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Allgemeine Zeitung, Nr. 9, 9. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] unweit der chinesischen Gränze -- eine Erforschung des südwestlichen China und
die Wiederauffindung des alten Handelsweges zwischen Birma und dem Himmli-
schen Reiche zu unternehmen. Diese Expedition erweckte aber in der birmanischen
Regierung den Verdacht: England beabsichtige nichts anderes als die spätere voll-
ständige Annectirung Birma's, und sie legte der Expedition alle möglichen Schwierig-
keiten in den Weg, über welche sich Major Sladen in seinem Berichte sehr scharf
und bitter beklagt, indem er sagt: daß sie es ihm unmöglich gemacht haben über
Momein, eine Gränzgarnison von Junnan im Besitze der Panthays -- d. i. der
mohammedanischen Eroberer des größern Theils dieser Provinz -- vorzudringen.
In diesem Bericht hatte Major Sladen ein, wie es heißt, sehr wahrheitsgetreues
und genaues Bild von den wirklichen Verhältnissen in Birma und der gegen Eng-
land perfiden Politik der dortigen Regierung entworfen, so zwar daß sich die indo-
brittische Regierung, welche um jeden Preis, um neuen Complicationen aus dem
Wege zu gehen, die scheinbar freundlichen Beziehungen mit Birma aufrecht er-
halten wollte, veranlaßt fand die Veröffentlichung jenes Berichtes in Indien zu
verhindern. Aus den Mittheilungen eines Hrn. Cooper, welcher der Expedition
beigegeben war, hat man jedoch sehr interessante Aufklärungen über die Verhält-
nisse und die Lage der Dinge in Junnan, dieser wenig bekannten und ungemein
reichen Provinz des chinesischen Reiches, erhalten. Aus jenen Mittheilungen er-
hellt daß die Panthays den Chinesen in intellectueller Hinsicht weit überlegen sind,
daß alle Siege der Chinesen über die Panthays, welche die Staatszeitung von
Peking verkündete, reine Erfindungen waren, und daß die Panthays in dem
größern Theile der Provinz eine feste, consolidirte und unbeschränkte Herrschaft
ausüben. Hr. Cooper berichtete als Thatsache daß der kaiserliche Vicekönig in
Junnan-fu das Oberhaupt der Panthays, Dow-win-shew, als Kaiser des west-
lichen Junnan -- und zwar mittelst einer Proclamation unter viceköniglichem
Siegel -- anerkannt habe, daß er ein ebenso großer Feind des Kaisers von China
sei als Dow-win-shew selbst, und daß er, im Besitz eines unermeßlichen Reichthums,
jede Opposition der kaiserlichen Truppen, die von Zeit zu Zeit gegen ihn abgesendet
werden, zu vereiteln wisse. Hr. Cooper fand daß die Stärke der sogenannten
kaiserlichen Armee, von welcher es so oft in den chinesischen officiellen Zeitungen
hieß daß sie die Panthays überwältigt habe, in Wirklichkeit nur aus etwa 300
Mann bestand. Er erzählt ferner: die Führer der Panthays hätten Regierungs-
fähigkeiten an den Tag gelegt welche man selten bei den Häuptern der vielen
insurrectionellen Bewegungen in China finde. In den Zwischenräumen der wirklichen
Kriegführung haben sie die commerciellen Beziehungen zwischen den Bewohnern der
kaiserlichen und des mohammedanischen Gebiets gepflegt und gefördert. Durch strenge
Handhabung der Justiz und zweckentsprechende Maßregeln haben die Häupter der Pan-
thays ihren Scharfsinn und ihren ernstlichen Wunsch bethätigt den Handel möglichst zu
heben. Die Expedition fand bei ihnen die größte und freundlichste Bereitwilligkeit in
Handelsbeziehungen mit England zu treten, doch schienen sie nicht die hinlängliche
Macht zu besitzen fernere Eroberungen rasch zu bewerkstelligen, obwohl sie täglich an
Terrain gewinnen und an Zahl zu nehmen. "Auf allen Seiten von Hindernissen um-
geben, welche sich ihren Beziehungen mit fremden Ländern in den Weg stellen, aber
in festem Besitz einer der Hauptprovinzen des Reiches und von dem Wunsche be-
seelt den Handel zu fördern -- meinte Hr. Cooper -- befinden sie sich in einer Lage
welche es sowohl für den Handel des Westens als auch für die Interessen der
Panthays selbst zu einer Angelegenheit von höchster Wichtigkeit macht daß von
Birma aus ein Weg zu den Panthays gebahnt und der Handel früherer Zeiten
wieder belebt werde. Der Gewinn der daraus für die englischen Interessen er-
wachsen würde wäre unermeßlich." Dieß lasen wir im vorigen August -- und
bald darauf überraschte uns die Kunde von der Ausrüstung der englischen Expe-
dition gegen die Luschai, welcher einige früher kaum beachtete räuberische Einfälle
zum Vorwande dienen. Die Stärke und die mächtige Ausrüstung der Expedition aber
führen auf ganz andere Vermuthungen. Die Luschai nämlich bewohnen gerade
jenen Theil des nördlichen Birma, zwischen dem Brahmaputra und dem Irawadi,
über welchen der Weg nach Junnan führt!

Was die Expedition selbst anbelangt, so besteht sie aus drei Infanterie-Regi-
mentern, einer Gebirgsbatterie, 2000 Kulis, welche zur Herstellung von Straßen
verwendet werden, und 200 Elephanten -- einer so beträchtlichen Schaar daß sie kaum
aufzutreiben war. Den Oberbefehl über die ganze Macht führt General Bour-
chier, der zugleich mit der Führung der einen Colonne betraut ist, welche über Kat-
schar vorrückt, während eine zweite Colonne unter dem Befehl des Generals Brown-
low über Tschittagang vorgeht. Die Truppen und ungeheure Vorräthe wurden
theilweise durch Dampfschiffe und Flußboote bis Tschuttuk befördert, was ziem-
liche Schwierigkeiten bot, weil die Eingebornen, welche mit den Luschais sympathi-
siren, häufig ihre Voote ins Wasser versenkten, um sie den Engländern nicht zur
Verfügung stellen zu müssen. Die Kulis sind für acht Monate angeworben wor-
den. Außer den Regimentern welche an der Expedition betheiligt sind, ist auch
das 22. leichte Infanterie-Regiment an die Gränze von Assam beordert worden,
um den Rücken der Expedition zu decken. Außerdem ist eine starke Polizei-
macht, 279 Mann, unter den Befehlen mehrerer Officiere in der Provinz vertheilt
worden.

