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Allgemeine Zeitung, Nr. 2, 2. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] Veglaubigungsschreiben, und stellte sich darauf in seiner neuen Eigenschaft auch
der Kaiserin vor. Unmittelbar nach dem Neujahrsfest erwartet man die Ankunft
des neuen französischen Botschafters, Hrn. v. Gontaut-Biron, mit dessen Beglaubigung
an unserem Hofe die bisher in dem hiesigen diplomatischen Corps bestandenen
Lücken wieder ausgefüllt sein werden. Inzwischen ist auch der Staatssecretär
v. Thile von seinem Fußleiden wieder so weit geheilt, daß er seit Mittwoch sich in
voller Amtsthätigkeit befindet. Während also der regelmäßige Verkehr zwischen
unserem auswärtigen Amt und dem diplomatischen Corps vollständig wiederher-
gestellt oder doch wenigstens seiner völligen Wiederherstellung nahe ist, sprechen
sich unsere inspirirten Organe bei ihrem Rückblick auf die Ereignisse und Ergebnisse
des verflossenen Jahres mit der lebhaftesten Befriedigung über die Stellung des
Deutschen Reiches in Europa und über den eminent friedlichen Charakter der gegen-
wärtigen Lage aus. Bemerkenswerth ist in dieser Beziehung besonders die
äußerst optimistische Sprache der "Prov.-Corr.," welche ihren Gipfelpunkt in
folgendem Satz erreicht: "Unter allen Umständen bietet die Friedensstimmung
in ganz Europa, sowie der thatsächliche Stand der politischen und militärischen
Verhältnisse, so starke Bürgschaften des Friedens, wie sie kaum jemals vorhanden
waren." In unseren politischen Kreisen freilich ist man weniger geneigt sein
Urtheil durch dieses officiöse Friedensgeläute bestimmen zu lassen. Und daran
thut man auch gewiß sehr wohl, da die Erfahrung gelehrt hat daß die Kundgebungen
der Negierungspresse doch nicht immer ein sicherer politischer Barometer sind. Den
Beweis dafür liefert die Thatsache daß unsere ministeriellen Blätter am Ausgange
des Jahres 1869 mit derselben Zuversicht wie heute von der Erhaltung des Friedens
in Europa sprachen, und daß wir kaum sechs Monate später in den welterschüttern-
den Krieg mit Frankreich verwickelt waren. Unsere officiöse und unsere regierungs-
freundliche Presse erschüttert auch selbst den Glauben an jenen trostreichen Aus-
spruch der "Prov.-Corr.," indem sie unisono eine angebliche Stuttgarter Correspon-
denz der "Köln. Ztg." als "bemerkenswerth" reproducirt, in welcher -- im schroff-
sten Gegensatz zu dem oben citirten Satz unseres Regierungs-Organs -- ausgeführt
wird daß der Friede in Europa nur an einem seidenen Faden hänge. Der Ver-
fasser dieses Aufsatzes will nämlich glauben machen daß der Friede, der -- nach
der Ansicht der "Prov.-Corr." -- niemals gesicherter war als heute, im höchsten
Grade gefährdet sei wenn Bayern und Württemberg auf der Durchführung des
ihnen vertragsmäßig gewährleisteten Rechts der sellbständigen diplomatischen Ver-
tretung im Auslande bestünden. Ja, der Artikelschreiber behauptet sogar daß die
Ernennung eines württembergischen Geschäftsträgers in Paris ein Schritt zum
neuen Kriege, ein Frevel am Vaterland und an der neuen Heimath wäre, und daß
dasselbe auch von der Belassung des bayerischen Geschäftsträgers in Paris gelte.
Zur Begründung einer so kühnen Behauptung macht er geltend daß durch solche
Einrichtungen die krankhafte Einbildung der auf Deutschlands Schwäche speculiren-
den Franzosen gesteigert werde. Ein so starkes und mächtiges Reich wie das Deutsche
hat aber doch fürwahr wenig Ursache "der krankhaften Einbildung" der Franzosen
zuliebe feierlich geschlossene Verträge zu verletzen und den Einzelstaaten gewisse
ihnen verbriefte Reservatrechte zu nehmen. Zu diesen Reservatrechten gehört auch
das Recht der selbständigen diplomatischen Vertretung im Auslande, welchem
Recht in Bezug auf Bayern noch eine besondere Bedeutung dadurch beigelegt
worden ist daß, laut dem Versailler Vertrag, in Verhinderungsfällen des
deutschen Gefandten dessen Vertretung dem Gesandtens Bayerns übertragen ist.
Der praktische Sinn dieser Clausel hat sich bereits in Rom bewährt, wo
der bayerische Gesandte seit vielen Monaten den Gesandten Deutschlands bei
der römischen Curie vertritt, und voraussichtlich auch noch ziemlich lange
vertreten wird. Eine Specialvertretung Bayerns in Paris rechtfertigt sich außer-
dem vollkommen durch die starke Zahl der in Frankreich lebenden Bayern, deren
Interessen nur durch einen eigenen diplomatischen Agenten genügend wahrgenom-
men werden können. Schwerlich würde auch Fürst Bismarck sich zu der Versailler
Klausel verstanden haben, und im Reichstag wiederholt für das den Einzelstaaten
gewährleistete Recht der selbständigen diplomatischen Repräsentation im Ausland
eingetreten sein, wenn die Prämissen und Schlußfolgerungen der erwähnten
Correspondenz der "Kölnischen Zeitung" auch nur annähernd begründet wären.
Wollen die Franzosen durchaus den Rachekrieg, so werden sie ihn entzün-
den wenn sie sich dazu stark genug fühlen. Aber der Umstand daß neben dem
deutschen Botschafter in Paris noch diplomatische Specialagenten fungiren,
wird darauf nicht den mindesten Einfluß üben. -- Die technischen Vorar-
beiten für die Herstellung des Elbe-Spree-Canals werden beginnen sobald die
Witterung es erlaubt. Sämmtliche von der Canal-Linie berührte Ortschaften sind
davon bereits amtlich in Kenntniß gesetzt, und gleichzeitig aufgefordert worden den
mit dieser Arbeit beauftragten beiden Ingenieuren keine Hindernisse in den Weg
zu legen. -- Diesen Abend wird Fürst Bismarck aus der Provinz Sachsen zurück-
erwartet.


