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Allgemeine Zeitung, Nr. 3, 3. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch]

Von Savigny der österreichischen Regierung im Jahre 1855 für den Lehrsitz
der Pandekten in Padua vorgeschlagen, lehnte Conticini mit großem Zartgefühl
den ehrenvollen Ruf ab, um seinem engeren Vaterland Toscana und seinem Fürsten
seine dankbaren Dienste zu bewahren, und statt seiner gieng Serafini dorthin,
nachdem derselbe sich in einem sechsmonatlichen Aufenthalt in Siena bei Conticini
die Mittel zu weiterer Ausbildung verschafft hatte, dessen Andenken er auch jetzt
in seinem Archivio giuridico ein ehrendes Denkmal gesetzt.

Das Haus des Prof. Conticini war allen deutschen Gästen offen, und viele
Männer der Wissenschaft haben dort freundschaftliche Aufnahme gefunden, von
denen ich nur Niebuhr, Hollweg, Mittermayer und Rud. Wagner erwähnen will.
So war und blieb er stets wie als Lehrer und Schriftsteller, so als Mensch ein
Vermittler deutscher und italienischer Anschauungen, Lehren, und Sitten.

Leider hatten ihn wiederholte Schlaganfälle seit dem Jahre 1863 gezwungen
seine Wirksamkeit als öffentlicher Lehrer zu unterbrechen. Dieselben wiederholten
sich häufiger im vergangenen Sommer, und machten am 10 November seinem ge-
quälten Dasein ein Ende.



Niederland.

In Folge eines eigenen Mißgeschickes liegen zur
Zeit sowohl der außerparlamentarische Führer der Opposition, Gr. Groen van
Prinsterer, als der Cabinetschef, Hr. Thorbecke, krank darnieder. Die Lage der
buntscheckigen Rechten -- dieselbe besteht bekanntlich seit den letzten Jahren in Hol-
land sowohl aus orthodoxen und hyperorthodoxen Protestanten als aus Ultramon-
tanen -- ist schon seit längerer Zeit eine keineswegs günstige, während das Ministe-
rium nunmehr vielleicht ebenso krank, wenn nicht noch kränker als sein Führer ist,
namentlich seitdem es vor einigen Tagen, bei den Verhandlungen über den Gesetz-
entwurf zur weiteren Tilgung von 10 Millionen Gulden, zu einem offenen Bruch
zwischen dem Cabinet und einem erheblichen Theile der liberalen Partei kam. Die-
selbe ist nämlich des Janusgesichtes müde welches das Ministerium je nach den
Verhältnissen dem Lande, mit Bezug auf die finanzielle Lage, zeigt. So z. B.
wurde noch kürzlich, als der Finanzminister in der Kammer seine altherkömmliche
Rede über die Lage des Schatzes abhielt, ein Desicit in Aussicht gestellt und
in Folge dessen um die Ermächtigung zur eventuellen Ausgabe von 81/2 Millionen
Schatzbons gebeten. Nun tritt der Finanzminister aber plötzlich mit der Erklä-
rung hervor: die finanzielle Lage sei so günstig, daß dieselbe ihm erlaube die früher
eingestellte Tilgung der Staatsschuld von neuem, und zwar bis zu einem Betrage
von 10 Millionen, aufzunehmen. Diese unerwartete Schwenkung berechtigte zu
der Vermuthung daß die Regierung ihren früher angezeigten Plan zur Reorgani-
sation des Steuerwesens, resp. zur Einführung der Einkommensteuer, fallen zu
lassen verlangt, indem diese Schwenkung sich zu gleicher Zeit zu einer Einlenkung
nach rechts zu entpuppen schien. Verlangt doch die parlamentarische Rechte: die
Regierung möge nicht an den Steuereinrichtungen rütteln, sondern vielmehr, statt
an die Erhebung einer Einkommensteuer zu denken, auf Kosten der Bedürfnisse der
ostindischen Colonien ein etwaiges Desicit ausgleichen, resp. die Tilgung der Staats-
schuld fortsetzen. Und so konnte der unerwartete Tilgungsvorschlag seitens eines
Mitgliedes der Linken als der Wendepunkt der von dem Cabinet in Aussicht ge-
stellten Politik bezeichnet werden; darum erklärte derselbe Abgeordnete: er beab-
sichtige, zur Bekundung seines Mißtrauens dem Finanzminister gegenüber, gegen
den Gesetzentwurf zu stimmen. Aus diesen Gründen endlich trat bei der Abstim-
mung die seltene Erscheinung zu Tag daß die Rechte massenhaft zu Gunsten eines von
einer freisinnigen Regierung eingebrachten Vorschlags eintrat, während die Min-
derheit fast ausschließlich aus Liberalen gebildet war. Der Entwurf wurde näm-
lich mit 40 gegen 25 Stimmen zum Gesetz erhoben. Der Rücktritt des Kriegs-
ministers Engelvaart, dessen Departement vorläufig durch den Marineminister
Brocx verwaltet wird, und dessen Nachfolger man bis jetzt vergebens aufzutrei-
ben bemüht ist, trägt natürlicherweise ebenfalls nicht zur Befestigung der Lage
des Ministeriums bei. Dazu tritt auch außerdem noch die Frage: ob die erste
Kammer, welche früher bereits zweimal seitens des anderen Hauses votirte Re-
gierungsvorlagen zur Aufhebung der Zehnten zurückwies, sich dießmal angesichts
des ähnlichen von der zweiten Kammer fast einhellig angenommenen Gesetzent-
wurfs versöhnlicher zeigen wird. Inzwischen scheint die Gefahr eines Conflicts
zwischen den beiden Kammern anläßlich der zweiten Kammer vorgenommenen
Streichung der auf der Etatsvorlage des Auswärtigen für die niederländische Ge-
sandtschaft in Rom gebrachten Gelder beseitigt zu sein. Die erste Kammer hat
nämlich das betreffende Budget in ihrer gestrigen Sitzung mit 23 gegen 12 Stim-
men genehmigt. Vergebens versuchte die Rechte dem Minister des Auswärtigen
Frhrn. Gericke van Herwynen, die Erklärung abzulocken: die Verwerfung des
Etats, in Folge der bezüglichen Streichung, sei ihm angenehm. Der Minister
trat hier aber ebenso tactvoll als im Unterhaus auf. Er betonte nur daß die
Streichung ihn unangenehm berührt habe, doch könne man deßhalb nicht von ihm,
dem Minister, verlangen daß er der Kammer die Bestätigung seines eigenen Bud-
gets widerrathe. Und was nun die ihm ebenfalls seitens der Rechten vorge-
legte Frage betreffe: wie er zu handeln beabsichtige falls das Oberhaus
den Etat, wie derselbe aus den Berathungen der zweiten Kammer hervorgieng,
annehmen möchte, so werde die Versammlung leicht einsehen daß er derselben
keine Mittheilungen darüber machen könne wie er, nach Annahme des Etats, dem
König gegenüber zu handeln beabfichtige. -- Seit vorgestern ist die zweite Kammer
in die Debatte der Etatsvorlage des Ministeriums des Innern eingetreten, wobei
die Collegen des Hrn. Thorbecke seine Abwesenheit möglichst wenig fühlbar zu
machen suchen. -- Die deutsche Kunst, welche gewöhnlich so glänzend bei den Kunst-
ausstellungen Hollands vertreten ist, möchte es vielleicht interessiren daß am 13
Mai n. J. von neuem eine solche in unserer Stadt eröffnet werden soll. Dieselbe
wird bis zum 23 Juni währen. -- Der Prinz Gustav von Schweden, welcher be-
kanntlich in Amsterdam Abhülfe für sein rheumatisches Leiden suchte, hat vor eini-
gen Tagen, vollständig geheilt, die Rückreise nach seinem Vaterland angetreten. Der
Prinz v. Wied, der Schwiegersohn des Prinzen Friedrich der Niederlande,
leistete dem schwedischen Prinzen fast ununterbrochen Gesellschaft während seiner
Cur. Der Prinz und seine Gemahlin weilen zur Zeit bei ihrem Schwiegervater. --
[Spaltenumbruch] Bekanntlich hielt der König von Siam sich kürzlich in Batavia auf. Derselte
hat nun, als Andenken an seinen Ausflug, der Behörde Batavia's einen
kupfernen Elephanten zur Errichtung auf einem der öffentlichen Plätze angeboten.
Zugleich erhielten der König und der Statthalter Indiens, sowie verschiedene her-
vorragende Beamten Batavia's die Insignien des Weißen Elephanten-Ordens.
Gestern hat die politische Begehung, resp. Erprobung, der riesenhaften Eisenbahn-
brücke über den Moerdyk stattgefunden. Das Ergebniß war ein in jeder Hinsicht
befriedigendes. Dieselbe wird folglich in Bälde dem Verkehr übergeben werden
können.