Den letzten Nachrichten zufolge war General Bourchier bereits am 6 Novbr.
in Sileth angekommen. Das 44. Regiment und zwei Corps Kulis unter der
Leitung der Genie-Majore Moore und Branson waren bereits im weitern Vor-
marsch begriffen. 76 Elephanten für diese Colonne waren in Tschuttuk angekom-
men. In Meiradhur waren Vorräthe für die ganze Truppenmacht -- für die Dauer
von zwei Monaten -- angehäuft. Die zweite Colonne unter General Brownlow war
an demselben Tag in Tschittagong und sollte am folgenden Tage nach Kassalong
aufbrechen. Vorräthe für die Dauer von drei Monaten waren bereits nach Burkul
vorausbefördert worden. 68 Elephanten, für diese Colonne bestimmt, waren eben-
falls in Tschittagong angelangt. Die Kulis sollten unverweilt die Herstellung
einer Straße für die Elephanten von Burkul nach Damagri in Angriff nehmen.

Wenn wir alle oben angeführten Thatsachen und Umstände, die kostspielige
und mächtige Ausrüstung der Expedition und die jetzige Haltung der Regierung
von Birma in Erwägung ziehen, so wird wohl die Vermuthung gerechtfertigt er-
scheinen daß es sich bei derselben um etwas mehr handelt als um die bloße Züchti-
[Spaltenumbruch] gung eines kleinen Gebirgsvolkes. Es ist mehr als wahrscheinlich daß die ameri-
kanische Expedition nach Korea und die russischen Unternehmungen gegen China
die brittische Regierung veranlaßt haben mit dem oben angedeuteten Project, sich
von Birma aus einen neuen Handelsweg zu den Panthays in Junnan zu bah-
nen, nicht länger zu zögern. In diesem Fall dürfte die Besetzung und Annectirung
des nördlichen Birma bald eine Thatsache sein. Andrerseits scheint die Re-
gierung von Birma den englischen Plan durchzuschauen und von einer drit-
ten Macht -- welche ebenfalls China, das sich nun auch im Südwesten von England
bedroht sieht, sein könnte -- unterstützt, den Widerstand gegen die brittischen Unter-
nehmungen wagen zu wollen. Das Lager von Delhi dürfte einstweilen den
Zweck haben die im Zug begriffene Expedition gegen eventuelle Einmischungen und
Störungen zu decken. Jedenfalls verdient diese Expedition, welche eine größere
handelspolitische Tragweite haben dürfte, die Aufmerksamkeit der europäischen Re-
gierungen und der ganzen Handelswelt, und wir werden sie mit entsprechendem
Interesse verfolgen.

Einem Brief aus dem Lager bei Ulne, 20 Meilen südöstlich von Katschar,
entnehme ich ferner folgende Umstände. "Wir nähern unsrasch dem Feindesland,
und es geht rasch vorwärts. Wir verließen Dacca am 7 per Dampfer, und langten
am 11 in Tschuttuk an, von wo wir noch zwölf Meilen stromaufwärts fuhren, und
an einem Keliru genannten Orte landeten. Hier mußten wir einen Tag verweilen,
weil das Commissariat keine Boote hatte auftreiben können um unser Gepäck weiter
zu schaffen. Von da rückten wir weiter nach dem 20 Meilen entfernten Sylet vor, mitten
durch Reisfelder, da es keine gebahnte Straße hier gibt. Wir marschirten einen
Theil der Nacht fort. Nach einem Rasttage gieng es weiter fort gen Katschar,
welches wir nach einem sechstägigen Marsch erreichten. Hier, hieß es, sollen wir
bis zum 27 verbleiben; aber nach zwei Tagen schon änderte der General seinen
Plan, und wir erhielten den Vefehl weiter zu marschiren. Wir langten gestern
(24 Nov.) in Lackipur an, schliefen in einer Zelle wo sonst Verbrecher eingesperrt
wurden, und rückten heute früh hier ins Lager ein, nachdem wir durch dichtes
Rohr marschirt waren, durch welches die Sappeure und Mineure, von einem Flügel
des 44. Regiments unterstützt, einen Pfad gehauen hatten. Der ostensible Zweck
der Expedition ist der Straßen hier anzulegen, da an diesem Ufer des Brahmaputra
bis Mainadhar hinauf keine anzutreffen ist. Die Luschai haben bereits die Feind-
seligkeiten eröffnet, und beunruhigen den Theil von Sylhet der au die Tschatter-
hura-Kette grenzt. Hr. Sari mit 40 Polizei-Soldaten ist in diese Gegend gesend et
worden. General Bourchier und sein Stab ritten heute früh bei uns vorüber auf
dem Wege nach Mainadhur. Leider scheint die Cholera unter den Kulis von der
Abtheilung des Capitäns Ally im Zunehmen begriffen zu sein. Dr. Witte und
Oberst Scheriff vom 44. Regiment haben sich deßhalb unverzüglich nach Tschattak
begeben."
Ferner wird berichtet: die Katschar-Division der Expedition habe bereits
Mainadhur erreicht, und die Tschittagong-Division sei an der Gränze des Sylku-Lan-
des angelangt. Die Seapoys des 4. Regiments und das dem General Bourchier
zur Verfügung gestellte Polizei-Corps sind längs der ganzen Gränze vertheilt wor-
den um die brittischen Unterthanen gegen die Razzias der Luschais zur schützen. --
Dem König von Birma gegenüber hat sich die indo-brittische Regierung nach-
giebig gezeigt. Ich meldete Ihnen in einem früheren Berichte daß der König gegen
die Rückkehr des Majors Sladen als politischen Agenten an seinem Hofe protestirt
hatte. Nun wird gemeldet: die englische Regierung stehe davon ab, und Major
Sladen erhalte eine Anstellung in Brittisch-Birma, wahrscheinlich um nöthigen-
falls bei der Hand zu sein. Aus allen Maßregeln der indo-brittischen Regierung
erhellt daß der Endzweck der Expedition kein anderer ist als der: den Handels-
verkehr zwischen Birma und Junnan wieder ins Leben zu rufen. Ein Abgesandter
aus Junnan, wo Major Sladen wichtige Beziehungen angeknüpft hatte, ist in Bhamo
(im nördlichen Birma, welches früher einen sehr lebhaften Handesverkehr mit
Junnan hatte) beim dortigen englischen Agenten eingetroffen, und bestätigte: die
Panthays (Mohammedaner und Rebellen gegen die chinesische Oberherrlichkeit)
seien im vollständigen und friedlichen Besitz des ganzen nördlichen und mittleren
Theiles von Junnan, und sie würden nur in den südlichen und südwestlichen Gegenden
desselben von chinesischen Raubhorden belästigt. Diese Horden seien das einzige
Hinderniß der Wiederbelebung des Handelsverkehrs. Sollte die im Zuge befind-
liche militärische und Straßenbau-Expedition nicht Junnan zum Ziele haben, und
mit der Annexion des nördlichen Birma und der wichtigen Handelsplätze von
Bhamo enden? (Vgl. "Allg. Ztg." Nr. 6. D. R.)



