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Allgemeine Zeitung. Nr. 7. München, 8. Januar 1924.

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Dienstag, den 8. Januar 1924. Allgemeine Zeitung. Nr. 7.
[Spaltenumbruch]
Bayerischer Landtag.
Wahlen unter Ausnahmezustand. -- Das
Landeswahlgesetz.

Im Verfassungsausschuß ist heute die Entscheidung
über die Anträge der Parteien zur Sicherung
der Wahlfreiheit
gefallen. Der Abstim-
mung gingen noch kurze Erklärungen des Abg.
Aenderl (K.P.D.) u. des Abg. Engelsber-
ger
(B. Bbd.) voraus. Ersterer begründete seinen
Antrag, den aufgelösten Parteien bei Auflösung des
Landtages volle Versammlungsfreiheit zu gewähren
und die entgegenstehenden Anordnungen des Ge-
neralstaatskommissars aufzuheben. Der Bauern-
bundsredner trat für vorübergehende Aufhebung
des Ausnahmezustandes ein, falls das nicht geschehe,
für den Antrag Dirr.

Minister des Innern Dr. Schwyer wieder-
holte seine Bereitwilligkeit, den Ausnahmezustand
zu "mildern" und die Behörden entsprechend anzu-
weisen. Abg. Endres (V.S.P.D.) stellte eine
ministerielle Äußerung dahin richtig, daß nur die
Gemeindewahlen 1919 unter seiner Ministerschaft
abgehalten wurden, die Landtagswahlen 1920 da-
gegen unter Kahr. Die Sozialdemokratie kann zu
dieser Regierung kein Vertrauen haben; sie ist über-
zeugt, daß der Ausnahmezustand bei den Wahlen
einseitig gegen sie gerichtet sein wird.

Im Schlußwort bemerkte Abg. Dr. Müller
(D.D.P.), die Verhältnisse seien 1919 tatsächlich
freier gewesen als heute. Im übrigen verwies er
auf die Konsequenzen, die sich aus einer schranken-
losen Handhabung der Polizeihoheit und des Aus-
nahmezustandes durch die Länder für den Reichs-
zustand ergeben müssen. Wenn der Ausnahme-
zustand, der anscheinend dauernd bleiben soll, nicht
aufgehoben wird, bleiben die Anträge bestenfalls
Papier. Es kommt ja schließlich alles auf die Aus-
führung an. Die Einschaltung des Generalstaats-
kommissars macht die Versprechungen der Regierung
wertlos, mindestens müßte dessen Wirksamkeit ge-
setzlich oder durch Verordnung abgegrenzt werden.
Daß die Wahlen ohne Sicherungen verlaufen sollen,
wollen auch wir nicht; aber ebenso notwendig ist
ein Schutz gegen parteiische Willkür.

Berichterstatter Abg. Graf Pestalozza (B. Vp.)
meinte, die Demokraten müßten, wenn der baye-
rische Ausnahmezustand fallen soll, dann, da der
Reichsausnahmezustand bliebe und doch be-
achtet werden müsse
(Hört! Heiterkeit!), ver-
langen, daß die Regierung sich nicht an ihn kehre.
Wenn die Demokraten wissen wollen, was Herr
v. Kahr beabsichtige, sollten sie ihn fragen. (Ge-
lächter links. Zurufe: Ausgezeichnet! Und da sitzen
Minister!).

Das Ergebnis der Abstimmung.

war: Die Anträge Timm und Dr. Dirr-Staedele
auf Aufhebung, bezw. vorübergehende Auf-
hebung des Ausnahmezustandes wurden
mit 15 gegen 11, bezw. 13 Stimmen abgelehnt.

Die Anträge Dr. Dirr und Dr. Hilpert: Das
Gesamtministerium übernimmt die Sicherung
der Wahlfreiheit
und der verfassungsmäßi-
gen Rechte sowie die Aufrechterhaltung der Ruhe
und Ordnung mit allen staatlichen Mitteln. Die
Freiheit der Wahl ist in vollem Umfang zu sichern
-- wurden einstimmig angenommen.

Ziff. 1 des Antrages Dr. Müller wurde in fol-
gender Fassung angenommen: Vom Tage der Aus-
schreibung der Neuwahlen zum Bayerischen Landtag
bis zur erfolgten Wahl dürfen Druckschriften
insbesondere Zeitungen und Flugblätter
nur verboten werden, wenn ihr Inhalt auf den ge-
waltsamen Umsturz der Verfassung und auf die ge-
waltsame Störung der öffentlichen Ruhe und staat-
lichen Ordnung abzielt.

Ziff. 2 wurde unter Streichung der Worte: "mit
Zustimmung des Ministerrates" in folgender
Fassung angenommen: Verbote von Zeitun-
gen und Druckschriften
können während
dieser Zeit nur unter Angabe der Gründe
des Verbotes verhängt werden.

Ziff. 3 wurde abgelehnt, Ziff. 4 wie folgt an-
genommen: Die Preß-, Rede- und Ver-
sammlungsfreiheit
ist im gleichen Zeitraum
im Rahmen von Gesetz und Verfassung wieder-
herzustellen.
Die Staatsregierung unternimmt
[Spaltenumbruch] mit allen staatlichen Machtmittein den Schutz dieser
Rechte und der Wahlfreiheit gegenüber allen ge-
waltsamen Störungen.

Einstimmig angenommen wurde nach Zurück-
ziehung des Antrages Aenderl ein Antrag Pesta-
lozza, den Angehörigen der aufgelösten Parteien
bei Auflösung des Landtages die gleiche Versamm-
lungsfreiheit wie den übrigen Parteien zu ge-
währen.

Dann trat der Ausschuß in die Beratung der
Novelle zum Landeswahlgesetz ein. Be-
richterstatter Abg. Graf Pestalozza (B. Vp.) be-
zeichnete als Kernfrage des Entwurfes die Verrin-
gerung der Zahl der Mandate, die nicht nach dem
Schema des Beamtenabbaues erfolgen könne. Eine
weit größere Ersparnis könnte erzielt werden durch
Sitzungsgelder statt der Diäten, zweijährige Budget-
perioden, Begrenzung der Sessionsdauer auf vier
oder sechs Monate, Anderung der Geschäftsordnung.

Mitberichterstatter Abgeordneter Roßhaupter
(V.S.P.) warnte vor einem Ausschluß der erwerbs-
tätigen Schichten vom Mandat, erklärte sich gegen
die zweijährige Budgetperiode und machte im üb-
rigen die Antragslust der Mehrheit für die lange
Tagungsdauer verantwortlich.

Minister des Innern Dr. Schweyer begrün-
dete den Entwurf, der sein Dasein dem Landtags-
beschluß vom 20. Dezember verdankt, die Zahl der
Mandate um ein Drittel zu verringern. Die Kürze
der Zeit rechtfertigt die Unvollkommenheit der
Stammkreiseinteilung; die Amtsgerichtsbezirke könn-
ten nicht aufgeteilt werden. Eine derartige Eintei-
lung ist erst möglich, wenn die Mandatszahl fest-
steht. Die Vorlage sollte möglichst wenig mit allge-
meinen Fragen belastet werden. Immerhin erscheint
das Wahlalter zu niedrig gegriffen, das Land ge-
genüber der Stadt benachteiligt. Die Vorlage will
vereinfachen und sparen. Das würde auch die Arbeit
der Regierung mindern. Im übrigen ist die Aus-
gestaltung des Entwurfs Sache des Landtages.
Bayern hat schon bisher mit seiner Abgeordneten-
ziffer im Vergleiche zum Reich und den Ländern
nicht sehr hoch gegriffen.

Abg. Dr. Müller (D.D.P.) betonte, eine Än-
derung der Diätengesetzgebung im Sinne der An-
wesenheitsgehälter sei alsbald notwendig. Die zwei-
jährige Budgetperiode ist verfassungsrechtlich nicht
möglich. Dringend notwendig ist die zeitliche Be-
schränkung der Sessionen durch Selbstzucht. Der Ge-
schäftsordnungsausschuß muß neue Wege suchen,
sonst doktert er ewig weiter. Die Verringerung der
Mandatszahl ist ein Schlagwort, bei dem die Ab-
neigung gegen das Parlament mitspielt. Am Be-
schluß des 20. Dezember ist jedoch festzuhalten.
Über das Wahlalter zu sprechen, ist heute müßig.
Dem Wähler auf dem Lande erhöhten Wert zuzu-
gestehen, geht bei aller Wertschätzung nicht an. Das
ganze System der Stammkreiseinteilung stimmt
nicht; auch die neue Triangulierung ist unmöglich.
Wir müssen auch wohl wieder auf 8 oder 10 Wahl-
kreise hinaufgehen. Coburg bietet Schwierigkeiten
wegen der vertraglichen Abmachungen.

Abg. Dr. Held (B. Vp.) bemerkte, die Diäten-
frage müsse schon wegen der Markstabilisierung und
der allgemeinen Not aufgerollt werden. Die Viel-
zahl der Abgeordneten erklärt sich aus der Reichs-
struktur. Über die Antragslust zu streiten, hat keinen
Sinn; der ganze Verhandlungsbetrieb ist einzu-
schränken. Eine zu große Mandatszahlverringerung
würde das Ansehen des Parlamems mindern und
die Vertretung der kleinen Gruppen erschweren,
auch das flache Land benachteillgen. Die "Flächen-
theorie" hat schon ihre Bedeutung. Zweijährige
Budgetperioden sind nur unter einem anderen ver-
fassungsmäßigen System möglich. Der Proporz hat
seine Nachteile; es soll aber jetzt nicht an ihm ge-
rüttelt werden. Der (Kriegs) grund für das Wahl-
alter von 20 Jahren ist weggefallen; man sollte die
Hinaufsetzung des Alters wenigstens untersuchen,
ebenso die Bedeutung des einzelnen Wählers für
den Staat.

Fortsetzung Mittwoch vormittag 9 Uhr

Der Vorstoß Bayerns.

Ein demokratischer Schritt im Verfassungsausschuß.

Im Verfassungsausschuß des Landtages gab am
Montag vor Eintritt in die Tagesordnung Namens
der demokratischen Fraktion Abg. Dr. Dirr fol-
gende Erklärung ab:

[Spaltenumbruch]

"Die bayerische Staatsregierung hat in einer aus-
führlichen Denkschrift die Forderung aufgestellt, daß
die Reichsverfassung und damit die Landesverfassung
grundlegend geändert werden sollen. Die Denkschrift
wurde veröffentlicht, ohne daß der Landtag von ihr
Kenntnis bekommen hatte. Sie ist gleichzeitig auch
dem Reichskabinett übergeben, also zum Gegenstand
eines amtlichen diplomatischen Schrittes bei der
Reichsregierung gemacht worden. Wie verlautet,
wird sich diese in Bälde mit den Forderungen und
Vorschlägen der bayerischen Regierung befassen.
Es erscheint bedauerlich, daß die schwerwiegende
politische Aktion, welche die Grundlagen des baye-
rischen und deutschen Staatslebens nach innen und
außen aufs tiefste berührt, unternommen wurde,
ohne daß der Landtag davon rechtzeitig in Kenntnis
gesetzt wurde.
Wir müssen verlangen, daß die Staatsregierung
in nächster Bälde mit der Volksvertretung in eine
Aussprache über diesen Schritt und über den Inhalt
den Denkschrift eintritt."

