Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Ach, wenn ich auf der Hut wäre vor dem Menschen:
wie könnte meinem Balle der Mensch ein Anker sein!
Zu leicht risse es mich hinauf und hinweg!

Diese Vorsehung ist über meinem Schicksal, dass
ich ohne Vorsicht sein muss.

Und wer unter Menschen nicht verschmachten
will, muss lernen, aus allen Gläsern zu trinken; und
wer unter Menschen rein bleiben will, muss ver¬
stehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen.

Und also sprach ich oft mir zum Troste: "Wohlan!
Wohlauf! Altes Herz! Ein Unglück missrieth dir:
geniesse diess als dein -- Glück!"

Diess aber ist meine andre Menschen-Klugheit:
ich schone die Eitlen mehr als die Stolzen.

Ist nicht verletzte Eitelkeit die Mutter aller Trauer¬
spiele? Wo aber Stolz verletzt wird, da wächst wohl
etwas Besseres noch, als Stolz ist.

Damit das Leben gut anzuschaun sei, muss sein
Spiel gut gespielt werden: dazu aber bedarf es guter
Schauspieler.

Gute Schauspieler fand ich alle Eitlen: sie spielen
und wollen, dass ihnen gern zugeschaut werde, -- all
ihr Geist ist bei diesem Willen.

Sie führen sich auf, sie erfinden sich; in ihrer
Nähe liebe ich's, dem Leben zuzuschaun, -- es heilt
von der Schwermuth.

Darum schone ich die Eitlen, weil sie mir Ärzte
sind meiner Schwermuth und mich am Menschen fest
halten als an einem Schauspiele.

Ach, wenn ich auf der Hut wäre vor dem Menschen:
wie könnte meinem Balle der Mensch ein Anker sein!
Zu leicht risse es mich hinauf und hinweg!

Diese Vorsehung ist über meinem Schicksal, dass
ich ohne Vorsicht sein muss.

Und wer unter Menschen nicht verschmachten
will, muss lernen, aus allen Gläsern zu trinken; und
wer unter Menschen rein bleiben will, muss ver¬
stehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen.

Und also sprach ich oft mir zum Troste: „Wohlan!
Wohlauf! Altes Herz! Ein Unglück missrieth dir:
geniesse diess als dein — Glück!“

Diess aber ist meine andre Menschen-Klugheit:
ich schone die Eitlen mehr als die Stolzen.

Ist nicht verletzte Eitelkeit die Mutter aller Trauer¬
spiele? Wo aber Stolz verletzt wird, da wächst wohl
etwas Besseres noch, als Stolz ist.

Damit das Leben gut anzuschaun sei, muss sein
Spiel gut gespielt werden: dazu aber bedarf es guter
Schauspieler.

Gute Schauspieler fand ich alle Eitlen: sie spielen
und wollen, dass ihnen gern zugeschaut werde, — all
ihr Geist ist bei diesem Willen.

Sie führen sich auf, sie erfinden sich; in ihrer
Nähe liebe ich's, dem Leben zuzuschaun, — es heilt
von der Schwermuth.

Darum schone ich die Eitlen, weil sie mir Ärzte
sind meiner Schwermuth und mich am Menschen fest
halten als an einem Schauspiele.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0103" n="93"/>
        <p>Ach, wenn ich auf der Hut wäre vor dem Menschen:<lb/>
wie könnte meinem Balle der Mensch ein Anker sein!<lb/>
Zu leicht risse es mich hinauf und hinweg!</p><lb/>
        <p>Diese Vorsehung ist über meinem Schicksal, dass<lb/>
ich ohne Vorsicht sein muss.</p><lb/>
        <p>Und wer unter Menschen nicht verschmachten<lb/>
will, muss lernen, aus allen Gläsern zu trinken; und<lb/>
wer unter Menschen rein bleiben will, muss ver¬<lb/>
stehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen.</p><lb/>
        <p>Und also sprach ich oft mir zum Troste: &#x201E;Wohlan!<lb/>
Wohlauf! Altes Herz! Ein Unglück missrieth dir:<lb/>
geniesse diess als dein &#x2014; Glück!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Diess aber ist meine andre Menschen-Klugheit:<lb/>
ich schone die <hi rendition="#g">Eitlen</hi> mehr als die Stolzen.</p><lb/>
        <p>Ist nicht verletzte Eitelkeit die Mutter aller Trauer¬<lb/>
spiele? Wo aber Stolz verletzt wird, da wächst wohl<lb/>
etwas Besseres noch, als Stolz ist.</p><lb/>
        <p>Damit das Leben gut anzuschaun sei, muss sein<lb/>
Spiel gut gespielt werden: dazu aber bedarf es guter<lb/>
Schauspieler.</p><lb/>
        <p>Gute Schauspieler fand ich alle Eitlen: sie spielen<lb/>
und wollen, dass ihnen gern zugeschaut werde, &#x2014; all<lb/>
ihr Geist ist bei diesem Willen.</p><lb/>
        <p>Sie führen sich auf, sie erfinden sich; in ihrer<lb/>
Nähe liebe ich's, dem Leben zuzuschaun, &#x2014; es heilt<lb/>
von der Schwermuth.</p><lb/>
        <p>Darum schone ich die Eitlen, weil sie mir Ärzte<lb/>
sind meiner Schwermuth und mich am Menschen fest<lb/>
halten als an einem Schauspiele.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0103] Ach, wenn ich auf der Hut wäre vor dem Menschen: wie könnte meinem Balle der Mensch ein Anker sein! Zu leicht risse es mich hinauf und hinweg! Diese Vorsehung ist über meinem Schicksal, dass ich ohne Vorsicht sein muss. Und wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen, aus allen Gläsern zu trinken; und wer unter Menschen rein bleiben will, muss ver¬ stehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen. Und also sprach ich oft mir zum Troste: „Wohlan! Wohlauf! Altes Herz! Ein Unglück missrieth dir: geniesse diess als dein — Glück!“ Diess aber ist meine andre Menschen-Klugheit: ich schone die Eitlen mehr als die Stolzen. Ist nicht verletzte Eitelkeit die Mutter aller Trauer¬ spiele? Wo aber Stolz verletzt wird, da wächst wohl etwas Besseres noch, als Stolz ist. Damit das Leben gut anzuschaun sei, muss sein Spiel gut gespielt werden: dazu aber bedarf es guter Schauspieler. Gute Schauspieler fand ich alle Eitlen: sie spielen und wollen, dass ihnen gern zugeschaut werde, — all ihr Geist ist bei diesem Willen. Sie führen sich auf, sie erfinden sich; in ihrer Nähe liebe ich's, dem Leben zuzuschaun, — es heilt von der Schwermuth. Darum schone ich die Eitlen, weil sie mir Ärzte sind meiner Schwermuth und mich am Menschen fest halten als an einem Schauspiele.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/103
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/103>, abgerufen am 26.11.2024.