Frankreich.

Frankreich blickt heut auf ein Jahr zurück voll von so
gewaltigen Ereignissen wie es in diesem Jahrhundert noch keines erlebt hat.
Vor einem Jahr war zwar das Schicksal des Krieges längst entschieden, kein Ver-
nünftiger konnte mehr auf eine Wendung zu Gunsten Frankreichs hoffen. Trotz-
dem wüthete der Krieg noch fast auf allen Gefechtsfeldern. Mit eiserner Hand
hielt Moltke den Einschließungsgürtel um Paris, und dirigirte zugleich mit electrischem
Funken die deutschen Heersäulen welche im Norden, Süden und Osten die letzten
Anstrengungen des zähen Gegners zu nichte machen sollten. Paris lag heute vor
einem Jahr in den letzten Zügen, die Sachsen hatten an diesem Tage den Mont
Avron in Besitz genommen, wenige Tage darauf begann die Beschießung der Forts;
am 19 Januar erfolgte die große letzte Anstrengung der Pariser Armee um den ehernen
Ring zu durchbrechen; sie hatte denselben Erfolg wie alle früheren, nur daß die
Verluste an Todten und Verwundeten auf Seite der Pariser noch grausiger waren
als zuvor und panischen Schrecken in der Harptstadt verbreiteten. Schon nach
acht Tagen, am 27, capitulirte Paris, damit war der Widerstand Frankreichs ge-
brochen, es lag zu den Füßen des Siegers. Auch auf den übrigen Operations-
feldern wurden in der Mitte Januars die letzten entscheidenden Schläge geführt.
General Faidherbe, der noch kurz zuvor bei Bapaume einen zweifelhaften Erfolg
davon getragen hatte, ward durch General Göben bei St. Quentin aufs Haupt
geschlagen, so daß er mit den Trümmern seiner Armee bis Lille zurückweichen mußte.
Die französische Loire-Armee unter General Chanzy war zu Anfang Januars durch
den von Vendome aus vorrückenden Prinzen Friedrich Karl westwärts auf Le Mans
gedrängt worden, während der Großherzog von Mecklenburg von Nogent le Rotrou
aus diese Bewegung unterstützte. Am 11 begannen die mehrtägigen Kämpfe vor
Le Mans, die mit vollständiger Niederlage Chanzy's, Einnahme der Stadt und
Wegnahme des Lagers von Conlie endeten. Nur im Osten hielt damals noch eine
Armee das Feld. General Bourbaki gedachte Belfort zu entsetzen und dann die
Rückzugs- und Verpflegslinie der deutschen Armeen zu bedrohen, vielleicht einen
Einfall in Deutschland zu machen; aber in dreitägigem schwerem Kampfe wider-
stand bei Montbeliard General Werder mit seinen Badenern und Landwehren allen
Anstürmen der französischen Ostarmee, bis diese, furchtbar geschwächt und zugleich
in ihrer Rückzugslinie durch den heranmarschirenden General Manteuffel bedroht,
zurückweichen mußte, in unaufhörlichen Gefechten mit dem an ihren Fersen hängen-
den Gegner die letzte Widerstandskraft verzehrend. Am 1 Februar trat die Armee
Bourbaki's, 80,000 Mann stark, nach furchtbaren Märschen über die Schneepässe
des Jura in die Schweiz ein. Bourbaki, in Verzweiflung, machte einen Selbstmord-
versuch. Die deutschen Truppen hatten die Pariser Forts besetzt, zu ihren Füßen
die gewaltige Stadt mit ihren etwa 400,000 Kriegsgefangenen, überall ruhten die
Waffen, sie mußten ruhen, denn nirgends war mehr eine französische Armee vor-
handen die Widerstand hätte leisten können, nur die Entfernungen wären noch zu
besiegen und dann ganz Frankreich bis zu den Küsten des Atlantischen Oceans
in den Händen der Sieger gewesen. Einen Augenblick schien es als ob sich
auch dieses Schicksal erfüllen sollte. Gambetta, der Monate lang die Dictatur ge-
führt, verwarf den Waffenstillstand und verlangte Fortsetzung des Verzweiflungs-
kampfes, die Regierung von Paris aber setzte ihren Willen durch, und Gambetta
legte seine Gewalt nieder. Am 12 Februar trat die neugewählte französische
Nationalversammlung in Bordeaux zusammen, seit langer Zeit zum erstenmal
erschienen in ihr wieder altberühmte Namen der Legitimisten und Orleanisten, eine
monarchische Mehrheit schien mit leichter Mühe ihren Willen durchsetzen zu können,
das Kaiserthum war unmöglich, die Republik schien nicht die genügende Zahl von
Anhängern zu haben. Die erste Maßregel war die Ernennung eines Chefs der
vollziehenden Gewalt, die Wahl fiel mit Einstimmigkeit auf Thiers, den Träger
des verühmtesten Namens in Frankreich. Die Bildung eines Ministeriums, in welchem
Jules Favre das Ministerium des Aeußeren erhielt, und einer Commission zur
Unterstützung der Friedensverhandlungen waren die ersten Acte der neuen Regie-
rung. Am 26 Februar wurden die Friedenspräliminarien in Versailles unter-
zeichnet, sie hatten Deutschland seine sämmtlichen Forderungen bewilligt, nur
daß dieses von Abtretung der wichtigen Festung Belfort abstehen mußte.
Jules Favre, der noch zu Anfang Septembers die Worte: "kein Zoll unseres Ge-
biets, kein Stein unserer Festungen!" als Grundsatz aufgestellt hatte, mußte
seinen Namen unter die harten Bedingungen setzen. Am ersten März zogen 30,000
Deutsche als Sieger in Paris ein, und lagerten auf dem Eintrachtsplatz und in den
Gärten der Tuilerien, den Parisern den leibhaftigen Beweis ihrer Niederlage
liefernd; nach drei Tagen jedoch mußten sie wieder abziehen, mit genauer Noth
ernste Verwicklungen mit der übermüthigen Bevölkerung und damit unsägliches
Elend vermeidend. Der Präliminarfriede ward anstandslos ratificirt. Tags vor
dem letzten Pariser Ausfall, am 18 Januar, hatte in dem alten Königsschlosse zu
Versailles die feierliche Inauguirung des neuen Deutschen Reichs stattgefunden;
nun nach Sicherung des Friedens eilte der Kaiser mit den Prinzen in die Heimath.
Paris wurde bald der Schauplatz eines neuen noch schrecklicheren Kriegs. Schon
zweimal während der Belagerung von Paris, am 31 October und wenige Tage vor
der Capitulation, hatte der revolutionäre Pöbel von Paris versucht die Stadt in
seine Gewalt zu bekommen; nun erhob er trotziger sein Haupt, er sammelte einige
hundert Kanonen auf dem Montmartre an, und am 18 März kam es hier zum Zu-
sammenstoß. In Folge unbegreiflicher Nachlässigkeit zogen die Regierungstruppen
den Kürzern, die Generale Lecomte und Clement Thomas wurden ermordet, die
Stadt war in den Händen der Insurgenten, die sich, in Erinnerung an die Com-
mune von 1794 unter Hebert und Chaumette, als Pariser Commune constituirten.
Im April begannen die langweiligen Kämpfe an der Brücke von Neuilly, denen
am 21 Mai der Eintritt der Versailler Armee in die Stadt und nach fünftägigem
Straßenkampf die Besitznahme von ganz Paris folgten, nicht ohne daß vorher die
Revolution ihre wildesten Orgien in Brand und Mord gefeiert hätte. Einige Tage
zuvor war der definitive Friedensvertrag in Versailles ratificirt worden. Vom
Juni bis September concentirte sich die Thätigkeit der Regierung wie der Natio-
nalversammlung in den Bemühungen: die Härte der Friedensbedingungen so viel
als möglich zu mildern. Es gelang dieß auch in für beide Theile erfreulicher Weise,