Aus der Türkei.

Die Gerüchte von einem Ministerwechsek, deren ich
in meinem letzten Bericht erwähnte, haben in dieser Woche eine greifbarere Gestalt
gewonnen, indem mehrere Thatsachen vorliegen welche die untrüglichen Vorläufer
einer ministeriellen Krisis sind. Der Sultan ist mit seinem Großwessier höchst
unzufrieden daß derselbe seine ernstlich ausgesprochene Absicht, den Unordnun-
gen im Staatswesen zu steuern, in einer so brutalen Weise entsprochen habe. Um
eine elende Ersparniß von 15 Millionen Franken jährlich zu ermöglichen, habe
derselbe ihm alle Zweige der Verwaltung desorganisirt, Beamte welche 25, 30,
35 Jahre lang redlich ihre Pflicht gethan, ohne Urtheil und Recht fortgejagt,
die Gerichte durch willkürliche Absetzungen in Mißeredit gebracht, das Unter-
richtsministerium, den unentbehrlichsten Verwaltungszweig, durch ein unsinni-
ges Abstreichen von dessen Budget völlig lahm gelegt, und selbst solche Beamte
welche die allgemeine Volksstimme als Erpresser u. s. w. verdammte, ohne Unter-
suchung und Beweis zum Exil oder zur Festungsstrafe verurtheilt. Der Sultan
verlangte zunächst daß die exilirten Exminister wieder nach Konstantinopel gebracht
würden, um durch ein regelmäßiges Verfahren ihre Schuld zu constatiren; der
Großwessier erklärte darauf: er werde seine Entlassung einreichen falls diese Men-
schen wieder hierher kämen, und da der Sultan darauf bestand, so reichte der Groß-
wessier seine Entlassung ein, die aber der Sultan nicht annahm, weil derselbe
darauf besteht daß diese Angelegenheit vorher geordnet werde. Seit jenem Auf-
tritt hat der Sultan seinen Großwessier nicht mehr empfangen, der nur noch in-
terimistisch die Geschäfte fortführt. Die Krisis verlängert sich aber dadurch daß der

