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Allgemeine Zeitung, Nr. 8, vom 9. Januar 1924.

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Allgemeine Zeitung. Nr. 8 Mittwoch, den 9. Januar 1924
[Spaltenumbruch]

auf dem Standpunkt, daß rein wirtschaftliche
Verbindungen durch die politische Entwicklung
nicht aufgehalten oder entscheidend beeinflußt
werden können. Immerhin würde aber nach An-
sicht maßgebender Stellen der Gedanke einer ge-
genseitigen Interessenverbindung

eine Diskussionsgrundlage für die Lö-
sung des Reparationsproblems bieten können.

Aber der Plan Rechbergs hat sich jetzt
dahin geändert, daß er nach dem verlorenen
Kriege nicht mehr gegenseitige Beteiligungen,
sondern nur einseitige Kontrolle der
deutschen Industrie
durch das Ausland,
und zwar durch Frankreich als die ret-
tende Idee
betrachtet.

Dies muß unbedingt Ablehnung und Wider-
stand in Deutschland finden, weil eine solche Kon-
trolle in ihrer Wirkung auf die Entmündigung
der deutschen Wirtschaft hinauslaufen würde.

Diese Ansicht ist um so weniger diskutabel, als
das ungeheuere Opfer nicht einmal einen entspre-
chenden Kreis finden würde, denn die Bewer-
tung des nach dem Plane Rechbergs Frankreich
zu übertragenden deutschen Aktiendrittels und die
Unsicherheit bei der Rückführung der Kapitalien
auf Goldbasis würde für die gesamte Repara-
tionsfrage dauernd ins Gewicht fallen.

Wir würden also eine Kontrolle über
die eigne Wirtschaft
annehmen, die sich
auch auf so spezielle Fragen, wie Gewinnvertei-
lung, Buchführung, Fabrikationsmethoden usw.
erstrecken würde, ohne dagegen die Befreiung von
den Reparationslasten einzutauschen.

Daß das Reichskabinett einen solchen wirt-
schaftlichen Masochismus niemals mitmachen
wird, ist selbstverständlich.

Daß Herr Rechberg seine Pläne dem Reiche
dadurch aufdrängen könnte, daß er direkt mit
Paris
verhandelt, ist also nicht zu befürchten,
aber die Gefahr seiner Bestrebungen liegt darin,
daß nach Meldungen, die aus Paris hier ein-
gingen, in Frankreich bereits der Gedanke aufge-
taucht ist, die Beteiligung an der deutschen In-
dustrie als eine selbstverständliche Zu-
satzforderung
zu den sonstigen Repara-
tionsansprüchen hinzustellen.

Der Plan der Industriekontrolle ist noch we-
niger annehmbar, weil er auch mit politischen Be-
weggründen unterstützt wird und dazu führen
müßte, neben der Erschütterung der Wirtschaft
selbst die Autorität der Reichsregie-
rung
zu schwächen.

Es wird in Berlin als unverantwortlich be-
trachtet, daß der Plan dadurch schmackhaft ge-
macht werden soll, daß er eine wirtschaft-
liche Militärkontrolle
an die Stelle
der jetzigen Kontrolle durch interalliierte Kom-
missionen setzen will, denn bei dem jetzigen Zu-
stand handelt es sich um eine vorübergehende
Bestimmung des Versailler Vertrages, der neue
Plan aber brächte eine Verewigung der
deutschen Unselbständigkeit
.

Das Ergebnis dieser ganzen privaten Fühlung-
nahme ist also, daß die Position der
Reichsregierung
bei künftigen Verhand-
lungen mit den Franzosen geschwächt er-
scheint.

Die Reparationsfrage als das Hauptproblem
der europäischen Gesamtpolitik kann nur von der
Reichsregierung selbst nach einem einheitlichen
Plan gelöst werden.

[Spaltenumbruch]
Die Verminderung der französischen
Besatzung.

Zu der offiziösen Mittel-
lung des französischen Oberkommissariats in
Koblenz über die Umgruppierung der
französischen Besatzung
wird von deut-
scher Seite halbamtlich bemerkt, daß eine Divi-
sion und zwei Schützenregimenter nach Frank-
reich abtransportiert werden, denen später eine
weitere Division folgen soll.

Ein ganz klares Bild über die eintretende Ver-
minderung bietet sich nicht. Die Besatzung an der
Ruhr wird im ganzen um vier Divisionen ver-
mindert
, nämlich der 4., 11., 40. und 47., von
denen aber nur die 4. und 11. nach Frankreich
zurückkehren, während die 40. und 47. nach dem
Rheinland zurückgeführt werden. Die gesamten
französischen Besatzungstruppen an Rhein und
Ruhr werden künftig drei Armeekorps zu je drei
Divisionen, also im ganzen neun Divisionen um-
fassen, die sich folgendermaßen verteilen: 1. im
altbesetzten Gebiet 6 Divisionen, 2. im Brücken-
kopf Düsseldorf 1 Division und 3. im Einbruchs-
gebiet 2 Divisionen.

Die Anmaßung der "Pfalzregierung".

Die sogenannte
Pfalzregierung hat nach Informa-
tionen, die bei der englischen Regierung ein-
gingen, durch die Rheinlandskommission
ihre Anerkennung beantragt. Die eng-
lische Regierung lehnt dies aber
ab
und beruft sich dabei auf Aeußerungen
Poincares, daß Frankreich eine solche Re-
gierung nicht fördern werde.

Die englische Regierung hat weiterhin in
Brüssel und Paris einen diplomatischen
Schritt unternommen, um die Haltung
Frankreichs in dieser Frage zu klären.

Der Durchgangsverkehr im besetzten
Gebiet

Das Departement für Aus-
wärtige Angelegenheiten in Amsterdam gibt
bekannt, daß nach Mitteilung des holländischen
Gesandten in Paris die Rheinlandskom-
mission
am 2. Januar dieses Jahres beschlos-
sen habe, daß Güter aus dem Auslande ohne
Bezahlung von Abgaben
an die Be-
satzungsbehörden durch das besetzte Gebiet nach
dem unbesetzten Deutschland befördert werden
können.

Dr. Schachts Amtsantritt.

Reichsbankpräsident Dr.
Schacht, der gestern von seiner Londoner Reise
zurückgekehrt ist, hat heute sein Amt als Leiter
der Reichsbank
angetreten.

Die dritte Steuernotverordnung.

Die Entscheidung über die
dritte Steuernotverordnung und
Aufwertung der Hypotheken und Obligationen
wird sich wahrscheinlich noch eine Woche ver-
zögern
.

Zur Handhabung des Ausnahmezustandes.

Der Geschäfts-
ordnungsausschuß
des Reichstages be-
faßte sich heute mit der Handhabung des Aus-
nahmezustandes
durch die Militärbehör-
den, wozu verschiedene Beschwerden Anlaß gaben.

Er faßte folgende Entschließung:

Der Aus-
schuß gibt seiner Ueberzeugung dahin Ausdruck,
daß die Verordnung des Reichspräsidenten vom
20. November 1923 keine Rechtsgrundlage für
ein grundsätzliches Verbot von Versammlungen
biete und hält ein solches nur für zulässig, wenn
im Einzelfalle besonderer Anlaß dazu vor-
liegt.

[Spaltenumbruch]
Föderalistische Ausgestaltung
der Reichsverfassung.

(Vergl. Nr. 5 der "Allg. Zeitg.")

V.

Wendet man sich nun den Zielen der Verfassungs-
revision zu, so ist zuerst zu der oben (unter III)
berührten Frage Stellung zu nehmen, ob eine
grundsätzliche Umgestaltung der Rechte der Länder
oder eine Sonderregelung zugunsten Bayerns an-
gestrebt werden soll.

Kahl tritt im Dezemberheft der "Deutschen
Juristenzeitung" für ein Spezialgesetz mit der
Rückkehr zu dem System gewisser Reservatrechte
Bayerns ein. Er hält den Weg einer Verfassungs-
revision mit Rücksicht auf die Unabsehbarkeit seines
Endes und die Möglichkeit immer neuer Konflikts-
stationen für gegenwärtig ungangbar. Der Verfasser
dieser Zeilen hat an der gleichen Stelle ein Ein-
gehen auf Wünsche nach Sonderstellung einzelner
Reichsglieder im allgemeinen abgelehnt und u. a.
ausgeführt: "Sie sind nicht eigentlich föderalistischer,
sondern partikularistischer Natur, sie liegen nicht in
der Linie des Bundesstaates, sondern des Staaten-
bundes ... So sehr ... ein gesunder Föderalismus,
wie die Verhältnisse nun einmal bei uns liegen,
die Reichseinheit fördert, ebenso sehr wird diese
durch einen die eigenen Interessen der Teile eng-
herzig betonenden Partikularismus gefährdet."

