Allgemeine Zeitung, Nr. 4, 4. Januar 1872.[Spaltenumbruch]
In den Köpfen welche den Beruf Frankreichs in solcher Weise charakterisiren, Ein Mißerfolg aber von so eclatanter Art wie der letzte kann nicht auf Diese neuentdeckte Theorie verdient daß man sich in Deutschland etwas ge- Obenan steht der Satz: "l'Allemagne fait des invasions, tandis que Da ein Mitglied des Instituts dieß behauptet, so wird man, mit dem gan- Das Exordium ist nicht übel aufgestellt, denn mit dieser Prämisse kommt Einmal jedoch hat auch Frankreich -- leider! -- der politique d'envahisse- Wohin man mit solcher Schilderung der öffentlichen Zustände und Gesin- Wenn man diese Diatribe nicht gedruckt vor sich sähe, würde man nicht Wir werden jedoch in dem dritten Abschnitt dieser absonderlichen Studie *) Alfred Maury, de l'Institut de France: Les guerres des Francais et les invasions des Allemands. 4. livraison du 15 fevr. 71, p. 579. **) Die Vertreibung der Deutschen, sowohl in der legislativen Verfügung als in der Art der Ausführung, ferner die Behandlung der Gefangenen, lassen diese Civilisation in einem eigenthümlichen Licht erscheinen. ***) La politique d'envahissement. Louvois et Mr. de Bismarck. Par M. Fustel de Coulanges. 1. livraison du 1 Janv. 1871, pag. 15. +) Und die Kriege in Algier, in China und in Mexico? ++) Und Hr. Thiers im Jahre 1840? +++) Wenn der Verfasser auch für seine Person bona fide sein mag, so fälscht er doch
den Ausdruck des allgemeinen krankhaften Verlangens nach der Rheingränze und Luxemburg. Und was heißt denn: revanche de Sadowa? [Spaltenumbruch]
In den Köpfen welche den Beruf Frankreichs in ſolcher Weiſe charakteriſiren, Ein Mißerfolg aber von ſo eclatanter Art wie der letzte kann nicht auf Dieſe neuentdeckte Theorie verdient daß man ſich in Deutſchland etwas ge- Obenan ſteht der Satz: „l’Allemagne fait des invasions, tandis que Da ein Mitglied des Inſtituts dieß behauptet, ſo wird man, mit dem gan- Das Exordium iſt nicht übel aufgeſtellt, denn mit dieſer Prämiſſe kommt Einmal jedoch hat auch Frankreich — leider! — der politique d’envahisse- Wohin man mit ſolcher Schilderung der öffentlichen Zuſtände und Geſin- Wenn man dieſe Diatribe nicht gedruckt vor ſich ſähe, würde man nicht Wir werden jedoch in dem dritten Abſchnitt dieſer abſonderlichen Studie *) Alfred Maury, de l’Institut de France: Les guerres des Français et les invasions des Allemands. 4. livraison du 15 févr. 71, p. 579. **) Die Vertreibung der Deutſchen, ſowohl in der legislativen Verfügung als in der Art der Ausführung, ferner die Behandlung der Gefangenen, laſſen dieſe Civiliſation in einem eigenthümlichen Licht erſcheinen. ***) La politique d’envahissement. Louvois et Mr. de Bismarck. Par M. Fustel de Coulanges. 1. livraison du 1 Janv. 1871, pag. 15. †) Und die Kriege in Algier, in China und in Mexico? ††) Und Hr. Thiers im Jahre 1840? †††) Wenn der Verfaſſer auch für ſeine Perſon bona fide ſein mag, ſo fälſcht er doch
den Ausdruck des allgemeinen krankhaften Verlangens nach der Rheingränze und Luxemburg. Und was heißt denn: revanche de Sadowa? <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jFeuilleton" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <pb facs="#f0010" n="50"/> <cb/> <p>In den Köpfen welche den Beruf Frankreichs in ſolcher Weiſe charakteriſiren,<lb/> iſt ſelbſtverſtändlich kein Raum mehr für den Gedanken daß jede Nation ein unbe-<lb/> ſtreitbares Recht habe ihre innern Angelegenheiten ausſchließlich ſelbſt zu ordnen.<lb/> Daher der Schrei der <hi rendition="#aq">revanche de Sadowa,</hi> als eine kühne aus dem Geleiſe alther-<lb/> gebrachter Anſchauungen heraustretende Politik die Bande des deutſchen Bundes<lb/> zerſprengte und eine neue deutſche Organiſation aufſtellte. Eine überaus zarte<lb/> Empfindung für das Schickſal Hannovers, Heſſens und Naſſau’s deckte mit nur zu<lb/> durchſichtigem Schleier die rege Beſorgniß: es könne das Schiedsrichteramt für Eu-<lb/> ropa in Zukunft nicht mehr auf gleichen Gehorſam jenſeits des Rheins zählen.