwartete und auf der Weſtſeite ſpäter auch gefunden hat.<lb/> Jetzt ſtrotzten dieſe Bergbänke von Zuſchauern, welche den dicht unter<lb/> ihnen ſitzenden Parlamentsmitgliedern über die Köpfe, in die Karten und<lb/> Taſchen ſahen und in die Ohren raunten wie Gefangenen des Volks.<lb/> Wehe den Gefangenen wenn ſie ſich nicht für frei ausgeben wollten, für<lb/> ſehr frei! Hoch oben um den Scheitel des Tempels, in gleicher Höhe mit<lb/> jener Germania, läuft die Hauptgalerie, welche fünfzehnhundert bis zwei-<lb/> tauſend Zuſchauer, Zuhörer, Zuſprecher trug. Es war ein gebieteriſcher<lb/> Anblick der Volksſouveränetät. Sprecht und beſchließt da unten was Ihr<lb/> wollt, aber fürchtet unſern Zorn wenn es uns nicht gefällt! Wir tyran-<lb/> niſtren Euch ſo weit es irgend angeht, und wenn es nicht mehr angeht,<lb/> dann iſt die Souveränetät wieder bei Euch allein, bis auch Ihr ſie wieder<lb/> getheilt und übertragen habt und bis auch Ihr mit den neugeſchaffenen<lb/> Herren marktet und ringt weil ſie Euch leidlich beſeitigen ſowie Ihr uns<lb/> beſeitigt. Dieß iſt der Lauf der Welt; die Quinteſſenz des jedesmaligen<lb/> Geiſtes der Zeit kriecht endlich immer in eine Nußſchale, und die Nuß-<lb/> ſchale wird immer vergoldet, gleichgültig auf welchem Baume ſie ge-<lb/> wachſen. Wir freuen uns doch vorderhand daß auch wir einmal beim<lb/> ſelbſterwählten Ausgangspunkte ſtehen und zum erſtenmal ſeit Menſchen-<lb/> gedenken empfinden: Deutſchland wird conſtituirt von uns Deutſchen.</p><lb/> <p>Aeußerſt merkwürdig in deutſcher Geſchichte war dieſe Verſammlung<lb/><cb/> des Vorparlaments. Revolutionär in ihrem Zuſchnitt und doch auf allen<lb/> Näthen, in allen Knopflöchern und in ihrem Futter nach Umſtänden und<lb/> Kräften legaliſirt. Wer jemals Landſtand geweſen, hatte Sitz und Stimme;<lb/> wer von irgendeiner Volksverſammlung erwählt war deßgleichen; wer von<lb/> irgendeiner Corporation eine Beglaubigung hatte deßgleichen; und wer<lb/> das alles nicht aufweiſen konnte, der Siebnercommiſſion aber als Patriot<lb/> empfohlen ſchien, der konnte von dieſer, die doch ebenfalls eine revolu-<lb/> tionäre Macht war, den Zutritt erwirken. Ein Bekannter von mir hatte<lb/> von einer iſraelitiſchen Gemeinde mehrere Vollmachten in der Taſche die<lb/> er an Freunde vertheilte. Welch’ eine poetiſche Ironie! Der Iſraelit<lb/> welchen der bisherige Staat geächtet, er vertheilt Vollmachten zur Bil-<lb/> dung des neuen Staates an gute bevorrechtete Chriſten des alten Staats-<lb/> weſens. Solch’ eine mannichfaltige Miſchung macht das Vorparlament<lb/> zu einer der intereſſanteſten Erſcheinungen in der Geſchichte, und daß der<lb/> Bundestag, der Bundestag! unbeſchreiblich befliſſen war dieſe gemiſchte<lb/> Geſellſchaft zu begrüßen und anzuerkennen, damit er nur ſelbſt nicht vor<lb/> der Zeit begraben werde, das machte die Erſcheinung vollſtändig pikant.<lb/> So alſo geſtaltet ſich eine deutſche Revolution. Ihre erſte Sorge iſt den<lb/> Titel einer Revolution abzulehnen und die Hand des alten Feindes-<lb/> Statusquo ſorgfältig zu waſchen und zu ſäubern, damit eine Trauung<lb/> mit ihm wenigſtens an die linke Hand möglich wird. Der alte Bundes-<lb/> tag wuſch und ſäuberte auch an ſich in jenen Tagen ärgerlicher Hochzeit<lb/> dergeſtalt daß die Germania ſolch’ einem reumüthigen Schwiegerſohne<lb/> unmöglich ihr Kopfnicken verſagen konnte. Man mag darüber ſpotten,<lb/> aber zugeſtehen muß man daß in ſolcher familienhaften Revolution etwas<lb/> tief Liebenswürdiges und Civiliſirtes liegt.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Friedrich Wilhelm und die Rationalverſammlung.</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#aq">f.</hi><hi rendition="#b">Frankfurt</hi> a. 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Wie Ertrinkende hielten wir uns an dieſem Manne feſt,<lb/> und er entzieht uns den helfenden Arm mit der Erklärung: er müſſe<lb/> erſt bei ſeinen Mitfürſten anfragen ob er uns und in welcher ſchicklichen<lb/> Form vom Untergang retten dürfe. Bis dahin ſchlagen die Wogen<lb/> vielleicht ſchon über uns zuſammen; denn wahrlich, wir dürfen es uns<lb/> nicht verhehlen, und niemand verhehlt es ſich auch, daß unſere Lage mit<lb/> jeder Viertelſtunde bedenklicher wird.