Es ist denkbar, daß der Weg einer sondergesetz-
lichen Schaffung bayerischer Reservatrechte Aussicht
auf rascheren Erfolg hätte, wenn sich die Meinung
durchsetzen würde, es käme nur darauf an, den
stürmischsten Dränger durch möglichstes Entgegen-
kommen zu beschwichtigen und durch dieses Opfer
zugleich einen Herd von immer neuen innerpoliti-
schen Krisen endgültig zu löschen. Andererseits aber
würde Bayern gewissermaßen amtlich als der
Störenfried der deutschen Einheit abgestempelt
werden. Käme es dagegen zu einer allgemeinen
Verfassungsrevision, so würde die bayerische Re-
gierung möglicher Weise nur einen kleineren Teil
ihrer Wünsche erfüllt sehen, könnte aber dafür das
Verdienst in Anspruch nehmen, als Pionier der
Neugestaltung gewirkt zu haben. Sicherlich dauert
der letztere Weg auch länger, weil es sich um die
Lösung grundsätzlicher Fragen handelt, die sorg-
fältigere Erwägung erheischen und bei denen die
parteipolitischen Gegensätze kräftig mit ins Spiel
kommen. Vielleicht würde es sich empfehlen, um von
Haus aus eine rührige Atmosphäre zu schaffen, auf
einen von mir in der "Juristenzeitung" gemachten
Vorschlag einzugehen. Dieser geht dahin, wie bei
sonstigen großen Gesetzeswerken eine kleine ge-
mischte Kommission aus Mitgliedern der Reichsre-
gierung, des Reichstags, des Reichsrats, gegebenen
Falls unter Zuziehung einzelner Staatsrechtslehrer,
mit der Aufgabe der Ausarbeitung eines Vorent-
wurfs zu betrauen, der in ruhiger, gewissenhafter,
leidenschaftsloser, dem unerquicklichen Tagesstreit
entrückter Arbeit zustande gekommen, ein Ergebnis
erzielen könnte, das allen Bedürfnissen im richtigen
Verhältnis Rechnung trägt.

VI.

Die vorstehenden Darlegungen waren bereits zum
größten Teil fertiggestellt und dem Druck übergeben,
als die Denkschrift der bayerischen
Staatsregierung zur Revision der
Weimarer Verfassung
der Öffentlichkeit
übermittelt wurde. Es ist selbstverständlich, daß im
folgenden vornehmlich zu dieser Denkschrift Stellung
genonmen werden muß.

Zunächst der Versuch einer allgemeinen Charak-
teristik. Es handelt sich um eine Staats-
schrift von allergrößtem Interesse,
der, was immer ihr praktischer Er-
folg sein mag, ein hervorragender
Platz in der deutschen Verfassungs-
geschichte gesichert ist
. An ihrer Ausarbei-
tung waren offensichtlich die besten Kräfte des be-
währten bayerischen Beamtentums beteiligt. Trotz
aller unvermeidlichen Ungleichheiten der einzelnen
Teile waltet in diesen 17 doppeltspaltigen Folio-
[Spaltenumbruch] seiten ein einheilicher Geist, der auf ein klares Ziel
lossteuert. Ein vornehmer Sinn offenbart sich nicht
nur in der -- bei aller Sicherheit -- in der Form
meist maßvollen Kritik, sondern vor allem auch in
dem sichtlichen Bestreben, der besonderen Ungunst
der Verhältnisse, unter denen die bekämpfte Ver-
fassung ins Leben trat, und den Gründen, die für
die angefochtenen Bestimmungen maßgebend waren,
gerecht zu werden. Da selbstverständlich nicht eine
wissenschaftliche Arbeit, sondern ein Dokument prak-
tischer Staatspolitik zu verfertigen war, kann man
nicht erwarten, daß Licht und Schatten gleich ver-
teilt sind. Vielmehr mußten alle Gesichtspunkte in
den Vordergrund gestellt werden, welche die vor-
geschlagene Lösung unterstützen. Dabei muß, aber
zugegeben werden, daß an nicht wenigen Stellen
allgemeine Thesen aufgestellt sind, die man vom
Standpunkt streng objektiver Beurteilung vorbe-
haltlos unterschreiben kann.

Inhaltlich hält die Denkschrift im großen und
ganzen die Linie ein, die der Auffassung der gegen-
wärtigen Mehrheit des bayerischen Landtags ent-
spricht, ohne sich jedoch irgendwie ausgesprochen
parteipolitische Forderungen zu eigen zu machen.
Als Richtpunkte dienen im allgemeinen die Be-
stimmungen der alten Reichsverfassung von 1871.
Aber es wird durchaus nicht einfach einer Wieder-
herstellung derselben das Wort geredet, sondern der
Versuch einer Umgestaltung der neuen Verfassung
im Sinne einer Annäherung an die alte unternom-
men. Dabei werden in verständnisvoller Weise die-
jenigen Neuerungen unberührt gelassen, die auch
von dem gegebenen Ausgangspunkt aus als Fort-
schritt erscheinen, selbst wenn sie über das Maß
der früheren Rechtseinheit hinausgehen. Insbe-
sondere wird die Notwendigkeit gewisser grundrecht-
licher Bestimmungen, sogar auf dem Gebiet von Re-
ligion und Schule, anerkannt.

Das Wichtigste, das die Denkschrift weit über
sonstige in ähnlicher Richtung laufende Veröffent-
lichungen heraushebt, ist m. E. die Tatsache, daß an
Stelle des weitverbreiteten allgemeinen Schlag-
wortes von der Rückkehr zur bis-
marckischen Verfassung
positive praktische
Vorschläge unterbreitet werden, welche Änderungen
überhaupt in Frage kommen können. Damit gelangt
man aus einer Sphäre in diesem Fall ganz un-
fruchtbarer Ideologie endlich auf den festen Boden
der Realpolitik. Dabei stellt sich -- allerdings nur
für den Unkundigen -- in überraschender Weise
heraus, daß selbst vom Standpunkt
eines stärkstlatenten Föderalismus
die Weimarer Verfassung bei allen
noch so weitgehenden Eingriffen in
ihrer Grundstruktur aufrecht erhal-
ten bleiben kann
. Sie ist nun einmal trotz
aller Anfeindungen eine Tatsache geworden, mit der
der Realpolitiker zu rechnen hat, wenn er den
Boden nicht unter den Füßen verlieren will, ob er
sich nun theoretisch für sie begeistert oder nicht. Und
heißt das etwas anderes, als Politik im Geiste Bis-
marcks zu treiben. Es ist geradezu kindlich anzu-
nehmen, daß ein Mann wie Bismarck im Jahre
1919 die gleiche Verfassung geschaffen hätte, wie
unter den ganz anders gelagerten Verhältnissen
von 1870/71.

Wenn das auch naturgemäß nicht ausgesprochen
ist, enthält die Denkschrift gewissermaßen das
Höchstprogramm föderalistischer For-
derungen
. Denn es muß angenommen werden,
daß die bayerische Regierung für sich selbst eine
ähnliche Rechnung über die zu erwartende Unter-
stützung und die für die Entscheidung in Betracht
kommenden Faktoren aufgemacht hat, wie das oben
(unter II und III) geschehen ist, und daher weiß,
daß es nicht ohne kräftige Nachlässe abgehen wird.
Auch dieser Gesichtspunkt hebt die Bedeutung des
Dokuments. Jenseits der gezogenen Grenze liegen
also keine ernstzunehmenden Wünsche.

Über den Weg zur Verwirklichung der erhobenen
Forderungen äußert sich die Denkschrift nicht aus-
drücklich. Aber die geltend gemachten Revisions-
punkte beweisen klar und deutlich, daß ein Sonder-
gesetz zugunsten Bayerns nicht gewünscht, vielmehr
an den Weg der allgemeinen Verfassungsrevision ge-
dacht wird. Im Rahmen dieser grundsätzlichen
Verfassungsänderung werden allerdings in einzel-
nen Beziehungen auch bayerische Sonderrechte an-
gestrebt. Der Schwerpunkt liegt aber in der allge-meinen Reichsreform.



[Spaltenumbruch]
Budapester Brief.

Es traf sich, daß ich Budapest erst ausgangs
des Jahres 1928 kennen lernte, nach dem Kriege
also. Ich kam in deutscher -- reichsdeutscher, sagt
man in den Nachfolgestaaten immer noch --
Ahnungslosigkeit hierher; natürlich, ich wußte
eine Menge über Ungarn, unser Geographieunter-
richt ist ja ausgezeichnet.

Unser Geographieunterricht ist miserabel, wo
er die Politik streift. Vielmehr, er streift sie über-
haupt nicht. Was haben wir von Ungarn gelernt?
Gar nichts. In unserm Unterricht gab es kein
Ungarn, nur ein Oesterreich-Ungarn, Doppel-
monarchie, Personalunion, fertig. Ich kann mich
nicht erinnern, in 18 Schuljahren jemals ver-
nommen zu haben, daß Ungarn ein selbständiges
Parlament besitzt -- wann wird der Schulunter-
richt sich der europäischen Verfassungen erinnern?
--, auch die autonome Bedeutung seiner Armee
blieb uns verborgen; ich entsinne mich noch meines
erschrockenen Staunens, als mir im Jahre 11 oder
12 ein Houvedleutnant auf eine harmlose Be-
merkung hin heftig sagte, er sei ungarischer, nicht
"österreich-ungarischer" Offizier ...

Ueber dergleichen unterrichtet man sich schließ-
lich auch auf außergymnasialen Bildungswegen,
aber unangetastet bleibt die fromme Sage, man
bedürfe in Ungarns Hauptstadt nicht der Landes-
sprache, Guter Gott, wie wenig ahnen wir selbst
von dem Zustand naher und nächster Völker; aber
über Indien und China wagen wie in einem
Nebensatz abschließend zu urteilen! Budapest also:
das Auge sucht verwirrt die Straßennamen und
Geschäftsschilder ab, es trifft so gut wie aus-
[Spaltenumbruch] schließlich magharische Inschriften. Das Ohr ver-
nimmt nichts als diese seltsame, urfremde
Sprache; wenn ich einen ganzen Tag lang durch
die Hauptstadt schlendere, fange ich nicht mehr
als ein, zwei deutsche Gespräche auf. Man wird
ärgerlich über sich selbst und seine verkehrte Ein-
stellung; was eigentlich hat man denn erwartet?
Ungefähr dies, daß die Bauernfrauen auf dem
Markt und die Landstreicher am Stadtrand un-
garisch sprächen, alle anderen deutsch. Denn
Ungarn, nicht wahr, hat doch zu Oesterreich gehört,
und Oesterreichs Landessprache ist deutsch. So
etwa stellten wir uns Ungarn vor, aber auch
Bosnien und die Tschechoslowakei und was sonst
noch zu diesem unheimlichen Nationenkonglomerat
gehörte, das Herrscherhaus und Mohnkipfert so
erstaunlich lange zusammengehalten haben.

