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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

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Der Nothschrei.

Des nächsten Tages sass Zarathustra wieder auf
seinem Steine vor der Höhle, während die Thiere
draussen in der Welt herumschweiften, dass sie neue
Nahrung heimbrächten, -- auch neuen Honig: denn
Zarathustra hatte den alten Honig bis auf das letzte
Korn verthan und verschwendet. Als er aber der¬
maassen dasass, mit einem Stecken in der Hand, und
den Schatten seiner Gestalt auf der Erde abzeichnete,
nachdenkend, und wahrlich! nicht über sich und seinen
Schatten -- da erschrak er mit Einem Male und fuhr
zusammen: denn er sahe neben seinem Schatten noch
einen andern Schatten. Und wie er schnell um sich
blickte und aufstand, siehe, da stand der Wahrsager
neben ihm, der selbe, den er einstmals an seinem
Tische gespeist und getränkt hatte, der Verkündiger
der grossen Müdigkeit, welcher lehrte: "Alles ist
gleich, es lohnt sich Nichts, Welt ist ohne Sinn,
Wissen würgt." Aber sein Antlitz hatte sich in¬
zwischen verwandelt; und als ihm Zarathustra in die
Augen blickte, wurde sein Herz abermals erschreckt:
so viel schlimme Verkündigungen und aschgraue
Blitze liefen über diess Gesicht.

Der Wahrsager, der es wahrgenommen, was sich
in Zarathustra's Seele zutrug, wischte mit der Hand
über sein Antlitz hin, wie als ob er dasselbe weg¬

Der Nothschrei.

Des nächsten Tages sass Zarathustra wieder auf
seinem Steine vor der Höhle, während die Thiere
draussen in der Welt herumschweiften, dass sie neue
Nahrung heimbrächten, — auch neuen Honig: denn
Zarathustra hatte den alten Honig bis auf das letzte
Korn verthan und verschwendet. Als er aber der¬
maassen dasass, mit einem Stecken in der Hand, und
den Schatten seiner Gestalt auf der Erde abzeichnete,
nachdenkend, und wahrlich! nicht über sich und seinen
Schatten — da erschrak er mit Einem Male und fuhr
zusammen: denn er sahe neben seinem Schatten noch
einen andern Schatten. Und wie er schnell um sich
blickte und aufstand, siehe, da stand der Wahrsager
neben ihm, der selbe, den er einstmals an seinem
Tische gespeist und getränkt hatte, der Verkündiger
der grossen Müdigkeit, welcher lehrte: „Alles ist
gleich, es lohnt sich Nichts, Welt ist ohne Sinn,
Wissen würgt.“ Aber sein Antlitz hatte sich in¬
zwischen verwandelt; und als ihm Zarathustra in die
Augen blickte, wurde sein Herz abermals erschreckt:
so viel schlimme Verkündigungen und aschgraue
Blitze liefen über diess Gesicht.

Der Wahrsager, der es wahrgenommen, was sich
in Zarathustra's Seele zutrug, wischte mit der Hand
über sein Antlitz hin, wie als ob er dasselbe weg¬

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[10/0017] Der Nothschrei. Des nächsten Tages sass Zarathustra wieder auf seinem Steine vor der Höhle, während die Thiere draussen in der Welt herumschweiften, dass sie neue Nahrung heimbrächten, — auch neuen Honig: denn Zarathustra hatte den alten Honig bis auf das letzte Korn verthan und verschwendet. Als er aber der¬ maassen dasass, mit einem Stecken in der Hand, und den Schatten seiner Gestalt auf der Erde abzeichnete, nachdenkend, und wahrlich! nicht über sich und seinen Schatten — da erschrak er mit Einem Male und fuhr zusammen: denn er sahe neben seinem Schatten noch einen andern Schatten. Und wie er schnell um sich blickte und aufstand, siehe, da stand der Wahrsager neben ihm, der selbe, den er einstmals an seinem Tische gespeist und getränkt hatte, der Verkündiger der grossen Müdigkeit, welcher lehrte: „Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, Welt ist ohne Sinn, Wissen würgt.“ Aber sein Antlitz hatte sich in¬ zwischen verwandelt; und als ihm Zarathustra in die Augen blickte, wurde sein Herz abermals erschreckt: so viel schlimme Verkündigungen und aschgraue Blitze liefen über diess Gesicht. Der Wahrsager, der es wahrgenommen, was sich in Zarathustra's Seele zutrug, wischte mit der Hand über sein Antlitz hin, wie als ob er dasselbe weg¬

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/17>, abgerufen am 28.11.2024.