[Spaltenumbruch]

Von Savigny der öſterreichiſchen Regierung im Jahre 1855 für den Lehrſitz
der Pandekten in Padua vorgeſchlagen, lehnte Conticini mit großem Zartgefühl
den ehrenvollen Ruf ab, um ſeinem engeren Vaterland Toscana und ſeinem Fürſten
ſeine dankbaren Dienſte zu bewahren, und ſtatt ſeiner gieng Serafini dorthin,
nachdem derſelbe ſich in einem ſechsmonatlichen Aufenthalt in Siena bei Conticini
die Mittel zu weiterer Ausbildung verſchafft hatte, deſſen Andenken er auch jetzt
in ſeinem Archivio giuridico ein ehrendes Denkmal geſetzt.

Das Haus des Prof. Conticini war allen deutſchen Gäſten offen, und viele
Männer der Wiſſenſchaft haben dort freundſchaftliche Aufnahme gefunden, von
denen ich nur Niebuhr, Hollweg, Mittermayer und Rud. Wagner erwähnen will.
So war und blieb er ſtets wie als Lehrer und Schriftſteller, ſo als Menſch ein
Vermittler deutſcher und italieniſcher Anſchauungen, Lehren, und Sitten.

Leider hatten ihn wiederholte Schlaganfälle ſeit dem Jahre 1863 gezwungen
ſeine Wirkſamkeit als öffentlicher Lehrer zu unterbrechen. Dieſelben wiederholten
ſich häufiger im vergangenen Sommer, und machten am 10 November ſeinem ge-
quälten Daſein ein Ende.



Niederland.