Die hiesige kgl. Regeirung hat nunmehr, bezüglich der
Opposition welche zwei hiesige Altkatholiken gegen die fernere Zahlung von Kirchen-
steuern angemeldet hatten, den Competenz-Conflict erhoben. Was diese Frage
wegen der Kirchensteuer anbetrifft, so sagt einem doch schon der gesunde Menschen-
verstand daß, wenn die bedingten Rechte wider Willen entzogen werden, so auch die
bedingenden Pflichten von selbst wegfallen müssen, und wir sind fest überzeugt
daß genug Juristen vom Fach diese Ansicht theilen werden. So hat denn auch An-
fangs November das Friedensgericht zu Elberfeld bei einem Evangelischen und
Ende desselben Monats das Friedensgericht Nr. 2 hieselbst bei dem Präsidenten
des "Kölner Local-Vereins der Altkatholiken," Hrn. Appellationsgerichtsrath Not-
tels, nachdem er zuvor die vorgeschützte Incompetenz-Einrede in weitläuftiger
Motivirung verworfen, sein Urtheil dahin abgegeben: daß die Vetreffenden zur fer-
neren Zahlung der Kirchensteuer nicht verpflichtet seien, und das hiesige Stadtver-
ordneten-Collegium hat darauf mit überwältigender Mehrheit (19 gegen 4 Stimmen)
beschlossen: von dem Rechtsmittel der Berufung Abstand zu nehmen, um so mehr
als die ganze Sache nur die betreffende Pfarrgemeinde als solche, gar nicht aber
die Civilgemeinde angehe. Hoffentlich werden die anläßlich der kirchlichen Wirren
in Aussicht gestellten neuen Gesetze einen ähnlichen Geist athmen: "Trennung von
Staat und Kirche."

[Spaltenumbruch]
Oesterreichisch-ungarische Monarchie.

Beide Reichsrathshäuser haben sich vertagt, das Herren-
haus auf unbestimmte Zeit, aber wohl jedenfalls bis dahin wo die Adreßcommis-
sion ihren Entwurf vorzulegen in der Lage ist, das Abgeordnetenhaus ausgesproche-
nermaßen bis der Commissionsentwurf der Adresse fertig vorliegt. Vor der Ver-
tagung hat das Herrenhaus auch seinerseits die Forterhebung der Steuern für die
nächsten drei Monate bewilligt, fünf Stimmen jedoch -- nicht allzu viele -- mit
der ausdrücklich beigefügten Verwahrung daß diese Bewilligung kein Vertrauens-
votum in sich schließe; das Abgeordnetenhaus aber hat bereits die Polen in die
Action treten und die Resolution des galizischen Landtags als selbständige Vor-
lage einbringen sehen, und damit ist diese wichtige Frage in die richtige Bahn ge-
lenkt, und wird die Regierung und wird das Haus auf dem Boden der Verfassung
sowohl zu der principiellen Entscheidung ob eine staatsrechtliche Sonderstellung
Galiziens möglich und zulässig, als eventuell zu den Voraussetzungen und Bedin-
gungen ihrer Durchführung feste Stellung zu nehmen haben. Die "Deutsche
Zeitung" aber weiß die parlamentarische Pause nicht besser auszufüllen als daß sie sich
zu dem Antrag erhitzt: das Ministerium Hohenwart mit aller Beschleunigung in
Anklagestand zu versetzen. Ob übrigens eine Meldung richtig ist daß der
Justizminister mit Zurücklegung der betreffenden bereits fertig gearbeiteten Vor-
lagen einfach das Strafgesetzbuch und die Civilproceßordnung des Deutschen Reichs
zur Annahme empfehlen werde, vermag ich nicht zu sagen; wäre sie richtig, so
würde sie selbst einer politischen Bedeutung sicher nicht entbehren. -- Graf Andrassy
ist zu der Ehren-Stellung eines Vicepräsidenten der Welt-Ausstellungscommission
berufen. Präsident ist bekanntlich der Erzherzog Rainer.

Großbritannien.

In Sandringham hat eine Consultation zwischen Sir William Jenner,
Dr. Gull und Sir James Paget, bezüglich der localen Complication an welcher
der Prinz von Wales seit einigen Tagen leidet, stattgefunden. Wie das medicinische
Fachblatt "Lancet" mittheilt, war das Resultat dieser Berathung günstig, und
wurde festgestellt daß der Prinz nicht allein im allgemeinen einigen Fortschritt ge-
macht hatte, sondern daß auch die Complication über der linken Hüfte bereits an-
sehnlich nachgelassen habe. Inzwischen hat die Königin, welche vorerst noch in
Sandringham bleibt, ohne die Eröffnung des Parlaments abzuwarten, welche kaum
noch einen Monat entfernt ist, und ohne Rücksichtnahme auf die herkömmliche For-
malität, die folgende Proclamation erlassen:

Die Königin wünscht angelegentlichst ihrer
tiefen Erkenntlichkeit für die rührende Theilnahme Ausdruck zu geben welche
die ganze Nation bei Gelegenheit der besorgnißerregenden Krankheit ihres theuern
Sohnes, des Prinzen von Wales, an den Tag gelegt hat. Die allgemeine Stimmung
ihres Volkes während dieser peinlichen schrecklichen Tage und die ihn und ihrer ge-
liebten Tochter, der Prinzessin von Wales, bewiesene Theilnahme, sowie die allgemeine
Freude über die Besserung im Zustande des Prinzen von Wales haben einen tiefen und
dauernden Eindruck auf ihr Herz gemacht, der niemals verwischt werden kann. Es war
ihr allerdings nichts neues, denn die Königin hatte die nämliche Theilnahme ange-
troffen als -- gerade vor zehn Jahren -- eine ähnliche Krankheit den Gefährten ihres
Lebens, den besten, weisesten und liebevollsten Gatten, von ihrer Seite riß. Die Königin
wünscht zu gleicher Zeit im Namen der Prinzessin von Wales den Gefühlen herzlicher
Dankbarleit Ausdruck zu geben, denn sie wurde durch die große und allgemeine Kund-
gebung von Loyalität und Theilnahme ebenso tief gerührt wie die Königin. Die Königin
kann nicht schließen ohne ihre Hoffnung auszusprechen daß ihre getreuen Unterthanen
in ihren Gebeten zu Gott um vollständige Wiederherstellung ihres theuern Sohnes zu
Gesundheit und Körperkraft fortfahren werden."