<lb/> Und dieſes Amt — von wem wurde es denn ausgeübt? Doch nicht von der gan-<lb/> zen <hi rendition="#aq">nation noble et généreuse,</hi> ſondern von der jeweiligen Regierung. Und da<lb/> iſt es doch eine eigenthümliche Erſcheinung, die nicht genug zum Nachdenken auffor-<lb/> dern kann und die ſeither noch nicht genügend hervorgehoben worden iſt, daß<lb/> dieſe civiliſirteſte Nation ſtets ihrer Regierung zujauchzet ſobald es ſich darum<lb/> handelt die auswärtige Politik ſich tributär zu machen und den Krieg in fremdes<lb/> Land zu ſpielen; daß ſie aber ſtets dieſelbe Regierung ſtürzt und zum Lande<lb/> hinausjagt ſobald letztere ihr Uebergewicht im Innern geltend zu machen ſucht,<lb/> oder nach außen hin den ſtolzen Erwartungen nicht entſpricht.</p><lb/> <p>Ein Mißerfolg aber von ſo eclatanter Art wie der letzte kann nicht auf<lb/> natürlichem Wege verſchuldet worden ſein — daher zuerſt das Geſchrei der <hi rendition="#aq">trahison</hi><lb/> — und jetzt die Theorie der <hi rendition="#aq">invasion,</hi> oder, wie es noch beſſer genannt wird, der<lb/><hi rendition="#aq">politique d’envahissement</hi>.</p><lb/> <p>Dieſe neuentdeckte Theorie verdient daß man ſich in Deutſchland etwas ge-<lb/> nauer mit ihr bekannt mache; es fehlt ihr nicht an kühnen Gedankenblitzen und<lb/> unfreier Komik.</p><lb/> <p>Obenan ſteht der Satz: <hi rendition="#aq">„l’Allemagne fait des invasions, tandis que<lb/> nous en Europe nous faisons seulement des guerres.“</hi><note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Alfred Maury</hi>, de l’Institut de France: Les guerres des Français et les<lb/> invasions des Allemands. 4. livraison du 15 févr. 71, p.</hi> 579.</note></p><lb/> <p>Da ein Mitglied des Inſtituts dieß behauptet, ſo wird man, mit dem gan-<lb/> zen Reſpect den dieſe hohe wiſſenſchaftliche Körperſchaft verdient, aufhorchen. Nach<lb/> ihm beruht alſo der Unterſchied in den beiderſeitigen Kriegen ausſchließlich in dem<lb/> Endzweck den man zu erreichen ſuchte. „Frankreich ſtrebte beſtändig nach einem<lb/> gewiſſen Uebergewicht in Europa, zu welchem es ein Recht hatte wegen der Ueber-<lb/> legenheit ſeiner Civiliſation.<note place="foot" n="**)">Die Vertreibung der Deutſchen, ſowohl in der legislativen Verfügung als in<lb/> der Art der Ausführung, ferner die Behandlung der Gefangenen, laſſen dieſe<lb/> Civiliſation in einem eigenthümlichen Licht erſcheinen.</note> Als Monarchie wollte es ſeinem Namen Achtung<lb/> verſchaffen, und ſeine Feinde in die Unmöglichkeit verſetzen ihm zu ſchaden; als<lb/> revolutionäres Land ſuchte es ſeine Ideen über Befreiung der Völker, Gleichheit<lb/> der bürgerlichen Rechte und ſocialen Fortſchritt zu verbreiten. Deutſchland hatte<lb/> andere Zielpunkte: es ſuchte Auswege für ſeine überzählige Bevölkerung; nicht<lb/> Soldaten, ſondern bewaffnete Anſiedler ſendet es über ſeine Gränzen: Deutſchland<lb/> macht räuberiſche Einfälle, während wir in Europa nur Kriege führen.“</p><lb/> <p>Das Exordium iſt nicht übel aufgeſtellt, denn mit dieſer Prämiſſe kommt<lb/> man zu allem möglichen. Es iſt leicht damit zu beweiſen daß alle Kriege Frank-<lb/> reichs im Rechte begründet waren: die Verwüſtungen der Pfalz, die Verbün-<lb/> dungen gegen Friedrich <hi rendition="#aq">II</hi>, die Napoleoniſchen Feldzüge und Annexionen — die<lb/> Eroberung Algiers, wo die ſcheußlichſten Gräuelthaten von der franzöſiſchen Armee ver-<lb/> übt wurden, und noch geſtern wieder verübt wurden, da die unrechtmäßig unterdrück-<lb/> ten eingebornen Stämme ihr Joch abzuſchütteln verſuchten; die Kriege in Mexico mit<lb/> den berüchtigten Contre-Guerrillas und in China mit der weltbekannten Plünde-<lb/> rung des kaiſerlichen Palaſtes, anderer Gemeinheiten nicht zu gedenken — ſie alle<lb/> floſſen unbeſtreitbar aus dem Rechte: <hi rendition="#aq">que le nom de la France fût respecté<lb/> et que ses ennemis fussent mis dans l’impossibilité de lui nuire.