</p><lb/> <p>Und doch, wer Friedrich Wilhelms Charakter und Gemüthsart, wer<lb/> ſeine früheren Andeutungen, wer die Lage der Fürſten der letzten Zeitbe-<lb/> wegung gegenüber, wer ihre gegen einander eingegangenen Verbindlich-<lb/> keiten kennt, der wird von ihm eine entſchiedene und unbedingte Annahme<lb/> der deutſchen Kaiſerkrone nicht erwartet haben, der mußte die vom König<lb/> abgegebene Erklärung faſt Phraſe für Phraſe vorauswiſſen, der konnte<lb/> unmöglich annehmen daß der König ſeinem mehr zur Betrachtung und<lb/> Kritik geneigten, als für raſche und energiſche That angelegten, ohnehin<lb/> durch die Märzereigniſſe nicht höher geſpannten Charakter, ſeinen frü-<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Beilage zu Nr. 104 der Allgemeinen Zeitung vom 14 April 1849.
Skizzen aus dem deutſchen Parlament. *)
I.
H. Die Menſchen behalten ihre Geſpenſter; es wechſeln nur die
Namen. Ein abſcheulicher Gedanke beim Erwachen am Morgen des
letzten März 1848. Ich hatte die erſte feierliche Handlung des neuen
Uebergangs verſchlafen, der Präſident für das Uebergangsparlament war
gewählt, und geſpenſterhaft trat mir die Nachricht entgegen es gleiche
dieſer Präſident auf ein Haar meinem „Schützenkönige“, welcher geſtern
beim Einſchlafen an meiner Phantaſie vorübergewankt, meinem „Schützen-
könige vom vorigen Jahre!“ Geſpenſterhaft! Die Phantaſie kleiner Kinder
erfindet, die Phantaſie großer Kinder findet. Sollte im neuen Deutſch-
land nichts weiter zu haben, alſo auch nichts weiter zu finden ſeyn als
was die Fehler des alten Deutſchland zur Reife gebracht, auch in uns zur
Reife gebracht die wir fortwährend Oppoſition getrieben? Sollte ſichs
erweiſen daß wir ebenſo ſehr ſchuld wären am alten Deutſchland als jene
Herrſcher die im Sturze begriffen waren? Das wäre trübſelig. Ja ins
Elend der Wildheit werden wir getrieben werden oder uns mühſam retten
auf eine dürftige Station zum Beſſeren.
So dachte ich in ziemlich düſterer Stimmung als ich um 10 Uhr zum
erſtenmal nach der Paulskirche ging und unterwegs erfuhr was bereits
geſchehen ſey. Im Kaiſerſaale des Römers hatte man ſich verſammelt
gehabt um die Präſidenten zu wählen, und damit keine Richtung vorzeitig
verletzt würde hatte man zum erſten Präſidenten einen Mann oder richtiger
einen alten Herrn gewählt der jeder Richtung gefallen wollte und deßhalb
keiner genügen konnte, einen Geheimenrath voll liberaler Wiſſenſchaft,
einen Heidelberger Profeſſor der Rechte und emeritirten Kammerpräſi-
denten — Mittermaier. Unter dem Geläute aller Glocken und dem
Donner der Geſchütze war man aus dem Römer hinübergezogen in die
Paulskirche. Dort fand ich das erſte deutſche Parlament, umgürtet, wie
von einem Säbel, von einem Publicum welches wohl fünfmal ſo zahlreich
war als das Parlament ſelbſt und welches mit Scheide und Klinge ver-
nehmlich raſſelte. Ein Publicum kleiner ſüddeutſcher Staaten welches
einem Organismus des großen Ganzen nur ungemeſſene Wünſche und
keine Opfer zu bringen hatte. Dieſe Paulskirche welche ſo leicht zu haben
war, ſcheint einem ungeſchilderten Gott der Zukunft gewidmet worden zu
ſeyn. Möge man ihn bald ſchildern können dieſen Gott. Sie iſt ein runder
Tempel, deſſen Mittelgrund ringsum durch Säulen abgegränzt wird. In
dieſem Mittelgrunde ſaßen auf Kirchenbänken die erſten deutſchen Volks-
vertreter, gegen Mittag ſchauend auf eine Rednerbühne in Geſtalt einer
Kanzel, auf eine Präſidentſchaftseſtrade hinter dieſer Kanzel, auf rothe
Vorhänge mit Schwarz und Gold geſäumt und mit dem zweiköpfigen
Reichsadler geſchmückt hinter dieſer Eſtrade, und auf ein romantiſches
Bild der Germania hoch, hoch oben über dem Präſidenten, ein Bild voll
ſtrenger Unſchuld aber geringer Kraft. Hinter dieſem Kern- und Mittel-
grunde, alſo hinter jenen Säulen ſteigt amphitheatraliſch noch eine vier-
fache Reihe von Bänken aufwärts zu den Fenſtern, ein Berg der ſeine
Montagnards erwartete und auf der Weſtſeite ſpäter auch gefunden hat.