[]
[Spaltenumbruch] unweit der chineſiſchen Gränze — eine Erforſchung des ſüdweſtlichen China und
die Wiederauffindung des alten Handelsweges zwiſchen Birma und dem Himmli-
ſchen Reiche zu unternehmen. Dieſe Expedition erweckte aber in der birmaniſchen
Regierung den Verdacht: England beabſichtige nichts anderes als die ſpätere voll-
ſtändige Annectirung Birma’s, und ſie legte der Expedition alle möglichen Schwierig-
keiten in den Weg, über welche ſich Major Sladen in ſeinem Berichte ſehr ſcharf
und bitter beklagt, indem er ſagt: daß ſie es ihm unmöglich gemacht haben über
Momein, eine Gränzgarniſon von Junnan im Beſitze der Panthays — d. i. der
mohammedaniſchen Eroberer des größern Theils dieſer Provinz — vorzudringen.
In dieſem Bericht hatte Major Sladen ein, wie es heißt, ſehr wahrheitsgetreues
und genaues Bild von den wirklichen Verhältniſſen in Birma und der gegen Eng-
land perfiden Politik der dortigen Regierung entworfen, ſo zwar daß ſich die indo-
brittiſche Regierung, welche um jeden Preis, um neuen Complicationen aus dem
Wege zu gehen, die ſcheinbar freundlichen Beziehungen mit Birma aufrecht er-
halten wollte, veranlaßt fand die Veröffentlichung jenes Berichtes in Indien zu
verhindern. Aus den Mittheilungen eines Hrn. Cooper, welcher der Expedition
beigegeben war, hat man jedoch ſehr intereſſante Aufklärungen über die Verhält-
niſſe und die Lage der Dinge in Junnan, dieſer wenig bekannten und ungemein
reichen Provinz des chineſiſchen Reiches, erhalten. Aus jenen Mittheilungen er-
hellt daß die Panthays den Chineſen in intellectueller Hinſicht weit überlegen ſind,
daß alle Siege der Chineſen über die Panthays, welche die Staatszeitung von
Peking verkündete, reine Erfindungen waren, und daß die Panthays in dem
größern Theile der Provinz eine feſte, conſolidirte und unbeſchränkte Herrſchaft
ausüben. Hr. Cooper berichtete als Thatſache daß der kaiſerliche Vicekönig in
Junnan-fu das Oberhaupt der Panthays, Dow-win-ſhew, als Kaiſer des weſt-
lichen Junnan — und zwar mittelſt einer Proclamation unter viceköniglichem
Siegel — anerkannt habe, daß er ein ebenſo großer Feind des Kaiſers von China
ſei als Dow-win-ſhew ſelbſt, und daß er, im Beſitz eines unermeßlichen Reichthums,
jede Oppoſition der kaiſerlichen Truppen, die von Zeit zu Zeit gegen ihn abgeſendet
werden, zu vereiteln wiſſe. Hr. Cooper fand daß die Stärke der ſogenannten
kaiſerlichen Armee, von welcher es ſo oft in den chineſiſchen officiellen Zeitungen
hieß daß ſie die Panthays überwältigt habe, in Wirklichkeit nur aus etwa 300
Mann beſtand. Er erzählt ferner: die Führer der Panthays hätten Regierungs-
fähigkeiten an den Tag gelegt welche man ſelten bei den Häuptern der vielen
inſurrectionellen Bewegungen in China finde. In den Zwiſchenräumen der wirklichen
Kriegführung haben ſie die commerciellen Beziehungen zwiſchen den Bewohnern der
kaiſerlichen und des mohammedaniſchen Gebiets gepflegt und gefördert. Durch ſtrenge
Handhabung der Juſtiz und zweckentſprechende Maßregeln haben die Häupter der Pan-
thays ihren Scharfſinn und ihren ernſtlichen Wunſch bethätigt den Handel möglichſt zu
heben. Die Expedition fand bei ihnen die größte und freundlichſte Bereitwilligkeit in
Handelsbeziehungen mit England zu treten, doch ſchienen ſie nicht die hinlängliche
Macht zu beſitzen fernere Eroberungen raſch zu bewerkſtelligen, obwohl ſie täglich an
Terrain gewinnen und an Zahl zu nehmen. „Auf allen Seiten von Hinderniſſen um-
geben, welche ſich ihren Beziehungen mit fremden Ländern in den Weg ſtellen, aber
in feſtem Beſitz einer der Hauptprovinzen des Reiches und von dem Wunſche be-
ſeelt den Handel zu fördern — meinte Hr. Cooper — befinden ſie ſich in einer Lage
welche es ſowohl für den Handel des Weſtens als auch für die Intereſſen der
Panthays ſelbſt zu einer Angelegenheit von höchſter Wichtigkeit macht daß von
Birma aus ein Weg zu den Panthays gebahnt und der Handel früherer Zeiten
wieder belebt werde. Der Gewinn der daraus für die engliſchen Intereſſen er-
wachſen würde wäre unermeßlich.“ Dieß laſen wir im vorigen Auguſt — und
bald darauf überraſchte uns die Kunde von der Ausrüſtung der engliſchen Expe-
dition gegen die Luſchai, welcher einige früher kaum beachtete räuberiſche Einfälle
zum Vorwande dienen. Die Stärke und die mächtige Ausrüſtung der Expedition aber
führen auf ganz andere Vermuthungen. Die Luſchai nämlich bewohnen gerade
jenen Theil des nördlichen Birma, zwiſchen dem Brahmaputra und dem Irawadi,
über welchen der Weg nach Junnan führt!

Was die Expedition ſelbſt anbelangt, ſo beſteht ſie aus drei Infanterie-Regi-
mentern, einer Gebirgsbatterie, 2000 Kulis, welche zur Herſtellung von Straßen
verwendet werden, und 200 Elephanten — einer ſo beträchtlichen Schaar daß ſie kaum
aufzutreiben war. Den Oberbefehl über die ganze Macht führt General Bour-
chier, der zugleich mit der Führung der einen Colonne betraut iſt, welche über Kat-
ſchar vorrückt, während eine zweite Colonne unter dem Befehl des Generals Brown-
low über Tſchittagang vorgeht. Die Truppen und ungeheure Vorräthe wurden
theilweiſe durch Dampfſchiffe und Flußboote bis Tſchuttuk befördert, was ziem-
liche Schwierigkeiten bot, weil die Eingebornen, welche mit den Luſchais ſympathi-
ſiren, häufig ihre Voote ins Waſſer verſenkten, um ſie den Engländern nicht zur
Verfügung ſtellen zu müſſen. Die Kulis ſind für acht Monate angeworben wor-
den. Außer den Regimentern welche an der Expedition betheiligt ſind, iſt auch
das 22. leichte Infanterie-Regiment an die Gränze von Aſſam beordert worden,
um den Rücken der Expedition zu decken. Außerdem iſt eine ſtarke Polizei-
macht, 279 Mann, unter den Befehlen mehrerer Officiere in der Provinz vertheilt
worden.

Den letzten Nachrichten zufolge war General Bourchier bereits am 6 Novbr.
in Sileth angekommen. Das 44. Regiment und zwei Corps Kulis unter der
Leitung der Genie-Majore Moore und Branſon waren bereits im weitern Vor-
marſch begriffen. 76 Elephanten für dieſe Colonne waren in Tſchuttuk angekom-
men. In Meiradhur waren Vorräthe für die ganze Truppenmacht — für die Dauer
von zwei Monaten — angehäuft. Die zweite Colonne unter General Brownlow war
an demſelben Tag in Tſchittagong und ſollte am folgenden Tage nach Kaſſalong
aufbrechen. Vorräthe für die Dauer von drei Monaten waren bereits nach Burkul
vorausbefördert worden. 68 Elephanten, für dieſe Colonne beſtimmt, waren eben-
falls in Tſchittagong angelangt. Die Kulis ſollten unverweilt die Herſtellung
einer Straße für die Elephanten von Burkul nach Damagri in Angriff nehmen.