Die Antrittsrede Döllingers wird von dem conservativen "Standard" mit
großem Beifall besprochen: "Es ist unmöglich -- heißt es in dem betreffenden Ar-
tikel unter anderem -- sich etwas zu denken was passender unter den Verhältnissen
wäre als diese Ansprache des Mannes welchen man den Nestor der Theologie ge-
nannt hat. Nach den jüngsten politischen Ereignissen ist die Rede voll von deut-
scher Nationalität, allein es hallt in derselben ein Ton des nationalen Triumphes
nach wie er eines Gelehrten und eines Christen würdig ist. In seinem heutigen
persönlichen Ringen mit Rom war es ferner natürlich daß die Erhebung gegen den
Vatican ausdrückliche Erwähnung finden sollte. Die einschneidende und zuversicht-
liche Sprache rücksichtlich dieses Punktes erledigt ein für allemal die von einem
Theil der deutschen Presse gemachten und von einzelnen englischen Blättern wie-
derholten boshaften Anspielungen. Es ist augenscheinlich daß Hr. v. Döllinger
nicht durch den Münchener Congreß entmuthigt ist. Der ausgesprochene deutsche
Charakter der Rede beweist den praktischen Ernst des Mannes. Er weiß daß,
wenn einmal die Massen in Deutschland ein volles Interesse an der Bewegung
genommen, die Wirkung auf die ganze katholische Kirche eine gewaltige sein muß.
Es ist allgemein -- bekannt und Dr. Döllinger beruft sich auf die Thatsache -- daß der
im Anfang des Jahrhunderts in Deutschland herrschende Unglaube einem tiefen
religiösen Gefühle Platz gemacht hat, und von diesem Gefühl erwartet Döllinger
daß es den Vatican überwältigen und der Welt die Katholicität zurückgeben werde."

Das Begräbniß Lord Ellenboroughs hat ohne alles Gepränge in dem roman-
tisch gelegenen Dörfchen Oxenton bei Cheltenham stattgefunden. Die Leiche wurde
in der von dem Verstorbenen vor langer Zeit erbauten einfachen Gruft beigesetzt,
und zwar an der Seite seines Sohnes, welcher vor dreißig Jahren in zartem Kin-
desalter starb.

Officieller Ankündigung zufolge ist der Attorney General für Irland, Hr.
Barry zum Richter am Dubliner Gerichtshofe der Queen's Bench ernannt wor-
den; an seine Stelle tritt der bisherige Solicitor General, Hr. Dowse, und als
Nachfolger des letztern bezeichnet das Gerücht den Sergeant Armstrong oder Hrn.
Paller.

Laut telegraphischer Meldung aus Calcutta ist Erzdechant Pratt, der be-
deutende Theologe und Mathematiker in Ghasipur an choleraartiger Diarrhöe
gestorben.

Frankreich.

* Victor Hugo, der große Phrasenheld, hat glücklicherweise eine neue Phrase
in das politische Leben Frankreichs eingeführt: "das contractuelle Mandat," das-
selbe ist natürlich identisch mit dem imperativen Mandat; diesen Ausdruck jedoch
anzunehmen verbot dem großen Schriftsteller sein republicanisches Gewissen. An seiner
Stelle erfand man dann den neuen Ausdruck der genau dasselbe sagt wie der ab-
gelehnte Ausdruck. Im englischen Palament bestand jedenfalls bis zu den Zeiten

[Spaltenumbruch] Veglaubigungsſchreiben, und ſtellte ſich darauf in ſeiner neuen Eigenſchaft auch
der Kaiſerin vor. Unmittelbar nach dem Neujahrsfeſt erwartet man die Ankunft
des neuen franzöſiſchen Botſchafters, Hrn. v. Gontaut-Biron, mit deſſen Beglaubigung
an unſerem Hofe die bisher in dem hieſigen diplomatiſchen Corps beſtandenen
Lücken wieder ausgefüllt ſein werden. Inzwiſchen iſt auch der Staatsſecretär
v. Thile von ſeinem Fußleiden wieder ſo weit geheilt, daß er ſeit Mittwoch ſich in
voller Amtsthätigkeit befindet. Während alſo der regelmäßige Verkehr zwiſchen
unſerem auswärtigen Amt und dem diplomatiſchen Corps vollſtändig wiederher-
geſtellt oder doch wenigſtens ſeiner völligen Wiederherſtellung nahe iſt, ſprechen
ſich unſere inſpirirten Organe bei ihrem Rückblick auf die Ereigniſſe und Ergebniſſe
des verfloſſenen Jahres mit der lebhafteſten Befriedigung über die Stellung des
Deutſchen Reiches in Europa und über den eminent friedlichen Charakter der gegen-
wärtigen Lage aus. Bemerkenswerth iſt in dieſer Beziehung beſonders die
äußerſt optimiſtiſche Sprache der „Prov.-Corr.,“ welche ihren Gipfelpunkt in
folgendem Satz erreicht: „Unter allen Umſtänden bietet die Friedensſtimmung
in ganz Europa, ſowie der thatſächliche Stand der politiſchen und militäriſchen
Verhältniſſe, ſo ſtarke Bürgſchaften des Friedens, wie ſie kaum jemals vorhanden
waren.“ In unſeren politiſchen Kreiſen freilich iſt man weniger geneigt ſein
Urtheil durch dieſes officiöſe Friedensgeläute beſtimmen zu laſſen. Und daran
thut man auch gewiß ſehr wohl, da die Erfahrung gelehrt hat daß die Kundgebungen
der Negierungspreſſe doch nicht immer ein ſicherer politiſcher Barometer ſind. Den
Beweis dafür liefert die Thatſache daß unſere miniſteriellen Blätter am Ausgange
des Jahres 1869 mit derſelben Zuverſicht wie heute von der Erhaltung des Friedens
in Europa ſprachen, und daß wir kaum ſechs Monate ſpäter in den welterſchüttern-
den Krieg mit Frankreich verwickelt waren. Unſere officiöſe und unſere regierungs-
freundliche Preſſe erſchüttert auch ſelbſt den Glauben an jenen troſtreichen Aus-
ſpruch der „Prov.-Corr.,“ indem ſie uniſono eine angebliche Stuttgarter Correſpon-
denz der „Köln. Ztg.“ als „bemerkenswerth“ reproducirt, in welcher — im ſchroff-
ſten Gegenſatz zu dem oben citirten Satz unſeres Regierungs-Organs — ausgeführt
wird daß der Friede in Europa nur an einem ſeidenen Faden hänge. Der Ver-
faſſer dieſes Aufſatzes will nämlich glauben machen daß der Friede, der — nach
der Anſicht der „Prov.-Corr.“ — niemals geſicherter war als heute, im höchſten
Grade gefährdet ſei wenn Bayern und Württemberg auf der Durchführung des
ihnen vertragsmäßig gewährleiſteten Rechts der ſellbſtändigen diplomatiſchen Ver-
tretung im Auslande beſtünden. Ja, der Artikelſchreiber behauptet ſogar daß die
Ernennung eines württembergiſchen Geſchäftsträgers in Paris ein Schritt zum
neuen Kriege, ein Frevel am Vaterland und an der neuen Heimath wäre, und daß
dasſelbe auch von der Belaſſung des bayeriſchen Geſchäftsträgers in Paris gelte.
Zur Begründung einer ſo kühnen Behauptung macht er geltend daß durch ſolche
Einrichtungen die krankhafte Einbildung der auf Deutſchlands Schwäche ſpeculiren-
den Franzoſen geſteigert werde. Ein ſo ſtarkes und mächtiges Reich wie das Deutſche
hat aber doch fürwahr wenig Urſache „der krankhaften Einbildung“ der Franzoſen
zuliebe feierlich geſchloſſene Verträge zu verletzen und den Einzelſtaaten gewiſſe
ihnen verbriefte Reſervatrechte zu nehmen. Zu dieſen Reſervatrechten gehört auch
das Recht der ſelbſtändigen diplomatiſchen Vertretung im Auslande, welchem
Recht in Bezug auf Bayern noch eine beſondere Bedeutung dadurch beigelegt
worden iſt daß, laut dem Verſailler Vertrag, in Verhinderungsfällen des
deutſchen Gefandten deſſen Vertretung dem Geſandtens Bayerns übertragen iſt.
Der praktiſche Sinn dieſer Clauſel hat ſich bereits in Rom bewährt, wo
der bayeriſche Geſandte ſeit vielen Monaten den Geſandten Deutſchlands bei
der römiſchen Curie vertritt, und vorausſichtlich auch noch ziemlich lange
vertreten wird. Eine Specialvertretung Bayerns in Paris rechtfertigt ſich außer-
dem vollkommen durch die ſtarke Zahl der in Frankreich lebenden Bayern, deren
Intereſſen nur durch einen eigenen diplomatiſchen Agenten genügend wahrgenom-
men werden können. Schwerlich würde auch Fürſt Bismarck ſich zu der Verſailler
Klauſel verſtanden haben, und im Reichstag wiederholt für das den Einzelſtaaten
gewährleiſtete Recht der ſelbſtändigen diplomatiſchen Repräſentation im Ausland
eingetreten ſein, wenn die Prämiſſen und Schlußfolgerungen der erwähnten
Correſpondenz der „Kölniſchen Zeitung“ auch nur annähernd begründet wären.
Wollen die Franzoſen durchaus den Rachekrieg, ſo werden ſie ihn entzün-
den wenn ſie ſich dazu ſtark genug fühlen. Aber der Umſtand daß neben dem
deutſchen Botſchafter in Paris noch diplomatiſche Specialagenten fungiren,
wird darauf nicht den mindeſten Einfluß üben. — Die techniſchen Vorar-
beiten für die Herſtellung des Elbe-Spree-Canals werden beginnen ſobald die
Witterung es erlaubt. Sämmtliche von der Canal-Linie berührte Ortſchaften ſind
davon bereits amtlich in Kenntniß geſetzt, und gleichzeitig aufgefordert worden den
mit dieſer Arbeit beauftragten beiden Ingenieuren keine Hinderniſſe in den Weg
zu legen. — Dieſen Abend wird Fürſt Bismarck aus der Provinz Sachſen zurück-
erwartet.