Bittere Erfahrung: das "Volk" kennt nur in
seinen älteren Jahrgängen noch die deutsche
Sprache. Von 20 Jahren abwärts verstehen sie
kein Wort Deutsch mehr -- sogar die Polizisten
nicht ausgenommen --, aber was ist daran eigent-
lich erstaunlich? Ueber Schwedisch in Stockholm
und Spanisch in Madrid wundert sich kein
Mensch, nur auf das ebenso berechtigte Ungarisch
Budapests muß man sich erst mühsam einstellen.
Natürlich findet sich ja auch immer einer, der
auszuhelfen vermag; manchmal ist es rührend,
wie einfache Leute sich die größte Mühe geben,
dem ratlosen Fremden zu helfen. Indessen ver-
mag das auf die Dauer nicht über die Erkennt-
nis hinwegzutäuschen, daß wir Deutsche hier
eben -- Fremde sind, in einem fremden Land,
bei einem fremden Volk; daß wir von Ungarn,
wie es war und ist, nichts wissen und darum
auch seine letzten Entwicklungen nicht zu ver-
[Spaltenumbruch] stehen vermögen, und daß wir es erst entdecken
müssen, wie vieles, wie beinahe alles, was jen-
seits unserer ungewiß gefärbten Grenzpfähle vor
sich geht.

Entdecken geht nicht so schnell, namentlich
wenn es dazu des Mittels einer der schwerst er-
lernbaren Sprachen der Erde bedarf. Und so
möge vorläufig das Unmittelbare und Unerlern-
bare wirken, die wortlose Schönheit der Land-
schaft, die aus der Gnade des langen Herbstes
unversehens hinübergefunden hat in die seit Jah-
ren ungekannte, fast vergessene Starre eines
weißen strengen Winters. Auch von der Land-
schaft hat man gehört, aber lange nicht genug.
"Budapest besteht aus den Doppelstädten Ofen
und Pest, die an den beiden Ufern der Donau
gelegen sind." So etwa lernten wir, und es ist
richtig. Aber wer ahnt hinter diesen Nüchtern-
heiten die Kühnheit der Felskegel, die sich wie
in keiner zweiten Binnengroßstadt hart an die
Ufer des jetzt schwarzgrauen, fast schon eisgefan-
genen Flusses drängen, ein unabschleifbares Stück
Natur zwischen den hunderttausend Erzeugnissen
nur menschlicher Baukunst; wer vermag die sanf-
ten und herben Konturen der Ofener Berge zu
beschreiben, die Mannigfaltigkeit ihrer kahlen und
bewaldeten Höhenzüge? Der Blocksberg: in seinen
unteren Teilen gesänftigt durch Treppen und
Säulen und Galerien für bedächtige Spaziergän-
ger, zwischen denen immer wieder der felsige
Grund hervordrängt; unverdorbener Wald dar-
über und zu oberst die strenge Einförmigkeit der
Zitadelle, die in Morgennebeln und Abenddäm-
merung zur unwirklichen Größe einer Gralsburg
anwächst; entfernter vom Ufer Rosenhügel,
Schwabenberg und Johannisberg, Ersatz-Garmisch
[Spaltenumbruch] oder St. Moritz für diejenigen Pester, die nicht
einmal für die Schweiz Geld haben, von Bayern
zu schweigen, wohl aber Zeit und Wintersport-
gerät; so sind sie nach einer Traumwachstunde und
schneller mitten in Bergen, die zugleich lieblich
und öde sind, sehr weitläufig und ganz unbekannt.
Prachtvoll wieder dicht am Ufer der breite Burg-
berg mit dem Königsschloß; königlicher liegt kein
Stadtschloß Europas als dieser reiche Bau über
der Donau, den noch vor ganz kurzen Wochen das
Feuer der tausend Herbstbäume im Burggarten
strahlend erhellte und den noch heute ein Him-
mel von ausdauerndstem Blau überspannt.

Dies Schloß gibt, im Zusammenklang von Lage
und Bauweise, der westlichen europäischen Stadt
Ofen eine ganz kleine Märchenhaftigkeit, nicht die
einzige übrigens. Pest drüben, die großzügig an-
gelegte, moderne Metropole mit breiten Boule-
vards und hohen Häusern, mit Untergrundbahn
und Autoomnibus, mit Kinos und Betrieb, hat
wirklich, nach Ludwig Hatvanys geistreicher
Spitzigkeit, etwas von amerikanisiertem Balkan.
Sie ist wohl bewunderswert in der ehrgeizigen
Rapidität ihrer Entwicklung, aber sie hat keine
Geheimnisse. Indessen Ofen! Diese höchst bizarr
gebaute Stadt, wo sich ungepflegte Wiesen zwi-
schen Mietkasernen und Paläste drängen, in der
gelegentlich Ziegen auf dem Asphalt spazieren
gehen, in der Türkenhöfe neben Empirehäusern,
wilhelminische Pseudogotik neben reinstem Barock
zu finden ist -- diese Stadt mit Türmen und
Kuppeln und flachen Dächern verklärt sich in der
Umarmung ihrer Berge und in fremdem Glanz
von Nacht und Schnee zum Märchen, ja, trotz
Schnee zum orientalischen Märchen. Das weißman in Pest, und so kann man selbst jetzt

Allgemeine Zeitung. Nr. 8 Mittwoch, den 9. Januar 1924
[Spaltenumbruch]

auf dem Standpunkt, daß rein wirtſchaftliche
Verbindungen durch die politiſche Entwicklung
nicht aufgehalten oder entſcheidend beeinflußt
werden können. Immerhin würde aber nach An-
ſicht maßgebender Stellen der Gedanke einer ge-
genſeitigen Intereſſenverbindung

eine Diskuſſionsgrundlage für die Lö-
ſung des Reparationsproblems bieten können.

Aber der Plan Rechbergs hat ſich jetzt
dahin geändert, daß er nach dem verlorenen
Kriege nicht mehr gegenſeitige Beteiligungen,
ſondern nur einſeitige Kontrolle der
deutſchen Induſtrie
durch das Ausland,
und zwar durch Frankreich als die ret-
tende Idee
betrachtet.

Dies muß unbedingt Ablehnung und Wider-
ſtand in Deutſchland finden, weil eine ſolche Kon-
trolle in ihrer Wirkung auf die Entmündigung
der deutſchen Wirtſchaft hinauslaufen würde.

Dieſe Anſicht iſt um ſo weniger diskutabel, als
das ungeheuere Opfer nicht einmal einen entſpre-
chenden Kreis finden würde, denn die Bewer-
tung des nach dem Plane Rechbergs Frankreich
zu übertragenden deutſchen Aktiendrittels und die
Unſicherheit bei der Rückführung der Kapitalien
auf Goldbaſis würde für die geſamte Repara-
tionsfrage dauernd ins Gewicht fallen.

Wir würden alſo eine Kontrolle über
die eigne Wirtſchaft
annehmen, die ſich
auch auf ſo ſpezielle Fragen, wie Gewinnvertei-
lung, Buchführung, Fabrikationsmethoden uſw.
erſtrecken würde, ohne dagegen die Befreiung von
den Reparationslaſten einzutauſchen.

Daß das Reichskabinett einen ſolchen wirt-
ſchaftlichen Maſochismus niemals mitmachen
wird, iſt ſelbſtverſtändlich.

Daß Herr Rechberg ſeine Pläne dem Reiche
dadurch aufdrängen könnte, daß er direkt mit
Paris
verhandelt, iſt alſo nicht zu befürchten,
aber die Gefahr ſeiner Beſtrebungen liegt darin,
daß nach Meldungen, die aus Paris hier ein-
gingen, in Frankreich bereits der Gedanke aufge-
taucht iſt, die Beteiligung an der deutſchen In-
duſtrie als eine ſelbſtverſtändliche Zu-
ſatzforderung
zu den ſonſtigen Repara-
tionsanſprüchen hinzuſtellen.

Der Plan der Induſtriekontrolle iſt noch we-
niger annehmbar, weil er auch mit politiſchen Be-
weggründen unterſtützt wird und dazu führen
müßte, neben der Erſchütterung der Wirtſchaft
ſelbſt die Autorität der Reichsregie-
rung
zu ſchwächen.

Es wird in Berlin als unverantwortlich be-
trachtet, daß der Plan dadurch ſchmackhaft ge-
macht werden ſoll, daß er eine wirtſchaft-
liche Militärkontrolle
an die Stelle
der jetzigen Kontrolle durch interalliierte Kom-
miſſionen ſetzen will, denn bei dem jetzigen Zu-
ſtand handelt es ſich um eine vorübergehende
Beſtimmung des Verſailler Vertrages, der neue
Plan aber brächte eine Verewigung der
deutſchen Unſelbſtändigkeit
.

Das Ergebnis dieſer ganzen privaten Fühlung-
nahme iſt alſo, daß die Poſition der
Reichsregierung
bei künftigen Verhand-
lungen mit den Franzoſen geſchwächt er-
ſcheint.

Die Reparationsfrage als das Hauptproblem
der europäiſchen Geſamtpolitik kann nur von der
Reichsregierung ſelbſt nach einem einheitlichen
Plan gelöſt werden.

[Spaltenumbruch]
Die Verminderung der franzöſiſchen
Beſatzung.