Jetzt ſtrotzten dieſe Bergbänke von Zuſchauern, welche den dicht unter
ihnen ſitzenden Parlamentsmitgliedern über die Köpfe, in die Karten und
Taſchen ſahen und in die Ohren raunten wie Gefangenen des Volks.
Wehe den Gefangenen wenn ſie ſich nicht für frei ausgeben wollten, für
ſehr frei! Hoch oben um den Scheitel des Tempels, in gleicher Höhe mit
jener Germania, läuft die Hauptgalerie, welche fünfzehnhundert bis zwei-
tauſend Zuſchauer, Zuhörer, Zuſprecher trug. Es war ein gebieteriſcher
Anblick der Volksſouveränetät. Sprecht und beſchließt da unten was Ihr
wollt, aber fürchtet unſern Zorn wenn es uns nicht gefällt! Wir tyran-
niſtren Euch ſo weit es irgend angeht, und wenn es nicht mehr angeht,
dann iſt die Souveränetät wieder bei Euch allein, bis auch Ihr ſie wieder
getheilt und übertragen habt und bis auch Ihr mit den neugeſchaffenen
Herren marktet und ringt weil ſie Euch leidlich beſeitigen ſowie Ihr uns
beſeitigt. Dieß iſt der Lauf der Welt; die Quinteſſenz des jedesmaligen
Geiſtes der Zeit kriecht endlich immer in eine Nußſchale, und die Nuß-
ſchale wird immer vergoldet, gleichgültig auf welchem Baume ſie ge-
wachſen. Wir freuen uns doch vorderhand daß auch wir einmal beim
ſelbſterwählten Ausgangspunkte ſtehen und zum erſtenmal ſeit Menſchen-
gedenken empfinden: Deutſchland wird conſtituirt von uns Deutſchen.
Aeußerſt merkwürdig in deutſcher Geſchichte war dieſe Verſammlung
des Vorparlaments. Revolutionär in ihrem Zuſchnitt und doch auf allen
Näthen, in allen Knopflöchern und in ihrem Futter nach Umſtänden und
Kräften legaliſirt. Wer jemals Landſtand geweſen, hatte Sitz und Stimme;
wer von irgendeiner Volksverſammlung erwählt war deßgleichen; wer von
irgendeiner Corporation eine Beglaubigung hatte deßgleichen; und wer
das alles nicht aufweiſen konnte, der Siebnercommiſſion aber als Patriot
empfohlen ſchien, der konnte von dieſer, die doch ebenfalls eine revolu-
tionäre Macht war, den Zutritt erwirken. Ein Bekannter von mir hatte
von einer iſraelitiſchen Gemeinde mehrere Vollmachten in der Taſche die
er an Freunde vertheilte. Welch’ eine poetiſche Ironie! Der Iſraelit
welchen der bisherige Staat geächtet, er vertheilt Vollmachten zur Bil-
dung des neuen Staates an gute bevorrechtete Chriſten des alten Staats-
weſens. Solch’ eine mannichfaltige Miſchung macht das Vorparlament
zu einer der intereſſanteſten Erſcheinungen in der Geſchichte, und daß der
Bundestag, der Bundestag! unbeſchreiblich befliſſen war dieſe gemiſchte
Geſellſchaft zu begrüßen und anzuerkennen, damit er nur ſelbſt nicht vor
der Zeit begraben werde, das machte die Erſcheinung vollſtändig pikant.