</hi> Ein an-<lb/> derer Staat konnte aber dieſes Recht nicht anrufen: denn die <hi rendition="#aq">supériorité de la<lb/> civilisation</hi> fehlt ihm. Daß ein ſolches von der Partei ſelbſt aufgeſtelltes Urtheil<lb/> über dieſen Vorrang keinen Werth haben kann, fällt natürlich der eiteln Nation<lb/> nicht ein.</p><lb/> <p>Einmal jedoch hat auch Frankreich — leider! — der <hi rendition="#aq">politique d’envahisse-<lb/> ment</hi> gehuldigt, aber es kann dafür nicht verantwortlich gemacht werden, denn es<lb/> folgte nur der Leitung Ludwigs <hi rendition="#aq">XIV</hi>, und dieſer ſtand unter dem Einfluſſe Lou-<lb/> vois’.<note place="foot" n="***)"><hi rendition="#aq">La politique d’envahissement. Louvois et Mr. de Bismarck. Par M.<lb/><hi rendition="#i">Fustel de Coulanges.</hi> 1. livraison du 1 Janv. 1871, pag.</hi> 15.</note> Es hat aber ſchwer dafür gebüßt, und iſt nie in den Fehler zurückgefallen.<lb/> „Denn ſicherlich waren doch unſere Kriege in der Krim und in Italien keine In-<lb/> vaſionskriege.<note place="foot" n="†)">Und die Kriege in Algier, in China und in Mexico?</note> Frankreich wollte durch Arbeit, durch Ausbeutung ſeiner Boden-<lb/> erzeugniſſe, durch die regelmäßige Entwicklung ſeiner Inſtitutionen, durch Künſte,<lb/> Wiſſenſchaften, Schulen und Bücher ſich vergrößern. Das war ſein Wunſch, und<lb/> es iſt unmöglich in Frankreich einen einzigen Staatsmann zu benennen der ſeit<lb/> vierzig Jahren eine andere Politik befolgt hätte.<note place="foot" n="††)">Und Hr. Thiers im Jahre 1840?</note> Die Republik von 1848 war<lb/> doch ſicher nicht <hi rendition="#aq">„envahissante,“</hi> und Napoleon <hi rendition="#aq">III</hi> mußte, um das Kaiſerthum zu<lb/> empfehlen, das Verſprechen geben: <hi rendition="#aq">l’empire c’est la paix.</hi> Und ebenſo mußten<lb/> die Deputirten bei jeder Neuwahl verſprechen daß der Friede erhalten und die<lb/> Armee verringert werden ſolle. Frankreich wollte keine Eroberungen. Man<lb/> hätte bis in die unterſten Schichten der Geſellſchaft, zu den Dümmſten und Albern-<lb/> ſten hinabſteigen müſſen, um Leute zu finden die noch von Invaſionskriegen träum-<lb/> ten und die Rheingränzewünſchten.<note place="foot" n="†††)">Wenn der Verfaſſer auch für ſeine Perſon <hi rendition="#aq">bona fide</hi> ſein mag, ſo fälſcht er doch<lb/> den Ausdruck des allgemeinen krankhaften Verlangens nach der Rheingränze<lb/> und Luxemburg. Und was heißt denn: <hi rendition="#aq">revanche de Sadowa?</hi></note> Es vergieng kein Jahr, wo nicht das <hi rendition="#aq">corps<lb/> législatif</hi> Verringerung der Ausgaben für das Heer verlangte. Man macht ihm<lb/> freilich den Vorwurf die Kriegserklärung gegen Preußen mit einem enthuſiaſtiſchen<lb/> Beſchluß begrüßt zu haben; man muß jedoch genauer unterſuchen was denn dieſer<lb/> Beſchluß eigentlich bedeutete. Die Verſammlung die ihn faßte war ſicherlich eine<lb/> der friedlichſten in ganz Europa; ſie ſtimmte für den Krieg nur in Folge des ihr<lb/> gegebenen Verſprechens daß dieſer Krieg eine allgemeine Entwaffnung herbei-<lb/> führen werde. Sie verlangte nicht das linke Rheinufer, ſie verlangte Verminde-<lb/><cb/> rung der Armeen und beinahe die Unterdrückung des Krieges für die Zukunft.<lb/> Ihr Beſchluß war im Grund ein Friedens-Votum!“</p><lb/> <p>Wohin man mit ſolcher Schilderung der öffentlichen Zuſtände und Geſin-<lb/> nungs-Fluctuationen, mit einer ſolchen Exegeſe öffentlicher Verhandlungen, die<lb/> vor einem Jahre unter unſern Augen ſich zugetragen, gelangen muß, iſt leicht er-<lb/> ſichtlich. Kein Wort von dem Jubel, den Entzückungen die durch Paris, durch<lb/> Frankreich mit elektriſchen Schlägen jedes Herz erzittern machten, als die falſchen<lb/> Nachrichten von den Erfolgen bei Saarbrücken, von den angeblichen Siegen bei<lb/> Weißenburg und Wörth ſich ausbreiteten! Es iſt das aber noch nicht genug:<lb/> wir lernen noch viel mehr. „Während in Frankreich ſich nur noch bei den un-<lb/> wiſſenden Claſſen kriegeriſche Gelüſte vorfinden, ſind es in Preußen vielmehr die<lb/> höheren und gebildeten Claſſen welche