Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

möchten dich überreden, sie seien aller Dinge Ende:
so eitel sind sie.

Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist: hinter
ihnen liegt noch das Selbst. Das Selbst sucht auch
mit den Augen der Sinne, es horcht auch mit den
Ohren des Geistes.

Immer horcht das Selbst und sucht: es vergleicht,
bezwingt, erobert, zerstört. Es herrscht und ist auch
des Ich's Beherrscher.

Hinter deinen Gedanken und Gefühlen, mein
Bruder, steht ein mächtiger Gebieter, ein unbekannter
Weiser -- der heisst Selbst. In deinem Leibe wohnt
er, dein Leib ist er.

Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner
besten Weisheit. Und wer weiss denn, wozu dein Leib
gerade deine beste Weisheit nöthig hat?

Dein Selbst lacht über dein Ich und seine stolzen
Sprünge. "Was sind mir diese Sprünge und Flüge
des Gedankens? sagt es sich. Ein Umweg zu meinem
Zwecke. Ich bin das Gängelband des Ich's und der
Einbläser seiner Begriffe."

Das Selbst sagt zum Ich: "hier fühle Schmerz!"
Und da leidet es und denkt nach, wie es nicht mehr
leide -- und dazu eben soll es denken.

Das Selbst sagt zum Ich: "hier fühle Lust!" Da
freut es sich und denkt nach, wie es noch oft sich
freue -- und dazu eben soll es denken.

Den Verächtern des Leibes will ich ein Wort sagen.
Dass sie verachten, das macht ihr Achten. Was ist es,
das Achten und Verachten und Werth und Willen schuf?

möchten dich überreden, sie seien aller Dinge Ende:
so eitel sind sie.

Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist: hinter
ihnen liegt noch das Selbst. Das Selbst sucht auch
mit den Augen der Sinne, es horcht auch mit den
Ohren des Geistes.

Immer horcht das Selbst und sucht: es vergleicht,
bezwingt, erobert, zerstört. Es herrscht und ist auch
des Ich's Beherrscher.

Hinter deinen Gedanken und Gefühlen, mein
Bruder, steht ein mächtiger Gebieter, ein unbekannter
Weiser — der heisst Selbst. In deinem Leibe wohnt
er, dein Leib ist er.

Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner
besten Weisheit. Und wer weiss denn, wozu dein Leib
gerade deine beste Weisheit nöthig hat?

Dein Selbst lacht über dein Ich und seine stolzen
Sprünge. „Was sind mir diese Sprünge und Flüge
des Gedankens? sagt es sich. Ein Umweg zu meinem
Zwecke. Ich bin das Gängelband des Ich's und der
Einbläser seiner Begriffe.“

Das Selbst sagt zum Ich: „hier fühle Schmerz!“
Und da leidet es und denkt nach, wie es nicht mehr
leide — und dazu eben soll es denken.

Das Selbst sagt zum Ich: „hier fühle Lust!“ Da
freut es sich und denkt nach, wie es noch oft sich
freue — und dazu eben soll es denken.

Den Verächtern des Leibes will ich ein Wort sagen.
Dass sie verachten, das macht ihr Achten. Was ist es,
das Achten und Verachten und Werth und Willen schuf?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0049" n="43"/>
möchten dich überreden, sie seien aller Dinge Ende:<lb/>
so eitel sind sie.</p><lb/>
          <p>Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist: hinter<lb/>
ihnen liegt noch das Selbst. Das Selbst sucht auch<lb/>
mit den Augen der Sinne, es horcht auch mit den<lb/>
Ohren des Geistes.</p><lb/>
          <p>Immer horcht das Selbst und sucht: es vergleicht,<lb/>
bezwingt, erobert, zerstört. Es herrscht und ist auch<lb/>
des Ich's Beherrscher.</p><lb/>
          <p>Hinter deinen Gedanken und Gefühlen, mein<lb/>
Bruder, steht ein mächtiger Gebieter, ein unbekannter<lb/>
Weiser &#x2014; der heisst Selbst. In deinem Leibe wohnt<lb/>
er, dein Leib ist er.</p><lb/>
          <p>Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner<lb/>
besten Weisheit. Und wer weiss denn, wozu dein Leib<lb/>
gerade deine beste Weisheit nöthig hat?</p><lb/>
          <p>Dein Selbst lacht über dein Ich und seine stolzen<lb/>
Sprünge. &#x201E;Was sind mir diese Sprünge und Flüge<lb/>
des Gedankens? sagt es sich. Ein Umweg zu meinem<lb/>
Zwecke. Ich bin das Gängelband des Ich's und der<lb/>
Einbläser seiner Begriffe.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Das Selbst sagt zum Ich: &#x201E;hier fühle Schmerz!&#x201C;<lb/>
Und da leidet es und denkt nach, wie es nicht mehr<lb/>
leide &#x2014; und dazu eben soll es denken.</p><lb/>
          <p>Das Selbst sagt zum Ich: &#x201E;hier fühle Lust!&#x201C; Da<lb/>
freut es sich und denkt nach, wie es noch oft sich<lb/>
freue &#x2014; und dazu eben soll es denken.</p><lb/>
          <p>Den Verächtern des Leibes will ich ein Wort sagen.<lb/>
Dass sie verachten, das macht ihr Achten. Was ist es,<lb/>
das Achten und Verachten und Werth und Willen schuf?</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0049] möchten dich überreden, sie seien aller Dinge Ende: so eitel sind sie. Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist: hinter ihnen liegt noch das Selbst. Das Selbst sucht auch mit den Augen der Sinne, es horcht auch mit den Ohren des Geistes. Immer horcht das Selbst und sucht: es vergleicht, bezwingt, erobert, zerstört. Es herrscht und ist auch des Ich's Beherrscher. Hinter deinen Gedanken und Gefühlen, mein Bruder, steht ein mächtiger Gebieter, ein unbekannter Weiser — der heisst Selbst. In deinem Leibe wohnt er, dein Leib ist er. Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner besten Weisheit. Und wer weiss denn, wozu dein Leib gerade deine beste Weisheit nöthig hat? Dein Selbst lacht über dein Ich und seine stolzen Sprünge. „Was sind mir diese Sprünge und Flüge des Gedankens? sagt es sich. Ein Umweg zu meinem Zwecke. Ich bin das Gängelband des Ich's und der Einbläser seiner Begriffe.“ Das Selbst sagt zum Ich: „hier fühle Schmerz!“ Und da leidet es und denkt nach, wie es nicht mehr leide — und dazu eben soll es denken. Das Selbst sagt zum Ich: „hier fühle Lust!“ Da freut es sich und denkt nach, wie es noch oft sich freue — und dazu eben soll es denken. Den Verächtern des Leibes will ich ein Wort sagen. Dass sie verachten, das macht ihr Achten. Was ist es, das Achten und Verachten und Werth und Willen schuf?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/49
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/49>, abgerufen am 23.11.2024.