In Folge eines eigenen Mißgeſchickes liegen zur
Zeit ſowohl der außerparlamentariſche Führer der Oppoſition, Gr. Groen van
Prinſterer, als der Cabinetschef, Hr. Thorbecke, krank darnieder. Die Lage der
buntſcheckigen Rechten — dieſelbe beſteht bekanntlich ſeit den letzten Jahren in Hol-
land ſowohl aus orthodoxen und hyperorthodoxen Proteſtanten als aus Ultramon-
tanen — iſt ſchon ſeit längerer Zeit eine keineswegs günſtige, während das Miniſte-
rium nunmehr vielleicht ebenſo krank, wenn nicht noch kränker als ſein Führer iſt,
namentlich ſeitdem es vor einigen Tagen, bei den Verhandlungen über den Geſetz-
entwurf zur weiteren Tilgung von 10 Millionen Gulden, zu einem offenen Bruch
zwiſchen dem Cabinet und einem erheblichen Theile der liberalen Partei kam. Die-
ſelbe iſt nämlich des Janusgeſichtes müde welches das Miniſterium je nach den
Verhältniſſen dem Lande, mit Bezug auf die finanzielle Lage, zeigt. So z. B.
wurde noch kürzlich, als der Finanzminiſter in der Kammer ſeine altherkömmliche
Rede über die Lage des Schatzes abhielt, ein Deſicit in Ausſicht geſtellt und
in Folge deſſen um die Ermächtigung zur eventuellen Ausgabe von 8½ Millionen
Schatzbons gebeten. Nun tritt der Finanzminiſter aber plötzlich mit der Erklä-
rung hervor: die finanzielle Lage ſei ſo günſtig, daß dieſelbe ihm erlaube die früher
eingeſtellte Tilgung der Staatsſchuld von neuem, und zwar bis zu einem Betrage
von 10 Millionen, aufzunehmen. Dieſe unerwartete Schwenkung berechtigte zu
der Vermuthung daß die Regierung ihren früher angezeigten Plan zur Reorgani-
ſation des Steuerweſens, reſp. zur Einführung der Einkommenſteuer, fallen zu
laſſen verlangt, indem dieſe Schwenkung ſich zu gleicher Zeit zu einer Einlenkung
nach rechts zu entpuppen ſchien. Verlangt doch die parlamentariſche Rechte: die
Regierung möge nicht an den Steuereinrichtungen rütteln, ſondern vielmehr, ſtatt
an die Erhebung einer Einkommenſteuer zu denken, auf Koſten der Bedürfniſſe der
oſtindiſchen Colonien ein etwaiges Deſicit ausgleichen, reſp. die Tilgung der Staats-
ſchuld fortſetzen. Und ſo konnte der unerwartete Tilgungsvorſchlag ſeitens eines
Mitgliedes der Linken als der Wendepunkt der von dem Cabinet in Ausſicht ge-
ſtellten Politik bezeichnet werden; darum erklärte derſelbe Abgeordnete: er beab-
ſichtige, zur Bekundung ſeines Mißtrauens dem Finanzminiſter gegenüber, gegen
den Geſetzentwurf zu ſtimmen. Aus dieſen Gründen endlich trat bei der Abſtim-
mung die ſeltene Erſcheinung zu Tag daß die Rechte maſſenhaft zu Gunſten eines von
einer freiſinnigen Regierung eingebrachten Vorſchlags eintrat, während die Min-
derheit faſt ausſchließlich aus Liberalen gebildet war. Der Entwurf wurde näm-
lich mit 40 gegen 25 Stimmen zum Geſetz erhoben. Der Rücktritt des Kriegs-
miniſters Engelvaart, deſſen Departement vorläufig durch den Marineminiſter
Brocx verwaltet wird, und deſſen Nachfolger man bis jetzt vergebens aufzutrei-
ben bemüht iſt, trägt natürlicherweiſe ebenfalls nicht zur Befeſtigung der Lage
des Miniſteriums bei. Dazu tritt auch außerdem noch die Frage: ob die erſte
Kammer, welche früher bereits zweimal ſeitens des anderen Hauſes votirte Re-
gierungsvorlagen zur Aufhebung der Zehnten zurückwies, ſich dießmal angeſichts
des ähnlichen von der zweiten Kammer faſt einhellig angenommenen Geſetzent-
wurfs verſöhnlicher zeigen wird. Inzwiſchen ſcheint die Gefahr eines Conflicts
zwiſchen den beiden Kammern anläßlich der zweiten Kammer vorgenommenen
Streichung der auf der Etatsvorlage des Auswärtigen für die niederländiſche Ge-
ſandtſchaft in Rom gebrachten Gelder beſeitigt zu ſein. Die erſte Kammer hat
nämlich das betreffende Budget in ihrer geſtrigen Sitzung mit 23 gegen 12 Stim-
men genehmigt. Vergebens verſuchte die Rechte dem Miniſter des Auswärtigen
Frhrn. Gericke van Herwynen, die Erklärung abzulocken: die Verwerfung des
Etats, in Folge der bezüglichen Streichung, ſei ihm angenehm. Der Miniſter
trat hier aber ebenſo tactvoll als im Unterhaus auf. Er betonte nur daß die
Streichung ihn unangenehm berührt habe, doch könne man deßhalb nicht von ihm,
dem Miniſter, verlangen daß er der Kammer die Beſtätigung ſeines eigenen Bud-
gets widerrathe. Und was nun die ihm ebenfalls ſeitens der Rechten vorge-
legte Frage betreffe: wie er zu handeln beabſichtige falls das Oberhaus
den Etat, wie derſelbe aus den Berathungen der zweiten Kammer hervorgieng,
annehmen möchte, ſo werde die Verſammlung leicht einſehen daß er derſelben
keine Mittheilungen darüber machen könne wie er, nach Annahme des Etats, dem
König gegenüber zu handeln beabfichtige. — Seit vorgeſtern iſt die zweite Kammer
in die Debatte der Etatsvorlage des Miniſteriums des Innern eingetreten, wobei
die Collegen des Hrn. Thorbecke ſeine Abweſenheit möglichſt wenig fühlbar zu
machen ſuchen. — Die deutſche Kunſt, welche gewöhnlich ſo glänzend bei den Kunſt-
ausſtellungen Hollands vertreten iſt, möchte es vielleicht intereſſiren daß am 13
Mai n. J. von neuem eine ſolche in unſerer Stadt eröffnet werden ſoll. Dieſelbe
wird bis zum 23 Juni währen. — Der Prinz Guſtav von Schweden, welcher be-
kanntlich in Amſterdam Abhülfe für ſein rheumatiſches Leiden ſuchte, hat vor eini-
gen Tagen, vollſtändig geheilt, die Rückreiſe nach ſeinem Vaterland angetreten. Der
Prinz v. Wied, der Schwiegerſohn des Prinzen Friedrich der Niederlande,
leiſtete dem ſchwediſchen Prinzen faſt ununterbrochen Geſellſchaft während ſeiner
Cur. Der Prinz und ſeine Gemahlin weilen zur Zeit bei ihrem Schwiegervater. —
[Spaltenumbruch] Bekanntlich hielt der König von Siam ſich kürzlich in Batavia auf. Derſelte
hat nun, als Andenken an ſeinen Ausflug, der Behörde Batavia’s einen
kupfernen Elephanten zur Errichtung auf einem der öffentlichen Plätze angeboten.
Zugleich erhielten der König und der Statthalter Indiens, ſowie verſchiedene her-
vorragende Beamten Batavia’s die Inſignien des Weißen Elephanten-Ordens.
Geſtern hat die politiſche Begehung, reſp. Erprobung, der rieſenhaften Eiſenbahn-
brücke über den Moerdyk ſtattgefunden. Das Ergebniß war ein in jeder Hinſicht
befriedigendes. Dieſelbe wird folglich in Bälde dem Verkehr übergeben werden
können.