Abg. Dr. Müller (D.D.P.) fügte bei, er halte
es für eine Selbstverständlichkeit, daß diese Denk-
schrift, von der zwei Exemplare im Archiv liegen,
(Abg. Ackermann: Da bleiben sie auch liegen!
Makulatur!) dem Verfassungsausschuß zugestellt
wird. Es ist beschämend, daß, während der Ver-
fassungsausschuß tagt, wir von der größten ver-
fassungspolitischen Aktion der Staatsregierung aus
der Presse erfahren müssen, noch dazu in gekürzten
Berichten. Ich sehe es als eine Forderung des An-
standes an, daß wir diese Denkschrift unverzüglich
zugestellt bekommen.

Die Erklärung der Demokraten diente zur
Kenntnis.

Kardinal Faulhaber zur Aufwertung der
Hypotheken.

In einer sehr bemerkens-
werten Weise hat am Dreikönigstag, gelegentlich
einer Männerpredigt in St. Michael Kardinal
Faulhaber zur Frage der Hypotheken-
aufwertung
Stellung genommen.

Er bemerkte dabei, ein Rechtsstaat habe die
Pflicht, gegen die Ausplünderung der
Hypothekengläubiger einzuschreiten, deren viele
heute in Armut und Not gekommen seien, weil
ein herzloser Hypothekenschuldner das mit wert-
losem Papier zurückgezahlt hat, was er mit voll-
wertigem Golde auf Treu und Glauben geliehen
erhalten hatte.

Für viele Kirchenstiftungen bedeutet die Ent-
wertung der Hypotheken und Pfandbriefe eine
Säkularisation von nie degewesenem Umfange
und doch müsse man diese Frage an rein sittlich
sozialen Maßstäben messen.

Zusammenschluß der völkischen Verbände.

Die Vertreter aller rein
völkischen Verbände und Gruppen in Bayern ha-
ben sich auf einer Tagung in Bamberg am 6. Ja-
nuar zu einem "Völkischen Block" zusam-
mengeschlossen, der demnächst bei den Wahlen in
Erscheinung treten wird. An General Luden-
dorff
wurde eine Begrüßung gerichtet.

Die Personalabbauverordnung.

des bayerischen Gesamtministeriums, die gestern er-
schien, sieht eine umfangreiche Verminderung des
Beamtenapparats in Staat und Gemeinde vor.
Maß und Zeitpunkt der Verminderung der Staats-
beamten bestimmt das Gesamtministerium. Als
Grundlage dient der Haushaltplan 1923. Die frei-
werdenden Haushaltstellen dürfen nur wieder besetzt
werden, wenn eine andere gleichwertige Haushalt-
stelle derselben Beamtenlaufbahn im Haushalt ge-
strichen wird. Ausnahmen sind nur bei zwingenden
dienstlichen Bedürfnissen zulässig.

Die Verordnung sieht eine Einstellungssperre bis
zum 31. Dezember 1924 vor.
Außerdem wird eine
Beförderungssperre bis zum 31. März 1924 ange-
ordnet. Das Ausscheiden von unwiderruflichen Be-
amten kann auf Antrag ohne Nachweis der Dienst-
unfähigkeit unter Bewilligung des gesetzlichen Ruhe-
gehalts freiwillig erfolgen bei Vollendung des
[Spaltenumbruch] 58. Lebensjahres. Unwiderruflichen Beamten, die
um Entlassung nachsuchen, kann, soferne sie eine
ruhegehaltsfähige Dienstzeit von wenigstens 10 Jahren
zurückgelegt haben, für den Fall der späteren Dienst-
unfähigkeit oder der Vollendung des 65. Lebens-
jahres ein Ruhegehalt und für den Fall des Ablebens
Hinterbliebenenversorgung zugesichert werden. Un-
widerruflichen Beamten kann im Falle ihrer Ent-
lassung ein Übergangsgeld bewilligt werden. Auch
können Zuschüsse zu etwaigen Umzugskosten bewilligt
werden.

Das unfreiwillige Ausscheiden von Beamten und
Angestellten erfolgt in der Regel in folgender Reihen-
folge: 1. Aushilfskräfte, 2. Angestellte, 3. Staats-
dienstanwärter, 4. widerrufliche Beamte, und 5. un-
widerrufliche Beamte. Die unwiderruflichen Beamten
mit Ausnahme der Richter der ordentlichen Gerichte,
sowie der Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofs
und des obersten Rechnungshofes können unter Be-
willigung des gesetzlichen Wartegeldes einstweilen in
den Ruhestand versetzt werden, wenn ihr Ausscheiden
für den Beamtenabbau unumgänglich notwendig
ist. Für die Auswahl sind folgende Gesichtspunkte
maßgebend:

1. Sind beide Ehegatten Beamte, hat unbedingt
ein Ehegatte auszuscheiden und zwar in der Regel
die Frau.

2. Bei den übrigen Beamten ist der Wert der
dienstlichen Leistung entscheidend.

3. Bei gleichwertigen Leistungen sind die wirt-
schaftlichen und Familienverhältnisse maßgebend,
wobei schwerbeschädigte, aus dem besetzten Gebiet
ausgewiesene Beamte oder gefangen gesetzte Beamte,
sowie Versorgungsberechtigte in letzter Linie in den
Ruhstand versetzt werden.

4. Die Auswahl darf durch die politische, konfessio-
nelle oder gewerkschaftliche Betätigung der einstweilen
in den Ruhestand zu versetzenden Beamten und durch
ihre Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer
politischen Partei und zu einem politischen, konfessio-
nellen oder Berufsverein nicht beeinflußt werden.
Auf die Lösung des Dienstverhältnisses der wider-
ruflichen Beamten und Entlassung der Staatsdienst-
anwärter und sonstigen im Vorbereitungs- und
Probedienst stehenden Personen finden diese Vor-
schriften entsprechende Anwendung. Das Ausscheiden
der widerruflichen verheirateten weiblichen Beamten,
Staatsdienstanwärter und sonstigen verheirateten
weiblichen, im Verbereitungs- und Probedienst ste-
henden Personen hat, soweit es noch nicht geschehen
ist, zum 31. Januar 1924 zu erfolgen, sofern ihre
wirtschaftliche Versorgung gesichert erscheint.

Die Angestellten und Aushilfskräfte sind sobald als
möglich, spätestens zum 31. März 1924 zu entlassen,
wenn nicht zwingende dienstliche Rücksichten der Ent-
lassung entgegenstehen. Anträge auf Belassung von
Angestellten und Aushilfskräften sind mit entsprechen-
der Begründung spätestens zum 20. Januar 1924 bei
dem zuständigen Ministerium zu stellen. Den ent-
lassenen Angestellten kann ein Übergangsgeld von
mindestens einem Monatsgehalt gewährt werden.

Für die Gemeinden und sonstigen Körperschaften
gelten im allgemeinen die entsprechenden Bestim-
mungen. Die Notverordnung tritt sofort in Kraft.
Den Zeitpunkt des Außerkrafttretens bestimmt das
Gesamtministerium. Bei den Ausführungsbestim-
mungen sind die besonderen Verhältnisse der Pfalz
zu berücksichtigen.

Der Wortlaut der Verordnung ist im Gesetz- und
Verordnungsblatt Nr. 39 vom 31. Dezember 1923
veröffentlicht.

[irrelevantes Material]
[Spaltenumbruch]

Hühner aus dem Rauchsalon!" Haushoch wälzen
sich die Wogen. "Ein Hundebillet nach Gott-
lieben? Fünfzehn Räppli -- bitte sehr!"

Dann kommt ein Augenblick, der selbst deut-
schen Weltfahrern, Männern von altem Kirsch
und Korn, den Atem stocken läßt: es gilt, die
flache Petershauser Brücke zu unterfahren.

Lange vorher stand der Kapitän, mit dem Sex-
tanten in einer Faust, dem Fernrohr in der an-
dern; keine Wimper wich vom Kompaß und
den Nautischen Tabellen; aus dem Stand der Ge-
stirne berechnet er den Moment, wo er den
Schornstein muß umlegen lassen. -- Eine Sekunde
zu spät, und die Brücke wäre beschädigt, der
Schornstein oben zertrümmert -- ja, wer weiß?
-- der Ozeanriese selbst bliebe in Seenot stecken;
eine Sekunde zu früh, und die roten Plüsch-
möbel der Ersten Klasse sind ein Raub des Koh-
lenrußes.

So spielt sich zwischen schwerer Verantwortung
und Taifunen das Seemannsleben ab. Wie glück-
lich ist der Kapitän, wenn er endlich, nach stun-
denlanger Abwesenheit, heim in den Hafen fahren
darf, in die Arme der geliebten Gattin!

Wie schnell kann man lesen?

Beim Lesen, das uns so einfach erscheint, voll-
ziehen wir eine Fülle verwickelter körperlicher
und geistiger Vorgänge, die erst in den letzten
Jahren durch zahlreiche Forschungen aufgehellt
worden sind. Besonders muß die ungeheure
Geschwindigkeit auffallen, mit der ein geübter
Leser Zeile auf Zeile überfliegt. In einer Mi-
nute werden bequem 500, ja sogar 800 Wörter
oder 60 Zeilen mittlerer Länge gelesen. Dabei
kommt auf den einzelnen Buchstaben bei dem sehr
schnellen Lesen nur die winzige Zeit von 0,02
[Spaltenumbruch] Sekunden. Natürlich reicht ein so kleines Zeit-
teilchen nicht aus, um die Form des Buchstabens
genau zu erkennen. Es handelt sich mehr um ein
Erraten nach gewissen einfachen Merkmalen. Um
so Zeile um Zeile zu überfliegen, muß aber ein
Ueberfluß von Sehschärfe vorhanden sein. Wenn
wir, wie gewöhnlich, in der Entfernung von ein
Drittel Meter lesen, müssen wir eine Sehschärfe
haben, die die nämliche Schrift auch noch auf ein
Meter Entfernung lesen könnte. Wir dürfen von
unserer Sehschärfe nicht mehr als den dritten Teil
verbrauchen, um beim schnellen Lesen nicht zu
sehr zu ermüden. Unsere Gesichtslinie bewegt
sich bei schnellem Lesen nicht in gleichmäßiger
Geschwindigkeit über die Zeile hin, sondern die
Augen bewegen sich in ruckweisen Stößen, mit
denen Ruhepausen abwechseln. Dabei ist die Zeit
der Ruhepausen größer, als die der Stoßbewe-
gungen, und zwar um so größer, je langsamer
man liest.

