Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.Ein Raubvogel vielleicht: der hängt sich wohl dem standhaften Dulder schadenfroh in's Haar, mit irrem Gelächter, einem Raubvogel-Gelächter ... Wozu so standhaft? -- höhnt er grausam: man muss Flügel haben, wenn man den Abgrund liebt ... man muss nicht hängen bleiben, wie du, Gehängter! -- Oh Zarathustra, grausamster Nimrod! Jüngst Jäger noch Gottes, das Fangnetz aller Tugend, der Pfeil des Bösen! Jetzt -- von dir selber erjagt, deine eigene Beute, in dich selber eingebohrt ... Jetzt --
einsam mit dir, zwiesam im eignen Wissen, zwischen hundert Spiegeln vor dir selber falsch, zwischen hundert Erinnerungen ungewiss, an jeder Wunde müd, Ein Raubvogel vielleicht: der hängt sich wohl dem standhaften Dulder schadenfroh in's Haar, mit irrem Gelächter, einem Raubvogel-Gelächter ... Wozu so standhaft? — höhnt er grausam: man muss Flügel haben, wenn man den Abgrund liebt ... man muss nicht hängen bleiben, wie du, Gehängter! — Oh Zarathustra, grausamster Nimrod! Jüngst Jäger noch Gottes, das Fangnetz aller Tugend, der Pfeil des Bösen! Jetzt — von dir selber erjagt, deine eigene Beute, in dich selber eingebohrt ... Jetzt —
einsam mit dir, zwiesam im eignen Wissen, zwischen hundert Spiegeln vor dir selber falsch, zwischen hundert Erinnerungen ungewiss, an jeder Wunde müd, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0148" n="5"/> <lg n="4"> <l>Ein Raubvogel vielleicht:</l><lb/> <l>der hängt sich wohl</l><lb/> <l>dem standhaften Dulder</l><lb/> <l>schadenfroh in's Haar,</l><lb/> <l>mit irrem Gelächter,</l><lb/> <l>einem Raubvogel-Gelächter ...</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l><hi rendition="#g">Wozu</hi> so standhaft?</l><lb/> <l>— höhnt er grausam:</l><lb/> <l>man muss Flügel haben,</l><lb/> <l>wenn man den Abgrund liebt ...</l><lb/> <l>man muss nicht hängen bleiben,</l><lb/> <l>wie du, Gehängter! —</l><lb/> </lg> <lg n="6"> <l>Oh Zarathustra,</l><lb/> <l>grausamster Nimrod!</l><lb/> <l>Jüngst Jäger noch Gottes,</l><lb/> <l>das Fangnetz aller Tugend,</l><lb/> <l>der Pfeil des Bösen!</l><lb/> <l>Jetzt —</l><lb/> <l>von dir selber erjagt,</l><lb/> <l>deine eigene Beute,</l><lb/> <l>in dich selber eingebohrt ...</l><lb/> </lg> <lg n="7"> <l>Jetzt —</l><lb/> <l>einsam mit dir,</l><lb/> <l>zwiesam im eignen Wissen,</l><lb/> <l>zwischen hundert Spiegeln</l><lb/> <l>vor dir selber falsch,</l><lb/> <l>zwischen hundert Erinnerungen</l><lb/> <l>ungewiss,</l><lb/> <l>an jeder Wunde müd,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [5/0148]
Ein Raubvogel vielleicht:
der hängt sich wohl
dem standhaften Dulder
schadenfroh in's Haar,
mit irrem Gelächter,
einem Raubvogel-Gelächter ...
Wozu so standhaft?
— höhnt er grausam:
man muss Flügel haben,
wenn man den Abgrund liebt ...
man muss nicht hängen bleiben,
wie du, Gehängter! —
Oh Zarathustra,
grausamster Nimrod!
Jüngst Jäger noch Gottes,
das Fangnetz aller Tugend,
der Pfeil des Bösen!
Jetzt —
von dir selber erjagt,
deine eigene Beute,
in dich selber eingebohrt ...
Jetzt —
einsam mit dir,
zwiesam im eignen Wissen,
zwischen hundert Spiegeln
vor dir selber falsch,
zwischen hundert Erinnerungen
ungewiss,
an jeder Wunde müd,
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Zitationshilfe: | Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/148>, abgerufen am 27.07.2024. |