Frankreich.

Frankreich blickt heut auf ein Jahr zurück voll von ſo
gewaltigen Ereigniſſen wie es in dieſem Jahrhundert noch keines erlebt hat.
Vor einem Jahr war zwar das Schickſal des Krieges längſt entſchieden, kein Ver-
nünftiger konnte mehr auf eine Wendung zu Gunſten Frankreichs hoffen. Trotz-
dem wüthete der Krieg noch faſt auf allen Gefechtsfeldern. Mit eiſerner Hand
hielt Moltke den Einſchließungsgürtel um Paris, und dirigirte zugleich mit electriſchem
Funken die deutſchen Heerſäulen welche im Norden, Süden und Oſten die letzten
Anſtrengungen des zähen Gegners zu nichte machen ſollten. Paris lag heute vor
einem Jahr in den letzten Zügen, die Sachſen hatten an dieſem Tage den Mont
Avron in Beſitz genommen, wenige Tage darauf begann die Beſchießung der Forts;
am 19 Januar erfolgte die große letzte Anſtrengung der Pariſer Armee um den ehernen
Ring zu durchbrechen; ſie hatte denſelben Erfolg wie alle früheren, nur daß die
Verluſte an Todten und Verwundeten auf Seite der Pariſer noch grauſiger waren
als zuvor und paniſchen Schrecken in der Harptſtadt verbreiteten. Schon nach
acht Tagen, am 27, capitulirte Paris, damit war der Widerſtand Frankreichs ge-
brochen, es lag zu den Füßen des Siegers. Auch auf den übrigen Operations-
feldern wurden in der Mitte Januars die letzten entſcheidenden Schläge geführt.
General Faidherbe, der noch kurz zuvor bei Bapaume einen zweifelhaften Erfolg
davon getragen hatte, ward durch General Göben bei St. Quentin aufs Haupt
geſchlagen, ſo daß er mit den Trümmern ſeiner Armee bis Lille zurückweichen mußte.
Die franzöſiſche Loire-Armee unter General Chanzy war zu Anfang Januars durch
den von Vendôme aus vorrückenden Prinzen Friedrich Karl weſtwärts auf Le Mans
gedrängt worden, während der Großherzog von Mecklenburg von Nogent le Rotrou
aus dieſe Bewegung unterſtützte. Am 11 begannen die mehrtägigen Kämpfe vor
Le Mans, die mit vollſtändiger Niederlage Chanzy’s, Einnahme der Stadt und
Wegnahme des Lagers von Conlie endeten. Nur im Oſten hielt damals noch eine
Armee das Feld. General Bourbaki gedachte Belfort zu entſetzen und dann die
Rückzugs- und Verpflegslinie der deutſchen Armeen zu bedrohen, vielleicht einen
Einfall in Deutſchland zu machen; aber in dreitägigem ſchwerem Kampfe wider-
ſtand bei Montbeliard General Werder mit ſeinen Badenern und Landwehren allen
Anſtürmen der franzöſiſchen Oſtarmee, bis dieſe, furchtbar geſchwächt und zugleich
in ihrer Rückzugslinie durch den heranmarſchirenden General Manteuffel bedroht,
zurückweichen mußte, in unaufhörlichen Gefechten mit dem an ihren Ferſen hängen-
den Gegner die letzte Widerſtandskraft verzehrend. Am 1 Februar trat die Armee
Bourbaki’s, 80,000 Mann ſtark, nach furchtbaren Märſchen über die Schneepäſſe
des Jura in die Schweiz ein. Bourbaki, in Verzweiflung, machte einen Selbſtmord-
verſuch. Die deutſchen Truppen hatten die Pariſer Forts beſetzt, zu ihren Füßen
die gewaltige Stadt mit ihren etwa 400,000 Kriegsgefangenen, überall ruhten die
Waffen, ſie mußten ruhen, denn nirgends war mehr eine franzöſiſche Armee vor-
handen die Widerſtand hätte leiſten können, nur die Entfernungen wären noch zu
beſiegen und dann ganz Frankreich bis zu den Küſten des Atlantiſchen Oceans
in den Händen der Sieger geweſen. Einen Augenblick ſchien es als ob ſich
auch dieſes Schickſal erfüllen ſollte. Gambetta, der Monate lang die Dictatur ge-
führt, verwarf den Waffenſtillſtand und verlangte Fortſetzung des Verzweiflungs-
kampfes, die Regierung von Paris aber ſetzte ihren Willen durch, und Gambetta
legte ſeine Gewalt nieder. Am 12 Februar trat die neugewählte franzöſiſche
Nationalverſammlung in Bordeaux zuſammen, ſeit langer Zeit zum erſtenmal
erſchienen in ihr wieder altberühmte Namen der Legitimiſten und Orleaniſten, eine
monarchiſche Mehrheit ſchien mit leichter Mühe ihren Willen durchſetzen zu können,
das Kaiſerthum war unmöglich, die Republik ſchien nicht die genügende Zahl von
Anhängern zu haben. Die erſte Maßregel war die Ernennung eines Chefs der
vollziehenden Gewalt, die Wahl fiel mit Einſtimmigkeit auf Thiers, den Träger
des verühmteſten Namens in Frankreich. Die Bildung eines Miniſteriums, in welchem
Jules Favre das Miniſterium des Aeußeren erhielt, und einer Commiſſion zur
Unterſtützung der Friedensverhandlungen waren die erſten Acte der neuen Regie-
rung. Am 26 Februar wurden die Friedenspräliminarien in Verſailles unter-
zeichnet, ſie hatten Deutſchland ſeine ſämmtlichen Forderungen bewilligt, nur
daß dieſes von Abtretung der wichtigen Feſtung Belfort abſtehen mußte.
Jules Favre, der noch zu Anfang Septembers die Worte: „kein Zoll unſeres Ge-
biets, kein Stein unſerer Feſtungen!“ als Grundſatz aufgeſtellt hatte, mußte
ſeinen Namen unter die harten Bedingungen ſetzen. Am erſten März zogen 30,000
Deutſche als Sieger in Paris ein, und lagerten auf dem Eintrachtsplatz und in den
Gärten der Tuilerien, den Pariſern den leibhaftigen Beweis ihrer Niederlage
liefernd; nach drei Tagen jedoch mußten ſie wieder abziehen, mit genauer Noth
ernſte Verwicklungen mit der übermüthigen Bevölkerung und damit unſägliches
Elend vermeidend. Der Präliminarfriede ward anſtandslos ratificirt. Tags vor
dem letzten Pariſer Ausfall, am 18 Januar, hatte in dem alten Königsſchloſſe zu
Verſailles die feierliche Inauguirung des neuen Deutſchen Reichs ſtattgefunden;
nun nach Sicherung des Friedens eilte der Kaiſer mit den Prinzen in die Heimath.
Paris wurde bald der Schauplatz eines neuen noch ſchrecklicheren Kriegs. Schon
zweimal während der Belagerung von Paris, am 31 October und wenige Tage vor
der Capitulation, hatte der revolutionäre Pöbel von Paris verſucht die Stadt in
ſeine Gewalt zu bekommen; nun erhob er trotziger ſein Haupt, er ſammelte einige
hundert Kanonen auf dem Montmartre an, und am 18 März kam es hier zum Zu-
ſammenſtoß. In Folge unbegreiflicher Nachläſſigkeit zogen die Regierungstruppen
den Kürzern, die Generale Lecomte und Clément Thomas wurden ermordet, die
Stadt war in den Händen der Inſurgenten, die ſich, in Erinnerung an die Com-
mune von 1794 unter Hébert und Chaumette, als Pariſer Commune conſtituirten.
Im April begannen die langweiligen Kämpfe an der Brücke von Neuilly, denen
am 21 Mai der Eintritt der Verſailler Armee in die Stadt und nach fünftägigem
Straßenkampf die Beſitznahme von ganz Paris folgten, nicht ohne daß vorher die
Revolution ihre wildeſten Orgien in Brand und Mord gefeiert hätte. Einige Tage
zuvor war der definitive Friedensvertrag in Verſailles ratificirt worden. Vom
Juni bis September concentirte ſich die Thätigkeit der Regierung wie der Natio-
nalverſammlung in den Bemühungen: die Härte der Friedensbedingungen ſo viel
als möglich zu mildern. Es gelang dieß auch in für beide Theile erfreulicher Weiſe,