Die sprunghaften Bewegungen des Auges, die
dem Fortrücken des Sekundenzeigers bei der Uhr
vergleichbar sind, werden sehr rasch ausgeführt;
die einzelne Augenbewegung nimmt eine Zeit-
dauer von noch nicht einer Fünfzigstelsekunde in
Auspruch. Bei aufgeregtem Lesen werden diese
Augenbewegungen durch Wendungen des Kopfes
ersetzt, wobei nicht nur das Auge, sondern der
ganze Kopf dem Blick folgt. Gewöhnlich aber bie-
tet der in sein Buch vertiefte Leser das Bild voll-
kommener Ruhe. Das ist aber nur scheinbar, denn
der Muskelapparat der Augen ist in heftiger Tä-
tigkeit begriffen. Der Blick stürzt sich auf die
Anfangsbuchstaben der Zeile, so schildert Pro-
fessor Laquer den Lesevorgang, packt mit festem
Griff einen Komplex der benachbarten, undeutlich
gesehenen Buchstaben, führt blitzschnell in einem
Bogen von etwa 5 Grad die Gesichtlinie nach
rechts, um diese Buchstabengruppe zentral zu
sehen, ruht ein Fünftel bis ein Viertel Sekunden
aus, springt auf den nächsten rechtsstehenden
Komplex und wiederholt dieses Spiel je nach der
Zeilenlänge vier- bis sechsmal, bis er in die Nähe
des Zeilenendes gekommen ist. Dann macht er
[Spaltenumbruch] plötzlich kehrt, um an den Anfang der nächsten
Zeile zu fliegen, und wiederholt dieses Manöver
stundenlang Seite für Seite. Dabei werden nicht
nur einzelne Buchstaben und Worte, sondern so-
gar mehrere Worte und kurze Sätze zu einer
Einheit zusammengefaßt und auf einmal gelesen.
Man hat berechnet, daß in einer Zeit von einer
Hundertstelsekunde mehrere Wörter zugleich er-
faßt, so sogar in einer Fünfhundertstelsekunde ein
siebenbuchstabiges Wort richtig gelesen wird.

Vom Opernglas.

Welche Bedeutung das Periskop, das Scheren-
fernrohr, im Gelände oder beim Unterseeboot im
verflossenen Weltkrieg erhalten hat, ist allgemein
bekannt. Aber neu ist dieser Gebrauch des
Fernrohres nicht. Schon während des Dreißig-
jährigen Krieges erfand der Astronom Hevelius
(Hewelke) aus Danzig (1611 bis 1687) ein In-
strument, dem er den Namen Polemoskop gab,
also eigentlich "Feinschauer", das später auch
"Wallgucker" genannt wurde. Im Prinzip war
die Konstruktion die gleiche wie heutzutage, eine
Röhre, an der oben und unten ein Spiegel ein-
gebaut wurde. Wenn man dieses Rohr über die
Höhe einer Mauer oder Brüstung usw. hob, war
es möglich, an der unteren Seite im Spiegel
alles das zu sehen, was auf dem Vorfelde sich ab-
spielte. Moderne Optik fehlte natürlich bei je-
nem Instrument völlig. Ob dieser 1637 erfun-
dene "Wallgucker" jemals praktische Bedeutung
erhalten hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Im-
merhin wurde 1755 diese Erfindung von dem
Mathematiker Kestner wieder aufgegriffen und
in verjüngtem Maßstabe als "Opergucker" kon-
struiert. Das Instrument war in entsprechend
kleinen Dimensionen gehalten, so daß es in der
Hand Platz fand. Der Benützer dieses Guckers
konnte von seinem Sitz aus damit das ganze The-
ater -- wir dürfen natürlich nicht an Theater von
unserer heutigen Ausdehnung denken -- über-
blicken und sich damit unauffällig in allen Rängen
umsehen. Durch langsame Drehung des Rohres
[Spaltenumbruch] konnte man mit Hilfe der Spiegel seine Blicke
nach unten, oben und nach den Seiten richten,
ohne die Kopfhaltung verändern zu müssen. Auch
dieses Instrument war natürlich sehr primitiv
und seine Verbreitung war nie allgemein. Der
Name Operngucker übertrug sich in der Folge auf
unser modernes Opernglas, dessen Entstehung
aber aus den andern Grundlagen hervorging. Es
wurde durch die Vereinigung zweier gleichen
Galileischen Fernrohre gebildet. Versuche, das
Fernrohr von einem Monokular zu einem Bino-
kular abzuändern, so daß beim Gebrauch jedes
Auge durch ein Fernrohr sieht, wurden seit seiner
Erfindung um 1600 unternommen. Ein brauch-
bares Instrument wurde jedoch erst 1823 als
"Doppel-Theater-Perspektive" hergestellt. Aus
diesem entstand unser Opernglas, der Feldstecher
und das moderne Prismenglas.

Kleine Nachrichten.

Mittwoch, 9. Januar in der Tonhalle Violin-
Abend Elisabeth Bischoff. Locatelli: So-
nate; Joachim: Variationen; Wieniawski: Kon-
zert. Stücke von Tartini, Francocur., Kreisler
Am Klavier: Prof. Heinrich Schwartz. Karten
bei Bauer.

Münchener Volksbühne.

Heute, Dienstag, den
8. Januar 1924, abends 8 Uhr, findet in der
Tonhalle für die Inhaber der Nummern 7901
bis 8800 und Nummer 18901 bis 20300 ein Or-
chesterkonzert statt unter Leitung von Dr. Ru-
dolf Siegel (Krefeld). Programm: Brahm's
III. Symphonie und Beethovens VII. Symphonie.

Am Samstag, den 12. Januar 1924, abends
8 Uhr, im Odeon für die Inhaber der Nummern
9101 bis 9900 und 18201 bis 18900 ein Solisten-
Abend von Frau Hedwig Gluth (Sopran),
Fräulein Elisabeth Bischoff (Violine), am
Flügel Dr. Hermann Nüßle, statt.

Für diese Veranstaltungen sind Eintrittskarten,
für Mitglieder, deren Nummern nicht treffen, in
unserer Geschaftsstelle, Weinstraße 18, par-
tere, zu haben.

Dienstag, den 8. Januar 1924. Allgemeine Zeitung. Nr. 7.
[Spaltenumbruch]
Bayeriſcher Landtag.
Wahlen unter Ausnahmezuſtand. — Das
Landeswahlgeſetz.

Im Verfaſſungsausſchuß iſt heute die Entſcheidung
über die Anträge der Parteien zur Sicherung
der Wahlfreiheit
gefallen. Der Abſtim-
mung gingen noch kurze Erklärungen des Abg.
Aenderl (K.P.D.) u. des Abg. Engelsber-
ger
(B. Bbd.) voraus. Erſterer begründete ſeinen
Antrag, den aufgelöſten Parteien bei Auflöſung des
Landtages volle Verſammlungsfreiheit zu gewähren
und die entgegenſtehenden Anordnungen des Ge-
neralſtaatskommiſſars aufzuheben. Der Bauern-
bundsredner trat für vorübergehende Aufhebung
des Ausnahmezuſtandes ein, falls das nicht geſchehe,
für den Antrag Dirr.

Miniſter des Innern Dr. Schwyer wieder-
holte ſeine Bereitwilligkeit, den Ausnahmezuſtand
zu „mildern“ und die Behörden entſprechend anzu-
weiſen. Abg. Endres (V.S.P.D.) ſtellte eine
miniſterielle Äußerung dahin richtig, daß nur die
Gemeindewahlen 1919 unter ſeiner Miniſterſchaft
abgehalten wurden, die Landtagswahlen 1920 da-
gegen unter Kahr. Die Sozialdemokratie kann zu
dieſer Regierung kein Vertrauen haben; ſie iſt über-
zeugt, daß der Ausnahmezuſtand bei den Wahlen
einſeitig gegen ſie gerichtet ſein wird.

Im Schlußwort bemerkte Abg. Dr. Müller
(D.D.P.), die Verhältniſſe ſeien 1919 tatſächlich
freier geweſen als heute. Im übrigen verwies er
auf die Konſequenzen, die ſich aus einer ſchranken-
loſen Handhabung der Polizeihoheit und des Aus-
nahmezuſtandes durch die Länder für den Reichs-
zuſtand ergeben müſſen. Wenn der Ausnahme-
zuſtand, der anſcheinend dauernd bleiben ſoll, nicht
aufgehoben wird, bleiben die Anträge beſtenfalls
Papier. Es kommt ja ſchließlich alles auf die Aus-
führung an. Die Einſchaltung des Generalſtaats-
kommiſſars macht die Verſprechungen der Regierung
wertlos, mindeſtens müßte deſſen Wirkſamkeit ge-
ſetzlich oder durch Verordnung abgegrenzt werden.
Daß die Wahlen ohne Sicherungen verlaufen ſollen,
wollen auch wir nicht; aber ebenſo notwendig iſt
ein Schutz gegen parteiiſche Willkür.

Berichterſtatter Abg. Graf Peſtalozza (B. Vp.)
meinte, die Demokraten müßten, wenn der baye-
riſche Ausnahmezuſtand fallen ſoll, dann, da der
Reichsausnahmezuſtand bliebe und doch be-
achtet werden müſſe
(Hört! Heiterkeit!), ver-
langen, daß die Regierung ſich nicht an ihn kehre.
Wenn die Demokraten wiſſen wollen, was Herr
v. Kahr beabſichtige, ſollten ſie ihn fragen. (Ge-
lächter links. Zurufe: Ausgezeichnet! Und da ſitzen
Miniſter!).

Das Ergebnis der Abſtimmung.

war: Die Anträge Timm und Dr. Dirr-Staedele
auf Aufhebung, bezw. vorübergehende Auf-
hebung des Ausnahmezuſtandes wurden
mit 15 gegen 11, bezw. 13 Stimmen abgelehnt.

Die Anträge Dr. Dirr und Dr. Hilpert: Das
Geſamtminiſterium übernimmt die Sicherung
der Wahlfreiheit
und der verfaſſungsmäßi-
gen Rechte ſowie die Aufrechterhaltung der Ruhe
und Ordnung mit allen ſtaatlichen Mitteln. Die
Freiheit der Wahl iſt in vollem Umfang zu ſichern
— wurden einſtimmig angenommen.

Ziff. 1 des Antrages Dr. Müller wurde in fol-
gender Faſſung angenommen: Vom Tage der Aus-
ſchreibung der Neuwahlen zum Bayeriſchen Landtag
bis zur erfolgten Wahl dürfen Druckſchriften
insbeſondere Zeitungen und Flugblätter
nur verboten werden, wenn ihr Inhalt auf den ge-
waltſamen Umſturz der Verfaſſung und auf die ge-
waltſame Störung der öffentlichen Ruhe und ſtaat-
lichen Ordnung abzielt.