Die hieſige kgl. Regeirung hat nunmehr, bezüglich der
Oppoſition welche zwei hieſige Altkatholiken gegen die fernere Zahlung von Kirchen-
ſteuern angemeldet hatten, den Competenz-Conflict erhoben. Was dieſe Frage
wegen der Kirchenſteuer anbetrifft, ſo ſagt einem doch ſchon der geſunde Menſchen-
verſtand daß, wenn die bedingten Rechte wider Willen entzogen werden, ſo auch die
bedingenden Pflichten von ſelbſt wegfallen müſſen, und wir ſind feſt überzeugt
daß genug Juriſten vom Fach dieſe Anſicht theilen werden. So hat denn auch An-
fangs November das Friedensgericht zu Elberfeld bei einem Evangeliſchen und
Ende desſelben Monats das Friedensgericht Nr. 2 hieſelbſt bei dem Präſidenten
des „Kölner Local-Vereins der Altkatholiken,“ Hrn. Appellationsgerichtsrath Not-
tels, nachdem er zuvor die vorgeſchützte Incompetenz-Einrede in weitläuftiger
Motivirung verworfen, ſein Urtheil dahin abgegeben: daß die Vetreffenden zur fer-
neren Zahlung der Kirchenſteuer nicht verpflichtet ſeien, und das hieſige Stadtver-
ordneten-Collegium hat darauf mit überwältigender Mehrheit (19 gegen 4 Stimmen)
beſchloſſen: von dem Rechtsmittel der Berufung Abſtand zu nehmen, um ſo mehr
als die ganze Sache nur die betreffende Pfarrgemeinde als ſolche, gar nicht aber
die Civilgemeinde angehe. Hoffentlich werden die anläßlich der kirchlichen Wirren
in Ausſicht geſtellten neuen Geſetze einen ähnlichen Geiſt athmen: „Trennung von
Staat und Kirche.“

[Spaltenumbruch]
Oeſterreichiſch-ungariſche Monarchie.

Beide Reichsrathshäuſer haben ſich vertagt, das Herren-
haus auf unbeſtimmte Zeit, aber wohl jedenfalls bis dahin wo die Adreßcommiſ-
ſion ihren Entwurf vorzulegen in der Lage iſt, das Abgeordnetenhaus ausgeſproche-
nermaßen bis der Commiſſionsentwurf der Adreſſe fertig vorliegt. Vor der Ver-
tagung hat das Herrenhaus auch ſeinerſeits die Forterhebung der Steuern für die
nächſten drei Monate bewilligt, fünf Stimmen jedoch — nicht allzu viele — mit
der ausdrücklich beigefügten Verwahrung daß dieſe Bewilligung kein Vertrauens-
votum in ſich ſchließe; das Abgeordnetenhaus aber hat bereits die Polen in die
Action treten und die Reſolution des galiziſchen Landtags als ſelbſtändige Vor-
lage einbringen ſehen, und damit iſt dieſe wichtige Frage in die richtige Bahn ge-
lenkt, und wird die Regierung und wird das Haus auf dem Boden der Verfaſſung
ſowohl zu der principiellen Entſcheidung ob eine ſtaatsrechtliche Sonderſtellung
Galiziens möglich und zuläſſig, als eventuell zu den Vorausſetzungen und Bedin-
gungen ihrer Durchführung feſte Stellung zu nehmen haben. Die „Deutſche
Zeitung“ aber weiß die parlamentariſche Pauſe nicht beſſer auszufüllen als daß ſie ſich
zu dem Antrag erhitzt: das Miniſterium Hohenwart mit aller Beſchleunigung in
Anklageſtand zu verſetzen. Ob übrigens eine Meldung richtig iſt daß der
Juſtizminiſter mit Zurücklegung der betreffenden bereits fertig gearbeiteten Vor-
lagen einfach das Strafgeſetzbuch und die Civilproceßordnung des Deutſchen Reichs
zur Annahme empfehlen werde, vermag ich nicht zu ſagen; wäre ſie richtig, ſo
würde ſie ſelbſt einer politiſchen Bedeutung ſicher nicht entbehren. — Graf Andraſſy
iſt zu der Ehren-Stellung eines Vicepräſidenten der Welt-Ausſtellungscommiſſion
berufen. Präſident iſt bekanntlich der Erzherzog Rainer.