zum Kriege treiben; ſie ſcheinen angeſteckt<lb/> von der alten Krankheit welche man uns ehemals vorwarf und <hi rendition="#aq">chauvinisme</hi><lb/> nannte. Die alten Ideen von Krieg und Ruhm herrſchen noch heute in den Ber-<lb/> liner Salons und auf den Kathedern der Univerſität. Doch muß man die Be-<lb/> völkerung entſchuldigen, und bedenken daß ſchon ſeit zwei Jahrhunderten das<lb/> Haus Hohenzollern dieſen kriegeriſchen Geiſt unterhält. Die öffentliche Meinung<lb/> in Preußen iſt diſciplinirt wie die Armee. Das verſtand Louvois nicht; er lehrte<lb/> Frankreich nicht die Spanier, die Deutſchen, die Italiener zu haſſen. Das iſt ein<lb/> Unterricht den man bei uns immer vernachläſſigt hat. Daher kam es daß unſere<lb/> Officiere und unſere Soldaten ſtets Europa durchzogen haben ohne zu haſſen und<lb/> ohne gehaßt zu werden. Sie thaten ihre Pflicht als Soldaten, aber ohne Erbitterung,<lb/> Groll oder Neid. Der Deutſche, der Ruſſe war für ſie mehr ein Gegner als ein<lb/> Feind. Das Haus Hohenzollern hat die Kunſt des Krieges bedeutend über die<lb/> bekannten Gränzen erweitert; es begriff früher als alle andern Menſchen daß, um<lb/> deſto ſicherer den Sieg zu ernten, man den Haß ſäen müſſe. Demgemäß ward<lb/> unaufhörlich von unſerm Hochmuth, unſerm Ehrgeiz, unſerer Gottloſigkeit, unſerer<lb/> Sittenverderbniß geſprochen; mit Hülfe der Religion und des Pietismus ward der<lb/> Haß in die jungen Seelen eingeflößt. Auch die Wiſſenſchaft wurde dazu benutzt;<lb/> ihre Profeſſoren legten ſich darauf unſere franzöſiſche Revolution zu traveſtiren<lb/> und unſere ganze Geſchichte zu entſtellen, um uns haſſenswerth zu machen; die<lb/> Philologie und die Ethnologie mußten dazu dienen den Beweis zu liefern daß unſere<lb/> allerfranzöſiſcheſten Provinzen ihr rechtmäßiges Eigenthum ſeien; ſie zwangen die<lb/> Moral zu der Lehre daß eine vollendete Thatſache heilig, der Erfolg eine Fügung<lb/> der Vorſehung ſei, und daß daher Gewalt vor Recht gehe. Auf dieſe Weiſe ward<lb/> ſeit langer Zeit Preußen zu dem jetzigen Kriege vorbereitet. — — Es wollte aber<lb/> noch mehr als bloß das Elſaß und Lothringen nehmen. Seine Race wollte<lb/> die unſrige vertilgen, ſein Stolz wollte unſern Namen auslöſchen, ſein Neid<lb/> unſere Künſte und Wiſſenſchaften zerſtören, ſeine Habgier unſern Reichthum ver-<lb/> ſchlingen.“</p><lb/> <p>Wenn man dieſe Diatribe nicht gedruckt vor ſich ſähe, würde man nicht<lb/> glauben daß ſich in einer civiliſirten Nation irgendein Individuum auffinden ließe<lb/> welches ſolchen Unſinn zu ſchreiben fähig wäre! Und dergleichen Fälſchungen und<lb/> Verleumdungen gibt man dort für Geſchichtsforſchung aus! Wahrlich, wäre es<lb/> nicht ſo durchaus lächerlich, <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="3"/> könnte ſich darüber betrüben!</p><lb/> <p>Wir werden jedoch in dem dritten Abſchnitt dieſer abſonderlichen Studie<lb/> belehrt daß weſentlich die Beſorgniß des Verfaſſers für die Zukunft Deutſchlands<lb/> dieſem die Feder in die Hand gab. Denn der Vergleich der Politik Ludwigs <hi rendition="#aq">XIV</hi><lb/> und derjenigen welche heute Frankreich gegenüber befolgt werden mußte, verlangt<lb/> natürlich auch eine Schilderung der Folgen welche erſtere nach ſich zog. Und da<lb/> wird denn allerdings der Wahrheit gemäß die Kehrſeite der franzöſiſchen Medaille<lb/> in einer Weiſe gezeigt wie ſie vor 1870 ſchwerlich durch dieſelbe Feder gezeichnet<lb/> worden wäre. „Ludwig <hi rendition="#aq">XIV</hi>, obgleich ſtets ſiegreich, behielt doch ſchließlich<lb/> von allen ſeinen Eroberungen nur Straßburg und einige flandriſche Städte. Dafür<lb/> aber verlor er die Freundſchaft und die Allianz aller anderen Staaten, und fand<lb/> ſich vollſtändig iſolirt in der Welt; Frankreichs Einfluß war vermindert, ſein<lb/> Präſtigium geſchädigt, ſeine Sicherheit ſelbſt in Frage geſtellt. Dazu war das Land<lb/> an Menſchen und Geld erſchöpft; um Krieg ſühren zu können mußte man die alten<lb/> Abgaben verdoppeln, neue Auflagen einführen, die Münzen verſchlechtern, die<lb/> Stellen verkaufen. Die Schuld ſtieg von 150 Millionen bis auf drei Milliarden.