nach solchen Vorgängern, auf diesem Bildungswege noch weiter als jene und überhaupt zum Ziele kommen würden. Deshalb sehen wir seit jener Zeit das Urtheil über den Bildungswerth der Griechen in der bedenklichsten Weise entarten; der Ausdruck mitleidiger Ueberlegenheit ist in den verschiedensten Feldlagern des Geistes und des Ungeistes zu hören; anderwärts tändelt eine gänzlich wirkungslose Schön¬ rednerei mit der "griechischen Harmonie", der "griechischen Schönheit", der "griechischen Heiterkeit". Und gerade in den Kreisen, deren Würde es sein könnte, aus dem grie¬ chischen Strombett unermüdet, zum Heile deutscher Bildung, zu schöpfen, in den Kreisen der Lehrer an den höheren Bildungsanstalten hat man am besten gelernt, sich mit den Griechen zeitig und in bequemer Weise abzufinden, nicht selten bis zu einem sceptischen Preisgeben des hellenischen Ideals und bis zu einer gänzlichen Verkehrung der wahren Tendenz aller Alterthumsstudien. Wer überhaupt in jenen Kreisen sich nicht völlig in dem Bemühen, ein zuverlässiger Corrector von alten Texten oder ein naturhistorischer Sprach¬ mikroskopiker zu sein, erschöpft hat, der sucht vielleicht auch das griechische Alterthum, neben anderen Alterthümern, sich "historisch" anzueignen, aber jedenfalls nach der Methode und mit der Ueberlegenheitsmiene unserer jetzigen ge¬ bildeten Geschichtschreibung. Wenn demnach die eigent¬ liche Bildungskraft der höheren Lehranstalten wohl noch niemals niedriger und schwächlicher gewesen ist, wie in der Gegenwart, wenn der "Journalist", der papierne Sclave des Tages, in jeder Bildungsrücksicht den Sieg über den höheren Lehrer davongetragen hat, und Letzterem nur noch die be¬ reits oft erlebte Metamorphose übrig bleibt, sich jetzt nun auch in der Sprechweise des Journalisten, mit der "leichten Eleganz" dieser Sphäre, als heiterer gebildeter Schmetterling zu bewegen -- in welcher peinlichen Verwirrung müssen die
8*
nach solchen Vorgängern, auf diesem Bildungswege noch weiter als jene und überhaupt zum Ziele kommen würden. Deshalb sehen wir seit jener Zeit das Urtheil über den Bildungswerth der Griechen in der bedenklichsten Weise entarten; der Ausdruck mitleidiger Ueberlegenheit ist in den verschiedensten Feldlagern des Geistes und des Ungeistes zu hören; anderwärts tändelt eine gänzlich wirkungslose Schön¬ rednerei mit der »griechischen Harmonie«, der »griechischen Schönheit«, der »griechischen Heiterkeit«. Und gerade in den Kreisen, deren Würde es sein könnte, aus dem grie¬ chischen Strombett unermüdet, zum Heile deutscher Bildung, zu schöpfen, in den Kreisen der Lehrer an den höheren Bildungsanstalten hat man am besten gelernt, sich mit den Griechen zeitig und in bequemer Weise abzufinden, nicht selten bis zu einem sceptischen Preisgeben des hellenischen Ideals und bis zu einer gänzlichen Verkehrung der wahren Tendenz aller Alterthumsstudien. Wer überhaupt in jenen Kreisen sich nicht völlig in dem Bemühen, ein zuverlässiger Corrector von alten Texten oder ein naturhistorischer Sprach¬ mikroskopiker zu sein, erschöpft hat, der sucht vielleicht auch das griechische Alterthum, neben anderen Alterthümern, sich »historisch« anzueignen, aber jedenfalls nach der Methode und mit der Ueberlegenheitsmiene unserer jetzigen ge¬ bildeten Geschichtschreibung. Wenn demnach die eigent¬ liche Bildungskraft der höheren Lehranstalten wohl noch niemals niedriger und schwächlicher gewesen ist, wie in der Gegenwart, wenn der »Journalist«, der papierne Sclave des Tages, in jeder Bildungsrücksicht den Sieg über den höheren Lehrer davongetragen hat, und Letzterem nur noch die be¬ reits oft erlebte Metamorphose übrig bleibt, sich jetzt nun auch in der Sprechweise des Journalisten, mit der »leichten Eleganz« dieser Sphäre, als heiterer gebildeter Schmetterling zu bewegen — in welcher peinlichen Verwirrung müssen die
8*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0128"n="115"/>
nach solchen Vorgängern, auf diesem Bildungswege noch<lb/>
weiter als jene und überhaupt zum Ziele kommen würden.<lb/>
Deshalb sehen wir seit jener Zeit das Urtheil über den<lb/>
Bildungswerth der Griechen in der bedenklichsten Weise<lb/>