Großbritannien.

In Sandringham hat eine Conſultation zwiſchen Sir William Jenner,
Dr. Gull und Sir James Paget, bezüglich der localen Complication an welcher
der Prinz von Wales ſeit einigen Tagen leidet, ſtattgefunden. Wie das mediciniſche
Fachblatt „Lancet“ mittheilt, war das Reſultat dieſer Berathung günſtig, und
wurde feſtgeſtellt daß der Prinz nicht allein im allgemeinen einigen Fortſchritt ge-
macht hatte, ſondern daß auch die Complication über der linken Hüfte bereits an-
ſehnlich nachgelaſſen habe. Inzwiſchen hat die Königin, welche vorerſt noch in
Sandringham bleibt, ohne die Eröffnung des Parlaments abzuwarten, welche kaum
noch einen Monat entfernt iſt, und ohne Rückſichtnahme auf die herkömmliche For-
malität, die folgende Proclamation erlaſſen:

Die Königin wünſcht angelegentlichſt ihrer
tiefen Erkenntlichkeit für die rührende Theilnahme Ausdruck zu geben welche
die ganze Nation bei Gelegenheit der beſorgnißerregenden Krankheit ihres theuern
Sohnes, des Prinzen von Wales, an den Tag gelegt hat. Die allgemeine Stimmung
ihres Volkes während dieſer peinlichen ſchrecklichen Tage und die ihn und ihrer ge-
liebten Tochter, der Prinzeſſin von Wales, bewieſene Theilnahme, ſowie die allgemeine
Freude über die Beſſerung im Zuſtande des Prinzen von Wales haben einen tiefen und
dauernden Eindruck auf ihr Herz gemacht, der niemals verwiſcht werden kann. Es war
ihr allerdings nichts neues, denn die Königin hatte die nämliche Theilnahme ange-
troffen als — gerade vor zehn Jahren — eine ähnliche Krankheit den Gefährten ihres
Lebens, den beſten, weiſeſten und liebevollſten Gatten, von ihrer Seite riß. Die Königin
wünſcht zu gleicher Zeit im Namen der Prinzeſſin von Wales den Gefühlen herzlicher
Dankbarleit Ausdruck zu geben, denn ſie wurde durch die große und allgemeine Kund-
gebung von Loyalität und Theilnahme ebenſo tief gerührt wie die Königin. Die Königin
kann nicht ſchließen ohne ihre Hoffnung auszuſprechen daß ihre getreuen Unterthanen
in ihren Gebeten zu Gott um vollſtändige Wiederherſtellung ihres theuern Sohnes zu
Geſundheit und Körperkraft fortfahren werden.“

Die Antrittsrede Döllingers wird von dem conſervativen „Standard“ mit
großem Beifall beſprochen: „Es iſt unmöglich — heißt es in dem betreffenden Ar-
tikel unter anderem — ſich etwas zu denken was paſſender unter den Verhältniſſen
wäre als dieſe Anſprache des Mannes welchen man den Neſtor der Theologie ge-
nannt hat. Nach den jüngſten politiſchen Ereigniſſen iſt die Rede voll von deut-
ſcher Nationalität, allein es hallt in derſelben ein Ton des nationalen Triumphes
nach wie er eines Gelehrten und eines Chriſten würdig iſt. In ſeinem heutigen
perſönlichen Ringen mit Rom war es ferner natürlich daß die Erhebung gegen den
Vatican ausdrückliche Erwähnung finden ſollte. Die einſchneidende und zuverſicht-
liche Sprache rückſichtlich dieſes Punktes erledigt ein für allemal die von einem
Theil der deutſchen Preſſe gemachten und von einzelnen engliſchen Blättern wie-
derholten boshaften Anſpielungen. Es iſt augenſcheinlich daß Hr. v. Döllinger
nicht durch den Münchener Congreß entmuthigt iſt. Der ausgeſprochene deutſche
Charakter der Rede beweist den praktiſchen Ernſt des Mannes. Er weiß daß,
wenn einmal die Maſſen in Deutſchland ein volles Intereſſe an der Bewegung
genommen, die Wirkung auf die ganze katholiſche Kirche eine gewaltige ſein muß.
Es iſt allgemein — bekannt und Dr. Döllinger beruft ſich auf die Thatſache — daß der
im Anfang des Jahrhunderts in Deutſchland herrſchende Unglaube einem tiefen
religiöſen Gefühle Platz gemacht hat, und von dieſem Gefühl erwartet Döllinger
daß es den Vatican überwältigen und der Welt die Katholicität zurückgeben werde.“

Das Begräbniß Lord Ellenboroughs hat ohne alles Gepränge in dem roman-
tiſch gelegenen Dörfchen Oxenton bei Cheltenham ſtattgefunden. Die Leiche wurde
in der von dem Verſtorbenen vor langer Zeit erbauten einfachen Gruft beigeſetzt,
und zwar an der Seite ſeines Sohnes, welcher vor dreißig Jahren in zartem Kin-
desalter ſtarb.

Officieller Ankündigung zufolge iſt der Attorney General für Irland, Hr.
Barry zum Richter am Dubliner Gerichtshofe der Queen’s Bench ernannt wor-
den; an ſeine Stelle tritt der bisherige Solicitor General, Hr. Dowſe, und als
Nachfolger des letztern bezeichnet das Gerücht den Sergeant Armſtrong oder Hrn.
Paller.