Zu der offiziöſen Mittel-
lung des franzöſiſchen Oberkommiſſariats in
Koblenz über die Umgruppierung der
franzöſiſchen Beſatzung
wird von deut-
ſcher Seite halbamtlich bemerkt, daß eine Divi-
ſion und zwei Schützenregimenter nach Frank-
reich abtransportiert werden, denen ſpäter eine
weitere Diviſion folgen ſoll.

Ein ganz klares Bild über die eintretende Ver-
minderung bietet ſich nicht. Die Beſatzung an der
Ruhr wird im ganzen um vier Diviſionen ver-
mindert
, nämlich der 4., 11., 40. und 47., von
denen aber nur die 4. und 11. nach Frankreich
zurückkehren, während die 40. und 47. nach dem
Rheinland zurückgeführt werden. Die geſamten
franzöſiſchen Beſatzungstruppen an Rhein und
Ruhr werden künftig drei Armeekorps zu je drei
Diviſionen, alſo im ganzen neun Diviſionen um-
faſſen, die ſich folgendermaßen verteilen: 1. im
altbeſetzten Gebiet 6 Diviſionen, 2. im Brücken-
kopf Düſſeldorf 1 Diviſion und 3. im Einbruchs-
gebiet 2 Diviſionen.

Die Anmaßung der „Pfalzregierung“.

Die ſogenannte
Pfalzregierung hat nach Informa-
tionen, die bei der engliſchen Regierung ein-
gingen, durch die Rheinlandskommiſſion
ihre Anerkennung beantragt. Die eng-
liſche Regierung lehnt dies aber
ab
und beruft ſich dabei auf Aeußerungen
Poincarés, daß Frankreich eine ſolche Re-
gierung nicht fördern werde.

Die engliſche Regierung hat weiterhin in
Brüſſel und Paris einen diplomatiſchen
Schritt unternommen, um die Haltung
Frankreichs in dieſer Frage zu klären.

Der Durchgangsverkehr im beſetzten
Gebiet

Das Departement für Aus-
wärtige Angelegenheiten in Amſterdam gibt
bekannt, daß nach Mitteilung des holländiſchen
Geſandten in Paris die Rheinlandskom-
miſſion
am 2. Januar dieſes Jahres beſchloſ-
ſen habe, daß Güter aus dem Auslande ohne
Bezahlung von Abgaben
an die Be-
ſatzungsbehörden durch das beſetzte Gebiet nach
dem unbeſetzten Deutſchland befördert werden
können.

Dr. Schachts Amtsantritt.

Reichsbankpräſident Dr.
Schacht, der geſtern von ſeiner Londoner Reiſe
zurückgekehrt iſt, hat heute ſein Amt als Leiter
der Reichsbank
angetreten.

Die dritte Steuernotverordnung.

Die Entſcheidung über die
dritte Steuernotverordnung und
Aufwertung der Hypotheken und Obligationen
wird ſich wahrſcheinlich noch eine Woche ver-
zögern
.

Zur Handhabung des Ausnahmezuſtandes.

Der Geſchäfts-
ordnungsausſchuß
des Reichstages be-
faßte ſich heute mit der Handhabung des Aus-
nahmezuſtandes
durch die Militärbehör-
den, wozu verſchiedene Beſchwerden Anlaß gaben.

Er faßte folgende Entſchließung:

Der Aus-
ſchuß gibt ſeiner Ueberzeugung dahin Ausdruck,
daß die Verordnung des Reichspräſidenten vom
20. November 1923 keine Rechtsgrundlage für
ein grundſätzliches Verbot von Verſammlungen
biete und hält ein ſolches nur für zuläſſig, wenn
im Einzelfalle beſonderer Anlaß dazu vor-
liegt.

[Spaltenumbruch]
Föderaliſtiſche Ausgeſtaltung
der Reichsverfaſſung.

(Vergl. Nr. 5 der „Allg. Zeitg.“)

V.

Wendet man ſich nun den Zielen der Verfaſſungs-
reviſion zu, ſo iſt zuerſt zu der oben (unter III)
berührten Frage Stellung zu nehmen, ob eine
grundſätzliche Umgeſtaltung der Rechte der Länder
oder eine Sonderregelung zugunſten Bayerns an-
geſtrebt werden ſoll.

Kahl tritt im Dezemberheft der „Deutſchen
Juriſtenzeitung“ für ein Spezialgeſetz mit der
Rückkehr zu dem Syſtem gewiſſer Reſervatrechte
Bayerns ein. Er hält den Weg einer Verfaſſungs-
reviſion mit Rückſicht auf die Unabſehbarkeit ſeines
Endes und die Möglichkeit immer neuer Konflikts-
ſtationen für gegenwärtig ungangbar. Der Verfaſſer
dieſer Zeilen hat an der gleichen Stelle ein Ein-
gehen auf Wünſche nach Sonderſtellung einzelner
Reichsglieder im allgemeinen abgelehnt und u. a.
ausgeführt: „Sie ſind nicht eigentlich föderaliſtiſcher,
ſondern partikulariſtiſcher Natur, ſie liegen nicht in
der Linie des Bundesſtaates, ſondern des Staaten-
bundes ... So ſehr ... ein geſunder Föderalismus,
wie die Verhältniſſe nun einmal bei uns liegen,
die Reichseinheit fördert, ebenſo ſehr wird dieſe
durch einen die eigenen Intereſſen der Teile eng-
herzig betonenden Partikularismus gefährdet.“

Es iſt denkbar, daß der Weg einer ſondergeſetz-
lichen Schaffung bayeriſcher Reſervatrechte Ausſicht
auf raſcheren Erfolg hätte, wenn ſich die Meinung
durchſetzen würde, es käme nur darauf an, den
ſtürmiſchſten Dränger durch möglichſtes Entgegen-
kommen zu beſchwichtigen und durch dieſes Opfer
zugleich einen Herd von immer neuen innerpoliti-
ſchen Kriſen endgültig zu löſchen. Andererſeits aber
würde Bayern gewiſſermaßen amtlich als der
Störenfried der deutſchen Einheit abgeſtempelt
werden. Käme es dagegen zu einer allgemeinen
Verfaſſungsreviſion, ſo würde die bayeriſche Re-
gierung möglicher Weiſe nur einen kleineren Teil
ihrer Wünſche erfüllt ſehen, könnte aber dafür das
Verdienſt in Anſpruch nehmen, als Pionier der
Neugeſtaltung gewirkt zu haben. Sicherlich dauert
der letztere Weg auch länger, weil es ſich um die
Löſung grundſätzlicher Fragen handelt, die ſorg-
fältigere Erwägung erheiſchen und bei denen die
parteipolitiſchen Gegenſätze kräftig mit ins Spiel
kommen. Vielleicht würde es ſich empfehlen, um von
Haus aus eine rührige Atmoſphäre zu ſchaffen, auf
einen von mir in der „Juriſtenzeitung“ gemachten
Vorſchlag einzugehen. Dieſer geht dahin, wie bei
ſonſtigen großen Geſetzeswerken eine kleine ge-
miſchte Kommiſſion aus Mitgliedern der Reichsre-
gierung, des Reichstags, des Reichsrats, gegebenen
Falls unter Zuziehung einzelner Staatsrechtslehrer,
mit der Aufgabe der Ausarbeitung eines Vorent-
wurfs zu betrauen, der in ruhiger, gewiſſenhafter,
leidenſchaftsloſer, dem unerquicklichen Tagesſtreit
entrückter Arbeit zuſtande gekommen, ein Ergebnis
erzielen könnte, das allen Bedürfniſſen im richtigen
Verhältnis Rechnung trägt.

VI.

Die vorſtehenden Darlegungen waren bereits zum
größten Teil fertiggeſtellt und dem Druck übergeben,
als die Denkſchrift der bayeriſchen
Staatsregierung zur Reviſion der
Weimarer Verfaſſung
der Öffentlichkeit
übermittelt wurde. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß im
folgenden vornehmlich zu dieſer Denkſchrift Stellung
genonmen werden muß.

Zunächſt der Verſuch einer allgemeinen Charak-
teriſtik. Es handelt ſich um eine Staats-
ſchrift von allergrößtem Intereſſe,
der, was immer ihr praktiſcher Er-
folg ſein mag, ein hervorragender
Platz in der deutſchen Verfaſſungs-
geſchichte geſichert iſt
. An ihrer Ausarbei-
tung waren offenſichtlich die beſten Kräfte des be-
währten bayeriſchen Beamtentums beteiligt. Trotz
aller unvermeidlichen Ungleichheiten der einzelnen
Teile waltet in dieſen 17 doppeltſpaltigen Folio-
[Spaltenumbruch] ſeiten ein einheilicher Geiſt, der auf ein klares Ziel
losſteuert. Ein vornehmer Sinn offenbart ſich nicht
nur in der — bei aller Sicherheit — in der Form
meiſt maßvollen Kritik, ſondern vor allem auch in
dem ſichtlichen Beſtreben, der beſonderen Ungunſt
der Verhältniſſe, unter denen die bekämpfte Ver-
faſſung ins Leben trat, und den Gründen, die für
die angefochtenen Beſtimmungen maßgebend waren,
gerecht zu werden. Da ſelbſtverſtändlich nicht eine
wiſſenſchaftliche Arbeit, ſondern ein Dokument prak-
tiſcher Staatspolitik zu verfertigen war, kann man
nicht erwarten, daß Licht und Schatten gleich ver-
teilt ſind. Vielmehr mußten alle Geſichtspunkte in
den Vordergrund geſtellt werden, welche die vor-
geſchlagene Löſung unterſtützen. Dabei muß, aber
zugegeben werden, daß an nicht wenigen Stellen
allgemeine Theſen aufgeſtellt ſind, die man vom
Standpunkt ſtreng objektiver Beurteilung vorbe-
haltlos unterſchreiben kann.