Wenn wir alle oben angeführten Thatſachen und Umſtände, die koſtſpielige
und mächtige Ausrüſtung der Expedition und die jetzige Haltung der Regierung
von Birma in Erwägung ziehen, ſo wird wohl die Vermuthung gerechtfertigt er-
ſcheinen daß es ſich bei derſelben um etwas mehr handelt als um die bloße Züchti-
[Spaltenumbruch] gung eines kleinen Gebirgsvolkes. Es iſt mehr als wahrſcheinlich daß die ameri-
kaniſche Expedition nach Korea und die ruſſiſchen Unternehmungen gegen China
die brittiſche Regierung veranlaßt haben mit dem oben angedeuteten Project, ſich
von Birma aus einen neuen Handelsweg zu den Panthays in Junnan zu bah-
nen, nicht länger zu zögern. In dieſem Fall dürfte die Beſetzung und Annectirung
des nördlichen Birma bald eine Thatſache ſein. Andrerſeits ſcheint die Re-
gierung von Birma den engliſchen Plan durchzuſchauen und von einer drit-
ten Macht — welche ebenfalls China, das ſich nun auch im Südweſten von England
bedroht ſieht, ſein könnte — unterſtützt, den Widerſtand gegen die brittiſchen Unter-
nehmungen wagen zu wollen. Das Lager von Delhi dürfte einſtweilen den
Zweck haben die im Zug begriffene Expedition gegen eventuelle Einmiſchungen und
Störungen zu decken. Jedenfalls verdient dieſe Expedition, welche eine größere
handelspolitiſche Tragweite haben dürfte, die Aufmerkſamkeit der europäiſchen Re-
gierungen und der ganzen Handelswelt, und wir werden ſie mit entſprechendem
Intereſſe verfolgen.

Einem Brief aus dem Lager bei Ulne, 20 Meilen ſüdöſtlich von Katſchar,
entnehme ich ferner folgende Umſtände. „Wir nähern unsraſch dem Feindesland,
und es geht raſch vorwärts. Wir verließen Dacca am 7 per Dampfer, und langten
am 11 in Tſchuttuk an, von wo wir noch zwölf Meilen ſtromaufwärts fuhren, und
an einem Keliru genannten Orte landeten. Hier mußten wir einen Tag verweilen,
weil das Commiſſariat keine Boote hatte auftreiben können um unſer Gepäck weiter
zu ſchaffen. Von da rückten wir weiter nach dem 20 Meilen entfernten Sylet vor, mitten
durch Reisfelder, da es keine gebahnte Straße hier gibt. Wir marſchirten einen
Theil der Nacht fort. Nach einem Raſttage gieng es weiter fort gen Katſchar,
welches wir nach einem ſechstägigen Marſch erreichten. Hier, hieß es, ſollen wir
bis zum 27 verbleiben; aber nach zwei Tagen ſchon änderte der General ſeinen
Plan, und wir erhielten den Vefehl weiter zu marſchiren. Wir langten geſtern
(24 Nov.) in Lackipur an, ſchliefen in einer Zelle wo ſonſt Verbrecher eingeſperrt
wurden, und rückten heute früh hier ins Lager ein, nachdem wir durch dichtes
Rohr marſchirt waren, durch welches die Sappeure und Mineure, von einem Flügel
des 44. Regiments unterſtützt, einen Pfad gehauen hatten. Der oſtenſible Zweck
der Expedition iſt der Straßen hier anzulegen, da an dieſem Ufer des Brahmaputra
bis Mainadhar hinauf keine anzutreffen iſt. Die Luſchai haben bereits die Feind-
ſeligkeiten eröffnet, und beunruhigen den Theil von Sylhet der au die Tſchatter-
hura-Kette grenzt. Hr. Sari mit 40 Polizei-Soldaten iſt in dieſe Gegend geſend et
worden. General Bourchier und ſein Stab ritten heute früh bei uns vorüber auf
dem Wege nach Mainadhur. Leider ſcheint die Cholera unter den Kulis von der
Abtheilung des Capitäns Ally im Zunehmen begriffen zu ſein. Dr. Witte und
Oberſt Scheriff vom 44. Regiment haben ſich deßhalb unverzüglich nach Tſchattak
begeben.“
Ferner wird berichtet: die Katſchar-Diviſion der Expedition habe bereits
Mainadhur erreicht, und die Tſchittagong-Diviſion ſei an der Gränze des Sylku-Lan-
des angelangt. Die Seapoys des 4. Regiments und das dem General Bourchier
zur Verfügung geſtellte Polizei-Corps ſind längs der ganzen Gränze vertheilt wor-
den um die brittiſchen Unterthanen gegen die Razzias der Luſchais zur ſchützen. —
Dem König von Birma gegenüber hat ſich die indo-brittiſche Regierung nach-
giebig gezeigt. Ich meldete Ihnen in einem früheren Berichte daß der König gegen
die Rückkehr des Majors Sladen als politiſchen Agenten an ſeinem Hofe proteſtirt
hatte. Nun wird gemeldet: die engliſche Regierung ſtehe davon ab, und Major
Sladen erhalte eine Anſtellung in Brittiſch-Birma, wahrſcheinlich um nöthigen-
falls bei der Hand zu ſein. Aus allen Maßregeln der indo-brittiſchen Regierung
erhellt daß der Endzweck der Expedition kein anderer iſt als der: den Handels-
verkehr zwiſchen Birma und Junnan wieder ins Leben zu rufen. Ein Abgeſandter
aus Junnan, wo Major Sladen wichtige Beziehungen angeknüpft hatte, iſt in Bhamo
(im nördlichen Birma, welches früher einen ſehr lebhaften Handesverkehr mit
Junnan hatte) beim dortigen engliſchen Agenten eingetroffen, und beſtätigte: die
Panthays (Mohammedaner und Rebellen gegen die chineſiſche Oberherrlichkeit)
ſeien im vollſtändigen und friedlichen Beſitz des ganzen nördlichen und mittleren
Theiles von Junnan, und ſie würden nur in den ſüdlichen und ſüdweſtlichen Gegenden
desſelben von chineſiſchen Raubhorden beläſtigt. Dieſe Horden ſeien das einzige
Hinderniß der Wiederbelebung des Handelsverkehrs. Sollte die im Zuge befind-
liche militäriſche und Straßenbau-Expedition nicht Junnan zum Ziele haben, und
mit der Annexion des nördlichen Birma und der wichtigen Handelsplätze von
Bhamo enden? (Vgl. „Allg. Ztg.“ Nr. 6. D. R.)