Laut telegraphiſcher Meldung aus Calcutta iſt Erzdechant Pratt, der be-
deutende Theologe und Mathematiker in Ghaſipur an choleraartiger Diarrhöe
geſtorben.

Frankreich.

* Victor Hugo, der große Phraſenheld, hat glücklicherweiſe eine neue Phraſe
in das politiſche Leben Frankreichs eingeführt: „das contractuelle Mandat,“ das-
ſelbe iſt natürlich identiſch mit dem imperativen Mandat; dieſen Ausdruck jedoch
anzunehmen verbot dem großen Schriftſteller ſein republicaniſches Gewiſſen. An ſeiner
Stelle erfand man dann den neuen Ausdruck der genau dasſelbe ſagt wie der ab-
gelehnte Ausdruck. Im engliſchen Palament beſtand jedenfalls bis zu den Zeiten

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Zur Begründung einer &#x017F;o kühnen Behauptung macht er geltend daß durch &#x017F;olche<lb/>
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Der prakti&#x017F;che Sinn die&#x017F;er Clau&#x017F;el hat &#x017F;ich bereits in Rom bewährt, wo<lb/>
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vertreten wird. Eine Specialvertretung Bayerns in Paris rechtfertigt &#x017F;ich außer-<lb/>
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Corre&#x017F;pondenz der &#x201E;Kölni&#x017F;chen Zeitung&#x201C; auch nur annähernd begründet wären.<lb/>
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fangs November das Friedensgericht zu Elberfeld bei einem Evangeli&#x017F;chen und<lb/>
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ordneten-Collegium hat darauf mit überwältigender Mehrheit (19 gegen 4 Stimmen)<lb/>
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Staat und Kirche.&#x201C;</p><lb/>
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&#x017F;ion ihren Entwurf vorzulegen in der Lage i&#x017F;t, das Abgeordnetenhaus ausge&#x017F;proche-<lb/>
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Action treten und die Re&#x017F;olution des galizi&#x017F;chen Landtags als &#x017F;elb&#x017F;tändige Vor-<lb/>
lage einbringen &#x017F;ehen, und damit i&#x017F;t die&#x017F;e wichtige Frage in die richtige Bahn ge-<lb/>
lenkt, und wird die Regierung und wird das Haus auf dem Boden der Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
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zu dem Antrag erhitzt: das Mini&#x017F;terium Hohenwart mit aller Be&#x017F;chleunigung in<lb/>
Anklage&#x017F;tand zu ver&#x017F;etzen. Ob übrigens eine Meldung richtig i&#x017F;t daß der<lb/>
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[13/0005] Veglaubigungsſchreiben, und ſtellte ſich darauf in ſeiner neuen Eigenſchaft auch der Kaiſerin vor. Unmittelbar nach dem Neujahrsfeſt erwartet man die Ankunft des neuen franzöſiſchen Botſchafters, Hrn. v. Gontaut-Biron, mit deſſen Beglaubigung an unſerem Hofe die bisher in dem hieſigen diplomatiſchen Corps beſtandenen Lücken wieder ausgefüllt ſein werden. Inzwiſchen iſt auch der Staatsſecretär v. Thile von ſeinem Fußleiden wieder ſo weit geheilt, daß er ſeit Mittwoch ſich in voller Amtsthätigkeit befindet. Während alſo der regelmäßige Verkehr zwiſchen unſerem auswärtigen Amt und dem diplomatiſchen Corps vollſtändig wiederher- geſtellt oder doch wenigſtens ſeiner völligen Wiederherſtellung nahe iſt, ſprechen ſich unſere inſpirirten Organe bei ihrem Rückblick auf die Ereigniſſe und Ergebniſſe des verfloſſenen Jahres mit der lebhafteſten Befriedigung über die Stellung des Deutſchen Reiches in Europa und über den eminent friedlichen Charakter der gegen- wärtigen Lage aus. Bemerkenswerth iſt in dieſer Beziehung beſonders die äußerſt optimiſtiſche Sprache der „Prov.-Corr.,“ welche ihren Gipfelpunkt in folgendem Satz erreicht: „Unter allen Umſtänden bietet die Friedensſtimmung in ganz Europa, ſowie der thatſächliche Stand der politiſchen und militäriſchen Verhältniſſe, ſo ſtarke Bürgſchaften des Friedens, wie ſie kaum jemals vorhanden waren.“ In unſeren politiſchen Kreiſen freilich iſt man weniger geneigt ſein Urtheil durch dieſes officiöſe Friedensgeläute beſtimmen zu laſſen. Und daran thut man auch gewiß ſehr wohl, da die Erfahrung gelehrt hat daß die Kundgebungen der Negierungspreſſe doch nicht immer ein ſicherer politiſcher Barometer ſind. Den Beweis dafür liefert die Thatſache daß unſere miniſteriellen Blätter am Ausgange des Jahres 1869 mit derſelben Zuverſicht wie heute von der Erhaltung des Friedens in Europa ſprachen, und daß wir kaum ſechs Monate ſpäter in den welterſchüttern- den Krieg mit Frankreich verwickelt waren. Unſere officiöſe und unſere regierungs- freundliche Preſſe erſchüttert auch ſelbſt den Glauben an jenen troſtreichen Aus- ſpruch der „Prov.-Corr.,“ indem ſie uniſono eine angebliche Stuttgarter Correſpon- denz der „Köln. Ztg.“ als „bemerkenswerth“ reproducirt, in welcher — im ſchroff- ſten Gegenſatz zu dem oben citirten Satz unſeres Regierungs-Organs — ausgeführt wird daß der Friede in Europa nur an einem ſeidenen Faden hänge. Der Ver- faſſer dieſes Aufſatzes will nämlich glauben machen daß der Friede, der — nach der Anſicht der „Prov.-Corr.