Nietzsche, Friedrich: Idyllen aus Messina. In: Internationale Monatsschrift, Bd. 1,5. Chemnitz, 1882, S. 269-275.Was geschah? so riefs, so riefen "Pia, caritatevole, amorosissima". (Auf dem campo santo.) O Mädchen, das dem Lamme Das zarte Fellchen kraut, Dem Beides, Licht und Flamme, Aus beiden Augen schaut, Du lieblich Ding zum Scherzen, Du Liebling weit und nah, So fromm, so mild von Herzen, Amorosissima! Was riss so früh die Kette? Wer hat dein Herz betrübt? Und liebtest du, wer hätte Dich nicht genug geliebt? -- Du schweigst -- doch sind die Thränen Den milden Augen nah: -- Du schwiegst -- und starbst vor Sehnen, Amorosissima! Vogel Albatross. O Wunder! Fliegt er noch? Er steigt empor und seine Flügel ruhn! Was hebt und trägt ihn doch? Was ist ihm Ziel und Zug und Zügel nun? Er flog zu höchst -- nun hebt
Der Himmel selbst den siegreich Fliegenden: Nun ruht er still und schwebt, Den Sieg vergessend und den Siegenden. Was geschah? so riefs, so riefen «Pia, caritatevole, amorosissima». (Auf dem campo santo.) O Mädchen, das dem Lamme Das zarte Fellchen kraut, Dem Beides, Licht und Flamme, Aus beiden Augen schaut, Du lieblich Ding zum Scherzen, Du Liebling weit und nah, So fromm, so mild von Herzen, Amorosissima! Was riss so früh die Kette? Wer hat dein Herz betrübt? Und liebtest du, wer hätte Dich nicht genug geliebt? — Du schweigst — doch sind die Thränen Den milden Augen nah: — Du schwiegst — und starbst vor Sehnen, Amorosissima! Vogel Albatross. O Wunder! Fliegt er noch? Er steigt empor und seine Flügel ruhn! Was hebt und trägt ihn doch? Was ist ihm Ziel und Zug und Zügel nun? Er flog zu höchst — nun hebt
Der Himmel selbst den siegreich Fliegenden: Nun ruht er still und schwebt, Den Sieg vergessend und den Siegenden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="4"> <pb facs="#f0006" n="274"/> <l>Was geschah? so riefs, so riefen<lb/></l> <l> Hundert bald — was gab es? Blut? —<lb/></l> <l> Nichts geschah! Wir schliefen, schliefen<lb/></l> <l> Alle — ach, so gut! so gut!<lb/></l> </lg> </lg> <lg type="poem"> <head>«Pia, caritatevole, amorosissima».<lb/> (Auf dem campo santo.)<lb/></head> <lg n="1"> <l>O Mädchen, das dem Lamme<lb/></l> <l> Das zarte Fellchen kraut,<lb/></l> <l> Dem Beides, Licht und Flamme,<lb/></l> <l> Aus beiden Augen schaut,<lb/></l> <l> Du lieblich Ding zum Scherzen,<lb/></l> <l> Du Liebling weit und nah,<lb/></l> <l> So fromm, so mild von Herzen,<lb/></l> <l><hi rendition="#g">Amorosissima</hi>!<lb/></l> </lg> <lg n="2"> <l> Was riss so früh die Kette?<lb/></l> <l> Wer hat dein Herz betrübt?<lb/></l> <l> Und liebtest du, wer hätte<lb/></l> <l> Dich nicht genug geliebt? —<lb/></l> <l> Du schweigst — doch sind die Thränen<lb/></l> <l> Den milden Augen nah: —<lb/></l> <l> Du schwiegst — und starbst vor Sehnen,<lb/></l> <l><hi rendition="#g">Amorosissima</hi>!<lb/></l> </lg> </lg> <lg type="poem"> <head>Vogel Albatross.</head> <lg n="1"> <l> O Wunder! Fliegt er noch?<lb/></l> <l> Er steigt empor und seine Flügel ruhn!<lb/></l> <l> Was hebt und trägt ihn doch?<lb/></l> <l> Was ist ihm Ziel und Zug und Zügel nun?<lb/></l> </lg> <lg n="2"> <l> Er flog zu höchst — nun hebt<lb/></l> <l> Der Himmel selbst den siegreich Fliegenden:<lb/></l> <l> Nun ruht er still und schwebt,<lb/></l> <l> Den Sieg vergessend und den Siegenden.<lb/></l> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [274/0006]
Was geschah? so riefs, so riefen
Hundert bald — was gab es? Blut? —
Nichts geschah! Wir schliefen, schliefen
Alle — ach, so gut! so gut!
«Pia, caritatevole, amorosissima».
(Auf dem campo santo.)
O Mädchen, das dem Lamme
Das zarte Fellchen kraut,
Dem Beides, Licht und Flamme,
Aus beiden Augen schaut,
Du lieblich Ding zum Scherzen,
Du Liebling weit und nah,
So fromm, so mild von Herzen,
Amorosissima!
Was riss so früh die Kette?
Wer hat dein Herz betrübt?
Und liebtest du, wer hätte
Dich nicht genug geliebt? —
Du schweigst — doch sind die Thränen
Den milden Augen nah: —
Du schwiegst — und starbst vor Sehnen,
Amorosissima!
Vogel Albatross. O Wunder! Fliegt er noch?
Er steigt empor und seine Flügel ruhn!
Was hebt und trägt ihn doch?
Was ist ihm Ziel und Zug und Zügel nun?
Er flog zu höchst — nun hebt
Der Himmel selbst den siegreich Fliegenden:
Nun ruht er still und schwebt,
Den Sieg vergessend und den Siegenden.
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Zitationshilfe: | Nietzsche, Friedrich: Idyllen aus Messina. In: Internationale Monatsschrift, Bd. 1,5. Chemnitz, 1882, S. 269-275, hier S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_messina_1882/6>, abgerufen am 27.07.2024. |