<lb/> Dabei war der Handel ruinirt; der Krieg mit Deutſchland hinderte die Ausfuhr,<lb/> der Krieg mit Holland und England zerſtörte die Handelsmarine ebenſo wie die<lb/> Kriegsflotte. Die Induſtrie gieng zu Grunde weil ſie keinen Abſatz mehr fand;<lb/> die ackerbauende Bevölkerung war die unglücklichſte von allen, weil auf ihr alle<lb/> Abgaben ruhten. F<hi rendition="#aq">é</hi>n<hi rendition="#aq">é</hi>lon konnte damals dem großen König ſchreiben: „Ihr Volk<lb/> ſtirbt vor Hunger, und ganz Frankreich iſt nur noch ein großes Hoſpital.“ Eine<lb/> nothwendige Folge hiervon war die Entvölkerung; im Jahr 1700 zählte Frankreich<lb/> trotz zweier neuen Provinzen ein Viertheil Einwohner weniger. Das ſind die<lb/> Folgen der <hi rendition="#aq">politique d’envahissement,</hi> und ſie auch ſtehen Deutſchland bevor.<lb/> Deutſchland mag zwei Provinzen gewonnen haben, dafür hat es die Sym-<lb/> pathie und das Vertrauen aller anderen Staaten verloren, denn es hat<lb/> eine Ehrſucht verrathen welche die anderen Völker ihm ebenſo wenig verzeihen<lb/> werden als dem vierzehnten Ludwig und Napoleon. Preußen hat in dieſem Augen-<lb/> blick keinen Verbündeten auf der Welt; niemand freut ſich aufrichtig über ſeine<lb/> Erfolge, und wenn die Stunde der Buße ſchlägt, wird niemand an ſeinen Leiden<lb/> theilnehmen. Die Nation hat auch im Grunde nichts gewonnen, denn der Kern<lb/> der Frage bleibt immer der: wird Preußen, wird Deutſchland reicher, glücklicher,<lb/> geſcheidter, beſſer aus dieſem Kriege hervorgehen? Seit Beginn des Kriegs iſt die<lb/> Arbeit in Deutſchland faſt völlig unterbrochen, und damit iſt die einzige Quelle<lb/> des Reichthums und des Wohlbefindens vertrocknet. Die Invaſion verurſacht dem<lb/> Volke das ſie unternimmt ebenſo große Verluſte als dem welches ſie erleidet. Aller-<lb/> dings gibt es in Deutſchland keine verbrannten Dörfer, keine bombardirten Städte,<lb/> keine rauchenden Ruinen; aber eines gibt es: den Mangel an Menſchen! Der<lb/> Ackerbau und die Induſtrie haben ihre Arme und ihr Blut hergeben müſſen für<lb/> den Krieg; ſeitdem iſt Deutſchland wie ein Körper deſſen Leben für eine Zeitlang<lb/> ausgeſetzt iſt. Jetzt denken ſie vielleicht noch nicht daran; aber wenn ſie in ihre<lb/> Heimath zurückgekehrt ſein werden, dann wird ihnen ihr Verluſt klar vor Augen<lb/> ſtehen. Der iſt nicht wie bei uns die vollſtändige Zerſtörung einer gewiſſen Anzahl<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [50/0010]
In den Köpfen welche den Beruf Frankreichs in ſolcher Weiſe charakteriſiren,
iſt ſelbſtverſtändlich kein Raum mehr für den Gedanken daß jede Nation ein unbe-
ſtreitbares Recht habe ihre innern Angelegenheiten ausſchließlich ſelbſt zu ordnen.
Daher der Schrei der revanche de Sadowa, als eine kühne aus dem Geleiſe alther-
gebrachter Anſchauungen heraustretende Politik die Bande des deutſchen Bundes
zerſprengte und eine neue deutſche Organiſation aufſtellte. Eine überaus zarte
Empfindung für das Schickſal Hannovers, Heſſens und Naſſau’s deckte mit nur zu
durchſichtigem Schleier die rege Beſorgniß: es könne das Schiedsrichteramt für Eu-
ropa in Zukunft nicht mehr auf gleichen Gehorſam jenſeits des Rheins zählen.
Und dieſes Amt — von wem wurde es denn ausgeübt? Doch nicht von der gan-
zen nation noble et généreuse, ſondern von der jeweiligen Regierung. Und da
iſt es doch eine eigenthümliche Erſcheinung, die nicht genug zum Nachdenken auffor-
dern kann und die ſeither noch nicht genügend hervorgehoben worden iſt, daß
dieſe civiliſirteſte Nation ſtets ihrer Regierung zujauchzet ſobald es ſich darum
handelt die auswärtige Politik ſich tributär zu machen und den Krieg in fremdes
Land zu ſpielen; daß ſie aber ſtets dieſelbe Regierung ſtürzt und zum Lande
hinausjagt ſobald letztere ihr Uebergewicht im Innern geltend zu machen ſucht,
oder nach außen hin den ſtolzen Erwartungen nicht entſpricht.
