Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.so ruhe auch ich nun der Erde nahe, treu, zutrauend, Oh Glück! Oh Glück! Willst du wohl singen, oh Scheue Dich! Heisser Mittag schläft auf den Fluren. Singe nicht, du Gras-Geflügel, oh meine Seele! -- einen alten braunen Tropfen goldenen Glücks, -- "Zum Glück, wie wenig genügt schon zum Das Wenigste gerade, das Leiseste, Leichteste, -- Was geschah mir: Horch! Flog die Zeit wohl -- Was geschieht mir? Still! Es sticht mich -- -- Wie? Ward die Welt nicht eben vollkommen? so ruhe auch ich nun der Erde nahe, treu, zutrauend, Oh Glück! Oh Glück! Willst du wohl singen, oh Scheue Dich! Heisser Mittag schläft auf den Fluren. Singe nicht, du Gras-Geflügel, oh meine Seele! — einen alten braunen Tropfen goldenen Glücks, — „Zum Glück, wie wenig genügt schon zum Das Wenigste gerade, das Leiseste, Leichteste, — Was geschah mir: Horch! Flog die Zeit wohl — Was geschieht mir? Still! Es sticht mich — — Wie? Ward die Welt nicht eben vollkommen? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0069" n="62"/> so ruhe auch ich nun der Erde nahe, treu, zutrauend,<lb/> wartend, mit den leisesten Fäden ihr angebunden.</p><lb/> <p>Oh Glück! Oh Glück! Willst du wohl singen, oh<lb/> meine Seele? Du liegst im Grase. Aber das ist die<lb/> heimliche feierliche Stunde, wo kein Hirt seine Flöte<lb/> bläst.</p><lb/> <p>Scheue Dich! Heisser Mittag schläft auf den Fluren.<lb/> Singe nicht! Still! Die Welt ist vollkommen.</p><lb/> <p>Singe nicht, du Gras-Geflügel, oh meine Seele!<lb/> Flüstere nicht einmal! Sieh doch — still! der alte Mittag<lb/> schläft, er bewegt den Mund: trinkt er nicht eben einen<lb/> Tropfen Glücks —</p><lb/> <p>— einen alten braunen Tropfen goldenen Glücks,<lb/> goldenen Weins? Es huscht über ihn hin, sein Glück<lb/> lacht. So — lacht ein Gott. Still! —</p><lb/> <p>— „Zum Glück, wie wenig genügt schon zum<lb/> Glücke!“ So sprach ich einst, und dünkte mich klug.<lb/> Aber es war eine Lästerung: <hi rendition="#g">das</hi> lernte ich nun.<lb/> Kluge Narrn reden besser.</p><lb/> <p>Das Wenigste gerade, das Leiseste, Leichteste,<lb/> einer Eidechse Rascheln, ein Hauch, ein Husch, ein<lb/> Augen-Blick — <hi rendition="#g">Wenig</hi> macht die Art des <hi rendition="#g">besten</hi><lb/> Glücks. Still!</p><lb/> <p>— Was geschah mir: Horch! Flog die Zeit wohl<lb/> davon? Falle ich nicht? Fiel ich nicht — horch! in den<lb/> Brunnen der Ewigkeit?</p><lb/> <p>— Was geschieht mir? Still! Es sticht mich —<lb/> wehe — in's Herz? In's Herz! Oh zerbrich, zerbrich,<lb/> Herz, nach solchem Glücke, nach solchem Stiche!</p><lb/> <p>— Wie? Ward die Welt nicht eben vollkommen?<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [62/0069]
so ruhe auch ich nun der Erde nahe, treu, zutrauend,
wartend, mit den leisesten Fäden ihr angebunden.
Oh Glück! Oh Glück! Willst du wohl singen, oh
meine Seele? Du liegst im Grase. Aber das ist die
heimliche feierliche Stunde, wo kein Hirt seine Flöte
bläst.
Scheue Dich! Heisser Mittag schläft auf den Fluren.
Singe nicht! Still! Die Welt ist vollkommen.
Singe nicht, du Gras-Geflügel, oh meine Seele!
Flüstere nicht einmal! Sieh doch — still! der alte Mittag
schläft, er bewegt den Mund: trinkt er nicht eben einen
Tropfen Glücks —
— einen alten braunen Tropfen goldenen Glücks,
goldenen Weins? Es huscht über ihn hin, sein Glück
lacht. So — lacht ein Gott. Still! —
— „Zum Glück, wie wenig genügt schon zum
Glücke!“ So sprach ich einst, und dünkte mich klug.
Aber es war eine Lästerung: das lernte ich nun.
Kluge Narrn reden besser.
Das Wenigste gerade, das Leiseste, Leichteste,
einer Eidechse Rascheln, ein Hauch, ein Husch, ein
Augen-Blick — Wenig macht die Art des besten
Glücks. Still!
— Was geschah mir: Horch! Flog die Zeit wohl
davon? Falle ich nicht? Fiel ich nicht — horch! in den
Brunnen der Ewigkeit?
— Was geschieht mir? Still! Es sticht mich —
wehe — in's Herz? In's Herz! Oh zerbrich, zerbrich,
Herz, nach solchem Glücke, nach solchem Stiche!
— Wie? Ward die Welt nicht eben vollkommen?
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Zitationshilfe: | Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/69>, abgerufen am 27.07.2024. |