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[36/0012] Von Savigny der öſterreichiſchen Regierung im Jahre 1855 für den Lehrſitz der Pandekten in Padua vorgeſchlagen, lehnte Conticini mit großem Zartgefühl den ehrenvollen Ruf ab, um ſeinem engeren Vaterland Toscana und ſeinem Fürſten ſeine dankbaren Dienſte zu bewahren, und ſtatt ſeiner gieng Serafini dorthin, nachdem derſelbe ſich in einem ſechsmonatlichen Aufenthalt in Siena bei Conticini die Mittel zu weiterer Ausbildung verſchafft hatte, deſſen Andenken er auch jetzt in ſeinem Archivio giuridico ein ehrendes Denkmal geſetzt. Das Haus des Prof. Conticini war allen deutſchen Gäſten offen, und viele Männer der Wiſſenſchaft haben dort freundſchaftliche Aufnahme gefunden, von denen ich nur Niebuhr, Hollweg, Mittermayer und Rud. Wagner erwähnen will. So war und blieb er ſtets wie als Lehrer und Schriftſteller, ſo als Menſch ein Vermittler deutſcher und italieniſcher Anſchauungen, Lehren, und Sitten. Leider hatten ihn wiederholte Schlaganfälle ſeit dem Jahre 1863 gezwungen ſeine Wirkſamkeit als öffentlicher Lehrer zu unterbrechen. Dieſelben wiederholten ſich häufiger im vergangenen Sommer, und machten am 10 November ſeinem ge- quälten Daſein ein Ende. Niederland. &#xfffc; Haag, 28 Dec. In Folge eines eigenen Mißgeſchickes liegen zur Zeit ſowohl der außerparlamentariſche Führer der Oppoſition, Gr. Groen van Prinſterer, als der Cabinetschef, Hr. Thorbecke, krank darnieder. Die Lage der buntſcheckigen Rechten — dieſelbe beſteht bekanntlich ſeit den letzten Jahren in Hol- land ſowohl aus orthodoxen und hyperorthodoxen Proteſtanten als aus Ultramon- tanen — iſt ſchon ſeit längerer Zeit eine keineswegs günſtige, während das Miniſte- rium nunmehr vielleicht ebenſo krank, wenn nicht noch kränker als ſein Führer iſt, namentlich ſeitdem es vor einigen Tagen, bei den Verhandlungen über den Geſetz- entwurf zur weiteren Tilgung von 10 Millionen Gulden, zu einem offenen Bruch zwiſchen dem Cabinet und einem erheblichen Theile der liberalen Partei kam. Die- ſelbe iſt nämlich des Janusgeſichtes müde welches das Miniſterium je nach den Verhältniſſen dem Lande, mit Bezug auf die finanzielle Lage, zeigt. So z. B. wurde noch kürzlich, als der Finanzminiſter in der Kammer ſeine altherkömmliche Rede über die Lage des Schatzes abhielt, ein Deſicit in Ausſicht geſtellt und in Folge deſſen um die Ermächtigung zur eventuellen Ausgabe von 8½ Millionen Schatzbons gebeten. Nun tritt der Finanzminiſter aber plötzlich mit der Erklä- rung hervor: die finanzielle Lage ſei ſo günſtig, daß dieſelbe ihm erlaube die früher eingeſtellte Tilgung der Staatsſchuld von neuem, und zwar bis zu einem Betrage von 10 Millionen, aufzunehmen. Dieſe unerwartete Schwenkung berechtigte zu der Vermuthung daß die Regierung ihren früher angezeigten Plan zur Reorgani- ſation des Steuerweſens, reſp. zur Einführung der Einkommenſteuer, fallen zu laſſen verlangt, indem dieſe Schwenkung ſich zu gleicher Zeit zu einer Einlenkung nach rechts zu entpuppen ſchien. Verlangt doch die parlamentariſche Rechte: die Regierung möge nicht an den Steuereinrichtungen rütteln, ſondern vielmehr, ſtatt an die Erhebung einer Einkommenſteuer zu denken, auf Koſten der Bedürfniſſe der oſtindiſchen Colonien ein etwaiges Deſicit ausgleichen, reſp. die Tilgung der Staats- ſchuld fortſetzen. Und ſo konnte der unerwartete Tilgungsvorſchlag ſeitens eines Mitgliedes der Linken als der Wendepunkt der von dem Cabinet in Ausſicht ge- ſtellten Politik bezeichnet werden; darum erklärte derſelbe Abgeordnete: er beab- ſichtige, zur Bekundung ſeines Mißtrauens dem Finanzminiſter gegenüber, gegen den Geſetzentwurf zu ſtimmen. Aus dieſen Gründen endlich trat bei der Abſtim- mung die ſeltene Erſcheinung zu Tag daß die Rechte maſſenhaft zu Gunſten eines von einer freiſinnigen Regierung eingebrachten Vorſchlags eintrat, während die Min- derheit faſt ausſchließlich aus Liberalen gebildet war. Der Entwurf wurde näm- lich mit 40 gegen 25 Stimmen zum Geſetz erhoben. Der Rücktritt des Kriegs- miniſters Engelvaart, deſſen Departement vorläufig durch den Marineminiſter Brocx verwaltet wird, und deſſen Nachfolger man bis jetzt vergebens aufzutrei- ben bemüht iſt, trägt natürlicherweiſe ebenfalls nicht zur Befeſtigung der Lage des Miniſteriums bei. Dazu tritt auch außerdem noch die Frage: ob die erſte Kammer, welche früher bereits zweimal ſeitens des anderen Hauſes votirte Re- gierungsvorlagen zur Aufhebung der Zehnten zurückwies, ſich dießmal angeſichts des ähnlichen von der zweiten Kammer faſt einhellig angenommenen Geſetzent- wurfs verſöhnlicher zeigen wird. Inzwiſchen ſcheint die Gefahr eines Conflicts zwiſchen den beiden Kammern anläßlich der zweiten Kammer vorgenommenen Streichung der auf der Etatsvorlage des