Ein Mißerfolg aber von ſo eclatanter Art wie der letzte kann nicht auf
natürlichem Wege verſchuldet worden ſein — daher zuerſt das Geſchrei der trahison
— und jetzt die Theorie der invasion, oder, wie es noch beſſer genannt wird, der
politique d’envahissement.
Dieſe neuentdeckte Theorie verdient daß man ſich in Deutſchland etwas ge-
nauer mit ihr bekannt mache; es fehlt ihr nicht an kühnen Gedankenblitzen und
unfreier Komik.
Obenan ſteht der Satz: „l’Allemagne fait des invasions, tandis que
nous en Europe nous faisons seulement des guerres.“ *)
Da ein Mitglied des Inſtituts dieß behauptet, ſo wird man, mit dem gan-
zen Reſpect den dieſe hohe wiſſenſchaftliche Körperſchaft verdient, aufhorchen. Nach
ihm beruht alſo der Unterſchied in den beiderſeitigen Kriegen ausſchließlich in dem
Endzweck den man zu erreichen ſuchte. „Frankreich ſtrebte beſtändig nach einem
gewiſſen Uebergewicht in Europa, zu welchem es ein Recht hatte wegen der Ueber-
legenheit ſeiner Civiliſation. **) Als Monarchie wollte es ſeinem Namen Achtung
verſchaffen, und ſeine Feinde in die Unmöglichkeit verſetzen ihm zu ſchaden; als
revolutionäres Land ſuchte es ſeine Ideen über Befreiung der Völker, Gleichheit
der bürgerlichen Rechte und ſocialen Fortſchritt zu verbreiten. Deutſchland hatte
andere Zielpunkte: es ſuchte Auswege für ſeine überzählige Bevölkerung; nicht
Soldaten, ſondern bewaffnete Anſiedler ſendet es über ſeine Gränzen: Deutſchland
macht räuberiſche Einfälle, während wir in Europa nur Kriege führen.“
Das Exordium iſt nicht übel aufgeſtellt, denn mit dieſer Prämiſſe kommt
man zu allem möglichen. Es iſt leicht damit zu beweiſen daß alle Kriege Frank-
reichs im Rechte begründet waren: die Verwüſtungen der Pfalz, die Verbün-
dungen gegen Friedrich II, die Napoleoniſchen Feldzüge und Annexionen — die
Eroberung Algiers, wo die ſcheußlichſten Gräuelthaten von der franzöſiſchen Armee ver-
übt wurden, und noch geſtern wieder verübt wurden, da die unrechtmäßig unterdrück-
ten eingebornen Stämme ihr Joch abzuſchütteln verſuchten; die Kriege in Mexico mit
den berüchtigten Contre-Guerrillas und in China mit der weltbekannten Plünde-
rung des kaiſerlichen Palaſtes, anderer Gemeinheiten nicht zu gedenken — ſie alle
floſſen unbeſtreitbar aus dem Rechte: que le nom de la France fût respecté
et que ses ennemis fussent mis dans l’impossibilité de lui nuire. Ein an-
derer Staat konnte aber dieſes Recht nicht anrufen: denn die supériorité de la
civilisation fehlt ihm. Daß ein ſolches von der Partei ſelbſt aufgeſtelltes Urtheil
über dieſen Vorrang keinen Werth haben kann, fällt natürlich der eiteln Nation
nicht ein.
Einmal jedoch hat auch Frankreich — leider! — der politique d’envahisse-
ment gehuldigt, aber es kann dafür nicht verantwortlich gemacht werden, denn es
folgte nur der Leitung Ludwigs XIV, und dieſer ſtand unter dem Einfluſſe Lou-
vois’. ***) Es hat aber ſchwer dafür gebüßt, und iſt nie in den Fehler zurückgefallen.
„Denn ſicherlich waren doch unſere Kriege in der Krim und in Italien keine In-
vaſionskriege. †) Frankreich wollte durch Arbeit, durch Ausbeutung ſeiner Boden-
erzeugniſſe, durch die regelmäßige Entwicklung ſeiner Inſtitutionen, durch Künſte,
Wiſſenſchaften, Schulen und Bücher ſich vergrößern. Das war ſein Wunſch, und
es iſt unmöglich in Frankreich einen einzigen Staatsmann zu benennen der ſeit
vierzig Jahren eine andere Politik befolgt hätte. ††) Die Republik von 1848 war
doch ſicher nicht „envahissante,“ und Napoleon III mußte, um das Kaiſerthum zu
empfehlen, das Verſprechen geben: l’empire c’est la paix. Und ebenſo mußten
die Deputirten bei jeder Neuwahl verſprechen daß der Friede erhalten und die
Armee verringert werden ſolle. Frankreich wollte keine Eroberungen. Man
hätte bis in die unterſten Schichten der Geſellſchaft, zu den Dümmſten und Albern-
ſten hinabſteigen müſſen, um Leute zu finden die noch von Invaſionskriegen träum-
ten und die Rheingränzewünſchten. †††) Es vergieng kein Jahr, wo nicht das corps
législatif Verringerung der Ausgaben für das Heer verlangte. Man macht ihm
freilich den Vorwurf die Kriegserklärung gegen Preußen mit einem enthuſiaſtiſchen
Beſchluß begrüßt zu haben; man muß jedoch genauer unterſuchen was denn dieſer
Beſchluß eigentlich bedeutete. Die Verſammlung die ihn faßte war ſicherlich eine
der friedlichſten in ganz Europa; ſie ſtimmte für den Krieg nur in Folge des ihr
gegebenen Verſprechens daß dieſer Krieg eine allgemeine Entwaffnung herbei-
führen werde. Sie verlangte nicht das linke Rheinufer, ſie verlangte Verminde-
rung der Armeen und beinahe die Unterdrückung des Krieges für die Zukunft.