Inhaltlich hält die Denkſchrift im großen und
ganzen die Linie ein, die der Auffaſſung der gegen-
wärtigen Mehrheit des bayeriſchen Landtags ent-
ſpricht, ohne ſich jedoch irgendwie ausgeſprochen
parteipolitiſche Forderungen zu eigen zu machen.
Als Richtpunkte dienen im allgemeinen die Be-
ſtimmungen der alten Reichsverfaſſung von 1871.
Aber es wird durchaus nicht einfach einer Wieder-
herſtellung derſelben das Wort geredet, ſondern der
Verſuch einer Umgeſtaltung der neuen Verfaſſung
im Sinne einer Annäherung an die alte unternom-
men. Dabei werden in verſtändnisvoller Weiſe die-
jenigen Neuerungen unberührt gelaſſen, die auch
von dem gegebenen Ausgangspunkt aus als Fort-
ſchritt erſcheinen, ſelbſt wenn ſie über das Maß
der früheren Rechtseinheit hinausgehen. Insbe-
ſondere wird die Notwendigkeit gewiſſer grundrecht-
licher Beſtimmungen, ſogar auf dem Gebiet von Re-
ligion und Schule, anerkannt.

Das Wichtigſte, das die Denkſchrift weit über
ſonſtige in ähnlicher Richtung laufende Veröffent-
lichungen heraushebt, iſt m. E. die Tatſache, daß an
Stelle des weitverbreiteten allgemeinen Schlag-
wortes von der Rückkehr zur bis-
marckiſchen Verfaſſung
poſitive praktiſche
Vorſchläge unterbreitet werden, welche Änderungen
überhaupt in Frage kommen können. Damit gelangt
man aus einer Sphäre in dieſem Fall ganz un-
fruchtbarer Ideologie endlich auf den feſten Boden
der Realpolitik. Dabei ſtellt ſich — allerdings nur
für den Unkundigen — in überraſchender Weiſe
heraus, daß ſelbſt vom Standpunkt
eines ſtärkſtlatenten Föderalismus
die Weimarer Verfaſſung bei allen
noch ſo weitgehenden Eingriffen in
ihrer Grundſtruktur aufrecht erhal-
ten bleiben kann
. Sie iſt nun einmal trotz
aller Anfeindungen eine Tatſache geworden, mit der
der Realpolitiker zu rechnen hat, wenn er den
Boden nicht unter den Füßen verlieren will, ob er
ſich nun theoretiſch für ſie begeiſtert oder nicht. Und
heißt das etwas anderes, als Politik im Geiſte Bis-
marcks zu treiben. Es iſt geradezu kindlich anzu-
nehmen, daß ein Mann wie Bismarck im Jahre
1919 die gleiche Verfaſſung geſchaffen hätte, wie
unter den ganz anders gelagerten Verhältniſſen
von 1870/71.

Wenn das auch naturgemäß nicht ausgeſprochen
iſt, enthält die Denkſchrift gewiſſermaßen das
Höchſtprogramm föderaliſtiſcher For-
derungen
. Denn es muß angenommen werden,
daß die bayeriſche Regierung für ſich ſelbſt eine
ähnliche Rechnung über die zu erwartende Unter-
ſtützung und die für die Entſcheidung in Betracht
kommenden Faktoren aufgemacht hat, wie das oben
(unter II und III) geſchehen iſt, und daher weiß,
daß es nicht ohne kräftige Nachläſſe abgehen wird.
Auch dieſer Geſichtspunkt hebt die Bedeutung des
Dokuments. Jenſeits der gezogenen Grenze liegen
alſo keine ernſtzunehmenden Wünſche.

Über den Weg zur Verwirklichung der erhobenen
Forderungen äußert ſich die Denkſchrift nicht aus-
drücklich. Aber die geltend gemachten Reviſions-
punkte beweiſen klar und deutlich, daß ein Sonder-
geſetz zugunſten Bayerns nicht gewünſcht, vielmehr
an den Weg der allgemeinen Verfaſſungsreviſion ge-
dacht wird. Im Rahmen dieſer grundſätzlichen
Verfaſſungsänderung werden allerdings in einzel-
nen Beziehungen auch bayeriſche Sonderrechte an-
geſtrebt. Der Schwerpunkt liegt aber in der allge-meinen Reichsreform.



[Spaltenumbruch]
Budapeſter Brief.

Es traf ſich, daß ich Budapeſt erſt ausgangs
des Jahres 1928 kennen lernte, nach dem Kriege
alſo. Ich kam in deutſcher — reichsdeutſcher, ſagt
man in den Nachfolgeſtaaten immer noch —
Ahnungsloſigkeit hierher; natürlich, ich wußte
eine Menge über Ungarn, unſer Geographieunter-
richt iſt ja ausgezeichnet.

Unſer Geographieunterricht iſt miſerabel, wo
er die Politik ſtreift. Vielmehr, er ſtreift ſie über-
haupt nicht. Was haben wir von Ungarn gelernt?
Gar nichts. In unſerm Unterricht gab es kein
Ungarn, nur ein Oeſterreich-Ungarn, Doppel-
monarchie, Perſonalunion, fertig. Ich kann mich
nicht erinnern, in 18 Schuljahren jemals ver-
nommen zu haben, daß Ungarn ein ſelbſtändiges
Parlament beſitzt — wann wird der Schulunter-
richt ſich der europäiſchen Verfaſſungen erinnern?
—, auch die autonome Bedeutung ſeiner Armee
blieb uns verborgen; ich entſinne mich noch meines
erſchrockenen Staunens, als mir im Jahre 11 oder
12 ein Houvedleutnant auf eine harmloſe Be-
merkung hin heftig ſagte, er ſei ungariſcher, nicht
„öſterreich-ungariſcher“ Offizier ...

Ueber dergleichen unterrichtet man ſich ſchließ-
lich auch auf außergymnaſialen Bildungswegen,
aber unangetaſtet bleibt die fromme Sage, man
bedürfe in Ungarns Hauptſtadt nicht der Landes-
ſprache, Guter Gott, wie wenig ahnen wir ſelbſt
von dem Zuſtand naher und nächſter Völker; aber
über Indien und China wagen wie in einem
Nebenſatz abſchließend zu urteilen! Budapeſt alſo:
das Auge ſucht verwirrt die Straßennamen und
Geſchäftsſchilder ab, es trifft ſo gut wie aus-
[Spaltenumbruch] ſchließlich maghariſche Inſchriften. Das Ohr ver-
nimmt nichts als dieſe ſeltſame, urfremde
Sprache; wenn ich einen ganzen Tag lang durch
die Hauptſtadt ſchlendere, fange ich nicht mehr
als ein, zwei deutſche Geſpräche auf. Man wird
ärgerlich über ſich ſelbſt und ſeine verkehrte Ein-
ſtellung; was eigentlich hat man denn erwartet?
Ungefähr dies, daß die Bauernfrauen auf dem
Markt und die Landſtreicher am Stadtrand un-
gariſch ſprächen, alle anderen deutſch. Denn
Ungarn, nicht wahr, hat doch zu Oeſterreich gehört,
und Oeſterreichs Landesſprache iſt deutſch. So
etwa ſtellten wir uns Ungarn vor, aber auch
Bosnien und die Tſchechoſlowakei und was ſonſt
noch zu dieſem unheimlichen Nationenkonglomerat
gehörte, das Herrſcherhaus und Mohnkipfert ſo
erſtaunlich lange zuſammengehalten haben.

Bittere Erfahrung: das „Volk“ kennt nur in
ſeinen älteren Jahrgängen noch die deutſche
Sprache. Von 20 Jahren abwärts verſtehen ſie
kein Wort Deutſch mehr — ſogar die Poliziſten
nicht ausgenommen —, aber was iſt daran eigent-
lich erſtaunlich? Ueber Schwediſch in Stockholm
und Spaniſch in Madrid wundert ſich kein
Menſch, nur auf das ebenſo berechtigte Ungariſch
Budapeſts muß man ſich erſt mühſam einſtellen.
Natürlich findet ſich ja auch immer einer, der
auszuhelfen vermag; manchmal iſt es rührend,
wie einfache Leute ſich die größte Mühe geben,
dem ratloſen Fremden zu helfen. Indeſſen ver-
mag das auf die Dauer nicht über die Erkennt-
nis hinwegzutäuſchen, daß wir Deutſche hier
eben — Fremde ſind, in einem fremden Land,
bei einem fremden Volk; daß wir von Ungarn,
wie es war und iſt, nichts wiſſen und darum
auch ſeine letzten Entwicklungen nicht zu ver-
[Spaltenumbruch] ſtehen vermögen, und daß wir es erſt entdecken
müſſen, wie vieles, wie beinahe alles, was jen-
ſeits unſerer ungewiß gefärbten Grenzpfähle vor
ſich geht.

