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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

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7.

Lass mich! Lass mich! Ich bin zu rein für dich.
Rühre mich nicht an! Ward meine Welt nicht eben
vollkommen?

Meine Haut ist zu rein für deine Hände. Lass mich,
du dummer tölpischer dumpfer Tag! Ist die Mitternacht
nicht heller?

Die Reinsten sollen der Erde Herrn sein, die Un¬
erkanntesten, Stärksten, die Mitternachts-Seelen, die
heller und tiefer sind als jeder Tag.

Oh Tag, du tappst nach mir? Du tastest nach
meinem Glücke? Ich bin dir reich, einsam, eine Schatz¬
grube, eine Goldkammer?

Oh Welt, du willst mich? Bin ich dir weltlich?
Bin ich dir geistlich? Bin ich dir göttlich? Aber Tag
und Welt, ihr seid zu plump, --

-- habt klügere Hände, greift nach tieferem Glücke,
nach tieferem Unglücke, greift nach irgend einem Gotte,
greift nicht nach mir:

-- mein Unglück, mein Glück ist tief, du wunder¬
licher Tag, aber doch bin ich kein Gott, keine Gottes-
Hölle: tief ist ihr Weh.


8.

Gottes Weh ist tiefer, du wunderliche Welt! Greife
nach Gottes Weh, nicht nach mir! Was bin ich! Eine
trunkene süsse Leier, --

-- eine Mitternachts-Leier, eine Glocken-Unke, die
Niemand versteht, aber welche reden muss, vor Tauben,
ihr höheren Menschen! Denn ihr versteht mich nicht!

7.

Lass mich! Lass mich! Ich bin zu rein für dich.
Rühre mich nicht an! Ward meine Welt nicht eben
vollkommen?

Meine Haut ist zu rein für deine Hände. Lass mich,
du dummer tölpischer dumpfer Tag! Ist die Mitternacht
nicht heller?

Die Reinsten sollen der Erde Herrn sein, die Un¬
erkanntesten, Stärksten, die Mitternachts-Seelen, die
heller und tiefer sind als jeder Tag.

Oh Tag, du tappst nach mir? Du tastest nach
meinem Glücke? Ich bin dir reich, einsam, eine Schatz¬
grube, eine Goldkammer?

Oh Welt, du willst mich? Bin ich dir weltlich?
Bin ich dir geistlich? Bin ich dir göttlich? Aber Tag
und Welt, ihr seid zu plump, —

— habt klügere Hände, greift nach tieferem Glücke,
nach tieferem Unglücke, greift nach irgend einem Gotte,
greift nicht nach mir:

— mein Unglück, mein Glück ist tief, du wunder¬
licher Tag, aber doch bin ich kein Gott, keine Gottes-
Hölle: tief ist ihr Weh.


8.

Gottes Weh ist tiefer, du wunderliche Welt! Greife
nach Gottes Weh, nicht nach mir! Was bin ich! Eine
trunkene süsse Leier, —

— eine Mitternachts-Leier, eine Glocken-Unke, die
Niemand versteht, aber welche reden muss, vor Tauben,
ihr höheren Menschen! Denn ihr versteht mich nicht!

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[125/0132] 7. Lass mich! Lass mich! Ich bin zu rein für dich. Rühre mich nicht an! Ward meine Welt nicht eben vollkommen? Meine Haut ist zu rein für deine Hände. Lass mich, du dummer tölpischer dumpfer Tag! Ist die Mitternacht nicht heller? Die Reinsten sollen der Erde Herrn sein, die Un¬ erkanntesten, Stärksten, die Mitternachts-Seelen, die heller und tiefer sind als jeder Tag. Oh Tag, du tappst nach mir? Du tastest nach meinem Glücke? Ich bin dir reich, einsam, eine Schatz¬ grube, eine Goldkammer? Oh Welt, du willst mich? Bin ich dir weltlich? Bin ich dir geistlich? Bin ich dir göttlich? Aber Tag und Welt, ihr seid zu plump, — — habt klügere Hände, greift nach tieferem Glücke, nach tieferem Unglücke, greift nach irgend einem Gotte, greift nicht nach mir: — mein Unglück, mein Glück ist tief, du wunder¬ licher Tag, aber doch bin ich kein Gott, keine Gottes- Hölle: tief ist ihr Weh. 8. Gottes Weh ist tiefer, du wunderliche Welt! Greife nach Gottes Weh, nicht nach mir! Was bin ich! Eine trunkene süsse Leier, — — eine Mitternachts-Leier, eine Glocken-Unke, die Niemand versteht, aber welche reden muss, vor Tauben, ihr höheren Menschen! Denn ihr versteht mich nicht!

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/132>, abgerufen am 21.11.2024.