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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.

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Und jüngst riss ein Weib sein Kind an sich, das
zu mir wollte: "nehmt die Kinder weg! schrie es;
solche Augen versengen Kinder-Seelen."

Sie husten, wenn ich rede: sie meinen, Husten
sei ein Einwand gegen starke Winde, -- sie errathen
Nichts vom Brausen meines Glückes!

"Wir haben noch keine Zeit für Zarathustra" --
so wenden sie ein; aber was liegt an einer Zeit, die
für Zarathustra "keine Zeit hat"?

Und wenn sie gar mich rühmen: wie könnte ich wohl
auf ihrem Ruhme einschlafen? Ein Stachel-Gürtel ist
mir ihr Lob: es kratzt mich noch, wenn ich es von mir thue.

Und auch das lernte ich unter ihnen: der Lobende
stellt sich, als gäbe er zurück, in Wahrheit aber will
er mehr beschenkt sein!

Fragt meinen Fuss, ob ihm ihre Lob- und Lock-
Weise gefällt! Wahrlich, nach solchem Takt und
Tiktak mag er weder tanzen, noch stille stehn.

Zur kleinen Tugend möchten sie mich locken und
loben; zum Tiktak des kleinen Glücks möchten sie
meinen Fuss überreden.

Ich gehe durch diess Volk und halte die Augen
offen: sie sind kleiner geworden und werden immer
kleiner: -- das aber macht ihre Lehre von
Glück und Tugend
.

Sie sind nämlich auch in der Tugend bescheiden
-- denn sie wollen Behagen. Mit Behagen aber ver¬
trägt sich nur die bescheidene Tugend.

Wohl lernen auch sie auf ihre Art Schreiten und
Vorwärts-Schreiten: das heisse ich ihr Humpeln --.
Damit werden sie Jedem zum Anstosse, der Eile hat.

Und jüngst riss ein Weib sein Kind an sich, das
zu mir wollte: „nehmt die Kinder weg! schrie es;
solche Augen versengen Kinder-Seelen.“

Sie husten, wenn ich rede: sie meinen, Husten
sei ein Einwand gegen starke Winde, — sie errathen
Nichts vom Brausen meines Glückes!

„Wir haben noch keine Zeit für Zarathustra“ —
so wenden sie ein; aber was liegt an einer Zeit, die
für Zarathustra „keine Zeit hat“?

Und wenn sie gar mich rühmen: wie könnte ich wohl
auf ihrem Ruhme einschlafen? Ein Stachel-Gürtel ist
mir ihr Lob: es kratzt mich noch, wenn ich es von mir thue.

Und auch das lernte ich unter ihnen: der Lobende
stellt sich, als gäbe er zurück, in Wahrheit aber will
er mehr beschenkt sein!

Fragt meinen Fuss, ob ihm ihre Lob- und Lock-
Weise gefällt! Wahrlich, nach solchem Takt und
Tiktak mag er weder tanzen, noch stille stehn.

Zur kleinen Tugend möchten sie mich locken und
loben; zum Tiktak des kleinen Glücks möchten sie
meinen Fuss überreden.

Ich gehe durch diess Volk und halte die Augen
offen: sie sind kleiner geworden und werden immer
kleiner: — das aber macht ihre Lehre von
Glück und Tugend
.

Sie sind nämlich auch in der Tugend bescheiden
— denn sie wollen Behagen. Mit Behagen aber ver¬
trägt sich nur die bescheidene Tugend.

Wohl lernen auch sie auf ihre Art Schreiten und
Vorwärts-Schreiten: das heisse ich ihr Humpeln —.
Damit werden sie Jedem zum Anstosse, der Eile hat.

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[25/0035] Und jüngst riss ein Weib sein Kind an sich, das zu mir wollte: „nehmt die Kinder weg! schrie es; solche Augen versengen Kinder-Seelen.“ Sie husten, wenn ich rede: sie meinen, Husten sei ein Einwand gegen starke Winde, — sie errathen Nichts vom Brausen meines Glückes! „Wir haben noch keine Zeit für Zarathustra“ — so wenden sie ein; aber was liegt an einer Zeit, die für Zarathustra „keine Zeit hat“? Und wenn sie gar mich rühmen: wie könnte ich wohl auf ihrem Ruhme einschlafen? Ein Stachel-Gürtel ist mir ihr Lob: es kratzt mich noch, wenn ich es von mir thue. Und auch das lernte ich unter ihnen: der Lobende stellt sich, als gäbe er zurück, in Wahrheit aber will er mehr beschenkt sein! Fragt meinen Fuss, ob ihm ihre Lob- und Lock- Weise gefällt! Wahrlich, nach solchem Takt und Tiktak mag er weder tanzen, noch stille stehn. Zur kleinen Tugend möchten sie mich locken und loben; zum Tiktak des kleinen Glücks möchten sie meinen Fuss überreden. Ich gehe durch diess Volk und halte die Augen offen: sie sind kleiner geworden und werden immer kleiner: — das aber macht ihre Lehre von Glück und Tugend. Sie sind nämlich auch in der Tugend bescheiden — denn sie wollen Behagen. Mit Behagen aber ver¬ trägt sich nur die bescheidene Tugend. Wohl lernen auch sie auf ihre Art Schreiten und Vorwärts-Schreiten: das heisse ich ihr Humpeln —. Damit werden sie Jedem zum Anstosse, der Eile hat.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/35>, abgerufen am 28.11.2024.