Ziff. 2 wurde unter Streichung der Worte: „mit
Zuſtimmung des Miniſterrates“ in folgender
Faſſung angenommen: Verbote von Zeitun-
gen und Druckſchriften
können während
dieſer Zeit nur unter Angabe der Gründe
des Verbotes verhängt werden.

Ziff. 3 wurde abgelehnt, Ziff. 4 wie folgt an-
genommen: Die Preß-, Rede- und Ver-
ſammlungsfreiheit
iſt im gleichen Zeitraum
im Rahmen von Geſetz und Verfaſſung wieder-
herzuſtellen.
Die Staatsregierung unternimmt
[Spaltenumbruch] mit allen ſtaatlichen Machtmittein den Schutz dieſer
Rechte und der Wahlfreiheit gegenüber allen ge-
waltſamen Störungen.

Einſtimmig angenommen wurde nach Zurück-
ziehung des Antrages Aenderl ein Antrag Peſta-
lozza, den Angehörigen der aufgelöſten Parteien
bei Auflöſung des Landtages die gleiche Verſamm-
lungsfreiheit wie den übrigen Parteien zu ge-
währen.

Dann trat der Ausſchuß in die Beratung der
Novelle zum Landeswahlgeſetz ein. Be-
richterſtatter Abg. Graf Peſtalozza (B. Vp.) be-
zeichnete als Kernfrage des Entwurfes die Verrin-
gerung der Zahl der Mandate, die nicht nach dem
Schema des Beamtenabbaues erfolgen könne. Eine
weit größere Erſparnis könnte erzielt werden durch
Sitzungsgelder ſtatt der Diäten, zweijährige Budget-
perioden, Begrenzung der Seſſionsdauer auf vier
oder ſechs Monate, Anderung der Geſchäftsordnung.

Mitberichterſtatter Abgeordneter Roßhaupter
(V.S.P.) warnte vor einem Ausſchluß der erwerbs-
tätigen Schichten vom Mandat, erklärte ſich gegen
die zweijährige Budgetperiode und machte im üb-
rigen die Antragsluſt der Mehrheit für die lange
Tagungsdauer verantwortlich.

Miniſter des Innern Dr. Schweyer begrün-
dete den Entwurf, der ſein Daſein dem Landtags-
beſchluß vom 20. Dezember verdankt, die Zahl der
Mandate um ein Drittel zu verringern. Die Kürze
der Zeit rechtfertigt die Unvollkommenheit der
Stammkreiseinteilung; die Amtsgerichtsbezirke könn-
ten nicht aufgeteilt werden. Eine derartige Eintei-
lung iſt erſt möglich, wenn die Mandatszahl feſt-
ſteht. Die Vorlage ſollte möglichſt wenig mit allge-
meinen Fragen belaſtet werden. Immerhin erſcheint
das Wahlalter zu niedrig gegriffen, das Land ge-
genüber der Stadt benachteiligt. Die Vorlage will
vereinfachen und ſparen. Das würde auch die Arbeit
der Regierung mindern. Im übrigen iſt die Aus-
geſtaltung des Entwurfs Sache des Landtages.
Bayern hat ſchon bisher mit ſeiner Abgeordneten-
ziffer im Vergleiche zum Reich und den Ländern
nicht ſehr hoch gegriffen.

Abg. Dr. Müller (D.D.P.) betonte, eine Än-
derung der Diätengeſetzgebung im Sinne der An-
weſenheitsgehälter ſei alsbald notwendig. Die zwei-
jährige Budgetperiode iſt verfaſſungsrechtlich nicht
möglich. Dringend notwendig iſt die zeitliche Be-
ſchränkung der Seſſionen durch Selbſtzucht. Der Ge-
ſchäftsordnungsausſchuß muß neue Wege ſuchen,
ſonſt doktert er ewig weiter. Die Verringerung der
Mandatszahl iſt ein Schlagwort, bei dem die Ab-
neigung gegen das Parlament mitſpielt. Am Be-
ſchluß des 20. Dezember iſt jedoch feſtzuhalten.
Über das Wahlalter zu ſprechen, iſt heute müßig.
Dem Wähler auf dem Lande erhöhten Wert zuzu-
geſtehen, geht bei aller Wertſchätzung nicht an. Das
ganze Syſtem der Stammkreiseinteilung ſtimmt
nicht; auch die neue Triangulierung iſt unmöglich.
Wir müſſen auch wohl wieder auf 8 oder 10 Wahl-
kreiſe hinaufgehen. Coburg bietet Schwierigkeiten
wegen der vertraglichen Abmachungen.

Abg. Dr. Held (B. Vp.) bemerkte, die Diäten-
frage müſſe ſchon wegen der Markſtabiliſierung und
der allgemeinen Not aufgerollt werden. Die Viel-
zahl der Abgeordneten erklärt ſich aus der Reichs-
ſtruktur. Über die Antragsluſt zu ſtreiten, hat keinen
Sinn; der ganze Verhandlungsbetrieb iſt einzu-
ſchränken. Eine zu große Mandatszahlverringerung
würde das Anſehen des Parlamems mindern und
die Vertretung der kleinen Gruppen erſchweren,
auch das flache Land benachteillgen. Die „Flächen-
theorie“ hat ſchon ihre Bedeutung. Zweijährige
Budgetperioden ſind nur unter einem anderen ver-
faſſungsmäßigen Syſtem möglich. Der Proporz hat
ſeine Nachteile; es ſoll aber jetzt nicht an ihm ge-
rüttelt werden. Der (Kriegs) grund für das Wahl-
alter von 20 Jahren iſt weggefallen; man ſollte die
Hinaufſetzung des Alters wenigſtens unterſuchen,
ebenſo die Bedeutung des einzelnen Wählers für
den Staat.

Fortſetzung Mittwoch vormittag 9 Uhr

Der Vorſtoß Bayerns.

Ein demokratiſcher Schritt im Verfaſſungsausſchuß.

Im Verfaſſungsausſchuß des Landtages gab am
Montag vor Eintritt in die Tagesordnung Namens
der demokratiſchen Fraktion Abg. Dr. Dirr fol-
gende Erklärung ab:

[Spaltenumbruch]

„Die bayeriſche Staatsregierung hat in einer aus-
führlichen Denkſchrift die Forderung aufgeſtellt, daß
die Reichsverfaſſung und damit die Landesverfaſſung
grundlegend geändert werden ſollen. Die Denkſchrift
wurde veröffentlicht, ohne daß der Landtag von ihr
Kenntnis bekommen hatte. Sie iſt gleichzeitig auch
dem Reichskabinett übergeben, alſo zum Gegenſtand
eines amtlichen diplomatiſchen Schrittes bei der
Reichsregierung gemacht worden. Wie verlautet,
wird ſich dieſe in Bälde mit den Forderungen und
Vorſchlägen der bayeriſchen Regierung befaſſen.
Es erſcheint bedauerlich, daß die ſchwerwiegende
politiſche Aktion, welche die Grundlagen des baye-
riſchen und deutſchen Staatslebens nach innen und
außen aufs tiefſte berührt, unternommen wurde,
ohne daß der Landtag davon rechtzeitig in Kenntnis
geſetzt wurde.
Wir müſſen verlangen, daß die Staatsregierung
in nächſter Bälde mit der Volksvertretung in eine
Ausſprache über dieſen Schritt und über den Inhalt
den Denkſchrift eintritt.“

Abg. Dr. Müller (D.D.P.) fügte bei, er halte
es für eine Selbſtverſtändlichkeit, daß dieſe Denk-
ſchrift, von der zwei Exemplare im Archiv liegen,
(Abg. Ackermann: Da bleiben ſie auch liegen!
Makulatur!) dem Verfaſſungsausſchuß zugeſtellt
wird. Es iſt beſchämend, daß, während der Ver-
faſſungsausſchuß tagt, wir von der größten ver-
faſſungspolitiſchen Aktion der Staatsregierung aus
der Preſſe erfahren müſſen, noch dazu in gekürzten
Berichten. Ich ſehe es als eine Forderung des An-
ſtandes an, daß wir dieſe Denkſchrift unverzüglich
zugeſtellt bekommen.

Die Erklärung der Demokraten diente zur
Kenntnis.

Kardinal Faulhaber zur Aufwertung der
Hypotheken.

In einer ſehr bemerkens-
werten Weiſe hat am Dreikönigstag, gelegentlich
einer Männerpredigt in St. Michael Kardinal
Faulhaber zur Frage der Hypotheken-
aufwertung
Stellung genommen.

Er bemerkte dabei, ein Rechtsſtaat habe die
Pflicht, gegen die Ausplünderung der
Hypothekengläubiger einzuſchreiten, deren viele
heute in Armut und Not gekommen ſeien, weil
ein herzloſer Hypothekenſchuldner das mit wert-
loſem Papier zurückgezahlt hat, was er mit voll-
wertigem Golde auf Treu und Glauben geliehen
erhalten hatte.

Für viele Kirchenſtiftungen bedeutet die Ent-
wertung der Hypotheken und Pfandbriefe eine
Säkulariſation von nie degeweſenem Umfange
und doch müſſe man dieſe Frage an rein ſittlich
ſozialen Maßſtäben meſſen.

Zuſammenſchluß der völkiſchen Verbände.

Die Vertreter aller rein
völkiſchen Verbände und Gruppen in Bayern ha-
ben ſich auf einer Tagung in Bamberg am 6. Ja-
nuar zu einem „Völkiſchen Block“ zuſam-
mengeſchloſſen, der demnächſt bei den Wahlen in
Erſcheinung treten wird. An General Luden-
dorff
wurde eine Begrüßung gerichtet.

Die Perſonalabbauverordnung.

des bayeriſchen Geſamtminiſteriums, die geſtern er-
ſchien, ſieht eine umfangreiche Verminderung des
Beamtenapparats in Staat und Gemeinde vor.
Maß und Zeitpunkt der Verminderung der Staats-
beamten beſtimmt das Geſamtminiſterium. Als
Grundlage dient der Haushaltplan 1923. Die frei-
werdenden Haushaltſtellen dürfen nur wieder beſetzt
werden, wenn eine andere gleichwertige Haushalt-
ſtelle derſelben Beamtenlaufbahn im Haushalt ge-
ſtrichen wird. Ausnahmen ſind nur bei zwingenden
dienſtlichen Bedürfniſſen zuläſſig.

