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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

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wartende Augen sehe und die erhellten Nächte der
Sehnsucht.

Oh Unseligkeit aller Schenkenden! Oh Ver¬
finsterung meiner Sonne! Oh Begierde nach Begehren!
Oh Heisshunger in der Sättigung!

Sie nehmen von mir: aber rühre ich noch an ihre
Seele? Eine Kluft ist zwischen Geben und Nehmen;
und die kleinste Kluft ist am letzten zu überbrücken.

Ein Hunger wächst aus meiner Schönheit: wehe¬
thun möchte ich Denen, welchen ich leuchte, berauben
möchte ich meine Beschenkten: -- also hungere ich
nach Bosheit.

Die Hand zurückziehend, wenn sich schon ihr die
Hand entgegenstreckt; dem Wasserfalle gleich zögernd,
der noch im Sturze zögert: -- also hungere ich nach
Bosheit.

Solche Rache sinnt meine Fülle aus; solche Tücke
quillt aus meiner Einsamkeit.

Mein Glück im Schenken erstarb im Schenken,
meine Tugend wurde ihrer selber müde an ihrem
Überflusse!

Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, dass er
die Scham verliere; wer immer austheilt, dessen Hand
und Herz hat Schwielen vor lauter Austheilen.

Mein Auge quillt nicht mehr über vor der Scham
der Bittenden; meine Hand wurde zu hart für das
Zittern gefüllter Hände.

Wohin kam die Thräne meinem Auge und der
Flaum meinem Herzen? Oh Einsamkeit aller Schenken¬
den! Oh Schweigsamkeit aller Leuchtenden!

wartende Augen sehe und die erhellten Nächte der
Sehnsucht.

Oh Unseligkeit aller Schenkenden! Oh Ver¬
finsterung meiner Sonne! Oh Begierde nach Begehren!
Oh Heisshunger in der Sättigung!

Sie nehmen von mir: aber rühre ich noch an ihre
Seele? Eine Kluft ist zwischen Geben und Nehmen;
und die kleinste Kluft ist am letzten zu überbrücken.

Ein Hunger wächst aus meiner Schönheit: wehe¬
thun möchte ich Denen, welchen ich leuchte, berauben
möchte ich meine Beschenkten: — also hungere ich
nach Bosheit.

Die Hand zurückziehend, wenn sich schon ihr die
Hand entgegenstreckt; dem Wasserfalle gleich zögernd,
der noch im Sturze zögert: — also hungere ich nach
Bosheit.

Solche Rache sinnt meine Fülle aus; solche Tücke
quillt aus meiner Einsamkeit.

Mein Glück im Schenken erstarb im Schenken,
meine Tugend wurde ihrer selber müde an ihrem
Überflusse!

Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, dass er
die Scham verliere; wer immer austheilt, dessen Hand
und Herz hat Schwielen vor lauter Austheilen.

Mein Auge quillt nicht mehr über vor der Scham
der Bittenden; meine Hand wurde zu hart für das
Zittern gefüllter Hände.

Wohin kam die Thräne meinem Auge und der
Flaum meinem Herzen? Oh Einsamkeit aller Schenken¬
den! Oh Schweigsamkeit aller Leuchtenden!

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[36/0046] wartende Augen sehe und die erhellten Nächte der Sehnsucht. Oh Unseligkeit aller Schenkenden! Oh Ver¬ finsterung meiner Sonne! Oh Begierde nach Begehren! Oh Heisshunger in der Sättigung! Sie nehmen von mir: aber rühre ich noch an ihre Seele? Eine Kluft ist zwischen Geben und Nehmen; und die kleinste Kluft ist am letzten zu überbrücken. Ein Hunger wächst aus meiner Schönheit: wehe¬ thun möchte ich Denen, welchen ich leuchte, berauben möchte ich meine Beschenkten: — also hungere ich nach Bosheit. Die Hand zurückziehend, wenn sich schon ihr die Hand entgegenstreckt; dem Wasserfalle gleich zögernd, der noch im Sturze zögert: — also hungere ich nach Bosheit. Solche Rache sinnt meine Fülle aus; solche Tücke quillt aus meiner Einsamkeit. Mein Glück im Schenken erstarb im Schenken, meine Tugend wurde ihrer selber müde an ihrem Überflusse! Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, dass er die Scham verliere; wer immer austheilt, dessen Hand und Herz hat Schwielen vor lauter Austheilen. Mein Auge quillt nicht mehr über vor der Scham der Bittenden; meine Hand wurde zu hart für das Zittern gefüllter Hände. Wohin kam die Thräne meinem Auge und der Flaum meinem Herzen? Oh Einsamkeit aller Schenken¬ den! Oh Schweigsamkeit aller Leuchtenden!

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/46>, abgerufen am 29.03.2024.