Aus der Türkei.

Die Gerüchte von einem Miniſterwechſek, deren ich
in meinem letzten Bericht erwähnte, haben in dieſer Woche eine greifbarere Geſtalt
gewonnen, indem mehrere Thatſachen vorliegen welche die untrüglichen Vorläufer
einer miniſteriellen Kriſis ſind. Der Sultan iſt mit ſeinem Großweſſier höchſt
unzufrieden daß derſelbe ſeine ernſtlich ausgeſprochene Abſicht, den Unordnun-
gen im Staatsweſen zu ſteuern, in einer ſo brutalen Weiſe entſprochen habe. Um
eine elende Erſparniß von 15 Millionen Franken jährlich zu ermöglichen, habe
derſelbe ihm alle Zweige der Verwaltung desorganiſirt, Beamte welche 25, 30,
35 Jahre lang redlich ihre Pflicht gethan, ohne Urtheil und Recht fortgejagt,
die Gerichte durch willkürliche Abſetzungen in Mißeredit gebracht, das Unter-
richtsminiſterium, den unentbehrlichſten Verwaltungszweig, durch ein unſinni-
ges Abſtreichen von deſſen Budget völlig lahm gelegt, und ſelbſt ſolche Beamte
welche die allgemeine Volksſtimme als Erpreſſer u. ſ. w. verdammte, ohne Unter-
ſuchung und Beweis zum Exil oder zur Feſtungsſtrafe verurtheilt. Der Sultan
verlangte zunächſt daß die exilirten Exminiſter wieder nach Konſtantinopel gebracht
würden, um durch ein regelmäßiges Verfahren ihre Schuld zu conſtatiren; der
Großweſſier erklärte darauf: er werde ſeine Entlaſſung einreichen falls dieſe Men-
ſchen wieder hierher kämen, und da der Sultan darauf beſtand, ſo reichte der Groß-
weſſier ſeine Entlaſſung ein, die aber der Sultan nicht annahm, weil derſelbe
darauf beſteht daß dieſe Angelegenheit vorher geordnet werde. Seit jenem Auf-
tritt hat der Sultan ſeinen Großweſſier nicht mehr empfangen, der nur noch in-
terimiſtiſch die Geſchäfte fortführt. Die Kriſis verlängert ſich aber dadurch daß der