Die Verordnung ſieht eine Einſtellungsſperre bis
zum 31. Dezember 1924 vor.
Außerdem wird eine
Beförderungsſperre bis zum 31. März 1924 ange-
ordnet. Das Ausſcheiden von unwiderruflichen Be-
amten kann auf Antrag ohne Nachweis der Dienſt-
unfähigkeit unter Bewilligung des geſetzlichen Ruhe-
gehalts freiwillig erfolgen bei Vollendung des
[Spaltenumbruch] 58. Lebensjahres. Unwiderruflichen Beamten, die
um Entlaſſung nachſuchen, kann, ſoferne ſie eine
ruhegehaltsfähige Dienſtzeit von wenigſtens 10 Jahren
zurückgelegt haben, für den Fall der ſpäteren Dienſt-
unfähigkeit oder der Vollendung des 65. Lebens-
jahres ein Ruhegehalt und für den Fall des Ablebens
Hinterbliebenenverſorgung zugeſichert werden. Un-
widerruflichen Beamten kann im Falle ihrer Ent-
laſſung ein Übergangsgeld bewilligt werden. Auch
können Zuſchüſſe zu etwaigen Umzugskoſten bewilligt
werden.

Das unfreiwillige Ausſcheiden von Beamten und
Angeſtellten erfolgt in der Regel in folgender Reihen-
folge: 1. Aushilfskräfte, 2. Angeſtellte, 3. Staats-
dienſtanwärter, 4. widerrufliche Beamte, und 5. un-
widerrufliche Beamte. Die unwiderruflichen Beamten
mit Ausnahme der Richter der ordentlichen Gerichte,
ſowie der Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofs
und des oberſten Rechnungshofes können unter Be-
willigung des geſetzlichen Wartegeldes einſtweilen in
den Ruheſtand verſetzt werden, wenn ihr Ausſcheiden
für den Beamtenabbau unumgänglich notwendig
iſt. Für die Auswahl ſind folgende Geſichtspunkte
maßgebend:

1. Sind beide Ehegatten Beamte, hat unbedingt
ein Ehegatte auszuſcheiden und zwar in der Regel
die Frau.

2. Bei den übrigen Beamten iſt der Wert der
dienſtlichen Leiſtung entſcheidend.

3. Bei gleichwertigen Leiſtungen ſind die wirt-
ſchaftlichen und Familienverhältniſſe maßgebend,
wobei ſchwerbeſchädigte, aus dem beſetzten Gebiet
ausgewieſene Beamte oder gefangen geſetzte Beamte,
ſowie Verſorgungsberechtigte in letzter Linie in den
Ruhſtand verſetzt werden.

4. Die Auswahl darf durch die politiſche, konfeſſio-
nelle oder gewerkſchaftliche Betätigung der einſtweilen
in den Ruheſtand zu verſetzenden Beamten und durch
ihre Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer
politiſchen Partei und zu einem politiſchen, konfeſſio-
nellen oder Berufsverein nicht beeinflußt werden.
Auf die Löſung des Dienſtverhältniſſes der wider-
ruflichen Beamten und Entlaſſung der Staatsdienſt-
anwärter und ſonſtigen im Vorbereitungs- und
Probedienſt ſtehenden Perſonen finden dieſe Vor-
ſchriften entſprechende Anwendung. Das Ausſcheiden
der widerruflichen verheirateten weiblichen Beamten,
Staatsdienſtanwärter und ſonſtigen verheirateten
weiblichen, im Verbereitungs- und Probedienſt ſte-
henden Perſonen hat, ſoweit es noch nicht geſchehen
iſt, zum 31. Januar 1924 zu erfolgen, ſofern ihre
wirtſchaftliche Verſorgung geſichert erſcheint.

Die Angeſtellten und Aushilfskräfte ſind ſobald als
möglich, ſpäteſtens zum 31. März 1924 zu entlaſſen,
wenn nicht zwingende dienſtliche Rückſichten der Ent-
laſſung entgegenſtehen. Anträge auf Belaſſung von
Angeſtellten und Aushilfskräften ſind mit entſprechen-
der Begründung ſpäteſtens zum 20. Januar 1924 bei
dem zuſtändigen Miniſterium zu ſtellen. Den ent-
laſſenen Angeſtellten kann ein Übergangsgeld von
mindeſtens einem Monatsgehalt gewährt werden.

Für die Gemeinden und ſonſtigen Körperſchaften
gelten im allgemeinen die entſprechenden Beſtim-
mungen. Die Notverordnung tritt ſofort in Kraft.
Den Zeitpunkt des Außerkrafttretens beſtimmt das
Geſamtminiſterium. Bei den Ausführungsbeſtim-
mungen ſind die beſonderen Verhältniſſe der Pfalz
zu berückſichtigen.

Der Wortlaut der Verordnung iſt im Geſetz- und
Verordnungsblatt Nr. 39 vom 31. Dezember 1923
veröffentlicht.

[irrelevantes Material]
[Spaltenumbruch]

Hühner aus dem Rauchſalon!“ Haushoch wälzen
ſich die Wogen. „Ein Hundebillet nach Gott-
lieben? Fünfzehn Räppli — bitte ſehr!“

Dann kommt ein Augenblick, der ſelbſt deut-
ſchen Weltfahrern, Männern von altem Kirſch
und Korn, den Atem ſtocken läßt: es gilt, die
flache Petershauſer Brücke zu unterfahren.

Lange vorher ſtand der Kapitän, mit dem Sex-
tanten in einer Fauſt, dem Fernrohr in der an-
dern; keine Wimper wich vom Kompaß und
den Nautiſchen Tabellen; aus dem Stand der Ge-
ſtirne berechnet er den Moment, wo er den
Schornſtein muß umlegen laſſen. — Eine Sekunde
zu ſpät, und die Brücke wäre beſchädigt, der
Schornſtein oben zertrümmert — ja, wer weiß?
— der Ozeanrieſe ſelbſt bliebe in Seenot ſtecken;
eine Sekunde zu früh, und die roten Plüſch-
möbel der Erſten Klaſſe ſind ein Raub des Koh-
lenrußes.

So ſpielt ſich zwiſchen ſchwerer Verantwortung
und Taifunen das Seemannsleben ab. Wie glück-
lich iſt der Kapitän, wenn er endlich, nach ſtun-
denlanger Abweſenheit, heim in den Hafen fahren
darf, in die Arme der geliebten Gattin!

Wie ſchnell kann man leſen?

Beim Leſen, das uns ſo einfach erſcheint, voll-
ziehen wir eine Fülle verwickelter körperlicher
und geiſtiger Vorgänge, die erſt in den letzten
Jahren durch zahlreiche Forſchungen aufgehellt
worden ſind. Beſonders muß die ungeheure
Geſchwindigkeit auffallen, mit der ein geübter
Leſer Zeile auf Zeile überfliegt. In einer Mi-
nute werden bequem 500, ja ſogar 800 Wörter
oder 60 Zeilen mittlerer Länge geleſen. Dabei
kommt auf den einzelnen Buchſtaben bei dem ſehr
ſchnellen Leſen nur die winzige Zeit von 0,02
[Spaltenumbruch] Sekunden. Natürlich reicht ein ſo kleines Zeit-
teilchen nicht aus, um die Form des Buchſtabens
genau zu erkennen. Es handelt ſich mehr um ein
Erraten nach gewiſſen einfachen Merkmalen. Um
ſo Zeile um Zeile zu überfliegen, muß aber ein
Ueberfluß von Sehſchärfe vorhanden ſein. Wenn
wir, wie gewöhnlich, in der Entfernung von ein
Drittel Meter leſen, müſſen wir eine Sehſchärfe
haben, die die nämliche Schrift auch noch auf ein
Meter Entfernung leſen könnte. Wir dürfen von
unſerer Sehſchärfe nicht mehr als den dritten Teil
verbrauchen, um beim ſchnellen Leſen nicht zu
ſehr zu ermüden. Unſere Geſichtslinie bewegt
ſich bei ſchnellem Leſen nicht in gleichmäßiger
Geſchwindigkeit über die Zeile hin, ſondern die
Augen bewegen ſich in ruckweiſen Stößen, mit
denen Ruhepauſen abwechſeln. Dabei iſt die Zeit
der Ruhepauſen größer, als die der Stoßbewe-
gungen, und zwar um ſo größer, je langſamer
man lieſt.

Die ſprunghaften Bewegungen des Auges, die
dem Fortrücken des Sekundenzeigers bei der Uhr
vergleichbar ſind, werden ſehr raſch ausgeführt;
die einzelne Augenbewegung nimmt eine Zeit-
dauer von noch nicht einer Fünfzigſtelſekunde in
Auſpruch. Bei aufgeregtem Leſen werden dieſe
Augenbewegungen durch Wendungen des Kopfes
erſetzt, wobei nicht nur das Auge, ſondern der
ganze Kopf dem Blick folgt. Gewöhnlich aber bie-
tet der in ſein Buch vertiefte Leſer das Bild voll-
kommener Ruhe. Das iſt aber nur ſcheinbar, denn
der Muskelapparat der Augen iſt in heftiger Tä-
tigkeit begriffen. Der Blick ſtürzt ſich auf die
Anfangsbuchſtaben der Zeile, ſo ſchildert Pro-
feſſor Laquer den Leſevorgang, packt mit feſtem
Griff einen Komplex der benachbarten, undeutlich
geſehenen Buchſtaben, führt blitzſchnell in einem
Bogen von etwa 5 Grad die Geſichtlinie nach
rechts, um dieſe Buchſtabengruppe zentral zu
ſehen, ruht ein Fünftel bis ein Viertel Sekunden
aus, ſpringt auf den nächſten rechtsſtehenden
Komplex und wiederholt dieſes Spiel je nach der
Zeilenlänge vier- bis ſechsmal, bis er in die Nähe
des Zeilenendes gekommen iſt. Dann macht er
[Spaltenumbruch] plötzlich kehrt, um an den Anfang der nächſten
Zeile zu fliegen, und wiederholt dieſes Manöver
ſtundenlang Seite für Seite. Dabei werden nicht
nur einzelne Buchſtaben und Worte, ſondern ſo-
gar mehrere Worte und kurze Sätze zu einer
Einheit zuſammengefaßt und auf einmal geleſen.
Man hat berechnet, daß in einer Zeit von einer
Hundertſtelſekunde mehrere Wörter zugleich er-
faßt, ſo ſogar in einer Fünfhundertſtelſekunde ein
ſiebenbuchſtabiges Wort richtig geleſen wird.

Vom Opernglas.

