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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

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Hart-nackig und klug, dem Esel gleich, wart ihr
immer als des Volkes Fürsprecher.

Und mancher Mächtige, der gut fahren wollte
mit dem Volke, spannte vor seine Rosse noch -- ein
Eselein, einen berühmten Weisen.

Und nun wollte ich, ihr berühmten Weisen, ihr
würfet endlich das Fell des Löwen ganz von euch!

Das Fell des Raubthiers, das buntgefleckte, und
die Zotten des Forschenden, Suchenden, Erobernden!

Ach, dass ich an eure "Wahrhaftigkeit" glauben
lerne, dazu müsstet ihr mir erst euren verehrenden
Willen zerbrechen.

Wahrhaftig -- so heisse ich Den, der in götterlose
Wüsten geht und sein verehrendes Herz zerbrochen hat.

Im gelben Sande und verbrannt von der Sonne
schielt er wohl durstig nach den quellenreichen Eilanden,
wo Lebendiges unter dunkeln Bäumen ruht.

Aber sein Durst überredet ihn nicht, diesen Behag¬
lichen gleich zu werden: denn wo Oasen sind, da
sind auch Götzenbilder.

Hungernd, gewaltthätig, einsam, gottlos: so will
sich selber der Löwen-Wille.

Frei von dem Glück der Knechte, erlöst von
Göttern und Anbetungen, furchtlos und fürchterlich,
gross und einsam: so ist der Wille des Wahrhaftigen.

In der Wüste wohnten von je die Wahrhaftigen,
die freien Geister, als der Wüste Herren; aber in den
Städten wohnen die gutgefütterten, berühmten Weisen,
-- die Zugthiere.

Immer nämlich ziehen sie, als Esel -- des Volkes
Karren!

Hart-nackig und klug, dem Esel gleich, wart ihr
immer als des Volkes Fürsprecher.

Und mancher Mächtige, der gut fahren wollte
mit dem Volke, spannte vor seine Rosse noch — ein
Eselein, einen berühmten Weisen.

Und nun wollte ich, ihr berühmten Weisen, ihr
würfet endlich das Fell des Löwen ganz von euch!

Das Fell des Raubthiers, das buntgefleckte, und
die Zotten des Forschenden, Suchenden, Erobernden!

Ach, dass ich an eure „Wahrhaftigkeit“ glauben
lerne, dazu müsstet ihr mir erst euren verehrenden
Willen zerbrechen.

Wahrhaftig — so heisse ich Den, der in götterlose
Wüsten geht und sein verehrendes Herz zerbrochen hat.

Im gelben Sande und verbrannt von der Sonne
schielt er wohl durstig nach den quellenreichen Eilanden,
wo Lebendiges unter dunkeln Bäumen ruht.

Aber sein Durst überredet ihn nicht, diesen Behag¬
lichen gleich zu werden: denn wo Oasen sind, da
sind auch Götzenbilder.

Hungernd, gewaltthätig, einsam, gottlos: so will
sich selber der Löwen-Wille.

Frei von dem Glück der Knechte, erlöst von
Göttern und Anbetungen, furchtlos und fürchterlich,
gross und einsam: so ist der Wille des Wahrhaftigen.

In der Wüste wohnten von je die Wahrhaftigen,
die freien Geister, als der Wüste Herren; aber in den
Städten wohnen die gutgefütterten, berühmten Weisen,
— die Zugthiere.

Immer nämlich ziehen sie, als Esel — des Volkes
Karren!

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[32/0042] Hart-nackig und klug, dem Esel gleich, wart ihr immer als des Volkes Fürsprecher. Und mancher Mächtige, der gut fahren wollte mit dem Volke, spannte vor seine Rosse noch — ein Eselein, einen berühmten Weisen. Und nun wollte ich, ihr berühmten Weisen, ihr würfet endlich das Fell des Löwen ganz von euch! Das Fell des Raubthiers, das buntgefleckte, und die Zotten des Forschenden, Suchenden, Erobernden! Ach, dass ich an eure „Wahrhaftigkeit“ glauben lerne, dazu müsstet ihr mir erst euren verehrenden Willen zerbrechen. Wahrhaftig — so heisse ich Den, der in götterlose Wüsten geht und sein verehrendes Herz zerbrochen hat. Im gelben Sande und verbrannt von der Sonne schielt er wohl durstig nach den quellenreichen Eilanden, wo Lebendiges unter dunkeln Bäumen ruht. Aber sein Durst überredet ihn nicht, diesen Behag¬ lichen gleich zu werden: denn wo Oasen sind, da sind auch Götzenbilder. Hungernd, gewaltthätig, einsam, gottlos: so will sich selber der Löwen-Wille. Frei von dem Glück der Knechte, erlöst von Göttern und Anbetungen, furchtlos und fürchterlich, gross und einsam: so ist der Wille des Wahrhaftigen. In der Wüste wohnten von je die Wahrhaftigen, die freien Geister, als der Wüste Herren; aber in den Städten wohnen die gutgefütterten, berühmten Weisen, — die Zugthiere. Immer nämlich ziehen sie, als Esel — des Volkes Karren!

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/42>, abgerufen am 25.04.2024.