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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Zweiter Abschnitt.
natürliche Abneigung gegen das Land der Vernunft
haben, wo er für seinen Tact nichts Festes findet, wo
seiner Zerlegungskunst die Gestalten nicht stehen, wo er
mit offnem Auge im Dunkeln tappt. Dar inn liegt die
Gefahr dieser Unterrichtsweise, die -- obgleich nicht
gerade überall aus Haß der Vernunft -- das Land der
Vernunft flieht und den Lehrling in dem Lande der
materiellen Solidität eingeschlossen hält: sie gründet
die Gewohnheit, das Reale ausschließend nach dieser
Solidität zu messen, und führt dadurch unausbleiblich
zum Unglauben, d. i. zum Mangel an Ver-
nunft
; denn Glaube ist Vernunft! -- Was aber
die Fortschritte der Geistes-Cultur betrifft,
die ihr von der gerühmten pädagogischen Methode
euch versprechet, und die ihr vielleicht als Fortschrit-
te der Vernunft
betrachtet; so täuscht euch nur
auch darinn der animale Geist. Habt ihr denn
von eurer Bildungsweise andre Proben von Cultur,
als die von animalem Kunstverstand und Kunstfleiß
zeugen, aufzuweisen? Ist aber darinn etwas andres,
als ein höherer Grad von dem, was wir auch bei den
Thieren finden? Kunst- und Zweck-Verstand
ist nicht Vernunft! und zur freien Kunst, die
der Vernunft angehört, erzieht ihr jenen nie! Auch
kann euch aus der Völkergeschichte nicht unbekannt
seyn, daß die Cultur des Kunstverstandes ziemlich enge
Gränzen hat, und daß ein hoher Grad desselben neben
fast verschwundener Vernunft statt finden kann!

Nur soviel wollte ich gleich hier vorläufig zur

Zweiter Abſchnitt.
natuͤrliche Abneigung gegen das Land der Vernunft
haben, wo er fuͤr ſeinen Tact nichts Feſtes findet, wo
ſeiner Zerlegungskunſt die Geſtalten nicht ſtehen, wo er
mit offnem Auge im Dunkeln tappt. Dar inn liegt die
Gefahr dieſer Unterrichtsweiſe, die — obgleich nicht
gerade uͤberall aus Haß der Vernunft — das Land der
Vernunft flieht und den Lehrling in dem Lande der
materiellen Soliditaͤt eingeſchloſſen haͤlt: ſie gruͤndet
die Gewohnheit, das Reale ausſchließend nach dieſer
Soliditaͤt zu meſſen, und fuͤhrt dadurch unausbleiblich
zum Unglauben, d. i. zum Mangel an Ver-
nunft
; denn Glaube iſt Vernunft! — Was aber
die Fortſchritte der Geiſtes-Cultur betrifft,
die ihr von der geruͤhmten paͤdagogiſchen Methode
euch verſprechet, und die ihr vielleicht als Fortſchrit-
te der Vernunft
betrachtet; ſo taͤuſcht euch nur
auch darinn der animale Geiſt. Habt ihr denn
von eurer Bildungsweiſe andre Proben von Cultur,
als die von animalem Kunſtverſtand und Kunſtfleiß
zeugen, aufzuweiſen? Iſt aber darinn etwas andres,
als ein hoͤherer Grad von dem, was wir auch bei den
Thieren finden? Kunſt- und Zweck-Verſtand
iſt nicht Vernunft! und zur freien Kunſt, die
der Vernunft angehoͤrt, erzieht ihr jenen nie! Auch
kann euch aus der Voͤlkergeſchichte nicht unbekannt
ſeyn, daß die Cultur des Kunſtverſtandes ziemlich enge
Graͤnzen hat, und daß ein hoher Grad deſſelben neben
faſt verſchwundener Vernunft ſtatt finden kann!

Nur ſoviel wollte ich gleich hier vorlaͤufig zur

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[56/0068] Zweiter Abſchnitt. natuͤrliche Abneigung gegen das Land der Vernunft haben, wo er fuͤr ſeinen Tact nichts Feſtes findet, wo ſeiner Zerlegungskunſt die Geſtalten nicht ſtehen, wo er mit offnem Auge im Dunkeln tappt. Dar inn liegt die Gefahr dieſer Unterrichtsweiſe, die — obgleich nicht gerade uͤberall aus Haß der Vernunft — das Land der Vernunft flieht und den Lehrling in dem Lande der materiellen Soliditaͤt eingeſchloſſen haͤlt: ſie gruͤndet die Gewohnheit, das Reale ausſchließend nach dieſer Soliditaͤt zu meſſen, und fuͤhrt dadurch unausbleiblich zum Unglauben, d. i. zum Mangel an Ver- nunft; denn Glaube iſt Vernunft! — Was aber die Fortſchritte der Geiſtes-Cultur betrifft, die ihr von der geruͤhmten paͤdagogiſchen Methode euch verſprechet, und die ihr vielleicht als Fortſchrit- te der Vernunft betrachtet; ſo taͤuſcht euch nur auch darinn der animale Geiſt. Habt ihr denn von eurer Bildungsweiſe andre Proben von Cultur, als die von animalem Kunſtverſtand und Kunſtfleiß zeugen, aufzuweiſen? Iſt aber darinn etwas andres, als ein hoͤherer Grad von dem, was wir auch bei den Thieren finden? Kunſt- und Zweck-Verſtand iſt nicht Vernunft! und zur freien Kunſt, die der Vernunft angehoͤrt, erzieht ihr jenen nie! Auch kann euch aus der Voͤlkergeſchichte nicht unbekannt ſeyn, daß die Cultur des Kunſtverſtandes ziemlich enge Graͤnzen hat, und daß ein hoher Grad deſſelben neben faſt verſchwundener Vernunft ſtatt finden kann! Nur ſoviel wollte ich gleich hier vorlaͤufig zur

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/68>, abgerufen am 22.11.2024.