Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.sündlich-gesund und bunt und schön liefest, mit lüsternen Lefzen, selig-höhnisch, selig-höllisch, selig-blutgierig, raubend, schleichend, lügend liefest: -- Oder, dem Adler gleich, der lange, lange starr in Abgründe blickt, in seine Abgründe: -- -- oh wie sie sich hier hinab, hinunter, hinein, in immer tiefere Tiefen ringeln! -- dann, plötzlich, geraden Zugs, gezückten Flugs, auf Lämmer stossen, jach hinab, heisshungrig, nach Lämmern lüstern, gram allen Lamms-Seelen, grimmig-gram Allem, was blickt schafmässig, lammäugig, krauswollig, grau, mit Lamms-Schafs-Wohlwollen! Also adlerhaft, pantherhaft sind des Dichters Sehnsüchte, sind deine Sehnsüchte unter tausend Larven, du Narr! du Dichter! Der du den Menschen schautest
so Gott als Schaf --: den Gott zerreissen im Menschen sündlich-gesund und bunt und schön liefest, mit lüsternen Lefzen, selig-höhnisch, selig-höllisch, selig-blutgierig, raubend, schleichend, lügend liefest: — Oder, dem Adler gleich, der lange, lange starr in Abgründe blickt, in seine Abgründe: — — oh wie sie sich hier hinab, hinunter, hinein, in immer tiefere Tiefen ringeln! — dann, plötzlich, geraden Zugs, gezückten Flugs, auf Lämmer stossen, jach hinab, heisshungrig, nach Lämmern lüstern, gram allen Lamms-Seelen, grimmig-gram Allem, was blickt schafmässig, lammäugig, krauswollig, grau, mit Lamms-Schafs-Wohlwollen! Also adlerhaft, pantherhaft sind des Dichters Sehnsüchte, sind deine Sehnsüchte unter tausend Larven, du Narr! du Dichter! Der du den Menschen schautest
so Gott als Schaf —: den Gott zerreissen im Menschen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0101" n="94"/> <lg n="5"> <l>sündlich-gesund und bunt und schön liefest,</l><lb/> <l>mit lüsternen Lefzen,</l><lb/> <l>selig-höhnisch, selig-höllisch, selig-blutgierig,</l><lb/> <l>raubend, schleichend, lügend liefest: —</l><lb/> </lg> <lg n="6"> <l>Oder, dem Adler gleich, der lange,</l><lb/> <l>lange starr in Abgründe blickt,</l><lb/> <l>in <hi rendition="#g">seine</hi> Abgründe: — —</l><lb/> <l>oh wie sie sich hier hinab,</l><lb/> <l>hinunter, hinein,</l><lb/> <l>in immer tiefere Tiefen ringeln! —</l><lb/> <l>dann,</l><lb/> <l>plötzlich, geraden Zugs,</l><lb/> <l>gezückten Flugs,</l><lb/> <l>auf Lämmer stossen,</l><lb/> <l>jach hinab, heisshungrig,</l><lb/> <l>nach Lämmern lüstern,</l><lb/> <l>gram allen Lamms-Seelen,</l><lb/> <l>grimmig-gram Allem, was blickt</l><lb/> <l>schafmässig, lammäugig, krauswollig,</l><lb/> <l>grau, mit Lamms-Schafs-Wohlwollen!</l><lb/> </lg> <lg n="7"> <l>Also</l><lb/> <l>adlerhaft, pantherhaft</l><lb/> <l>sind des Dichters Sehnsüchte,</l><lb/> <l>sind <hi rendition="#g">deine</hi> Sehnsüchte unter tausend Larven,</l><lb/> <l>du Narr! du Dichter!</l><lb/> </lg> <lg n="8"> <l>Der du den Menschen schautest</l><lb/> <l>so Gott als Schaf —:</l><lb/> <l>den Gott <hi rendition="#g">zerreissen</hi> im Menschen</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [94/0101]
sündlich-gesund und bunt und schön liefest,
mit lüsternen Lefzen,
selig-höhnisch, selig-höllisch, selig-blutgierig,
raubend, schleichend, lügend liefest: —
Oder, dem Adler gleich, der lange,
lange starr in Abgründe blickt,
in seine Abgründe: — —
oh wie sie sich hier hinab,
hinunter, hinein,
in immer tiefere Tiefen ringeln! —
dann,
plötzlich, geraden Zugs,
gezückten Flugs,
auf Lämmer stossen,
jach hinab, heisshungrig,
nach Lämmern lüstern,
gram allen Lamms-Seelen,
grimmig-gram Allem, was blickt
schafmässig, lammäugig, krauswollig,
grau, mit Lamms-Schafs-Wohlwollen!
Also
adlerhaft, pantherhaft
sind des Dichters Sehnsüchte,
sind deine Sehnsüchte unter tausend Larven,
du Narr! du Dichter!
Der du den Menschen schautest
so Gott als Schaf —:
den Gott zerreissen im Menschen
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Zitationshilfe: | Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/101>, abgerufen am 27.07.2024. |