Ihr Beſchluß war im Grund ein Friedens-Votum!“
Wohin man mit ſolcher Schilderung der öffentlichen Zuſtände und Geſin-
nungs-Fluctuationen, mit einer ſolchen Exegeſe öffentlicher Verhandlungen, die
vor einem Jahre unter unſern Augen ſich zugetragen, gelangen muß, iſt leicht er-
ſichtlich. Kein Wort von dem Jubel, den Entzückungen die durch Paris, durch
Frankreich mit elektriſchen Schlägen jedes Herz erzittern machten, als die falſchen
Nachrichten von den Erfolgen bei Saarbrücken, von den angeblichen Siegen bei
Weißenburg und Wörth ſich ausbreiteten! Es iſt das aber noch nicht genug:
wir lernen noch viel mehr. „Während in Frankreich ſich nur noch bei den un-
wiſſenden Claſſen kriegeriſche Gelüſte vorfinden, ſind es in Preußen vielmehr die
höheren und gebildeten Claſſen welche zum Kriege treiben; ſie ſcheinen angeſteckt
von der alten Krankheit welche man uns ehemals vorwarf und chauvinisme
nannte. Die alten Ideen von Krieg und Ruhm herrſchen noch heute in den Ber-
liner Salons und auf den Kathedern der Univerſität. Doch muß man die Be-
völkerung entſchuldigen, und bedenken daß ſchon ſeit zwei Jahrhunderten das
Haus Hohenzollern dieſen kriegeriſchen Geiſt unterhält. Die öffentliche Meinung
in Preußen iſt diſciplinirt wie die Armee. Das verſtand Louvois nicht; er lehrte
Frankreich nicht die Spanier, die Deutſchen, die Italiener zu haſſen. Das iſt ein
Unterricht den man bei uns immer vernachläſſigt hat. Daher kam es daß unſere
Officiere und unſere Soldaten ſtets Europa durchzogen haben ohne zu haſſen und
ohne gehaßt zu werden. Sie thaten ihre Pflicht als Soldaten, aber ohne Erbitterung,
Groll oder Neid. Der Deutſche, der Ruſſe war für ſie mehr ein Gegner als ein
Feind. Das Haus Hohenzollern hat die Kunſt des Krieges bedeutend über die
bekannten Gränzen erweitert; es begriff früher als alle andern Menſchen daß, um
deſto ſicherer den Sieg zu ernten, man den Haß ſäen müſſe. Demgemäß ward
unaufhörlich von unſerm Hochmuth, unſerm Ehrgeiz, unſerer Gottloſigkeit, unſerer
Sittenverderbniß geſprochen; mit Hülfe der Religion und des Pietismus ward der
Haß in die jungen Seelen eingeflößt. Auch die Wiſſenſchaft wurde dazu benutzt;
ihre Profeſſoren legten ſich darauf unſere franzöſiſche Revolution zu traveſtiren
und unſere ganze Geſchichte zu entſtellen, um uns haſſenswerth zu machen; die
Philologie und die Ethnologie mußten dazu dienen den Beweis zu liefern daß unſere
allerfranzöſiſcheſten Provinzen ihr rechtmäßiges Eigenthum ſeien; ſie zwangen die
Moral zu der Lehre daß eine vollendete Thatſache heilig, der Erfolg eine Fügung
der Vorſehung ſei, und daß daher Gewalt vor Recht gehe. Auf dieſe Weiſe ward
ſeit langer Zeit Preußen zu dem jetzigen Kriege vorbereitet. — — Es wollte aber
noch mehr als bloß das Elſaß und Lothringen nehmen. Seine Race wollte
die unſrige vertilgen, ſein Stolz wollte unſern Namen auslöſchen, ſein Neid
unſere Künſte und Wiſſenſchaften zerſtören, ſeine Habgier unſern Reichthum ver-
ſchlingen.“
Wenn man dieſe Diatribe nicht gedruckt vor ſich ſähe, würde man nicht
glauben daß ſich in einer civiliſirten Nation irgendein Individuum auffinden ließe
welches ſolchen Unſinn zu ſchreiben fähig wäre! Und dergleichen Fälſchungen und
Verleumdungen gibt man dort für Geſchichtsforſchung aus! Wahrlich, wäre es
nicht ſo durchaus lächerlich, ___ könnte ſich darüber betrüben!