Entdecken geht nicht ſo ſchnell, namentlich
wenn es dazu des Mittels einer der ſchwerſt er-
lernbaren Sprachen der Erde bedarf. Und ſo
möge vorläufig das Unmittelbare und Unerlern-
bare wirken, die wortloſe Schönheit der Land-
ſchaft, die aus der Gnade des langen Herbſtes
unverſehens hinübergefunden hat in die ſeit Jah-
ren ungekannte, faſt vergeſſene Starre eines
weißen ſtrengen Winters. Auch von der Land-
ſchaft hat man gehört, aber lange nicht genug.
„Budapeſt beſteht aus den Doppelſtädten Ofen
und Peſt, die an den beiden Ufern der Donau
gelegen ſind.“ So etwa lernten wir, und es iſt
richtig. Aber wer ahnt hinter dieſen Nüchtern-
heiten die Kühnheit der Felskegel, die ſich wie
in keiner zweiten Binnengroßſtadt hart an die
Ufer des jetzt ſchwarzgrauen, faſt ſchon eisgefan-
genen Fluſſes drängen, ein unabſchleifbares Stück
Natur zwiſchen den hunderttauſend Erzeugniſſen
nur menſchlicher Baukunſt; wer vermag die ſanf-
ten und herben Konturen der Ofener Berge zu
beſchreiben, die Mannigfaltigkeit ihrer kahlen und
bewaldeten Höhenzüge? Der Blocksberg: in ſeinen
unteren Teilen geſänftigt durch Treppen und
Säulen und Galerien für bedächtige Spaziergän-
ger, zwiſchen denen immer wieder der felſige
Grund hervordrängt; unverdorbener Wald dar-
über und zu oberſt die ſtrenge Einförmigkeit der
Zitadelle, die in Morgennebeln und Abenddäm-
merung zur unwirklichen Größe einer Gralsburg
anwächſt; entfernter vom Ufer Roſenhügel,
Schwabenberg und Johannisberg, Erſatz-Garmiſch
[Spaltenumbruch] oder St. Moritz für diejenigen Peſter, die nicht
einmal für die Schweiz Geld haben, von Bayern
zu ſchweigen, wohl aber Zeit und Winterſport-
gerät; ſo ſind ſie nach einer Traumwachſtunde und
ſchneller mitten in Bergen, die zugleich lieblich
und öde ſind, ſehr weitläufig und ganz unbekannt.
Prachtvoll wieder dicht am Ufer der breite Burg-
berg mit dem Königsſchloß; königlicher liegt kein
Stadtſchloß Europas als dieſer reiche Bau über
der Donau, den noch vor ganz kurzen Wochen das
Feuer der tauſend Herbſtbäume im Burggarten
ſtrahlend erhellte und den noch heute ein Him-
mel von ausdauerndſtem Blau überſpannt.

Dies Schloß gibt, im Zuſammenklang von Lage
und Bauweiſe, der weſtlichen europäiſchen Stadt
Ofen eine ganz kleine Märchenhaftigkeit, nicht die
einzige übrigens. Peſt drüben, die großzügig an-
gelegte, moderne Metropole mit breiten Boule-
vards und hohen Häuſern, mit Untergrundbahn
und Autoomnibus, mit Kinos und Betrieb, hat
wirklich, nach Ludwig Hatvanys geiſtreicher
Spitzigkeit, etwas von amerikaniſiertem Balkan.
Sie iſt wohl bewunderswert in der ehrgeizigen
Rapidität ihrer Entwicklung, aber ſie hat keine
Geheimniſſe. Indeſſen Ofen! Dieſe höchſt bizarr
gebaute Stadt, wo ſich ungepflegte Wieſen zwi-
ſchen Mietkaſernen und Paläſte drängen, in der
gelegentlich Ziegen auf dem Aſphalt ſpazieren
gehen, in der Türkenhöfe neben Empirehäuſern,
wilhelminiſche Pſeudogotik neben reinſtem Barock
zu finden iſt — dieſe Stadt mit Türmen und
Kuppeln und flachen Dächern verklärt ſich in der
Umarmung ihrer Berge und in fremdem Glanz
von Nacht und Schnee zum Märchen, ja, trotz
Schnee zum orientaliſchen Märchen. Das weißman in Peſt, und ſo kann man ſelbſt jetzt