So alſo geſtaltet ſich eine deutſche Revolution. Ihre erſte Sorge iſt den
Titel einer Revolution abzulehnen und die Hand des alten Feindes-
Statusquo ſorgfältig zu waſchen und zu ſäubern, damit eine Trauung
mit ihm wenigſtens an die linke Hand möglich wird. Der alte Bundes-
tag wuſch und ſäuberte auch an ſich in jenen Tagen ärgerlicher Hochzeit
dergeſtalt daß die Germania ſolch’ einem reumüthigen Schwiegerſohne
unmöglich ihr Kopfnicken verſagen konnte. Man mag darüber ſpotten,
aber zugeſtehen muß man daß in ſolcher familienhaften Revolution etwas
tief Liebenswürdiges und Civiliſirtes liegt.
Friedrich Wilhelm und die Rationalverſammlung.
f. Frankfurt a. M., 10 April.
Während der Maulwurf der
Demokratie Europa vom Aufgang bis zum Niedergang nach allen Rich-
tungen hin durchwühlt, unterminirt und in dunklen Erdkammern Brand-
vorräthe aller Art aufgehäuft hat — während die Revolution in Oſt-
Ungarn und in Siebenbürgen ſtegreich und immer trotziger das Haupt
erhebt und, kühn gemacht durch ihre Erfolge über den einen Großſtaat,
ſogar wagt einen zweiten Großſtaat zum Kampf herauszufordern —
während ſich in Italien, trotz des glorreichen Sieges der Oeſterreicher bei
Novara, republicaniſche Krater in immer größerer Zahl öffnen und ohne
Zweifel mit einander in unterirdiſcher Verbindung und Wechſelwirkung
ſtehen — während wir abermals uns genöthigt ſehen unſern Krieg mit
dem nordiſchen Seekönig, der in ſeiner Hofburg für uns unangreifbar
iſt, zu Lande und vom Lande aus durchzuführen, weil man uns
das Verſprechen nicht gehalten hat uns bis zum Erlöſchen des Waffen-
ſtillſtandes mit einer achtbaren Flotte zu verſehen — während wir nicht
wiſſen welche letzte Abſichten ſowohl das abſolutiſtiſche Rußland als das
republicaniſche Frankreich mit dem conſtitutionellen Deutſchland vorhaben,
ob etwa Rußland dem ſchlauen und kühnen Inſurgentenchef Bem für den
Augenblick nicht abſichtlich ſiegen hilft, um einen Vorwand zum Ein-
ſchreiten im größten Styl und nach umfaſſendſtem Maßſtab zu erhalten
— währenddem täuſcht der König von Preußen die Erwartungen derje-
nigen deutſchen Patrioten die auf ihn ihre letzte Hoffnung geſetzt hatten,
und entläßt die ihres Erfolgs ſich ſicher wähnende Abordnung aus
Frankfurt — die ihm eine der ſtrahlendſten Kronen der Welt, die deutſche,
zu Füßen zu legen kam — mit einer Erklärung welche für uns wieder
eine der Himmel weiß wie lange dauernde proviſoriſche Zukunft in Aus-
ſicht ſtellt. Wie Ertrinkende hielten wir uns an dieſem Manne feſt,
und er entzieht uns den helfenden Arm mit der Erklärung: er müſſe
erſt bei ſeinen Mitfürſten anfragen ob er uns und in welcher ſchicklichen
Form vom Untergang retten dürfe. Bis dahin ſchlagen die Wogen
vielleicht ſchon über uns zuſammen; denn wahrlich, wir dürfen es uns
nicht verhehlen, und niemand verhehlt es ſich auch, daß unſere Lage mit
jeder Viertelſtunde bedenklicher wird.
Und doch, wer Friedrich Wilhelms Charakter und Gemüthsart, wer
ſeine früheren Andeutungen, wer die Lage der Fürſten der letzten Zeitbe-
wegung gegenüber, wer ihre gegen einander eingegangenen Verbindlich-
keiten kennt, der wird von ihm eine entſchiedene und unbedingte Annahme
der deutſchen Kaiſerkrone nicht erwartet haben, der mußte die vom König
abgegebene Erklärung faſt Phraſe für Phraſe vorauswiſſen, der konnte
unmöglich annehmen daß der König ſeinem mehr zur Betrachtung und
Kritik geneigten, als für raſche und energiſche That angelegten, ohnehin
durch die Märzereigniſſe nicht höher geſpannten Charakter, ſeinen frü-
*) Fortſetzung der im vorigen Jahre mitgetheilten Skizzen aus dem Vor-
parlament.
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(2022-09-16T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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