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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

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Und als ich unter vier Augen mit meiner wilden
Weisheit redete, sagte sie mir zornig: "Du willst, du
begehrst, du liebst, darum allein lobst du das Leben!"

Fast hätte ich da bös geantwortet und der Zornigen
die Wahrheit gesagt; und man kann nicht böser antworten,
als wenn man seiner Weisheit "die Wahrheit sagt."

So nämlich steht es zwischen uns Dreien. Von
Grund aus liebe ich nur das Leben -- und, wahrlich,
am meisten dann, wenn ich es hasse!

Dass ich aber der Weisheit gut bin und oft zu
gut: das macht, sie erinnert mich gar sehr an das
Leben!

Sie hat ihr Auge, ihr Lachen und sogar ihr
goldnes Angelrüthchen: was kann ich dafür, dass die
Beiden sich so ähnlich sehen?

Und als mich einmal das Leben fragte: Wer ist
denn das, die Weisheit? -- da sagte ich eifrig: "Ach
ja! die Weisheit!

Man dürstet um sie und wird nicht satt, man blickt
durch Schleier, man hascht durch Netze.

Ist sie schön? Was weiss ich! Aber die ältesten
Karpfen werden noch mit ihr geködert.

Veränderlich ist sie und trotzig; oft sah ich sie sich
die Lippe beissen und den Kamm wider ihres Haares
Strich führen.

Vielleicht ist sie böse und falsch, und in Allem
ein Frauenzimmer; aber wenn sie von sich selber
schlecht spricht, da gerade verführt sie am meisten."

Als ich diess zu dem Leben sagte, da lachte es
boshaft und machte die Augen zu. "Von wem redest
du doch? sagte sie, wohl von mir?

Und als ich unter vier Augen mit meiner wilden
Weisheit redete, sagte sie mir zornig: „Du willst, du
begehrst, du liebst, darum allein lobst du das Leben!“

Fast hätte ich da bös geantwortet und der Zornigen
die Wahrheit gesagt; und man kann nicht böser antworten,
als wenn man seiner Weisheit „die Wahrheit sagt.“

So nämlich steht es zwischen uns Dreien. Von
Grund aus liebe ich nur das Leben — und, wahrlich,
am meisten dann, wenn ich es hasse!

Dass ich aber der Weisheit gut bin und oft zu
gut: das macht, sie erinnert mich gar sehr an das
Leben!

Sie hat ihr Auge, ihr Lachen und sogar ihr
goldnes Angelrüthchen: was kann ich dafür, dass die
Beiden sich so ähnlich sehen?

Und als mich einmal das Leben fragte: Wer ist
denn das, die Weisheit? — da sagte ich eifrig: „Ach
ja! die Weisheit!

Man dürstet um sie und wird nicht satt, man blickt
durch Schleier, man hascht durch Netze.

Ist sie schön? Was weiss ich! Aber die ältesten
Karpfen werden noch mit ihr geködert.

Veränderlich ist sie und trotzig; oft sah ich sie sich
die Lippe beissen und den Kamm wider ihres Haares
Strich führen.

Vielleicht ist sie böse und falsch, und in Allem
ein Frauenzimmer; aber wenn sie von sich selber
schlecht spricht, da gerade verführt sie am meisten.“

Als ich diess zu dem Leben sagte, da lachte es
boshaft und machte die Augen zu. „Von wem redest
du doch? sagte sie, wohl von mir?

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[40/0050] Und als ich unter vier Augen mit meiner wilden Weisheit redete, sagte sie mir zornig: „Du willst, du begehrst, du liebst, darum allein lobst du das Leben!“ Fast hätte ich da bös geantwortet und der Zornigen die Wahrheit gesagt; und man kann nicht böser antworten, als wenn man seiner Weisheit „die Wahrheit sagt.“ So nämlich steht es zwischen uns Dreien. Von Grund aus liebe ich nur das Leben — und, wahrlich, am meisten dann, wenn ich es hasse! Dass ich aber der Weisheit gut bin und oft zu gut: das macht, sie erinnert mich gar sehr an das Leben! Sie hat ihr Auge, ihr Lachen und sogar ihr goldnes Angelrüthchen: was kann ich dafür, dass die Beiden sich so ähnlich sehen? Und als mich einmal das Leben fragte: Wer ist denn das, die Weisheit? — da sagte ich eifrig: „Ach ja! die Weisheit! Man dürstet um sie und wird nicht satt, man blickt durch Schleier, man hascht durch Netze. Ist sie schön? Was weiss ich! Aber die ältesten Karpfen werden noch mit ihr geködert. Veränderlich ist sie und trotzig; oft sah ich sie sich die Lippe beissen und den Kamm wider ihres Haares Strich führen. Vielleicht ist sie böse und falsch, und in Allem ein Frauenzimmer; aber wenn sie von sich selber schlecht spricht, da gerade verführt sie am meisten.“ Als ich diess zu dem Leben sagte, da lachte es boshaft und machte die Augen zu. „Von wem redest du doch? sagte sie, wohl von mir?

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/50>, abgerufen am 28.03.2024.