Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.Historischer Gesichtspunkt d. Untersuchung. ze Glück einer Nation in die Masse materieller Pro-duction, den ganzen Werth des Einzelnen in den Er- werb mechanischer Fertigkeit setzt, alle Aufklärung in der Leerheit von schimpflichem Aberglauben sucht und alle geistige Thätigkeit auf diese Ausleerung beschränkt, das wahre höhere Interesse dagegen nicht kennt, alles Ideale für Träumerei erklärt und haßt, -- wie diese Denkart jede bessere Triebfeder im Menschen lähme, jede höhere Kraft zerstöre, jeden wahren Enthusiasmus tödte, jeden ächten Patriotismus im Keime ersticke, al- les zum seelenlosen Maschinismus herunterziehe, und da- mit selbst die Selbstständigkeit der Nation gefährde: das kann für die, die sehen wollen, in unsern Tagen nicht mehr zweifelhaft seyn. Man kann diesen Ansichten, wiefern sie die Noth- "Den herrschenden Zeitgeist, kann man sagen, hat Hiſtoriſcher Geſichtspunkt d. Unterſuchung. ze Gluͤck einer Nation in die Maſſe materieller Pro-duction, den ganzen Werth des Einzelnen in den Er- werb mechaniſcher Fertigkeit ſetzt, alle Aufklaͤrung in der Leerheit von ſchimpflichem Aberglauben ſucht und alle geiſtige Thaͤtigkeit auf dieſe Ausleerung beſchraͤnkt, das wahre hoͤhere Intereſſe dagegen nicht kennt, alles Ideale fuͤr Traͤumerei erklaͤrt und haßt, — wie dieſe Denkart jede beſſere Triebfeder im Menſchen laͤhme, jede hoͤhere Kraft zerſtoͤre, jeden wahren Enthuſiasmus toͤdte, jeden aͤchten Patriotiſmus im Keime erſticke, al- les zum ſeelenloſen Maſchiniſmus herunterziehe, und da- mit ſelbſt die Selbſtſtaͤndigkeit der Nation gefaͤhrde: das kann fuͤr die, die ſehen wollen, in unſern Tagen nicht mehr zweifelhaft ſeyn. Man kann dieſen Anſichten, wiefern ſie die Noth- „Den herrſchenden Zeitgeiſt, kann man ſagen, hat <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0043" n="31"/><fw place="top" type="header">Hiſtoriſcher Geſichtspunkt d. Unterſuchung.</fw><lb/> ze Gluͤck einer Nation in die Maſſe materieller Pro-<lb/> duction, den ganzen Werth des Einzelnen in den Er-<lb/> werb mechaniſcher Fertigkeit ſetzt, alle Aufklaͤrung in<lb/> der Leerheit von ſchimpflichem Aberglauben ſucht und<lb/> alle geiſtige Thaͤtigkeit auf dieſe Ausleerung beſchraͤnkt,<lb/> das wahre hoͤhere Intereſſe dagegen nicht kennt, alles<lb/> Ideale fuͤr Traͤumerei erklaͤrt und haßt, — wie dieſe<lb/> Denkart jede beſſere Triebfeder im Menſchen laͤhme,<lb/> jede hoͤhere Kraft zerſtoͤre, jeden wahren Enthuſiasmus<lb/> toͤdte, jeden aͤchten Patriotiſmus im Keime erſticke, al-<lb/> les zum ſeelenloſen Maſchiniſmus herunterziehe, und da-<lb/> mit ſelbſt die Selbſtſtaͤndigkeit der Nation gefaͤhrde:<lb/> das kann fuͤr die, die ſehen wollen, in unſern Tagen<lb/> nicht mehr zweifelhaft ſeyn.</p><lb/> <p>Man kann dieſen Anſichten, wiefern ſie die Noth-<lb/> wendigkeit einer gaͤnzlichen Umwandlung der oͤffentli-<lb/> chen Unterrichtsanſtalten andeuten ſollen, wichtige hiſto-<lb/> riſche Bemerkungen entgegenſetzen.</p><lb/> <p>„Den herrſchenden Zeitgeiſt, kann man ſagen, hat<lb/> zu keiner Zeit eine Erziehungslehre gemeiſtert, vielmehr<lb/> wo einmal eine vorherrſchende Richtung eines Zeital-<lb/> ters ſich zeigt, da findet eine neue Erziehungslehre nur<lb/> Eingang und Einfluß, wiefern ſie mit jener Richtung<lb/> harmoniſch iſt. Auch der Philanthropiniſmus war mehr<lb/> Erzeugniß als Urſache der Bildung ſeiner Zeit. Wie<lb/> will man denn jetzt mit einer neuen Unterrichtstheorie,<lb/> die dem Geiſt der Zeit zuwider iſt, den Geiſt der Zeit<lb/> zu bannen hoffen? Waͤre dies nicht eben ſo thoͤricht,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [31/0043]
Hiſtoriſcher Geſichtspunkt d. Unterſuchung.
ze Gluͤck einer Nation in die Maſſe materieller Pro-
duction, den ganzen Werth des Einzelnen in den Er-
werb mechaniſcher Fertigkeit ſetzt, alle Aufklaͤrung in
der Leerheit von ſchimpflichem Aberglauben ſucht und
alle geiſtige Thaͤtigkeit auf dieſe Ausleerung beſchraͤnkt,
das wahre hoͤhere Intereſſe dagegen nicht kennt, alles
Ideale fuͤr Traͤumerei erklaͤrt und haßt, — wie dieſe
Denkart jede beſſere Triebfeder im Menſchen laͤhme,
jede hoͤhere Kraft zerſtoͤre, jeden wahren Enthuſiasmus
toͤdte, jeden aͤchten Patriotiſmus im Keime erſticke, al-
les zum ſeelenloſen Maſchiniſmus herunterziehe, und da-
mit ſelbſt die Selbſtſtaͤndigkeit der Nation gefaͤhrde:
das kann fuͤr die, die ſehen wollen, in unſern Tagen
nicht mehr zweifelhaft ſeyn.
Man kann dieſen Anſichten, wiefern ſie die Noth-
wendigkeit einer gaͤnzlichen Umwandlung der oͤffentli-
chen Unterrichtsanſtalten andeuten ſollen, wichtige hiſto-
riſche Bemerkungen entgegenſetzen.
„Den herrſchenden Zeitgeiſt, kann man ſagen, hat
zu keiner Zeit eine Erziehungslehre gemeiſtert, vielmehr
wo einmal eine vorherrſchende Richtung eines Zeital-
ters ſich zeigt, da findet eine neue Erziehungslehre nur
Eingang und Einfluß, wiefern ſie mit jener Richtung
harmoniſch iſt. Auch der Philanthropiniſmus war mehr
Erzeugniß als Urſache der Bildung ſeiner Zeit. Wie
will man denn jetzt mit einer neuen Unterrichtstheorie,
die dem Geiſt der Zeit zuwider iſt, den Geiſt der Zeit
zu bannen hoffen? Waͤre dies nicht eben ſo thoͤricht,
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