Auswärtigen für die niederländiſche Ge- ſandtſchaft in Rom gebrachten Gelder beſeitigt zu ſein. Die erſte Kammer hat nämlich das betreffende Budget in ihrer geſtrigen Sitzung mit 23 gegen 12 Stim- men genehmigt. Vergebens verſuchte die Rechte dem Miniſter des Auswärtigen Frhrn. Gericke van Herwynen, die Erklärung abzulocken: die Verwerfung des Etats, in Folge der bezüglichen Streichung, ſei ihm angenehm. Der Miniſter trat hier aber ebenſo tactvoll als im Unterhaus auf. Er betonte nur daß die Streichung ihn unangenehm berührt habe, doch könne man deßhalb nicht von ihm, dem Miniſter, verlangen daß er der Kammer die Beſtätigung ſeines eigenen Bud- gets widerrathe. Und was nun die ihm ebenfalls ſeitens der Rechten vorge- legte Frage betreffe: wie er zu handeln beabſichtige falls das Oberhaus den Etat, wie derſelbe aus den Berathungen der zweiten Kammer hervorgieng, annehmen möchte, ſo werde die Verſammlung leicht einſehen daß er derſelben keine Mittheilungen darüber machen könne wie er, nach Annahme des Etats, dem König gegenüber zu handeln beabfichtige. — Seit vorgeſtern iſt die zweite Kammer in die Debatte der Etatsvorlage des Miniſteriums des Innern eingetreten, wobei die Collegen des Hrn. Thorbecke ſeine Abweſenheit möglichſt wenig fühlbar zu machen ſuchen. — Die deutſche Kunſt, welche gewöhnlich ſo glänzend bei den Kunſt- ausſtellungen Hollands vertreten iſt, möchte es vielleicht intereſſiren daß am 13 Mai n. J. von neuem eine ſolche in unſerer Stadt eröffnet werden ſoll. Dieſelbe wird bis zum 23 Juni währen. — Der Prinz Guſtav von Schweden, welcher be- kanntlich in Amſterdam Abhülfe für ſein rheumatiſches Leiden ſuchte, hat vor eini- gen Tagen, vollſtändig geheilt, die Rückreiſe nach ſeinem Vaterland angetreten. Der Prinz v. Wied, der Schwiegerſohn des Prinzen Friedrich der Niederlande, leiſtete dem ſchwediſchen Prinzen faſt ununterbrochen Geſellſchaft während ſeiner Cur. Der Prinz und ſeine Gemahlin weilen zur Zeit bei ihrem Schwiegervater. — Bekanntlich hielt der König von Siam ſich kürzlich in Batavia auf. Derſelte hat nun, als Andenken an ſeinen Ausflug, der Behörde Batavia’s einen kupfernen Elephanten zur Errichtung auf einem der öffentlichen Plätze angeboten. Zugleich erhielten der König und der Statthalter Indiens, ſowie verſchiedene her- vorragende Beamten Batavia’s die Inſignien des Weißen Elephanten-Ordens. Geſtern hat die politiſche Begehung, reſp. Erprobung, der rieſenhaften Eiſenbahn- brücke über den Moerdyk ſtattgefunden. Das Ergebniß war ein in jeder Hinſicht befriedigendes. Dieſelbe wird folglich in Bälde dem Verkehr übergeben werden können. Frankreich. * Paris, 31 Dec. Frankreich blickt heut auf ein Jahr zurück voll von ſo gewaltigen Ereigniſſen wie es in dieſem Jahrhundert noch keines erlebt hat. Vor einem Jahr war zwar das Schickſal des Krieges längſt entſchieden, kein Ver- nünftiger konnte mehr auf eine Wendung zu Gunſten Frankreichs hoffen. Trotz- dem wüthete der Krieg noch faſt auf allen Gefechtsfeldern. Mit eiſerner Hand hielt Moltke den Einſchließungsgürtel um Paris, und dirigirte zugleich mit electriſchem Funken die deutſchen Heerſäulen welche im Norden, Süden und Oſten die letzten Anſtrengungen des zähen Gegners zu nichte machen ſollten. Paris lag heute vor einem Jahr in den letzten Zügen, die Sachſen hatten an dieſem Tage den Mont Avron in Beſitz genommen, wenige Tage darauf begann die Beſchießung der Forts; am 19 Januar erfolgte die große letzte Anſtrengung der Pariſer Armee um den ehernen Ring zu durchbrechen; ſie hatte denſelben Erfolg wie alle früheren, nur daß die Verluſte an Todten und Verwundeten auf Seite der Pariſer noch grauſiger waren als zuvor und paniſchen Schrecken in der Harptſtadt verbreiteten. Schon nach acht Tagen, am 27, capitulirte Paris, damit war der Widerſtand Frankreichs ge- brochen, es lag zu den Füßen des Siegers. Auch auf den übrigen Operations- feldern wurden in der Mitte Januars die letzten entſcheidenden Schläge geführt. General Faidherbe, der noch kurz zuvor bei Bapaume einen zweifelhaften Erfolg davon getragen hatte, ward durch General Göben bei St. Quentin aufs Haupt geſchlagen, ſo daß er mit den Trümmern ſeiner Armee bis Lille zurückweichen mußte. Die franzöſiſche Loire-Armee unter General Chanzy war zu Anfang Januars durch den von Vendôme aus vorrückenden Prinzen Friedrich Karl weſtwärts auf Le Mans gedrängt worden, während der Großherzog von Mecklenburg von Nogent le Rotrou aus dieſe Bewegung unterſtützte. Am 11 begannen die mehrtägigen Kämpfe vor Le Mans, die mit vollſtändiger Niederlage Chanzy’s, Einnahme der Stadt und Wegnahme des Lagers von Conlie endeten. Nur im Oſten hielt damals noch eine Armee das Feld. General Bourbaki gedachte Belfort zu entſetzen und dann die Rückzugs- und Verpflegslinie