“ — niemals geſicherter war als heute, im höchſten Grade gefährdet ſei wenn Bayern und Württemberg auf der Durchführung des ihnen vertragsmäßig gewährleiſteten Rechts der ſellbſtändigen diplomatiſchen Ver- tretung im Auslande beſtünden. Ja, der Artikelſchreiber behauptet ſogar daß die Ernennung eines württembergiſchen Geſchäftsträgers in Paris ein Schritt zum neuen Kriege, ein Frevel am Vaterland und an der neuen Heimath wäre, und daß dasſelbe auch von der Belaſſung des bayeriſchen Geſchäftsträgers in Paris gelte. Zur Begründung einer ſo kühnen Behauptung macht er geltend daß durch ſolche Einrichtungen die krankhafte Einbildung der auf Deutſchlands Schwäche ſpeculiren- den Franzoſen geſteigert werde. Ein ſo ſtarkes und mächtiges Reich wie das Deutſche hat aber doch fürwahr wenig Urſache „der krankhaften Einbildung“ der Franzoſen zuliebe feierlich geſchloſſene Verträge zu verletzen und den Einzelſtaaten gewiſſe ihnen verbriefte Reſervatrechte zu nehmen. Zu dieſen Reſervatrechten gehört auch das Recht der ſelbſtändigen diplomatiſchen Vertretung im Auslande, welchem Recht in Bezug auf Bayern noch eine beſondere Bedeutung dadurch beigelegt worden iſt daß, laut dem Verſailler Vertrag, in Verhinderungsfällen des deutſchen Gefandten deſſen Vertretung dem Geſandtens Bayerns übertragen iſt. Der praktiſche Sinn dieſer Clauſel hat ſich bereits in Rom bewährt, wo der bayeriſche Geſandte ſeit vielen Monaten den Geſandten Deutſchlands bei der römiſchen Curie vertritt, und vorausſichtlich auch noch ziemlich lange vertreten wird. Eine Specialvertretung Bayerns in Paris rechtfertigt ſich außer- dem vollkommen durch die ſtarke Zahl der in Frankreich lebenden Bayern, deren Intereſſen nur durch einen eigenen diplomatiſchen Agenten genügend wahrgenom- men werden können. Schwerlich würde auch Fürſt Bismarck ſich zu der Verſailler Klauſel verſtanden haben, und im Reichstag wiederholt für das den Einzelſtaaten gewährleiſtete Recht der ſelbſtändigen diplomatiſchen Repräſentation im Ausland eingetreten ſein, wenn die Prämiſſen und Schlußfolgerungen der erwähnten Correſpondenz der „Kölniſchen Zeitung“ auch nur annähernd begründet wären. Wollen die Franzoſen durchaus den Rachekrieg, ſo werden ſie ihn entzün- den wenn ſie ſich dazu ſtark genug fühlen. Aber der Umſtand daß neben dem deutſchen Botſchafter in Paris noch diplomatiſche Specialagenten fungiren, wird darauf nicht den mindeſten Einfluß üben. — Die techniſchen Vorar- beiten für die Herſtellung des Elbe-Spree-Canals werden beginnen ſobald die Witterung es erlaubt. Sämmtliche von der Canal-Linie berührte Ortſchaften ſind davon bereits amtlich in Kenntniß geſetzt, und gleichzeitig aufgefordert worden den mit dieſer Arbeit beauftragten beiden Ingenieuren keine Hinderniſſe in den Weg zu legen. — Dieſen Abend wird Fürſt Bismarck aus der Provinz Sachſen zurück- erwartet. ∆ Köln, 30 Dec. Die hieſige kgl. Regeirung hat nunmehr, bezüglich der Oppoſition welche zwei hieſige Altkatholiken gegen die fernere Zahlung von Kirchen- ſteuern angemeldet hatten, den Competenz-Conflict erhoben. Was dieſe Frage wegen der Kirchenſteuer anbetrifft, ſo ſagt einem doch ſchon der geſunde Menſchen- verſtand daß, wenn die bedingten Rechte wider Willen entzogen werden, ſo auch die bedingenden Pflichten von ſelbſt wegfallen müſſen, und wir ſind feſt überzeugt daß genug Juriſten vom Fach dieſe Anſicht theilen werden. So hat denn auch An- fangs November das Friedensgericht zu Elberfeld bei einem Evangeliſchen und Ende desſelben Monats das Friedensgericht Nr. 2 hieſelbſt bei dem Präſidenten des „Kölner Local-Vereins der Altkatholiken,“ Hrn. Appellationsgerichtsrath Not- tels, nachdem er zuvor die vorgeſchützte Incompetenz-Einrede in weitläuftiger Motivirung verworfen, ſein Urtheil dahin abgegeben: daß die Vetreffenden zur fer- neren Zahlung der Kirchenſteuer nicht verpflichtet ſeien, und das hieſige Stadtver- ordneten-Collegium hat darauf mit überwältigender Mehrheit (19 gegen 4 Stimmen) beſchloſſen: von dem Rechtsmittel der Berufung Abſtand zu nehmen, um ſo mehr als die ganze Sache nur die betreffende Pfarrgemeinde als ſolche, gar nicht aber die Civilgemeinde angehe. Hoffentlich werden die anläßlich der kirchlichen Wirren in Ausſicht geſtellten neuen Geſetze einen ähnlichen Geiſt athmen: „Trennung von Staat und Kirche.“ Oeſterreichiſch-ungariſche Monarchie. ȋ Wien, 30 Dec. Beide Reichsrathshäuſer haben ſich vertagt, das Herren- haus auf unbeſtimmte Zeit, aber wohl jedenfalls bis dahin wo die Adreßcommiſ- ſion ihren Entwurf vorzulegen in der Lage iſt, das Abgeordnetenhaus ausgeſproche- nermaßen bis der Commiſſionsentwurf der Adreſſe fertig vorliegt. Vor der Ver- tagung hat das Herrenhaus auch ſeinerſeits die Forterhebung der Steuern für die nächſten drei Monate bewilligt, fünf Stimmen jedoch — nicht allzu viele — mit der ausdrücklich beigefügten Verwahrung daß dieſe Bewilligung kein Vertrauens- votum in ſich ſchließe; das Abgeordnetenhaus aber hat bereits die Polen in die Action treten und die Reſolution des galiziſchen Landtags als ſelbſtändige Vor- lage einbringen ſehen, und damit iſt dieſe wichtige Frage in die richtige Bahn ge- lenkt, und wird die Regierung und wird das Haus auf dem Boden der Verfaſſung ſowohl zu der principiellen Entſcheidung ob eine ſtaatsrechtliche Sonderſtellung Galiziens möglich und zuläſſig, als eventuell zu den Vorausſetzungen und Bedin- gungen ihrer Durchführung feſte Stellung zu nehmen haben. Die „Deutſche Zeitung“ aber weiß die parlamentariſche Pauſe nicht beſſer auszufüllen als daß ſie ſich zu dem Antrag erhitzt: das Miniſterium Hohenwart mit aller Beſchleunigung in Anklageſtand zu verſetzen. Ob übrigens eine Meldung richtig iſt daß der Juſtizminiſter mit Zurücklegung der betreffenden bereits fertig gearbeiteten Vor- lagen einfach das Strafgeſetzbuch und die Civilproceßordnung des Deutſchen Reichs zur Annahme empfehlen werde, vermag ich nicht zu