Welche Bedeutung das Periſkop, das Scheren-
fernrohr, im Gelände oder beim Unterſeeboot im
verfloſſenen Weltkrieg erhalten hat, iſt allgemein
bekannt. Aber neu iſt dieſer Gebrauch des
Fernrohres nicht. Schon während des Dreißig-
jährigen Krieges erfand der Aſtronom Hevelius
(Hewelke) aus Danzig (1611 bis 1687) ein In-
ſtrument, dem er den Namen Polemoſkop gab,
alſo eigentlich „Feinſchauer“, das ſpäter auch
„Wallgucker“ genannt wurde. Im Prinzip war
die Konſtruktion die gleiche wie heutzutage, eine
Röhre, an der oben und unten ein Spiegel ein-
gebaut wurde. Wenn man dieſes Rohr über die
Höhe einer Mauer oder Brüſtung uſw. hob, war
es möglich, an der unteren Seite im Spiegel
alles das zu ſehen, was auf dem Vorfelde ſich ab-
ſpielte. Moderne Optik fehlte natürlich bei je-
nem Inſtrument völlig. Ob dieſer 1637 erfun-
dene „Wallgucker“ jemals praktiſche Bedeutung
erhalten hat, entzieht ſich unſerer Kenntnis. Im-
merhin wurde 1755 dieſe Erfindung von dem
Mathematiker Keſtner wieder aufgegriffen und
in verjüngtem Maßſtabe als „Opergucker“ kon-
ſtruiert. Das Inſtrument war in entſprechend
kleinen Dimenſionen gehalten, ſo daß es in der
Hand Platz fand. Der Benützer dieſes Guckers
konnte von ſeinem Sitz aus damit das ganze The-
ater — wir dürfen natürlich nicht an Theater von
unſerer heutigen Ausdehnung denken — über-
blicken und ſich damit unauffällig in allen Rängen
umſehen. Durch langſame Drehung des Rohres
[Spaltenumbruch] konnte man mit Hilfe der Spiegel ſeine Blicke
nach unten, oben und nach den Seiten richten,
ohne die Kopfhaltung verändern zu müſſen. Auch
dieſes Inſtrument war natürlich ſehr primitiv
und ſeine Verbreitung war nie allgemein. Der
Name Operngucker übertrug ſich in der Folge auf
unſer modernes Opernglas, deſſen Entſtehung
aber aus den andern Grundlagen hervorging. Es
wurde durch die Vereinigung zweier gleichen
Galileiſchen Fernrohre gebildet. Verſuche, das
Fernrohr von einem Monokular zu einem Bino-
kular abzuändern, ſo daß beim Gebrauch jedes
Auge durch ein Fernrohr ſieht, wurden ſeit ſeiner
Erfindung um 1600 unternommen. Ein brauch-
bares Inſtrument wurde jedoch erſt 1823 als
„Doppel-Theater-Perſpektive“ hergeſtellt. Aus
dieſem entſtand unſer Opernglas, der Feldſtecher
und das moderne Prismenglas.

Kleine Nachrichten.

Mittwoch, 9. Januar in der Tonhalle Violin-
Abend Eliſabeth Biſchoff. Locatelli: So-
nate; Joachim: Variationen; Wieniawski: Kon-
zert. Stücke von Tartini, Francocur., Kreisler
Am Klavier: Prof. Heinrich Schwartz. Karten
bei Bauer.

Münchener Volksbühne.

Heute, Dienstag, den
8. Januar 1924, abends 8 Uhr, findet in der
Tonhalle für die Inhaber der Nummern 7901
bis 8800 und Nummer 18901 bis 20300 ein Or-
cheſterkonzert ſtatt unter Leitung von Dr. Ru-
dolf Siegel (Krefeld). Programm: Brahm’s
III. Symphonie und Beethovens VII. Symphonie.

Am Samstag, den 12. Januar 1924, abends
8 Uhr, im Odeon für die Inhaber der Nummern
9101 bis 9900 und 18201 bis 18900 ein Soliſten-
Abend von Frau Hedwig Gluth (Sopran),
Fräulein Eliſabeth Biſchoff (Violine), am
Flügel Dr. Hermann Nüßle, ſtatt.

Für dieſe Veranſtaltungen ſind Eintrittskarten,
für Mitglieder, deren Nummern nicht treffen, in
unſerer Geſchaftsſtelle, Weinſtraße 18, par-
tere, zu haben.

