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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

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Der Blutegel.

Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und
tiefer, durch Wälder und vorbei an moorigen Gründen;
wie es aber Jedem ergeht, der über schwere Dinge
nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen
Menschen. Und siehe, da sprützten ihm mit Einem
Male ein Weheschrei und zwei Flüche und zwanzig
schlimme Schimpfworte in's Gesicht: also dass er in
seinem Schrecken den Stock erhob und auch auf den
Getretenen noch zuschlug. Gleich darauf aber kam
ihm die Besinnung; und sein Herz lachte über die
Thorheit, die er eben gethan hatte.

"Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich
grimmig erhoben und gesetzt hatte, vergieb und ver¬
nimm vor Allem erst ein Gleichniss.

Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen träumt,
unversehens auf einsamer Strasse einen schlafenden
Hund anstösst, einen Hund, der in der Sonne liegt:

-- wie da Beide auffahren, sich anfahren, Tod¬
feinden gleich, diese zwei zu Tod Erschrockenen: also
ergieng es uns.

Und doch! Und doch -- wie Wenig hat gefehlt,
dass sie einander liebkosten, dieser Hund und dieser
Einsame! Sind sie doch Beide -- Einsame!

Der Blutegel.

Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und
tiefer, durch Wälder und vorbei an moorigen Gründen;
wie es aber Jedem ergeht, der über schwere Dinge
nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen
Menschen. Und siehe, da sprützten ihm mit Einem
Male ein Weheschrei und zwei Flüche und zwanzig
schlimme Schimpfworte in's Gesicht: also dass er in
seinem Schrecken den Stock erhob und auch auf den
Getretenen noch zuschlug. Gleich darauf aber kam
ihm die Besinnung; und sein Herz lachte über die
Thorheit, die er eben gethan hatte.

„Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich
grimmig erhoben und gesetzt hatte, vergieb und ver¬
nimm vor Allem erst ein Gleichniss.

Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen träumt,
unversehens auf einsamer Strasse einen schlafenden
Hund anstösst, einen Hund, der in der Sonne liegt:

— wie da Beide auffahren, sich anfahren, Tod¬
feinden gleich, diese zwei zu Tod Erschrockenen: also
ergieng es uns.

Und doch! Und doch — wie Wenig hat gefehlt,
dass sie einander liebkosten, dieser Hund und dieser
Einsame! Sind sie doch Beide — Einsame!

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[21/0028] Der Blutegel. Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und tiefer, durch Wälder und vorbei an moorigen Gründen; wie es aber Jedem ergeht, der über schwere Dinge nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen Menschen. Und siehe, da sprützten ihm mit Einem Male ein Weheschrei und zwei Flüche und zwanzig schlimme Schimpfworte in's Gesicht: also dass er in seinem Schrecken den Stock erhob und auch auf den Getretenen noch zuschlug. Gleich darauf aber kam ihm die Besinnung; und sein Herz lachte über die Thorheit, die er eben gethan hatte. „Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich grimmig erhoben und gesetzt hatte, vergieb und ver¬ nimm vor Allem erst ein Gleichniss. Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen träumt, unversehens auf einsamer Strasse einen schlafenden Hund anstösst, einen Hund, der in der Sonne liegt: — wie da Beide auffahren, sich anfahren, Tod¬ feinden gleich, diese zwei zu Tod Erschrockenen: also ergieng es uns. Und doch! Und doch — wie Wenig hat gefehlt, dass sie einander liebkosten, dieser Hund und dieser Einsame! Sind sie doch Beide — Einsame!

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/28>, abgerufen am 25.04.2024.