Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen
Stimme: du bist der Mörder Gottes! Lass mich
gehn.

Du ertrugst Den nicht, der dich sah, -- der dich
immer und durch und durch sah, du hässlichster Mensch!
Du nahmst Rache an diesem Zeugen!"

Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber
der Unaussprechliche fasste nach einem Zipfel seines
Gewandes und begann von Neuem zu gurgeln und
nach Worten zu suchen. "Bleib!" sagte er endlich --

-- bleib! Geh nicht vorüber! Ich errieth, welche
Axt dich zu Boden schlug: Heil dir, oh Zarathustra,
dass du wieder stehst!

Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe
ist, der ihn tödtete, -- dem Mörder Gottes. Bleib!
Setze dich her zu mir, es ist nicht umsonst.

Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze
dich! Blicke mich aber nicht an! Ehre also -- meine
Hässlichkeit!

Sie verfolgen mich: nun bist du meine letzte Zu¬
flucht. Nicht mit ihrem Hasse, nicht mit ihren
Häschern: -- oh solcher Verfolgung würde ich spotten
und stolz und froh sein!

War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Ver¬
folgten? Und wer gut verfolgt, lernt leicht folgen:
-- ist er doch einmal -- hinterher! Aber ihr Mitleid
ist's --

-- ihr Mitleid ist's, vor dem ich flüchte und dir
zuflüchte. Oh Zarathustra, schütze mich, du meine letzte
Zuflucht, du Einziger, der mich errieth:

-- du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher

„Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen
Stimme: du bist der Mörder Gottes! Lass mich
gehn.

Du ertrugst Den nicht, der dich sah, — der dich
immer und durch und durch sah, du hässlichster Mensch!
Du nahmst Rache an diesem Zeugen!“

Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber
der Unaussprechliche fasste nach einem Zipfel seines
Gewandes und begann von Neuem zu gurgeln und
nach Worten zu suchen. „Bleib!“ sagte er endlich —

— bleib! Geh nicht vorüber! Ich errieth, welche
Axt dich zu Boden schlug: Heil dir, oh Zarathustra,
dass du wieder stehst!

Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe
ist, der ihn tödtete, — dem Mörder Gottes. Bleib!
Setze dich her zu mir, es ist nicht umsonst.

Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze
dich! Blicke mich aber nicht an! Ehre also — meine
Hässlichkeit!

Sie verfolgen mich: nun bist du meine letzte Zu¬
flucht. Nicht mit ihrem Hasse, nicht mit ihren
Häschern: — oh solcher Verfolgung würde ich spotten
und stolz und froh sein!

War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Ver¬
folgten? Und wer gut verfolgt, lernt leicht folgen:
— ist er doch einmal — hinterher! Aber ihr Mitleid
ist's —

— ihr Mitleid ist's, vor dem ich flüchte und dir
zuflüchte. Oh Zarathustra, schütze mich, du meine letzte
Zuflucht, du Einziger, der mich errieth:

— du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0051" n="44"/>
        <p>&#x201E;Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen<lb/>
Stimme: <hi rendition="#g">du bist der Mörder Gottes</hi>! Lass mich<lb/>
gehn.</p><lb/>
        <p>Du <hi rendition="#g">ertrugst</hi> Den nicht, der <hi rendition="#g">dich</hi> sah, &#x2014; der dich<lb/>
immer und durch und durch sah, du hässlichster Mensch!<lb/>
Du nahmst Rache an diesem Zeugen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber<lb/>
der Unaussprechliche fasste nach einem Zipfel seines<lb/>
Gewandes und begann von Neuem zu gurgeln und<lb/>
nach Worten zu suchen. &#x201E;Bleib!&#x201C; sagte er endlich &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x2014; bleib! Geh nicht vorüber! Ich errieth, welche<lb/>
Axt dich zu Boden schlug: Heil dir, oh Zarathustra,<lb/>
dass du wieder stehst!</p><lb/>
        <p>Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe<lb/>
ist, der ihn tödtete, &#x2014; dem Mörder Gottes. Bleib!<lb/>
Setze dich her zu mir, es ist nicht umsonst.</p><lb/>
        <p>Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze<lb/>
dich! Blicke mich aber nicht an! Ehre also &#x2014; meine<lb/>
Hässlichkeit!</p><lb/>
        <p>Sie verfolgen mich: nun bist <hi rendition="#g">du</hi> meine letzte Zu¬<lb/>
flucht. <hi rendition="#g">Nicht</hi> mit ihrem Hasse, <hi rendition="#g">nicht</hi> mit ihren<lb/>
Häschern: &#x2014; oh solcher Verfolgung würde ich spotten<lb/>
und stolz und froh sein!</p><lb/>
        <p>War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Ver¬<lb/>
folgten? Und wer gut verfolgt, lernt leicht <hi rendition="#g">folgen</hi>:<lb/>
&#x2014; ist er doch einmal &#x2014; hinterher! Aber ihr <hi rendition="#g">Mitleid</hi><lb/>
ist's &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x2014; ihr Mitleid ist's, vor dem ich flüchte und dir<lb/>
zuflüchte. Oh Zarathustra, schütze mich, du meine letzte<lb/>
Zuflucht, du Einziger, der mich errieth:</p><lb/>
        <p>&#x2014; du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0051] „Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen Stimme: du bist der Mörder Gottes! Lass mich gehn. Du ertrugst Den nicht, der dich sah, — der dich immer und durch und durch sah, du hässlichster Mensch! Du nahmst Rache an diesem Zeugen!“ Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber der Unaussprechliche fasste nach einem Zipfel seines Gewandes und begann von Neuem zu gurgeln und nach Worten zu suchen. „Bleib!“ sagte er endlich — — bleib! Geh nicht vorüber! Ich errieth, welche Axt dich zu Boden schlug: Heil dir, oh Zarathustra, dass du wieder stehst! Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe ist, der ihn tödtete, — dem Mörder Gottes. Bleib! Setze dich her zu mir, es ist nicht umsonst. Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze dich! Blicke mich aber nicht an! Ehre also — meine Hässlichkeit! Sie verfolgen mich: nun bist du meine letzte Zu¬ flucht. Nicht mit ihrem Hasse, nicht mit ihren Häschern: — oh solcher Verfolgung würde ich spotten und stolz und froh sein! War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Ver¬ folgten? Und wer gut verfolgt, lernt leicht folgen: — ist er doch einmal — hinterher! Aber ihr Mitleid ist's — — ihr Mitleid ist's, vor dem ich flüchte und dir zuflüchte. Oh Zarathustra, schütze mich, du meine letzte Zuflucht, du Einziger, der mich errieth: — du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/51
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/51>, abgerufen am 25.11.2024.