Wir werden jedoch in dem dritten Abſchnitt dieſer abſonderlichen Studie
belehrt daß weſentlich die Beſorgniß des Verfaſſers für die Zukunft Deutſchlands
dieſem die Feder in die Hand gab. Denn der Vergleich der Politik Ludwigs XIV
und derjenigen welche heute Frankreich gegenüber befolgt werden mußte, verlangt
natürlich auch eine Schilderung der Folgen welche erſtere nach ſich zog. Und da
wird denn allerdings der Wahrheit gemäß die Kehrſeite der franzöſiſchen Medaille
in einer Weiſe gezeigt wie ſie vor 1870 ſchwerlich durch dieſelbe Feder gezeichnet
worden wäre. „Ludwig XIV, obgleich ſtets ſiegreich, behielt doch ſchließlich
von allen ſeinen Eroberungen nur Straßburg und einige flandriſche Städte. Dafür
aber verlor er die Freundſchaft und die Allianz aller anderen Staaten, und fand
ſich vollſtändig iſolirt in der Welt; Frankreichs Einfluß war vermindert, ſein
Präſtigium geſchädigt, ſeine Sicherheit ſelbſt in Frage geſtellt. Dazu war das Land
an Menſchen und Geld erſchöpft; um Krieg ſühren zu können mußte man die alten
Abgaben verdoppeln, neue Auflagen einführen, die Münzen verſchlechtern, die
Stellen verkaufen. Die Schuld ſtieg von 150 Millionen bis auf drei Milliarden.
Dabei war der Handel ruinirt; der Krieg mit Deutſchland hinderte die Ausfuhr,
der Krieg mit Holland und England zerſtörte die Handelsmarine ebenſo wie die
Kriegsflotte. Die Induſtrie gieng zu Grunde weil ſie keinen Abſatz mehr fand;
die ackerbauende Bevölkerung war die unglücklichſte von allen, weil auf ihr alle
Abgaben ruhten. Fénélon konnte damals dem großen König ſchreiben: „Ihr Volk
ſtirbt vor Hunger, und ganz Frankreich iſt nur noch ein großes Hoſpital.“ Eine
nothwendige Folge hiervon war die Entvölkerung; im Jahr 1700 zählte Frankreich
trotz zweier neuen Provinzen ein Viertheil Einwohner weniger. Das ſind die
Folgen der politique d’envahissement, und ſie auch ſtehen Deutſchland bevor.
Deutſchland mag zwei Provinzen gewonnen haben, dafür hat es die Sym-
pathie und das Vertrauen aller anderen Staaten verloren, denn es hat
eine Ehrſucht verrathen welche die anderen Völker ihm ebenſo wenig verzeihen
werden als dem vierzehnten Ludwig und Napoleon. Preußen hat in dieſem Augen-
blick keinen Verbündeten auf der Welt; niemand freut ſich aufrichtig über ſeine
Erfolge, und wenn die Stunde der Buße ſchlägt, wird niemand an ſeinen Leiden
theilnehmen. Die Nation hat auch im Grunde nichts gewonnen, denn der Kern
der Frage bleibt immer der: wird Preußen, wird Deutſchland reicher, glücklicher,
geſcheidter, beſſer aus dieſem Kriege hervorgehen? Seit Beginn des Kriegs iſt die
Arbeit in Deutſchland faſt völlig unterbrochen, und damit iſt die einzige Quelle
des Reichthums und des Wohlbefindens vertrocknet. Die Invaſion verurſacht dem
Volke das ſie unternimmt ebenſo große Verluſte als dem welches ſie erleidet. Aller-
dings gibt es in Deutſchland keine verbrannten Dörfer, keine bombardirten Städte,
keine rauchenden Ruinen; aber eines gibt es: den Mangel an Menſchen! Der
Ackerbau und die Induſtrie haben ihre Arme und ihr Blut hergeben müſſen für
den Krieg; ſeitdem iſt Deutſchland wie ein Körper deſſen Leben für eine Zeitlang
ausgeſetzt iſt. Jetzt denken ſie vielleicht noch nicht daran; aber wenn ſie in ihre
Heimath zurückgekehrt ſein werden, dann wird ihnen ihr Verluſt klar vor Augen
ſtehen. Der iſt nicht wie bei uns die vollſtändige Zerſtörung einer gewiſſen Anzahl
*) Alfred Maury, de l’Institut de France: Les guerres des Français et les
invasions des Allemands. 4. livraison du 15 févr. 71, p. 579.
**) Die Vertreibung der Deutſchen, ſowohl in der legislativen Verfügung als in
der Art der Ausführung, ferner die Behandlung der Gefangenen, laſſen dieſe
Civiliſation in einem eigenthümlichen Licht erſcheinen.
***) La politique d’envahissement. Louvois et Mr. de Bismarck. Par M.
Fustel de Coulanges. 1. livraison du 1 Janv. 1871, pag. 15.
†) Und die Kriege in Algier, in China und in Mexico?
††) Und Hr. Thiers im Jahre 1840?
†††) Wenn der Verfaſſer auch für ſeine Perſon bona fide ſein mag, ſo fälſcht er doch
den Ausdruck des allgemeinen krankhaften Verlangens nach der Rheingränze
und Luxemburg. Und was heißt denn: revanche de Sadowa?
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(2022-02-11T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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