entarten; der Ausdruck mitleidiger Ueberlegenheit ist in den<lb/>
verschiedensten Feldlagern des Geistes und des Ungeistes zu<lb/>
hören; anderwärts tändelt eine gänzlich wirkungslose Schön¬<lb/>
rednerei mit der »griechischen Harmonie«, der »griechischen<lb/>
Schönheit«, der »griechischen Heiterkeit«. Und gerade in<lb/>
den Kreisen, deren Würde es sein könnte, aus dem grie¬<lb/>
chischen Strombett unermüdet, zum Heile deutscher Bildung,<lb/>
zu schöpfen, in den Kreisen der Lehrer an den höheren<lb/>
Bildungsanstalten hat man am besten gelernt, sich mit den<lb/>
Griechen zeitig und in bequemer Weise abzufinden, nicht<lb/>
selten bis zu einem sceptischen Preisgeben des hellenischen<lb/>
Ideals und bis zu einer gänzlichen Verkehrung der wahren<lb/>
Tendenz aller Alterthumsstudien. Wer überhaupt in jenen<lb/>
Kreisen sich nicht völlig in dem Bemühen, ein zuverlässiger<lb/>
Corrector von alten Texten oder ein naturhistorischer Sprach¬<lb/>
mikroskopiker zu sein, erschöpft hat, der sucht vielleicht auch<lb/>
das griechische Alterthum, neben anderen Alterthümern, sich<lb/>
»historisch« anzueignen, aber jedenfalls nach der Methode<lb/>
und mit der Ueberlegenheitsmiene unserer jetzigen ge¬<lb/>
bildeten Geschichtschreibung. Wenn demnach die eigent¬<lb/>
liche Bildungskraft der höheren Lehranstalten wohl noch<lb/>
niemals niedriger und schwächlicher gewesen ist, wie in der<lb/>
Gegenwart, wenn der »Journalist«, der papierne Sclave des<lb/>
Tages, in jeder Bildungsrücksicht den Sieg über den höheren<lb/>
Lehrer davongetragen hat, und Letzterem nur noch die be¬<lb/>
reits oft erlebte Metamorphose übrig bleibt, sich jetzt nun<lb/>
auch in der Sprechweise des Journalisten, mit der »leichten<lb/>
Eleganz« dieser Sphäre, als heiterer gebildeter Schmetterling<lb/>
zu bewegen — in welcher peinlichen Verwirrung müssen die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">8*<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[115/0128]
nach solchen Vorgängern, auf diesem Bildungswege noch
weiter als jene und überhaupt zum Ziele kommen würden.
Deshalb sehen wir seit jener Zeit das Urtheil über den
Bildungswerth der Griechen in der bedenklichsten Weise
entarten; der Ausdruck mitleidiger Ueberlegenheit ist in den
verschiedensten Feldlagern des Geistes und des Ungeistes zu
hören; anderwärts tändelt eine gänzlich wirkungslose Schön¬
rednerei mit der »griechischen Harmonie«, der »griechischen
Schönheit«, der »griechischen Heiterkeit«. Und gerade in
den Kreisen, deren Würde es sein könnte, aus dem grie¬
chischen Strombett unermüdet, zum Heile deutscher Bildung,
zu schöpfen, in den Kreisen der Lehrer an den höheren
Bildungsanstalten hat man am besten gelernt, sich mit den
Griechen zeitig und in bequemer Weise abzufinden, nicht
selten bis zu einem sceptischen Preisgeben des hellenischen
Ideals und bis zu einer gänzlichen Verkehrung der wahren
Tendenz aller Alterthumsstudien. Wer überhaupt in jenen
Kreisen sich nicht völlig in dem Bemühen, ein zuverlässiger
Corrector von alten Texten oder ein naturhistorischer Sprach¬
mikroskopiker zu sein, erschöpft hat, der sucht vielleicht auch
das griechische Alterthum, neben anderen Alterthümern, sich
»historisch« anzueignen, aber jedenfalls nach der Methode
und mit der Ueberlegenheitsmiene unserer jetzigen ge¬
bildeten Geschichtschreibung. Wenn demnach die eigent¬
liche Bildungskraft der höheren Lehranstalten wohl noch
niemals niedriger und schwächlicher gewesen ist, wie in der
Gegenwart, wenn der »Journalist«, der papierne Sclave des
Tages, in jeder Bildungsrücksicht den Sieg über den höheren
Lehrer davongetragen hat, und Letzterem nur noch die be¬
reits oft erlebte Metamorphose übrig bleibt, sich jetzt nun
auch in der Sprechweise des Journalisten, mit der »leichten
Eleganz« dieser Sphäre, als heiterer gebildeter Schmetterling
zu bewegen — in welcher peinlichen Verwirrung müssen die
8*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Leipzig, 1872, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_tragoedie_1872/128>, abgerufen am 09.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.