ſagen; wäre ſie richtig, ſo würde ſie ſelbſt einer politiſchen Bedeutung ſicher nicht entbehren. — Graf Andraſſy iſt zu der Ehren-Stellung eines Vicepräſidenten der Welt-Ausſtellungscommiſſion berufen. Präſident iſt bekanntlich der Erzherzog Rainer. Großbritannien. London, 30 Dec. In Sandringham hat eine Conſultation zwiſchen Sir William Jenner, Dr. Gull und Sir James Paget, bezüglich der localen Complication an welcher der Prinz von Wales ſeit einigen Tagen leidet, ſtattgefunden. Wie das mediciniſche Fachblatt „Lancet“ mittheilt, war das Reſultat dieſer Berathung günſtig, und wurde feſtgeſtellt daß der Prinz nicht allein im allgemeinen einigen Fortſchritt ge- macht hatte, ſondern daß auch die Complication über der linken Hüfte bereits an- ſehnlich nachgelaſſen habe. Inzwiſchen hat die Königin, welche vorerſt noch in Sandringham bleibt, ohne die Eröffnung des Parlaments abzuwarten, welche kaum noch einen Monat entfernt iſt, und ohne Rückſichtnahme auf die herkömmliche For- malität, die folgende Proclamation erlaſſen: „ Schloß Windſor, 26 Dec. Die Königin wünſcht angelegentlichſt ihrer tiefen Erkenntlichkeit für die rührende Theilnahme Ausdruck zu geben welche die ganze Nation bei Gelegenheit der beſorgnißerregenden Krankheit ihres theuern Sohnes, des Prinzen von Wales, an den Tag gelegt hat. Die allgemeine Stimmung ihres Volkes während dieſer peinlichen ſchrecklichen Tage und die ihn und ihrer ge- liebten Tochter, der Prinzeſſin von Wales, bewieſene Theilnahme, ſowie die allgemeine Freude über die Beſſerung im Zuſtande des Prinzen von Wales haben einen tiefen und dauernden Eindruck auf ihr Herz gemacht, der niemals verwiſcht werden kann. Es war ihr allerdings nichts neues, denn die Königin hatte die nämliche Theilnahme ange- troffen als — gerade vor zehn Jahren — eine ähnliche Krankheit den Gefährten ihres Lebens, den beſten, weiſeſten und liebevollſten Gatten, von ihrer Seite riß. Die Königin wünſcht zu gleicher Zeit im Namen der Prinzeſſin von Wales den Gefühlen herzlicher Dankbarleit Ausdruck zu geben, denn ſie wurde durch die große und allgemeine Kund- gebung von Loyalität und Theilnahme ebenſo tief gerührt wie die Königin. Die Königin kann nicht ſchließen ohne ihre Hoffnung auszuſprechen daß ihre getreuen Unterthanen in ihren Gebeten zu Gott um vollſtändige Wiederherſtellung ihres theuern Sohnes zu Geſundheit und Körperkraft fortfahren werden.“ Die Antrittsrede Döllingers wird von dem conſervativen „Standard“ mit großem Beifall beſprochen: „Es iſt unmöglich — heißt es in dem betreffenden Ar- tikel unter anderem — ſich etwas zu denken was paſſender unter den Verhältniſſen wäre als dieſe Anſprache des Mannes welchen man den Neſtor der Theologie ge- nannt hat. Nach den jüngſten politiſchen Ereigniſſen iſt die Rede voll von deut- ſcher Nationalität, allein es hallt in derſelben ein Ton des nationalen Triumphes nach wie er eines Gelehrten und eines Chriſten würdig iſt. In ſeinem heutigen perſönlichen Ringen mit Rom war es ferner natürlich daß die Erhebung gegen den Vatican ausdrückliche Erwähnung finden ſollte. Die einſchneidende und zuverſicht- liche Sprache rückſichtlich dieſes Punktes erledigt ein für allemal die von einem Theil der deutſchen Preſſe gemachten und von einzelnen engliſchen Blättern wie- derholten boshaften Anſpielungen. Es iſt augenſcheinlich daß Hr. v. Döllinger nicht durch den Münchener Congreß entmuthigt iſt. Der ausgeſprochene deutſche Charakter der Rede beweist den praktiſchen Ernſt des Mannes. Er weiß daß, wenn einmal die Maſſen in Deutſchland ein volles Intereſſe an der Bewegung genommen, die Wirkung auf die ganze katholiſche Kirche eine gewaltige ſein muß. Es iſt allgemein — bekannt und Dr. Döllinger beruft ſich auf die Thatſache — daß der im Anfang des Jahrhunderts in Deutſchland herrſchende Unglaube einem tiefen religiöſen Gefühle Platz gemacht hat, und von dieſem Gefühl erwartet Döllinger daß es den Vatican überwältigen und der Welt die Katholicität zurückgeben werde.“ Das Begräbniß Lord Ellenboroughs hat ohne alles Gepränge in dem roman- tiſch gelegenen Dörfchen Oxenton bei Cheltenham ſtattgefunden. Die Leiche wurde in der von dem Verſtorbenen vor langer Zeit erbauten einfachen Gruft beigeſetzt, und zwar an der Seite ſeines Sohnes, welcher vor dreißig Jahren in zartem Kin- desalter ſtarb. Officieller Ankündigung zufolge iſt der Attorney General für Irland, Hr. Barry zum Richter am Dubliner Gerichtshofe der Queen’s Bench ernannt wor- den; an ſeine Stelle tritt der bisherige Solicitor General, Hr. Dowſe, und als Nachfolger des letztern bezeichnet das Gerücht den Sergeant Armſtrong oder Hrn. Paller. Laut telegraphiſcher Meldung aus Calcutta iſt Erzdechant Pratt, der be- deutende Theologe und Mathematiker in Ghaſipur an choleraartiger Diarrhöe geſtorben. Frankreich. Paris, 30 Dec. * Victor Hugo, der große Phraſenheld, hat glücklicherweiſe eine neue Phraſe in das politiſche Leben Frankreichs eingeführt: „das contractuelle Mandat,“ das- ſelbe iſt natürlich identiſch mit dem imperativen Mandat; dieſen Ausdruck jedoch anzunehmen verbot dem großen Schriftſteller ſein republicaniſches Gewiſſen. An ſeiner Stelle erfand man dann den neuen Ausdruck der genau dasſelbe ſagt wie der ab- gelehnte Ausdruck. Im engliſchen Palament beſtand jedenfalls bis zu den Zeiten

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 2, 2. Januar 1872, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine02_1872/5>, abgerufen am 22.11.2024.