der deutſchen Armeen zu bedrohen, vielleicht einen Einfall in Deutſchland zu machen; aber in dreitägigem ſchwerem Kampfe wider- ſtand bei Montbeliard General Werder mit ſeinen Badenern und Landwehren allen Anſtürmen der franzöſiſchen Oſtarmee, bis dieſe, furchtbar geſchwächt und zugleich in ihrer Rückzugslinie durch den heranmarſchirenden General Manteuffel bedroht, zurückweichen mußte, in unaufhörlichen Gefechten mit dem an ihren Ferſen hängen- den Gegner die letzte Widerſtandskraft verzehrend. Am 1 Februar trat die Armee Bourbaki’s, 80,000 Mann ſtark, nach furchtbaren Märſchen über die Schneepäſſe des Jura in die Schweiz ein. Bourbaki, in Verzweiflung, machte einen Selbſtmord- verſuch. Die deutſchen Truppen hatten die Pariſer Forts beſetzt, zu ihren Füßen die gewaltige Stadt mit ihren etwa 400,000 Kriegsgefangenen, überall ruhten die Waffen, ſie mußten ruhen, denn nirgends war mehr eine franzöſiſche Armee vor- handen die Widerſtand hätte leiſten können, nur die Entfernungen wären noch zu beſiegen und dann ganz Frankreich bis zu den Küſten des Atlantiſchen Oceans in den Händen der Sieger geweſen. Einen Augenblick ſchien es als ob ſich auch dieſes Schickſal erfüllen ſollte. Gambetta, der Monate lang die Dictatur ge- führt, verwarf den Waffenſtillſtand und verlangte Fortſetzung des Verzweiflungs- kampfes, die Regierung von Paris aber ſetzte ihren Willen durch, und Gambetta legte ſeine Gewalt nieder. Am 12 Februar trat die neugewählte franzöſiſche Nationalverſammlung in Bordeaux zuſammen, ſeit langer Zeit zum erſtenmal erſchienen in ihr wieder altberühmte Namen der Legitimiſten und Orleaniſten, eine monarchiſche Mehrheit ſchien mit leichter Mühe ihren Willen durchſetzen zu können, das Kaiſerthum war unmöglich, die Republik ſchien nicht die genügende Zahl von Anhängern zu haben. Die erſte Maßregel war die Ernennung eines Chefs der vollziehenden Gewalt, die Wahl fiel mit Einſtimmigkeit auf Thiers, den Träger des verühmteſten Namens in Frankreich. Die Bildung eines Miniſteriums, in welchem Jules Favre das Miniſterium des Aeußeren erhielt, und einer Commiſſion zur Unterſtützung der Friedensverhandlungen waren die erſten Acte der neuen Regie- rung. Am 26 Februar wurden die Friedenspräliminarien in Verſailles unter- zeichnet, ſie hatten Deutſchland ſeine ſämmtlichen Forderungen bewilligt, nur daß dieſes von Abtretung der wichtigen Feſtung Belfort abſtehen mußte. Jules Favre, der noch zu Anfang Septembers die Worte: „kein Zoll unſeres Ge- biets, kein Stein unſerer Feſtungen!“ als Grundſatz aufgeſtellt hatte, mußte ſeinen Namen unter die harten Bedingungen ſetzen. Am erſten März zogen 30,000 Deutſche als Sieger in Paris ein, und lagerten auf dem Eintrachtsplatz und in den Gärten der Tuilerien, den Pariſern den leibhaftigen Beweis ihrer Niederlage liefernd; nach drei Tagen jedoch mußten ſie wieder abziehen, mit genauer Noth ernſte Verwicklungen mit der übermüthigen Bevölkerung und damit unſägliches Elend vermeidend. Der Präliminarfriede ward anſtandslos ratificirt. Tags vor dem letzten Pariſer Ausfall, am 18 Januar, hatte in dem alten Königsſchloſſe zu Verſailles die feierliche Inauguirung des neuen Deutſchen Reichs ſtattgefunden; nun nach Sicherung des Friedens eilte der Kaiſer mit den Prinzen in die Heimath. Paris wurde bald der Schauplatz eines neuen noch ſchrecklicheren Kriegs. Schon zweimal während der Belagerung von Paris, am 31 October und wenige Tage vor der Capitulation, hatte der revolutionäre Pöbel von Paris verſucht die Stadt in ſeine Gewalt zu bekommen; nun erhob er trotziger ſein Haupt, er ſammelte einige hundert Kanonen auf dem Montmartre an, und am 18 März kam es hier zum Zu- ſammenſtoß. In Folge unbegreiflicher Nachläſſigkeit zogen die Regierungstruppen den Kürzern, die Generale Lecomte und Clément Thomas wurden ermordet, die Stadt war in den Händen der Inſurgenten, die ſich, in Erinnerung an die Com- mune von 1794 unter Hébert und Chaumette, als Pariſer Commune conſtituirten. Im April begannen die langweiligen Kämpfe an der Brücke von Neuilly, denen am 21 Mai der Eintritt der Verſailler Armee in die Stadt und nach fünftägigem Straßenkampf die Beſitznahme von ganz Paris folgten, nicht ohne daß vorher die Revolution ihre wildeſten Orgien in Brand und Mord gefeiert hätte. Einige Tage zuvor war der definitive Friedensvertrag in Verſailles ratificirt worden. Vom Juni bis September concentirte ſich die Thätigkeit der Regierung wie der Natio- nalverſammlung in den Bemühungen: die Härte der Friedensbedingungen ſo viel als möglich zu mildern. Es gelang dieß auch in für beide Theile erfreulicher Weiſe,

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 3, 3. Januar 1872, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine03_1872/12>, abgerufen am 21.11.2024.