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Dem König von Birma gegenüber hat &#x017F;ich die indo-britti&#x017F;che Regierung nach-<lb/>
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[114/0002] unweit der chineſiſchen Gränze — eine Erforſchung des ſüdweſtlichen China und die Wiederauffindung des alten Handelsweges zwiſchen Birma und dem Himmli- ſchen Reiche zu unternehmen. Dieſe Expedition erweckte aber in der birmaniſchen Regierung den Verdacht: England beabſichtige nichts anderes als die ſpätere voll- ſtändige Annectirung Birma’s, und ſie legte der Expedition alle möglichen Schwierig- keiten in den Weg, über welche ſich Major Sladen in ſeinem Berichte ſehr ſcharf und bitter beklagt, indem er ſagt: daß ſie es ihm unmöglich gemacht haben über Momein, eine Gränzgarniſon von Junnan im Beſitze der Panthays — d. i. der mohammedaniſchen Eroberer des größern Theils dieſer Provinz — vorzudringen. In dieſem Bericht hatte Major Sladen ein, wie es heißt, ſehr wahrheitsgetreues und genaues Bild von den wirklichen Verhältniſſen in Birma und der gegen Eng- land perfiden Politik der dortigen Regierung entworfen, ſo zwar daß ſich die indo- brittiſche Regierung, welche um jeden Preis, um neuen Complicationen aus dem Wege zu gehen, die ſcheinbar freundlichen Beziehungen mit Birma aufrecht er- halten wollte, veranlaßt fand die Veröffentlichung jenes Berichtes in Indien zu verhindern. Aus den Mittheilungen eines Hrn. Cooper, welcher der Expedition beigegeben war, hat man jedoch ſehr intereſſante Aufklärungen über die Verhält- niſſe und die Lage der Dinge in Junnan, dieſer wenig bekannten und ungemein reichen Provinz des chineſiſchen Reiches, erhalten. Aus jenen Mittheilungen er- hellt daß die Panthays den Chineſen in intellectueller Hinſicht weit überlegen ſind, daß alle Siege der Chineſen über die Panthays, welche die Staatszeitung von Peking verkündete, reine Erfindungen waren, und daß die Panthays in dem größern Theile der Provinz eine feſte, conſolidirte und unbeſchränkte Herrſchaft ausüben. Hr. Cooper berichtete als Thatſache daß der kaiſerliche Vicekönig in Junnan-fu das Oberhaupt der Panthays, Dow-win-ſhew, als Kaiſer des weſt- lichen Junnan — und zwar mittelſt einer Proclamation unter viceköniglichem Siegel — anerkannt habe, daß er ein ebenſo großer Feind des Kaiſers von China ſei als Dow-win-ſhew ſelbſt, und daß er, im Beſitz eines unermeßlichen Reichthums, jede Oppoſition der kaiſerlichen Truppen, die von Zeit zu Zeit gegen ihn abgeſendet werden, zu vereiteln wiſſe. Hr. Cooper fand daß die Stärke der ſogenannten kaiſerlichen Armee, von welcher es ſo oft in den chineſiſchen officiellen Zeitungen hieß daß ſie die Panthays überwältigt habe, in Wirklichkeit nur aus etwa 300 Mann beſtand. Er erzählt ferner: die Führer der Panthays hätten Regierungs- fähigkeiten an den Tag gelegt welche man ſelten bei den Häuptern der vielen inſurrectionellen Bewegungen in China finde. In den Zwiſchenräumen der wirklichen Kriegführung haben ſie die commerciellen Beziehungen zwiſchen den Bewohnern der kaiſerlichen und des mohammedaniſchen Gebiets gepflegt und gefördert. Durch ſtrenge Handhabung der Juſtiz und zweckentſprechende Maßregeln haben die Häupter der Pan- thays ihren Scharfſinn und ihren ernſtlichen Wunſch bethätigt den Handel möglichſt zu heben. Die Expedition fand bei ihnen die größte und freundlichſte Bereitwilligkeit in Handelsbeziehungen mit England zu treten, doch ſchienen ſie nicht die hinlängliche Macht zu beſitzen fernere Eroberungen raſch zu bewerkſtelligen, obwohl ſie täglich an Terrain gewinnen und an Zahl zu nehmen. „Auf allen Seiten von Hinderniſſen um- geben, welche ſich ihren Beziehungen mit fremden Ländern in den Weg ſtellen, aber in feſtem Beſitz einer der Hauptprovinzen des Reiches und von dem Wunſche be- ſeelt den Handel zu fördern — meinte Hr. Cooper — befinden ſie ſich in einer Lage welche es ſowohl für den Handel des Weſtens als auch für die Intereſſen der Panthays ſelbſt zu einer Angelegenheit von höchſter Wichtigkeit macht daß von Birma aus ein Weg zu den Panthays gebahnt und der Handel früherer Zeiten wieder belebt werde. 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Den Oberbefehl über die ganze Macht führt General Bour- chier, der zugleich mit der Führung der einen Colonne betraut iſt, welche über Kat- ſchar vorrückt, während eine zweite Colonne unter dem Befehl des Generals Brown- low über Tſchittagang vorgeht. Die Truppen und ungeheure Vorräthe wurden theilweiſe durch Dampfſchiffe und Flußboote bis Tſchuttuk befördert, was ziem- liche Schwierigkeiten bot, weil die Eingebornen, welche mit den Luſchais ſympathi- ſiren, häufig ihre Voote ins Waſſer verſenkten, um ſie den Engländern nicht zur Verfügung ſtellen zu müſſen. Die Kulis ſind für acht Monate angeworben wor- den. Außer den Regimentern welche an der Expedition betheiligt ſind, iſt auch das 22. leichte Infanterie-Regiment an die Gränze von Aſſam beordert worden, um den Rücken der Expedition zu decken. Außerdem iſt eine ſtarke Polizei- macht, 279 Mann, unter den Befehlen mehrerer Officiere in der Provinz vertheilt worden. Den letzten Nachrichten zufolge war General Bourchier bereits am 6 Novbr. in Sileth angekommen. Das 44. Regiment und zwei Corps Kulis unter der Leitung der Genie-Majore Moore und Branſon waren bereits im weitern Vor- marſch begriffen. 76 Elephanten für dieſe Colonne waren in Tſchuttuk angekom- men. In Meiradhur waren Vorräthe für die ganze Truppenmacht — für die Dauer von zwei Monaten — angehäuft. Die zweite Colonne unter General Brownlow war an demſelben Tag in Tſchittagong und ſollte am folgenden Tage nach Kaſſalong aufbrechen. Vorräthe für die Dauer von drei Monaten waren bereits nach Burkul vorausbefördert worden. 