Gethier zu Füssen und schmiegte das Haupt an seine Knie und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe und that einem Hunde gleich, welcher seinen alten Herrn wiederfindet. Die Tauben aber waren mit ihrer Liebe nicht minder eifrig als der Löwe; und jedes Mal, wenn eine Taube über die Nase des Löwen huschte, schüttelte der Löwe das Haupt und wunderte sich und lachte dazu.
Zu dem Allen sprach Zarathustra nur Ein Wort: "meine Kinder sind nahe, meine Kinder" --, dann wurde er ganz stumm. Sein Herz aber war gelöst, und aus seinen Augen tropften Thränen herab und fielen auf seine Hände. Und er achtete keines Dings mehr und sass da, unbeweglich und ohne dass er sich noch gegen die Thiere wehrte. Da flogen die Tauben ab und zu und setzten sich ihm auf die Schulter und lieb¬ kosten sein weisses Haar und wurden nicht müde mit Zärtlichkeit und Frohlocken. Der starke Löwe aber leckte immer die Thränen, welche auf die Hände Zara¬ thustra's herabfielen und brüllte und brummte schüchtern dazu. Also trieben es diese Thiere. --
Diess Alles dauerte eine lange Zeit, oder eine kurze Zeit: denn, recht gesprochen, giebt es für dergleichen Dinge auf Erden keine Zeit --. Inzwischen aber waren die höheren Menschen in der Höhle Zarathustra's wach geworden und ordneten sich mit einander zu einem Zuge an, dass sie Zarathustra entgegen giengen und ihm den Morgengruss böten: denn sie hatten gefunden, als sie erwachten, dass er schon nicht mehr unter ihnen weilte. Als sie aber zur Thür der Höhle gelangten, und das Geräusch ihrer Schritte ihnen voranlief, da stutzte der Löwe gewaltig, kehrte sich mit Einem Male von Zara¬
Gethier zu Füssen und schmiegte das Haupt an seine Knie und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe und that einem Hunde gleich, welcher seinen alten Herrn wiederfindet. Die Tauben aber waren mit ihrer Liebe nicht minder eifrig als der Löwe; und jedes Mal, wenn eine Taube über die Nase des Löwen huschte, schüttelte der Löwe das Haupt und wunderte sich und lachte dazu.
Zu dem Allen sprach Zarathustra nur Ein Wort: „meine Kinder sind nahe, meine Kinder“ —, dann wurde er ganz stumm. Sein Herz aber war gelöst, und aus seinen Augen tropften Thränen herab und fielen auf seine Hände. Und er achtete keines Dings mehr und sass da, unbeweglich und ohne dass er sich noch gegen die Thiere wehrte. Da flogen die Tauben ab und zu und setzten sich ihm auf die Schulter und lieb¬ kosten sein weisses Haar und wurden nicht müde mit Zärtlichkeit und Frohlocken. Der starke Löwe aber leckte immer die Thränen, welche auf die Hände Zara¬ thustra's herabfielen und brüllte und brummte schüchtern dazu. Also trieben es diese Thiere. —
Diess Alles dauerte eine lange Zeit, oder eine kurze Zeit: denn, recht gesprochen, giebt es für dergleichen Dinge auf Erden keine Zeit —. Inzwischen aber waren die höheren Menschen in der Höhle Zarathustra's wach geworden und ordneten sich mit einander zu einem Zuge an, dass sie Zarathustra entgegen giengen und ihm den Morgengruss böten: denn sie hatten gefunden, als sie erwachten, dass er schon nicht mehr unter ihnen weilte. Als sie aber zur Thür der Höhle gelangten, und das Geräusch ihrer Schritte ihnen voranlief, da stutzte der Löwe gewaltig, kehrte sich mit Einem Male von Zara¬
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Gethier zu Füssen und schmiegte das Haupt an seine
Knie und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe und
that einem Hunde gleich, welcher seinen alten Herrn
wiederfindet. Die Tauben aber waren mit ihrer Liebe
nicht minder eifrig als der Löwe; und jedes Mal, wenn
eine Taube über die Nase des Löwen huschte, schüttelte
der Löwe das Haupt und wunderte sich und lachte dazu.
Zu dem Allen sprach Zarathustra nur Ein Wort:
„meine Kinder sind nahe, meine Kinder“ —,
dann wurde er ganz stumm. Sein Herz aber war gelöst,
und aus seinen Augen tropften Thränen herab und fielen
auf seine Hände. Und er achtete keines Dings mehr
und sass da, unbeweglich und ohne dass er sich noch
gegen die Thiere wehrte. Da flogen die Tauben ab
und zu und setzten sich ihm auf die Schulter und lieb¬
kosten sein weisses Haar und wurden nicht müde mit
Zärtlichkeit und Frohlocken. Der starke Löwe aber
leckte immer die Thränen, welche auf die Hände Zara¬
thustra's herabfielen und brüllte und brummte schüchtern
dazu. Also trieben es diese Thiere. —
Diess Alles dauerte eine lange Zeit, oder eine kurze
Zeit: denn, recht gesprochen, giebt es für dergleichen
Dinge auf Erden keine Zeit —. Inzwischen aber waren
die höheren Menschen in der Höhle Zarathustra's wach
geworden und ordneten sich mit einander zu einem Zuge
an, dass sie Zarathustra entgegen giengen und ihm den
Morgengruss böten: denn sie hatten gefunden, als sie
erwachten, dass er schon nicht mehr unter ihnen weilte.
Als sie aber zur Thür der Höhle gelangten, und das
Geräusch ihrer Schritte ihnen voranlief, da stutzte der
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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/139>, abgerufen am 16.02.2025.
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