Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und tiefer, durch Wälder und vorbei an moorigen Gründen; wie es aber Jedem ergeht, der über schwere Dinge nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen Menschen. Und siehe, da sprützten ihm mit Einem Male ein Weheschrei und zwei Flüche und zwanzig schlimme Schimpfworte in's Gesicht: also dass er in seinem Schrecken den Stock erhob und auch auf den Getretenen noch zuschlug. Gleich darauf aber kam ihm die Besinnung; und sein Herz lachte über die Thorheit, die er eben gethan hatte.
"Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich grimmig erhoben und gesetzt hatte, vergieb und ver¬ nimm vor Allem erst ein Gleichniss.
Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen träumt, unversehens auf einsamer Strasse einen schlafenden Hund anstösst, einen Hund, der in der Sonne liegt:
-- wie da Beide auffahren, sich anfahren, Tod¬ feinden gleich, diese zwei zu Tod Erschrockenen: also ergieng es uns.
Und doch! Und doch -- wie Wenig hat gefehlt, dass sie einander liebkosten, dieser Hund und dieser Einsame! Sind sie doch Beide -- Einsame!
Der Blutegel.
Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und tiefer, durch Wälder und vorbei an moorigen Gründen; wie es aber Jedem ergeht, der über schwere Dinge nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen Menschen. Und siehe, da sprützten ihm mit Einem Male ein Weheschrei und zwei Flüche und zwanzig schlimme Schimpfworte in's Gesicht: also dass er in seinem Schrecken den Stock erhob und auch auf den Getretenen noch zuschlug. Gleich darauf aber kam ihm die Besinnung; und sein Herz lachte über die Thorheit, die er eben gethan hatte.
„Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich grimmig erhoben und gesetzt hatte, vergieb und ver¬ nimm vor Allem erst ein Gleichniss.
Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen träumt, unversehens auf einsamer Strasse einen schlafenden Hund anstösst, einen Hund, der in der Sonne liegt:
— wie da Beide auffahren, sich anfahren, Tod¬ feinden gleich, diese zwei zu Tod Erschrockenen: also ergieng es uns.
Und doch! Und doch — wie Wenig hat gefehlt, dass sie einander liebkosten, dieser Hund und dieser Einsame! Sind sie doch Beide — Einsame!
<TEI><text><body><pbfacs="#f0028"n="21"/><divn="1"><head>Der Blutegel.<lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und<lb/>
tiefer, durch Wälder und vorbei an moorigen Gründen;<lb/>
wie es aber Jedem ergeht, der über schwere Dinge<lb/>
nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen<lb/>
Menschen. Und siehe, da sprützten ihm mit Einem<lb/>
Male ein Weheschrei und zwei Flüche und zwanzig<lb/>
schlimme Schimpfworte in's Gesicht: also dass er in<lb/>
seinem Schrecken den Stock erhob und auch auf den<lb/>
Getretenen noch zuschlug. Gleich darauf aber kam<lb/>
ihm die Besinnung; und sein Herz lachte über die<lb/>
Thorheit, die er eben gethan hatte.</p><lb/><p>„Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich<lb/>
grimmig erhoben und gesetzt hatte, vergieb und ver¬<lb/>
nimm vor Allem erst ein Gleichniss.</p><lb/><p>Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen träumt,<lb/>
unversehens auf einsamer Strasse einen schlafenden<lb/>
Hund anstösst, einen Hund, der in der Sonne liegt:</p><lb/><p>— wie da Beide auffahren, sich anfahren, Tod¬<lb/>
feinden gleich, diese zwei zu Tod Erschrockenen: also<lb/>
ergieng es uns.</p><lb/><p>Und doch! Und doch — wie Wenig hat gefehlt,<lb/>
dass sie einander liebkosten, dieser Hund und dieser<lb/>
Einsame! Sind sie doch Beide — Einsame!</p><lb/></div></body></text></TEI>
[21/0028]
Der Blutegel.
Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und
tiefer, durch Wälder und vorbei an moorigen Gründen;
wie es aber Jedem ergeht, der über schwere Dinge
nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen
Menschen. Und siehe, da sprützten ihm mit Einem
Male ein Weheschrei und zwei Flüche und zwanzig
schlimme Schimpfworte in's Gesicht: also dass er in
seinem Schrecken den Stock erhob und auch auf den
Getretenen noch zuschlug. Gleich darauf aber kam
ihm die Besinnung; und sein Herz lachte über die
Thorheit, die er eben gethan hatte.
„Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich
grimmig erhoben und gesetzt hatte, vergieb und ver¬
nimm vor Allem erst ein Gleichniss.
Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen träumt,
unversehens auf einsamer Strasse einen schlafenden
Hund anstösst, einen Hund, der in der Sonne liegt:
— wie da Beide auffahren, sich anfahren, Tod¬
feinden gleich, diese zwei zu Tod Erschrockenen: also
ergieng es uns.
Und doch! Und doch — wie Wenig hat gefehlt,
dass sie einander liebkosten, dieser Hund und dieser
Einsame! Sind sie doch Beide — Einsame!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/28>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.