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[2/0002] Allgemeine Zeitung. Nr. 8 Mittwoch, den 9. Januar 1924 auf dem Standpunkt, daß rein wirtſchaftliche Verbindungen durch die politiſche Entwicklung nicht aufgehalten oder entſcheidend beeinflußt werden können. Immerhin würde aber nach An- ſicht maßgebender Stellen der Gedanke einer ge- genſeitigen Intereſſenverbindung eine Diskuſſionsgrundlage für die Lö- ſung des Reparationsproblems bieten können. Aber der Plan Rechbergs hat ſich jetzt dahin geändert, daß er nach dem verlorenen Kriege nicht mehr gegenſeitige Beteiligungen, ſondern nur einſeitige Kontrolle der deutſchen Induſtrie durch das Ausland, und zwar durch Frankreich als die ret- tende Idee betrachtet. Dies muß unbedingt Ablehnung und Wider- ſtand in Deutſchland finden, weil eine ſolche Kon- trolle in ihrer Wirkung auf die Entmündigung der deutſchen Wirtſchaft hinauslaufen würde. Dieſe Anſicht iſt um ſo weniger diskutabel, als das ungeheuere Opfer nicht einmal einen entſpre- chenden Kreis finden würde, denn die Bewer- tung des nach dem Plane Rechbergs Frankreich zu übertragenden deutſchen Aktiendrittels und die Unſicherheit bei der Rückführung der Kapitalien auf Goldbaſis würde für die geſamte Repara- tionsfrage dauernd ins Gewicht fallen. Wir würden alſo eine Kontrolle über die eigne Wirtſchaft annehmen, die ſich auch auf ſo ſpezielle Fragen, wie Gewinnvertei- lung, Buchführung, Fabrikationsmethoden uſw. erſtrecken würde, ohne dagegen die Befreiung von den Reparationslaſten einzutauſchen. Daß das Reichskabinett einen ſolchen wirt- ſchaftlichen Maſochismus niemals mitmachen wird, iſt ſelbſtverſtändlich. Daß Herr Rechberg ſeine Pläne dem Reiche dadurch aufdrängen könnte, daß er direkt mit Paris verhandelt, iſt alſo nicht zu befürchten, aber die Gefahr ſeiner Beſtrebungen liegt darin, daß nach Meldungen, die aus Paris hier ein- gingen, in Frankreich bereits der Gedanke aufge- taucht iſt, die Beteiligung an der deutſchen In- duſtrie als eine ſelbſtverſtändliche Zu- ſatzforderung zu den ſonſtigen Repara- tionsanſprüchen hinzuſtellen. Der Plan der Induſtriekontrolle iſt noch we- niger annehmbar, weil er auch mit politiſchen Be- weggründen unterſtützt wird und dazu führen müßte, neben der Erſchütterung der Wirtſchaft ſelbſt die Autorität der Reichsregie- rung zu ſchwächen. Es wird in Berlin als unverantwortlich be- trachtet, daß der Plan dadurch ſchmackhaft ge- macht werden ſoll, daß er eine wirtſchaft- liche Militärkontrolle an die Stelle der jetzigen Kontrolle durch interalliierte Kom- miſſionen ſetzen will, denn bei dem jetzigen Zu- ſtand handelt es ſich um eine vorübergehende Beſtimmung des Verſailler Vertrages, der neue Plan aber brächte eine Verewigung der deutſchen Unſelbſtändigkeit. Das Ergebnis dieſer ganzen privaten Fühlung- nahme iſt alſo, daß die Poſition der Reichsregierung bei künftigen Verhand- lungen mit den Franzoſen geſchwächt er- ſcheint. Die Reparationsfrage als das Hauptproblem der europäiſchen Geſamtpolitik kann nur von der Reichsregierung ſelbſt nach einem einheitlichen Plan gelöſt werden. Die Verminderung der franzöſiſchen Beſatzung. Berlin, 8. Januar. Zu der offiziöſen Mittel- lung des franzöſiſchen Oberkommiſſariats in Koblenz über die Umgruppierung der franzöſiſchen Beſatzung wird von deut- ſcher Seite halbamtlich bemerkt, daß eine Divi- ſion und zwei Schützenregimenter nach Frank- reich abtransportiert werden, denen ſpäter eine weitere Diviſion folgen ſoll. Ein ganz klares Bild über die eintretende Ver- minderung bietet ſich nicht. Die Beſatzung an der Ruhr wird im ganzen um vier Diviſionen ver- mindert, nämlich der 4., 11., 40. und 47., von denen aber nur die 4. und 11. nach Frankreich zurückkehren, während die 40. und 47. nach dem Rheinland zurückgeführt werden. Die geſamten franzöſiſchen Beſatzungstruppen an Rhein und Ruhr werden künftig drei Armeekorps zu je drei Diviſionen, alſo im ganzen neun Diviſionen um- faſſen, die ſich folgendermaßen verteilen: 1. im altbeſetzten Gebiet 6 Diviſionen, 2. im Brücken- kopf Düſſeldorf 1 Diviſion und 3. im Einbruchs- gebiet 2 Diviſionen. Die Anmaßung der „Pfalzregierung“. * London, 8. Januar. Die ſogenannte Pfalzregierung hat nach Informa- tionen, die bei der engliſchen Regierung ein- gingen, durch die Rheinlandskommiſſion ihre Anerkennung beantragt. Die eng- liſche Regierung lehnt dies aber ab und beruft ſich dabei auf Aeußerungen Poincarés, daß Frankreich eine ſolche Re- gierung nicht fördern werde. Die engliſche Regierung hat weiterhin in Brüſſel und Paris einen diplomatiſchen Schritt unternommen, um die Haltung Frankreichs in dieſer Frage zu klären. Der Durchgangsverkehr im beſetzten Gebiet Köln, 8. Januar. Das Departement für Aus- wärtige Angelegenheiten in Amſterdam gibt bekannt, daß nach Mitteilung des holländiſchen Geſandten in Paris die Rheinlandskom- miſſion am 2. Januar dieſes Jahres beſchloſ- ſen habe, daß Güter aus dem Auslande ohne Bezahlung von Abgaben an die Be- ſatzungsbehörden durch das beſetzte Gebiet nach dem unbeſetzten Deutſchland befördert werden können. Dr. Schachts Amtsantritt. Berlin, 8. Januar. Reichsbankpräſident Dr. Schacht, der geſtern von ſeiner Londoner Reiſe zurückgekehrt iſt, hat heute ſein Amt als Leiter der Reichsbank angetreten. Die dritte Steuernotverordnung. Berlin, 8. Januar. Die Entſcheidung über die dritte Steuernotverordnung und Aufwertung der Hypotheken und Obligationen wird ſich wahrſcheinlich noch eine Woche ver- zögern. Zur Handhabung des Ausnahmezuſtandes. * Berlin, 8. Januar. Der Geſchäfts- ordnungsausſchuß des Reichstages be- faßte ſich heute mit der Handhabung des Aus- nahmezuſtandes durch die Militärbehör- den, wozu verſchiedene Beſchwerden Anlaß gaben. Er faßte folgende Entſchließung: Der Aus- ſchuß gibt ſeiner Ueberzeugung dahin Ausdruck, daß die Verordnung des Reichspräſidenten vom 20. November 1923 keine Rechtsgrundlage für ein grundſätzliches Verbot von Verſammlungen biete und hält ein ſolches nur für zuläſſig, wenn im Einzelfalle beſonderer Anlaß dazu vor- liegt. Föderaliſtiſche Ausgeſtaltung der Reichsverfaſſung. Von Universitätsprofessor Dr. Hans Nawlasky- München. (Vergl. Nr. 5 der „Allg. Zeitg.“) V. Wendet man ſich nun den Zielen der Verfaſſungs- reviſion zu, ſo iſt zuerſt zu der oben (unter III) berührten Frage Stellung zu nehmen, ob eine grundſätzliche Umgeſtaltung der Rechte der Länder oder eine Sonderregelung zugunſten Bayerns an- geſtrebt werden ſoll. Kahl tritt im Dezemberheft der „Deutſchen Juriſtenzeitung“ für ein Spezialgeſetz mit der Rückkehr zu dem Syſtem gewiſſer Reſervatrechte Bayerns ein. Er hält den Weg einer Verfaſſungs- reviſion mit Rückſicht auf die Unabſehbarkeit ſeines Endes und die Möglichkeit immer neuer Konflikts- ſtationen für gegenwärtig ungangbar. Der Verfaſſer dieſer Zeilen hat an der gleichen Stelle ein Ein- gehen auf Wünſche nach Sonderſtellung einzelner Reichsglieder im allgemeinen abgelehnt und u. a. ausgeführt: „Sie ſind nicht eigentlich föderaliſtiſcher, ſondern partikulariſtiſcher Natur, ſie liegen nicht in der Linie des Bundesſtaates, ſondern des Staaten- bundes ... So ſehr ... ein geſunder Föderalismus, wie die Verhältniſſe nun einmal bei uns liegen, die Reichseinheit fördert, ebenſo ſehr wird dieſe durch einen die eigenen Intereſſen der Teile eng- herzig betonenden Partikularismus gefährdet.“ Es iſt denkbar, daß der Weg einer ſondergeſetz- lichen Schaffung bayeriſcher Reſervatrechte Ausſicht auf raſcheren Erfolg hätte, wenn ſich die Meinung durchſetzen würde, es käme nur darauf an, den ſtürmiſchſten Dränger durch möglichſtes Entgegen- kommen zu beſchwichtigen und durch dieſes Opfer zugleich einen Herd von immer neuen innerpoliti- ſchen Kriſen endgültig zu löſchen. Andererſeits aber würde Bayern gewiſſermaßen amtlich als der Störenfried der deutſchen Einheit abgeſtempelt werden. Käme es dagegen zu einer allgemeinen Verfaſſungsreviſion, ſo würde die bayeriſche Re- gierung möglicher Weiſe nur einen kleineren Teil ihrer Wünſche erfüllt ſehen, könnte aber dafür das Verdienſt in Anſpruch nehmen, als Pionier der Neugeſtaltung gewirkt zu haben. Sicherlich dauert der letztere Weg auch länger, weil es ſich um die Löſung grundſätzlicher Fragen handelt, die ſorg- fältigere Erwägung erheiſchen und bei denen die parteipolitiſchen Gegenſätze kräftig mit ins Spiel kommen. Vielleicht würde es ſich empfehlen, um von Haus aus eine rührige Atmoſphäre zu ſchaffen, auf einen von mir in der „Juriſtenzeitung“ gemachten Vorſchlag einzugehen. Dieſer geht dahin, wie bei ſonſtigen großen Geſetzeswerken eine kleine ge- miſchte Kommiſſion aus Mitgliedern der Reichsre- gierung, des Reichstags, des Reichsrats, gegebenen Falls unter Zuziehung einzelner Staatsrechtslehrer, mit der Aufgabe der Ausarbeitung eines Vorent- wurfs zu betrauen, der in ruhiger, gewiſſenhafter, leidenſchaftsloſer, dem unerquicklichen Tagesſtreit entrückter Arbeit zuſtande gekommen, ein Ergebnis erzielen könnte, das allen Bedürfniſſen im richtigen Verhältnis Rechnung trägt. VI. Die vorſtehenden Darlegungen waren bereits zum größten Teil fertiggeſtellt und dem Druck übergeben, als die Denkſchrift der bayeriſchen Staatsregierung zur Reviſion der Weimarer Verfaſſung der Öffentlichkeit übermittelt wurde. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß im folgenden vornehmlich zu dieſer Denkſchrift Stellung genonmen werden muß. Zunächſt der Verſuch einer allgemeinen Charak- teriſtik. Es handelt ſich um eine Staats- ſchrift von allergrößtem Intereſſe, der, was immer ihr praktiſcher Er- folg ſein mag, ein hervorragender Platz in der deutſchen Verfaſſungs- geſchichte geſichert iſt. An ihrer Ausarbei- tung waren offenſichtlich die beſten Kräfte des be- währten bayeriſchen Beamtentums beteiligt. Trotz aller unvermeidlichen Ungleichheiten der einzelnen Teile waltet in dieſen 17 doppeltſpaltigen Folio- ſeiten ein einheilicher Geiſt, der auf ein klares Ziel losſteuert. Ein vornehmer Sinn offenbart ſich nicht nur in der — bei aller Sicherheit — in der Form meiſt maßvollen Kritik, ſondern vor allem auch in dem ſichtlichen Beſtreben, der beſonderen Ungunſt der Verhältniſſe, unter denen die bekämpfte Ver- faſſung ins Leben trat, und den Gründen, die für die angefochtenen Beſtimmungen maßgebend waren, gerecht zu werden. Da ſelbſtverſtändlich nicht eine wiſſenſchaftliche Arbeit, ſondern ein Dokument prak- tiſcher Staatspolitik zu verfertigen war, kann man nicht erwarten, daß Licht und Schatten gleich ver- teilt ſind. Vielmehr mußten alle Geſichtspunkte in den Vordergrund geſtellt werden, welche die vor- geſchlagene Löſung unterſtützen. Dabei muß, aber zugegeben werden, daß an nicht wenigen Stellen allgemeine Theſen aufgeſtellt ſind, die man vom Standpunkt ſtreng objektiver Beurteilung vorbe- haltlos unterſchreiben kann. Inhaltlich hält die Denkſchrift im großen und ganzen die Linie ein, die der Auffaſſung der gegen- wärtigen Mehrheit des bayeriſchen Landtags ent- ſpricht, ohne ſich jedoch irgendwie ausgeſprochen parteipolitiſche Forderungen zu eigen zu machen. Als Richtpunkte dienen im allgemeinen die Be- ſtimmungen der alten Reichsverfaſſung von 1871. Aber es wird durchaus nicht einfach einer Wieder- herſtellung derſelben das Wort geredet, ſondern der Verſuch einer Umgeſtaltung der neuen Verfaſſung im Sinne einer Annäherung an die alte unternom- men. Dabei werden in verſtändnisvoller Weiſe die- jenigen Neuerungen unberührt gelaſſen, die auch von dem gegebenen Ausgangspunkt aus als Fort- ſchritt erſcheinen, ſelbſt wenn ſie über das Maß der früheren Rechtseinheit hinausgehen. Insbe- ſondere wird die Notwendigkeit gewiſſer grundrecht- licher Beſtimmungen, ſogar auf dem Gebiet von Re- ligion und Schule, anerkannt. Das Wichtigſte, das die Denkſchrift weit über ſonſtige in ähnlicher Richtung laufende Veröffent- lichungen heraushebt, iſt m. E. die Tatſache, daß an Stelle des weitverbreiteten allgemeinen Schlag- wortes von der Rückkehr zur bis- marckiſchen Verfaſſung poſitive praktiſche Vorſchläge unterbreitet werden, welche Änderungen überhaupt in Frage kommen können. Damit gelangt man aus einer Sphäre in dieſem Fall ganz un- fruchtbarer Ideologie endlich auf den feſten Boden der Realpolitik. Dabei ſtellt ſich — allerdings nur für den Unkundigen — in überraſchender Weiſe heraus, daß ſelbſt vom Standpunkt eines ſtärkſtlatenten Föderalismus die Weimarer Verfaſſung bei allen noch ſo weitgehenden Eingriffen in ihrer Grundſtruktur aufrecht erhal- ten bleiben kann. Sie iſt nun einmal trotz aller Anfeindungen eine Tatſache geworden, mit der der Realpolitiker zu rechnen hat, wenn er den Boden nicht unter den Füßen verlieren will, ob er ſich nun theoretiſch für ſie begeiſtert oder nicht. Und heißt das etwas anderes, als Politik im Geiſte Bis- marcks zu treiben. Es iſt geradezu kindlich anzu- nehmen, daß ein Mann wie Bismarck im Jahre 1919 die gleiche Verfaſſung geſchaffen hätte, wie unter den ganz anders gelagerten Verhältniſſen von 1870/71. Wenn das auch naturgemäß nicht ausgeſprochen iſt, enthält die Denkſchrift gewiſſermaßen das Höchſtprogramm föderaliſtiſcher For- derungen. Denn es muß angenommen werden, daß die bayeriſche Regierung für ſich ſelbſt eine ähnliche Rechnung über die zu erwartende Unter- ſtützung und die für die Entſcheidung in Betracht kommenden Faktoren aufgemacht hat, wie das oben (unter II und III) geſchehen iſt, und daher weiß, daß es nicht ohne kräftige Nachläſſe abgehen wird. Auch dieſer Geſichtspunkt hebt die Bedeutung des Dokuments. Jenſeits der gezogenen Grenze liegen alſo keine ernſtzunehmenden Wünſche. Über den Weg zur Verwirklichung der erhobenen Forderungen äußert ſich die Denkſchrift nicht aus- drücklich. Aber die geltend gemachten Reviſions- punkte beweiſen klar und deutlich, daß ein Sonder- geſetz zugunſten Bayerns nicht gewünſcht, vielmehr an den Weg der allgemeinen Verfaſſungsreviſion ge- dacht wird. Im Rahmen dieſer grundſätzlichen Verfaſſungsänderung werden allerdings in einzel- nen Beziehungen auch bayeriſche Sonderrechte an- geſtrebt. Der Schwerpunkt liegt aber in der allge-meinen Reichsreform. Budapeſter Brief. Von M. M. Gehrke. Es traf ſich, daß ich Budapeſt erſt ausgangs des Jahres 1928 kennen lernte, nach dem Kriege alſo. Ich kam in deutſcher — reichsdeutſcher, ſagt man in den Nachfolgeſtaaten immer noch — Ahnungsloſigkeit hierher; natürlich, ich wußte eine Menge über Ungarn, unſer Geographieunter- richt iſt ja ausgezeichnet. Unſer Geographieunterricht iſt miſerabel, wo er die Politik ſtreift. Vielmehr, er ſtreift ſie über- haupt nicht. Was haben wir von Ungarn gelernt? Gar nichts. In unſerm Unterricht gab es kein Ungarn, nur ein Oeſterreich-Ungarn, Doppel- monarchie, Perſonalunion, fertig. Ich kann mich nicht erinnern, in 18 Schuljahren jemals ver- nommen zu haben, daß Ungarn ein ſelbſtändiges Parlament beſitzt — wann wird der Schulunter- richt ſich der europäiſchen Verfaſſungen erinnern? —, auch die autonome Bedeutung ſeiner Armee blieb uns verborgen; ich entſinne mich noch meines erſchrockenen Staunens, als mir im Jahre 11 oder 12 ein Houvedleutnant auf eine harmloſe Be- merkung hin heftig ſagte, er ſei ungariſcher, nicht „öſterreich-ungariſcher“ Offizier ... Ueber dergleichen unterrichtet man ſich ſchließ- lich auch auf außergymnaſialen Bildungswegen, aber unangetaſtet bleibt die fromme Sage, man bedürfe in Ungarns Hauptſtadt nicht der Landes- ſprache, Guter Gott, wie wenig ahnen wir ſelbſt von dem Zuſtand naher und nächſter Völker; aber über Indien und China wagen wie in einem Nebenſatz abſchließend zu urteilen! Budapeſt alſo: das Auge ſucht verwirrt die Straßennamen und Geſchäftsſchilder ab, es trifft ſo gut wie aus- ſchließlich maghariſche Inſchriften. Das Ohr ver- nimmt nichts als dieſe ſeltſame, urfremde Sprache; wenn ich einen ganzen Tag lang durch die Hauptſtadt ſchlendere, fange ich nicht mehr als ein, zwei deutſche Geſpräche auf. Man wird ärgerlich über ſich ſelbſt und ſeine verkehrte Ein- ſtellung; was eigentlich hat man denn erwartet? Ungefähr dies, daß die Bauernfrauen auf dem Markt und die Landſtreicher am Stadtrand un- gariſch ſprächen, alle anderen deutſch. Denn Ungarn, nicht wahr, hat doch zu Oeſterreich gehört, und Oeſterreichs Landesſprache iſt deutſch. So etwa ſtellten wir uns Ungarn vor, aber auch Bosnien und die Tſchechoſlowakei und was ſonſt noch zu dieſem unheimlichen Nationenkonglomerat gehörte, das Herrſcherhaus und Mohnkipfert ſo erſtaunlich lange zuſammengehalten haben. Bittere Erfahrung: das „Volk“ kennt nur in ſeinen älteren Jahrgängen noch die deutſche Sprache. Von 20 Jahren abwärts verſtehen ſie kein Wort Deutſch mehr — ſogar die Poliziſten nicht ausgenommen —, aber was iſt daran eigent- lich erſtaunlich? Ueber Schwediſch in Stockholm und Spaniſch in Madrid wundert ſich kein Menſch, nur auf das ebenſo berechtigte Ungariſch Budapeſts muß man ſich erſt mühſam einſtellen. Natürlich findet ſich ja auch immer einer, der auszuhelfen vermag; manchmal iſt es rührend, wie einfache Leute ſich die größte Mühe geben, dem ratloſen Fremden zu helfen. Indeſſen ver- mag das auf die Dauer nicht über die Erkennt- nis hinwegzutäuſchen, daß wir Deutſche hier eben — Fremde ſind, in einem fremden Land, bei einem fremden Volk; daß wir von Ungarn, wie es war und iſt, nichts wiſſen und darum auch ſeine letzten Entwicklungen nicht zu ver- ſtehen vermögen, und daß wir es erſt entdecken müſſen, wie vieles, wie beinahe alles, was jen- ſeits unſerer ungewiß gefärbten Grenzpfähle vor ſich geht. Entdecken geht nicht ſo ſchnell, namentlich wenn es dazu des Mittels einer der ſchwerſt er- lernbaren Sprachen der Erde bedarf. Und ſo möge vorläufig das Unmittelbare und Unerlern- bare wirken, die wortloſe Schönheit der Land- ſchaft, die aus der Gnade des langen Herbſtes unverſehens hinübergefunden hat in die ſeit Jah- ren ungekannte, faſt vergeſſene Starre eines weißen ſtrengen Winters. Auch von der Land- ſchaft hat man gehört, aber lange nicht genug. „Budapeſt beſteht aus den Doppelſtädten Ofen und Peſt, die an den beiden Ufern der Donau gelegen ſind.“ So etwa lernten wir, und es iſt richtig. Aber wer ahnt hinter dieſen Nüchtern- heiten die Kühnheit der Felskegel, die ſich wie in keiner zweiten Binnengroßſtadt hart an die Ufer des jetzt ſchwarzgrauen, faſt ſchon eisgefan- genen Fluſſes drängen, ein unabſchleifbares Stück Natur zwiſchen den hunderttauſend Erzeugniſſen nur menſchlicher Baukunſt; wer vermag die ſanf- ten und herben Konturen der Ofener Berge zu beſchreiben, die Mannigfaltigkeit ihrer kahlen und bewaldeten Höhenzüge? Der Blocksberg: in ſeinen unteren Teilen geſänftigt durch Treppen und Säulen und Galerien für bedächtige Spaziergän- ger, zwiſchen denen immer wieder der felſige Grund hervordrängt; unverdorbener Wald dar- über und zu oberſt die ſtrenge Einförmigkeit der Zitadelle, die in Morgennebeln und Abenddäm- merung zur unwirklichen Größe einer Gralsburg anwächſt; entfernter vom Ufer Roſenhügel, Schwabenberg und Johannisberg, Erſatz-Garmiſch oder St. Moritz für diejenigen Peſter, die nicht einmal für die Schweiz Geld haben, von Bayern zu ſchweigen, wohl aber Zeit und Winterſport- gerät; ſo ſind ſie nach einer Traumwachſtunde und ſchneller mitten in Bergen, die zugleich lieblich und öde ſind, ſehr weitläufig und ganz unbekannt. Prachtvoll wieder dicht am Ufer der breite Burg- berg mit dem Königsſchloß; königlicher liegt kein Stadtſchloß Europas als dieſer reiche Bau über der Donau, den noch vor ganz kurzen Wochen das Feuer der tauſend Herbſtbäume im Burggarten ſtrahlend erhellte und den noch heute ein Him- mel von ausdauerndſtem Blau überſpannt. Dies Schloß gibt, im Zuſammenklang von Lage und Bauweiſe, der weſtlichen europäiſchen Stadt Ofen eine ganz kleine Märchenhaftigkeit, nicht die einzige übrigens. Peſt drüben, die großzügig an- gelegte, moderne Metropole mit breiten Boule- vards und hohen Häuſern, mit Untergrundbahn und Autoomnibus, mit Kinos und Betrieb, hat wirklich, nach Ludwig Hatvanys geiſtreicher Spitzigkeit, etwas von amerikaniſiertem Balkan. Sie iſt wohl bewunderswert in der ehrgeizigen Rapidität ihrer Entwicklung, aber ſie hat keine Geheimniſſe. Indeſſen Ofen! Dieſe höchſt bizarr gebaute Stadt, wo ſich ungepflegte Wieſen zwi- ſchen Mietkaſernen und Paläſte drängen, in der gelegentlich Ziegen auf dem Aſphalt ſpazieren gehen, in der Türkenhöfe neben Empirehäuſern, wilhelminiſche Pſeudogotik neben reinſtem Barock zu finden iſt — dieſe Stadt mit Türmen und Kuppeln und flachen Dächern verklärt ſich in der Umarmung ihrer Berge und in fremdem Glanz von Nacht und Schnee zum Märchen, ja, trotz Schnee zum orientaliſchen Märchen. Das weißman in Peſt, und ſo kann man ſelbſt jetzt

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 8, vom 9. Januar 1924, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine08_1924/2>, abgerufen am 05.07.2024.