68 Elephanten, für dieſe Colonne beſtimmt, waren eben- falls in Tſchittagong angelangt. Die Kulis ſollten unverweilt die Herſtellung einer Straße für die Elephanten von Burkul nach Damagri in Angriff nehmen. Wenn wir alle oben angeführten Thatſachen und Umſtände, die koſtſpielige und mächtige Ausrüſtung der Expedition und die jetzige Haltung der Regierung von Birma in Erwägung ziehen, ſo wird wohl die Vermuthung gerechtfertigt er- ſcheinen daß es ſich bei derſelben um etwas mehr handelt als um die bloße Züchti- gung eines kleinen Gebirgsvolkes. Es iſt mehr als wahrſcheinlich daß die ameri- kaniſche Expedition nach Korea und die ruſſiſchen Unternehmungen gegen China die brittiſche Regierung veranlaßt haben mit dem oben angedeuteten Project, ſich von Birma aus einen neuen Handelsweg zu den Panthays in Junnan zu bah- nen, nicht länger zu zögern. In dieſem Fall dürfte die Beſetzung und Annectirung des nördlichen Birma bald eine Thatſache ſein. Andrerſeits ſcheint die Re- gierung von Birma den engliſchen Plan durchzuſchauen und von einer drit- ten Macht — welche ebenfalls China, das ſich nun auch im Südweſten von England bedroht ſieht, ſein könnte — unterſtützt, den Widerſtand gegen die brittiſchen Unter- nehmungen wagen zu wollen. Das Lager von Delhi dürfte einſtweilen den Zweck haben die im Zug begriffene Expedition gegen eventuelle Einmiſchungen und Störungen zu decken. Jedenfalls verdient dieſe Expedition, welche eine größere handelspolitiſche Tragweite haben dürfte, die Aufmerkſamkeit der europäiſchen Re- gierungen und der ganzen Handelswelt, und wir werden ſie mit entſprechendem Intereſſe verfolgen. Einem Brief aus dem Lager bei Ulne, 20 Meilen ſüdöſtlich von Katſchar, entnehme ich ferner folgende Umſtände. „Wir nähern unsraſch dem Feindesland, und es geht raſch vorwärts. Wir verließen Dacca am 7 per Dampfer, und langten am 11 in Tſchuttuk an, von wo wir noch zwölf Meilen ſtromaufwärts fuhren, und an einem Keliru genannten Orte landeten. Hier mußten wir einen Tag verweilen, weil das Commiſſariat keine Boote hatte auftreiben können um unſer Gepäck weiter zu ſchaffen. Von da rückten wir weiter nach dem 20 Meilen entfernten Sylet vor, mitten durch Reisfelder, da es keine gebahnte Straße hier gibt. Wir marſchirten einen Theil der Nacht fort. Nach einem Raſttage gieng es weiter fort gen Katſchar, welches wir nach einem ſechstägigen Marſch erreichten. Hier, hieß es, ſollen wir bis zum 27 verbleiben; aber nach zwei Tagen ſchon änderte der General ſeinen Plan, und wir erhielten den Vefehl weiter zu marſchiren. Wir langten geſtern (24 Nov.) in Lackipur an, ſchliefen in einer Zelle wo ſonſt Verbrecher eingeſperrt wurden, und rückten heute früh hier ins Lager ein, nachdem wir durch dichtes Rohr marſchirt waren, durch welches die Sappeure und Mineure, von einem Flügel des 44. Regiments unterſtützt, einen Pfad gehauen hatten. Der oſtenſible Zweck der Expedition iſt der Straßen hier anzulegen, da an dieſem Ufer des Brahmaputra bis Mainadhar hinauf keine anzutreffen iſt. Die Luſchai haben bereits die Feind- ſeligkeiten eröffnet, und beunruhigen den Theil von Sylhet der au die Tſchatter- hura-Kette grenzt. Hr. Sari mit 40 Polizei-Soldaten iſt in dieſe Gegend geſend et worden. General Bourchier und ſein Stab ritten heute früh bei uns vorüber auf dem Wege nach Mainadhur. Leider ſcheint die Cholera unter den Kulis von der Abtheilung des Capitäns Ally im Zunehmen begriffen zu ſein. Dr. Witte und Oberſt Scheriff vom 44. Regiment haben ſich deßhalb unverzüglich nach Tſchattak begeben.“ Ferner wird berichtet: die Katſchar-Diviſion der Expedition habe bereits Mainadhur erreicht, und die Tſchittagong-Diviſion ſei an der Gränze des Sylku-Lan- des angelangt. Die Seapoys des 4. Regiments und das dem General Bourchier zur Verfügung geſtellte Polizei-Corps ſind längs der ganzen Gränze vertheilt wor- den um die brittiſchen Unterthanen gegen die Razzias der Luſchais zur ſchützen. — Dem König von Birma gegenüber hat ſich die indo-brittiſche Regierung nach- giebig gezeigt. Ich meldete Ihnen in einem früheren Berichte daß der König gegen die Rückkehr des Majors Sladen als politiſchen Agenten an ſeinem Hofe proteſtirt hatte. Nun wird gemeldet: die engliſche Regierung ſtehe davon ab, und Major Sladen erhalte eine Anſtellung in Brittiſch-Birma, wahrſcheinlich um nöthigen- falls bei der Hand zu ſein. Aus allen Maßregeln der indo-brittiſchen Regierung erhellt daß der Endzweck der Expedition kein anderer iſt als der: den Handels- verkehr zwiſchen Birma und Junnan wieder ins Leben zu rufen. Ein Abgeſandter aus Junnan, wo Major Sladen wichtige Beziehungen angeknüpft hatte, iſt in Bhamo (im nördlichen Birma, welches früher einen ſehr lebhaften Handesverkehr mit Junnan hatte) beim dortigen engliſchen Agenten eingetroffen, und beſtätigte: die Panthays (Mohammedaner und Rebellen gegen die chineſiſche Oberherrlichkeit) ſeien im vollſtändigen und friedlichen Beſitz des ganzen nördlichen und mittleren Theiles von Junnan, und ſie würden nur in den ſüdlichen und ſüdweſtlichen Gegenden desſelben von chineſiſchen Raubhorden beläſtigt. Dieſe Horden ſeien das einzige Hinderniß der Wiederbelebung des Handelsverkehrs. Sollte die im Zuge befind- liche militäriſche und Straßenbau-Expedition nicht Junnan zum Ziele haben, und mit der Annexion des nördlichen Birma und der wichtigen Handelsplätze von Bhamo enden? (Vgl. „Allg. Ztg.“ Nr. 6. D. R.) Aus der Türkei. &#xfffc; Pera, 30 Dec. Die Gerüchte von einem Miniſterwechſek, deren ich in meinem letzten Bericht erwähnte, haben in dieſer Woche eine greifbarere Geſtalt gewonnen, indem mehrere Thatſachen vorliegen welche die untrüglichen Vorläufer einer miniſteriellen Kriſis ſind. Der Sultan iſt mit ſeinem Großweſſier höchſt unzufrieden daß derſelbe ſeine ernſtlich ausgeſprochene Abſicht, den Unordnun- gen im Staatsweſen zu ſteuern, in einer ſo brutalen Weiſe entſprochen habe. Um eine elende Erſparniß von 15 Millionen Franken jährlich zu ermöglichen, habe derſelbe ihm alle Zweige der Verwaltung desorganiſirt, Beamte welche 25, 30, 35 Jahre lang redlich ihre Pflicht gethan, ohne Urtheil und Recht fortgejagt, die Gerichte durch willkürliche Abſetzungen in Mißeredit gebracht, das Unter- richtsminiſterium, den unentbehrlichſten Verwaltungszweig, durch ein unſinni- ges Abſtreichen von deſſen Budget völlig lahm gelegt, und ſelbſt ſolche Beamte welche die allgemeine Volksſtimme als Erpreſſer u. ſ. w. verdammte, ohne Unter- ſuchung und Beweis zum Exil oder zur Feſtungsſtrafe verurtheilt. Der Sultan verlangte zunächſt daß die exilirten Exminiſter wieder nach Konſtantinopel gebracht würden, um durch ein regelmäßiges Verfahren ihre Schuld zu conſtatiren; der Großweſſier erklärte darauf: er werde ſeine Entlaſſung einreichen falls dieſe Men- ſchen wieder hierher kämen, und da der Sultan darauf beſtand, ſo reichte der Groß- weſſier ſeine Entlaſſung ein, die aber der Sultan nicht annahm, weil derſelbe darauf beſteht daß dieſe Angelegenheit vorher geordnet werde. Seit jenem Auf- tritt hat der Sultan ſeinen Großweſſier nicht mehr empfangen, der nur noch in- terimiſtiſch die Geſchäfte fortführt. Die Kriſis verlängert ſich aber dadurch daß der

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 9, 9. Januar 1872, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine09_1872/2>, abgerufen am 06.06.2024.