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[3/0003] Dienstag, den 8. Januar 1924. Allgemeine Zeitung. Nr. 7. Bayeriſcher Landtag. Wahlen unter Ausnahmezuſtand. — Das Landeswahlgeſetz. München, 8. Jan. Im Verfaſſungsausſchuß iſt heute die Entſcheidung über die Anträge der Parteien zur Sicherung der Wahlfreiheit gefallen. Der Abſtim- mung gingen noch kurze Erklärungen des Abg. Aenderl (K.P.D.) u. des Abg. Engelsber- ger (B. Bbd.) voraus. Erſterer begründete ſeinen Antrag, den aufgelöſten Parteien bei Auflöſung des Landtages volle Verſammlungsfreiheit zu gewähren und die entgegenſtehenden Anordnungen des Ge- neralſtaatskommiſſars aufzuheben. Der Bauern- bundsredner trat für vorübergehende Aufhebung des Ausnahmezuſtandes ein, falls das nicht geſchehe, für den Antrag Dirr. Miniſter des Innern Dr. Schwyer wieder- holte ſeine Bereitwilligkeit, den Ausnahmezuſtand zu „mildern“ und die Behörden entſprechend anzu- weiſen. Abg. Endres (V.S.P.D.) ſtellte eine miniſterielle Äußerung dahin richtig, daß nur die Gemeindewahlen 1919 unter ſeiner Miniſterſchaft abgehalten wurden, die Landtagswahlen 1920 da- gegen unter Kahr. Die Sozialdemokratie kann zu dieſer Regierung kein Vertrauen haben; ſie iſt über- zeugt, daß der Ausnahmezuſtand bei den Wahlen einſeitig gegen ſie gerichtet ſein wird. Im Schlußwort bemerkte Abg. Dr. Müller (D.D.P.), die Verhältniſſe ſeien 1919 tatſächlich freier geweſen als heute. Im übrigen verwies er auf die Konſequenzen, die ſich aus einer ſchranken- loſen Handhabung der Polizeihoheit und des Aus- nahmezuſtandes durch die Länder für den Reichs- zuſtand ergeben müſſen. Wenn der Ausnahme- zuſtand, der anſcheinend dauernd bleiben ſoll, nicht aufgehoben wird, bleiben die Anträge beſtenfalls Papier. Es kommt ja ſchließlich alles auf die Aus- führung an. Die Einſchaltung des Generalſtaats- kommiſſars macht die Verſprechungen der Regierung wertlos, mindeſtens müßte deſſen Wirkſamkeit ge- ſetzlich oder durch Verordnung abgegrenzt werden. Daß die Wahlen ohne Sicherungen verlaufen ſollen, wollen auch wir nicht; aber ebenſo notwendig iſt ein Schutz gegen parteiiſche Willkür. Berichterſtatter Abg. Graf Peſtalozza (B. Vp.) meinte, die Demokraten müßten, wenn der baye- riſche Ausnahmezuſtand fallen ſoll, dann, da der Reichsausnahmezuſtand bliebe und doch be- achtet werden müſſe (Hört! Heiterkeit!), ver- langen, daß die Regierung ſich nicht an ihn kehre. Wenn die Demokraten wiſſen wollen, was Herr v. Kahr beabſichtige, ſollten ſie ihn fragen. (Ge- lächter links. Zurufe: Ausgezeichnet! Und da ſitzen Miniſter!). Das Ergebnis der Abſtimmung. war: Die Anträge Timm und Dr. Dirr-Staedele auf Aufhebung, bezw. vorübergehende Auf- hebung des Ausnahmezuſtandes wurden mit 15 gegen 11, bezw. 13 Stimmen abgelehnt. Die Anträge Dr. Dirr und Dr. Hilpert: Das Geſamtminiſterium übernimmt die Sicherung der Wahlfreiheit und der verfaſſungsmäßi- gen Rechte ſowie die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung mit allen ſtaatlichen Mitteln. Die Freiheit der Wahl iſt in vollem Umfang zu ſichern — wurden einſtimmig angenommen. Ziff. 1 des Antrages Dr. Müller wurde in fol- gender Faſſung angenommen: Vom Tage der Aus- ſchreibung der Neuwahlen zum Bayeriſchen Landtag bis zur erfolgten Wahl dürfen Druckſchriften insbeſondere Zeitungen und Flugblätter nur verboten werden, wenn ihr Inhalt auf den ge- waltſamen Umſturz der Verfaſſung und auf die ge- waltſame Störung der öffentlichen Ruhe und ſtaat- lichen Ordnung abzielt. Ziff. 2 wurde unter Streichung der Worte: „mit Zuſtimmung des Miniſterrates“ in folgender Faſſung angenommen: Verbote von Zeitun- gen und Druckſchriften können während dieſer Zeit nur unter Angabe der Gründe des Verbotes verhängt werden. Ziff. 3 wurde abgelehnt, Ziff. 4 wie folgt an- genommen: Die Preß-, Rede- und Ver- ſammlungsfreiheit iſt im gleichen Zeitraum im Rahmen von Geſetz und Verfaſſung wieder- herzuſtellen. Die Staatsregierung unternimmt mit allen ſtaatlichen Machtmittein den Schutz dieſer Rechte und der Wahlfreiheit gegenüber allen ge- waltſamen Störungen. Einſtimmig angenommen wurde nach Zurück- ziehung des Antrages Aenderl ein Antrag Peſta- lozza, den Angehörigen der aufgelöſten Parteien bei Auflöſung des Landtages die gleiche Verſamm- lungsfreiheit wie den übrigen Parteien zu ge- währen. Dann trat der Ausſchuß in die Beratung der Novelle zum Landeswahlgeſetz ein. Be- richterſtatter Abg. Graf Peſtalozza (B. Vp.) be- zeichnete als Kernfrage des Entwurfes die Verrin- gerung der Zahl der Mandate, die nicht nach dem Schema des Beamtenabbaues erfolgen könne. Eine weit größere Erſparnis könnte erzielt werden durch Sitzungsgelder ſtatt der Diäten, zweijährige Budget- perioden, Begrenzung der Seſſionsdauer auf vier oder ſechs Monate, Anderung der Geſchäftsordnung. Mitberichterſtatter Abgeordneter Roßhaupter (V.S.P.) warnte vor einem Ausſchluß der erwerbs- tätigen Schichten vom Mandat, erklärte ſich gegen die zweijährige Budgetperiode und machte im üb- rigen die Antragsluſt der Mehrheit für die lange Tagungsdauer verantwortlich. Miniſter des Innern Dr. Schweyer begrün- dete den Entwurf, der ſein Daſein dem Landtags- beſchluß vom 20. Dezember verdankt, die Zahl der Mandate um ein Drittel zu verringern. Die Kürze der Zeit rechtfertigt die Unvollkommenheit der Stammkreiseinteilung; die Amtsgerichtsbezirke könn- ten nicht aufgeteilt werden. Eine derartige Eintei- lung iſt erſt möglich, wenn die Mandatszahl feſt- ſteht. Die Vorlage ſollte möglichſt wenig mit allge- meinen Fragen belaſtet werden. Immerhin erſcheint das Wahlalter zu niedrig gegriffen, das Land ge- genüber der Stadt benachteiligt. Die Vorlage will vereinfachen und ſparen. Das würde auch die Arbeit der Regierung mindern. Im übrigen iſt die Aus- geſtaltung des Entwurfs Sache des Landtages. Bayern hat ſchon bisher mit ſeiner Abgeordneten- ziffer im Vergleiche zum Reich und den Ländern nicht ſehr hoch gegriffen. Abg. Dr. Müller (D.D.P.) betonte, eine Än- derung der Diätengeſetzgebung im Sinne der An- weſenheitsgehälter ſei alsbald notwendig. Die zwei- jährige Budgetperiode iſt verfaſſungsrechtlich nicht möglich. Dringend notwendig iſt die zeitliche Be- ſchränkung der Seſſionen durch Selbſtzucht. Der Ge- ſchäftsordnungsausſchuß muß neue Wege ſuchen, ſonſt doktert er ewig weiter. Die Verringerung der Mandatszahl iſt ein Schlagwort, bei dem die Ab- neigung gegen das Parlament mitſpielt. Am Be- ſchluß des 20. Dezember iſt jedoch feſtzuhalten. Über das Wahlalter zu ſprechen, iſt heute müßig. Dem Wähler auf dem Lande erhöhten Wert zuzu- geſtehen, geht bei aller Wertſchätzung nicht an. Das ganze Syſtem der Stammkreiseinteilung ſtimmt nicht; auch die neue Triangulierung iſt unmöglich. Wir müſſen auch wohl wieder auf 8 oder 10 Wahl- kreiſe hinaufgehen. Coburg bietet Schwierigkeiten wegen der vertraglichen Abmachungen. Abg. Dr. Held (B. Vp.) bemerkte, die Diäten- frage müſſe ſchon wegen der Markſtabiliſierung und der allgemeinen Not aufgerollt werden. Die Viel- zahl der Abgeordneten erklärt ſich aus der Reichs- ſtruktur. Über die Antragsluſt zu ſtreiten, hat keinen Sinn; der ganze Verhandlungsbetrieb iſt einzu- ſchränken. Eine zu große Mandatszahlverringerung würde das Anſehen des Parlamems mindern und die Vertretung der kleinen Gruppen erſchweren, auch das flache Land benachteillgen. Die „Flächen- theorie“ hat ſchon ihre Bedeutung. Zweijährige Budgetperioden ſind nur unter einem anderen ver- faſſungsmäßigen Syſtem möglich. Der Proporz hat ſeine Nachteile; es ſoll aber jetzt nicht an ihm ge- rüttelt werden. Der (Kriegs) grund für das Wahl- alter von 20 Jahren iſt weggefallen; man ſollte die Hinaufſetzung des Alters wenigſtens unterſuchen, ebenſo die Bedeutung des einzelnen Wählers für den Staat. Fortſetzung Mittwoch vormittag 9 Uhr Der Vorſtoß Bayerns. Ein demokratiſcher Schritt im Verfaſſungsausſchuß. Im Verfaſſungsausſchuß des Landtages gab am Montag vor Eintritt in die Tagesordnung Namens der demokratiſchen Fraktion Abg. Dr. Dirr fol- gende Erklärung ab: „Die bayeriſche Staatsregierung hat in einer aus- führlichen Denkſchrift die Forderung aufgeſtellt, daß die Reichsverfaſſung und damit die Landesverfaſſung grundlegend geändert werden ſollen. Die Denkſchrift wurde veröffentlicht, ohne daß der Landtag von ihr Kenntnis bekommen hatte. Sie iſt gleichzeitig auch dem Reichskabinett übergeben, alſo zum Gegenſtand eines amtlichen diplomatiſchen Schrittes bei der Reichsregierung gemacht worden. Wie verlautet, wird ſich dieſe in Bälde mit den Forderungen und Vorſchlägen der bayeriſchen Regierung befaſſen. Es erſcheint bedauerlich, daß die ſchwerwiegende politiſche Aktion, welche die Grundlagen des baye- riſchen und deutſchen Staatslebens nach innen und außen aufs tiefſte berührt, unternommen wurde, ohne daß der Landtag davon rechtzeitig in Kenntnis geſetzt wurde. Wir müſſen verlangen, daß die Staatsregierung in nächſter Bälde mit der Volksvertretung in eine Ausſprache über dieſen Schritt und über den Inhalt den Denkſchrift eintritt.“ Abg. Dr. Müller (D.D.P.) fügte bei, er halte es für eine Selbſtverſtändlichkeit, daß dieſe Denk- ſchrift, von der zwei Exemplare im Archiv liegen, (Abg. Ackermann: Da bleiben ſie auch liegen! Makulatur!) dem Verfaſſungsausſchuß zugeſtellt wird. Es iſt beſchämend, daß, während der Ver- faſſungsausſchuß tagt, wir von der größten ver- faſſungspolitiſchen Aktion der Staatsregierung aus der Preſſe erfahren müſſen, noch dazu in gekürzten Berichten. Ich ſehe es als eine Forderung des An- ſtandes an, daß wir dieſe Denkſchrift unverzüglich zugeſtellt bekommen. Die Erklärung der Demokraten diente zur Kenntnis. Kardinal Faulhaber zur Aufwertung der Hypotheken. München, 7. Januar. In einer ſehr bemerkens- werten Weiſe hat am Dreikönigstag, gelegentlich einer Männerpredigt in St. Michael Kardinal Faulhaber zur Frage der Hypotheken- aufwertung Stellung genommen. Er bemerkte dabei, ein Rechtsſtaat habe die Pflicht, gegen die Ausplünderung der Hypothekengläubiger einzuſchreiten, deren viele heute in Armut und Not gekommen ſeien, weil ein herzloſer Hypothekenſchuldner das mit wert- loſem Papier zurückgezahlt hat, was er mit voll- wertigem Golde auf Treu und Glauben geliehen erhalten hatte. Für viele Kirchenſtiftungen bedeutet die Ent- wertung der Hypotheken und Pfandbriefe eine Säkulariſation von nie degeweſenem Umfange und doch müſſe man dieſe Frage an rein ſittlich ſozialen Maßſtäben meſſen. Zuſammenſchluß der völkiſchen Verbände. München, 7. Januar. Die Vertreter aller rein völkiſchen Verbände und Gruppen in Bayern ha- ben ſich auf einer Tagung in Bamberg am 6. Ja- nuar zu einem „Völkiſchen Block“ zuſam- mengeſchloſſen, der demnächſt bei den Wahlen in Erſcheinung treten wird. An General Luden- dorff wurde eine Begrüßung gerichtet. Die Perſonalabbauverordnung. des bayeriſchen Geſamtminiſteriums, die geſtern er- ſchien, ſieht eine umfangreiche Verminderung des Beamtenapparats in Staat und Gemeinde vor. Maß und Zeitpunkt der Verminderung der Staats- beamten beſtimmt das Geſamtminiſterium. Als Grundlage dient der Haushaltplan 1923. Die frei- werdenden Haushaltſtellen dürfen nur wieder beſetzt werden, wenn eine andere gleichwertige Haushalt- ſtelle derſelben Beamtenlaufbahn im Haushalt ge- ſtrichen wird. Ausnahmen ſind nur bei zwingenden dienſtlichen Bedürfniſſen zuläſſig. Die Verordnung ſieht eine Einſtellungsſperre bis zum 31. Dezember 1924 vor. Außerdem wird eine Beförderungsſperre bis zum 31. März 1924 ange- ordnet. Das Ausſcheiden von unwiderruflichen Be- amten kann auf Antrag ohne Nachweis der Dienſt- unfähigkeit unter Bewilligung des geſetzlichen Ruhe- gehalts freiwillig erfolgen bei Vollendung des 58. Lebensjahres. Unwiderruflichen Beamten, die um Entlaſſung nachſuchen, kann, ſoferne ſie eine ruhegehaltsfähige Dienſtzeit von wenigſtens 10 Jahren zurückgelegt haben, für den Fall der ſpäteren Dienſt- unfähigkeit oder der Vollendung des 65. Lebens- jahres ein Ruhegehalt und für den Fall des Ablebens Hinterbliebenenverſorgung zugeſichert werden. Un- widerruflichen Beamten kann im Falle ihrer Ent- laſſung ein Übergangsgeld bewilligt werden. Auch können Zuſchüſſe zu etwaigen Umzugskoſten bewilligt werden. Das unfreiwillige Ausſcheiden von Beamten und Angeſtellten erfolgt in der Regel in folgender Reihen- folge: 1. Aushilfskräfte, 2. Angeſtellte, 3. Staats- dienſtanwärter, 4. widerrufliche Beamte, und 5. un- widerrufliche Beamte. Die unwiderruflichen Beamten mit Ausnahme der Richter der ordentlichen Gerichte, ſowie der Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofs und des oberſten Rechnungshofes können unter Be- willigung des geſetzlichen Wartegeldes einſtweilen in den Ruheſtand verſetzt werden, wenn ihr Ausſcheiden für den Beamtenabbau unumgänglich notwendig iſt. Für die Auswahl ſind folgende Geſichtspunkte maßgebend: 1. Sind beide Ehegatten Beamte, hat unbedingt ein Ehegatte auszuſcheiden und zwar in der Regel die Frau. 2. Bei den übrigen Beamten iſt der Wert der dienſtlichen Leiſtung entſcheidend. 3. Bei gleichwertigen Leiſtungen ſind die wirt- ſchaftlichen und Familienverhältniſſe maßgebend, wobei ſchwerbeſchädigte, aus dem beſetzten Gebiet ausgewieſene Beamte oder gefangen geſetzte Beamte, ſowie Verſorgungsberechtigte in letzter Linie in den Ruhſtand verſetzt werden. 4. Die Auswahl darf durch die politiſche, konfeſſio- nelle oder gewerkſchaftliche Betätigung der einſtweilen in den Ruheſtand zu verſetzenden Beamten und durch ihre Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer politiſchen Partei und zu einem politiſchen, konfeſſio- nellen oder Berufsverein nicht beeinflußt werden. Auf die Löſung des Dienſtverhältniſſes der wider- ruflichen Beamten und Entlaſſung der Staatsdienſt- anwärter und ſonſtigen im Vorbereitungs- und Probedienſt ſtehenden Perſonen finden dieſe Vor- ſchriften entſprechende Anwendung. Das Ausſcheiden der widerruflichen verheirateten weiblichen Beamten, Staatsdienſtanwärter und ſonſtigen verheirateten weiblichen, im Verbereitungs- und Probedienſt ſte- henden Perſonen hat, ſoweit es noch nicht geſchehen iſt, zum 31. Januar 1924 zu erfolgen, ſofern ihre wirtſchaftliche Verſorgung geſichert erſcheint. Die Angeſtellten und Aushilfskräfte ſind ſobald als möglich, ſpäteſtens zum 31. März 1924 zu entlaſſen, wenn nicht zwingende dienſtliche Rückſichten der Ent- laſſung entgegenſtehen. Anträge auf Belaſſung von Angeſtellten und Aushilfskräften ſind mit entſprechen- der Begründung ſpäteſtens zum 20. Januar 1924 bei dem zuſtändigen Miniſterium zu ſtellen. Den ent- laſſenen Angeſtellten kann ein Übergangsgeld von mindeſtens einem Monatsgehalt gewährt werden. Für die Gemeinden und ſonſtigen Körperſchaften gelten im allgemeinen die entſprechenden Beſtim- mungen. Die Notverordnung tritt ſofort in Kraft. Den Zeitpunkt des Außerkrafttretens beſtimmt das Geſamtminiſterium. Bei den Ausführungsbeſtim- mungen ſind die beſonderen Verhältniſſe der Pfalz zu berückſichtigen. Der Wortlaut der Verordnung iſt im Geſetz- und Verordnungsblatt Nr. 39 vom 31. Dezember 1923 veröffentlicht. _ Hühner aus dem Rauchſalon!“ Haushoch wälzen ſich die Wogen. „Ein Hundebillet nach Gott- lieben? Fünfzehn Räppli — bitte ſehr!“ Dann kommt ein Augenblick, der ſelbſt deut- ſchen Weltfahrern, Männern von altem Kirſch und Korn, den Atem ſtocken läßt: es gilt, die flache Petershauſer Brücke zu unterfahren. Lange vorher ſtand der Kapitän, mit dem Sex- tanten in einer Fauſt, dem Fernrohr in der an- dern; keine Wimper wich vom Kompaß und den Nautiſchen Tabellen; aus dem Stand der Ge- ſtirne berechnet er den Moment, wo er den Schornſtein muß umlegen laſſen. — Eine Sekunde zu ſpät, und die Brücke wäre beſchädigt, der Schornſtein oben zertrümmert — ja, wer weiß? — der Ozeanrieſe ſelbſt bliebe in Seenot ſtecken; eine Sekunde zu früh, und die roten Plüſch- möbel der Erſten Klaſſe ſind ein Raub des Koh- lenrußes. So ſpielt ſich zwiſchen ſchwerer Verantwortung und Taifunen das Seemannsleben ab. Wie glück- lich iſt der Kapitän, wenn er endlich, nach ſtun- denlanger Abweſenheit, heim in den Hafen fahren darf, in die Arme der geliebten Gattin! Roda Roda. Wie ſchnell kann man leſen? Beim Leſen, das uns ſo einfach erſcheint, voll- ziehen wir eine Fülle verwickelter körperlicher und geiſtiger Vorgänge, die erſt in den letzten Jahren durch zahlreiche Forſchungen aufgehellt worden ſind. Beſonders muß die ungeheure Geſchwindigkeit auffallen, mit der ein geübter Leſer Zeile auf Zeile überfliegt. In einer Mi- nute werden bequem 500, ja ſogar 800 Wörter oder 60 Zeilen mittlerer Länge geleſen. Dabei kommt auf den einzelnen Buchſtaben bei dem ſehr ſchnellen Leſen nur die winzige Zeit von 0,02 Sekunden. Natürlich reicht ein ſo kleines Zeit- teilchen nicht aus, um die Form des Buchſtabens genau zu erkennen. Es handelt ſich mehr um ein Erraten nach gewiſſen einfachen Merkmalen. Um ſo Zeile um Zeile zu überfliegen, muß aber ein Ueberfluß von Sehſchärfe vorhanden ſein. Wenn wir, wie gewöhnlich, in der Entfernung von ein Drittel Meter leſen, müſſen wir eine Sehſchärfe haben, die die nämliche Schrift auch noch auf ein Meter Entfernung leſen könnte. Wir dürfen von unſerer Sehſchärfe nicht mehr als den dritten Teil verbrauchen, um beim ſchnellen Leſen nicht zu ſehr zu ermüden. Unſere Geſichtslinie bewegt ſich bei ſchnellem Leſen nicht in gleichmäßiger Geſchwindigkeit über die Zeile hin, ſondern die Augen bewegen ſich in ruckweiſen Stößen, mit denen Ruhepauſen abwechſeln. Dabei iſt die Zeit der Ruhepauſen größer, als die der Stoßbewe- gungen, und zwar um ſo größer, je langſamer man lieſt. Die ſprunghaften Bewegungen des Auges, die dem Fortrücken des Sekundenzeigers bei der Uhr vergleichbar ſind, werden ſehr raſch ausgeführt; die einzelne Augenbewegung nimmt eine Zeit- dauer von noch nicht einer Fünfzigſtelſekunde in Auſpruch. Bei aufgeregtem Leſen werden dieſe Augenbewegungen durch Wendungen des Kopfes erſetzt, wobei nicht nur das Auge, ſondern der ganze Kopf dem Blick folgt. Gewöhnlich aber bie- tet der in ſein Buch vertiefte Leſer das Bild voll- kommener Ruhe. Das iſt aber nur ſcheinbar, denn der Muskelapparat der Augen iſt in heftiger Tä- tigkeit begriffen. Der Blick ſtürzt ſich auf die Anfangsbuchſtaben der Zeile, ſo ſchildert Pro- feſſor Laquer den Leſevorgang, packt mit feſtem Griff einen Komplex der benachbarten, undeutlich geſehenen Buchſtaben, führt blitzſchnell in einem Bogen von etwa 5 Grad die Geſichtlinie nach rechts, um dieſe Buchſtabengruppe zentral zu ſehen, ruht ein Fünftel bis ein Viertel Sekunden aus, ſpringt auf den nächſten rechtsſtehenden Komplex und wiederholt dieſes Spiel je nach der Zeilenlänge vier- bis ſechsmal, bis er in die Nähe des Zeilenendes gekommen iſt. Dann macht er plötzlich kehrt, um an den Anfang der nächſten Zeile zu fliegen, und wiederholt dieſes Manöver ſtundenlang Seite für Seite. Dabei werden nicht nur einzelne Buchſtaben und Worte, ſondern ſo- gar mehrere Worte und kurze Sätze zu einer Einheit zuſammengefaßt und auf einmal geleſen. Man hat berechnet, daß in einer Zeit von einer Hundertſtelſekunde mehrere Wörter zugleich er- faßt, ſo ſogar in einer Fünfhundertſtelſekunde ein ſiebenbuchſtabiges Wort richtig geleſen wird. Vom Opernglas. Welche Bedeutung das Periſkop, das Scheren- fernrohr, im Gelände oder beim Unterſeeboot im verfloſſenen Weltkrieg erhalten hat, iſt allgemein bekannt. Aber neu iſt dieſer Gebrauch des Fernrohres nicht. Schon während des Dreißig- jährigen Krieges erfand der Aſtronom Hevelius (Hewelke) aus Danzig (1611 bis 1687) ein In- ſtrument, dem er den Namen Polemoſkop gab, alſo eigentlich „Feinſchauer“, das ſpäter auch „Wallgucker“ genannt wurde. Im Prinzip war die Konſtruktion die gleiche wie heutzutage, eine Röhre, an der oben und unten ein Spiegel ein- gebaut wurde. Wenn man dieſes Rohr über die Höhe einer Mauer oder Brüſtung uſw. hob, war es möglich, an der unteren Seite im Spiegel alles das zu ſehen, was auf dem Vorfelde ſich ab- ſpielte. Moderne Optik fehlte natürlich bei je- nem Inſtrument völlig. Ob dieſer 1637 erfun- dene „Wallgucker“ jemals praktiſche Bedeutung erhalten hat, entzieht ſich unſerer Kenntnis. Im- merhin wurde 1755 dieſe Erfindung von dem Mathematiker Keſtner wieder aufgegriffen und in verjüngtem Maßſtabe als „Opergucker“ kon- ſtruiert. Das Inſtrument war in entſprechend kleinen Dimenſionen gehalten, ſo daß es in der Hand Platz fand. Der Benützer dieſes Guckers konnte von ſeinem Sitz aus damit das ganze The- ater — wir dürfen natürlich nicht an Theater von unſerer heutigen Ausdehnung denken — über- blicken und ſich damit unauffällig in allen Rängen umſehen. Durch langſame Drehung des Rohres konnte man mit Hilfe der Spiegel ſeine Blicke nach unten, oben und nach den Seiten richten, ohne die Kopfhaltung verändern zu müſſen. Auch dieſes Inſtrument war natürlich ſehr primitiv und ſeine Verbreitung war nie allgemein. Der Name Operngucker übertrug ſich in der Folge auf unſer modernes Opernglas, deſſen Entſtehung aber aus den andern Grundlagen hervorging. Es wurde durch die Vereinigung zweier gleichen Galileiſchen Fernrohre gebildet. Verſuche, das Fernrohr von einem Monokular zu einem Bino- kular abzuändern, ſo daß beim Gebrauch jedes Auge durch ein Fernrohr ſieht, wurden ſeit ſeiner Erfindung um 1600 unternommen. Ein brauch- bares Inſtrument wurde jedoch erſt 1823 als „Doppel-Theater-Perſpektive“ hergeſtellt. Aus dieſem entſtand unſer Opernglas, der Feldſtecher und das moderne Prismenglas. Kleine Nachrichten. Mittwoch, 9. Januar in der Tonhalle Violin- Abend Eliſabeth Biſchoff. Locatelli: So- nate; Joachim: Variationen; Wieniawski: Kon- zert. Stücke von Tartini, Francocur., Kreisler Am Klavier: Prof. Heinrich Schwartz. Karten bei Bauer. Münchener Volksbühne. Heute, Dienstag, den 8. Januar 1924, abends 8 Uhr, findet in der Tonhalle für die Inhaber der Nummern 7901 bis 8800 und Nummer 18901 bis 20300 ein Or- cheſterkonzert ſtatt unter Leitung von Dr. Ru- dolf Siegel (Krefeld). Programm: Brahm’s III. Symphonie und Beethovens VII. Symphonie. Am Samstag, den 12. Januar 1924, abends 8 Uhr, im Odeon für die Inhaber der Nummern 9101 bis 9900 und 18201 bis 18900 ein Soliſten- Abend von Frau Hedwig Gluth (Sopran), Fräulein Eliſabeth Biſchoff (Violine), am Flügel Dr. Hermann Nüßle, ſtatt. Für dieſe Veranſtaltungen ſind Eintrittskarten, für Mitglieder, deren Nummern nicht treffen, in unſerer Geſchaftsſtelle, Weinſtraße 18, par- tere, zu haben.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2021-09-13T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 7. München, 8. Januar 1924, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine07_1924/3>, abgerufen am 23.11.2024.