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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Anwendung der allgemeinen Grundsätze etc.
Art von Geistesübung widme, um den Mann durch
Geist und Bildung fesseln zu können."

Ich will dagegen nicht fragen: ob jene Geistesbil-
dung nicht öfter dazu dienen müsse, die Männer zu
locken, als den Mann zu fesseln? Aber daran muß
ich erinnern, was diese geistreichen, in ihrem Berufe
verwahrlosten, Weiber in ihrem Hause sind. Unfähig
oder abgeneigt, die Pflege ihrer Kinder zu übernehmen
oder auch nur zu leiten, überlassen sie diese dem Ge-
sinde; und während die kunst- und geistreichen Mütter
musiciren, singen, zeichnen, malen, studiren, dichten,
Bücher lesen oder schreiben, sind die unglücklichen Kin-
der ohne Aufsicht und Anleitung, körperlich und gei-
stig verwahrlost. Dem Manne ergeht es nicht besser.
Die Kunst- und Geisteswerke, selbst die witzigen Ein-
fälle der geistreichen Frau sind nicht für ihn, als wenn
er die Probe zu überhören hat, und wenn er von der
Arbeit kömmt, um in der Unterhaltung mit seiner Frau
im Schoose seiner Familie sich zu erholen, findet er
die Frau entweder durch geistige Anstrengung abge-
spannt, oder von einem Schwarm von Witzlingen um-
geben, von denen sie sich bewundern läßt. Daneben
muß er, wenn das Hauswesen nur einigermaßen im
Gange erhalten werden soll, sich einer Menge zerstreuen-
der häuslicher Besorgungen unterziehen, die seine Ge-
schäfte unterbrechen, und die er nicht ohne innere Be-
schämung übernehmen kann. Gleichwohl kann er von
der einen Seite den Verfall des Hauswesens nicht hin-
dern, von der andern Seite keine Ordnung erhalten,

Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc.
Art von Geiſtesuͤbung widme, um den Mann durch
Geiſt und Bildung feſſeln zu koͤnnen.“

Ich will dagegen nicht fragen: ob jene Geiſtesbil-
dung nicht oͤfter dazu dienen muͤſſe, die Maͤnner zu
locken, als den Mann zu feſſeln? Aber daran muß
ich erinnern, was dieſe geiſtreichen, in ihrem Berufe
verwahrloſten, Weiber in ihrem Hauſe ſind. Unfaͤhig
oder abgeneigt, die Pflege ihrer Kinder zu uͤbernehmen
oder auch nur zu leiten, uͤberlaſſen ſie dieſe dem Ge-
ſinde; und waͤhrend die kunſt- und geiſtreichen Muͤtter
muſiciren, ſingen, zeichnen, malen, ſtudiren, dichten,
Buͤcher leſen oder ſchreiben, ſind die ungluͤcklichen Kin-
der ohne Aufſicht und Anleitung, koͤrperlich und gei-
ſtig verwahrloſt. Dem Manne ergeht es nicht beſſer.
Die Kunſt- und Geiſteswerke, ſelbſt die witzigen Ein-
faͤlle der geiſtreichen Frau ſind nicht fuͤr ihn, als wenn
er die Probe zu uͤberhoͤren hat, und wenn er von der
Arbeit koͤmmt, um in der Unterhaltung mit ſeiner Frau
im Schooſe ſeiner Familie ſich zu erholen, findet er
die Frau entweder durch geiſtige Anſtrengung abge-
ſpannt, oder von einem Schwarm von Witzlingen um-
geben, von denen ſie ſich bewundern laͤßt. Daneben
muß er, wenn das Hausweſen nur einigermaßen im
Gange erhalten werden ſoll, ſich einer Menge zerſtreuen-
der haͤuslicher Beſorgungen unterziehen, die ſeine Ge-
ſchaͤfte unterbrechen, und die er nicht ohne innere Be-
ſchaͤmung uͤbernehmen kann. Gleichwohl kann er von
der einen Seite den Verfall des Hausweſens nicht hin-
dern, von der andern Seite keine Ordnung erhalten,

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[349/0361] Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc. Art von Geiſtesuͤbung widme, um den Mann durch Geiſt und Bildung feſſeln zu koͤnnen.“ Ich will dagegen nicht fragen: ob jene Geiſtesbil- dung nicht oͤfter dazu dienen muͤſſe, die Maͤnner zu locken, als den Mann zu feſſeln? Aber daran muß ich erinnern, was dieſe geiſtreichen, in ihrem Berufe verwahrloſten, Weiber in ihrem Hauſe ſind. Unfaͤhig oder abgeneigt, die Pflege ihrer Kinder zu uͤbernehmen oder auch nur zu leiten, uͤberlaſſen ſie dieſe dem Ge- ſinde; und waͤhrend die kunſt- und geiſtreichen Muͤtter muſiciren, ſingen, zeichnen, malen, ſtudiren, dichten, Buͤcher leſen oder ſchreiben, ſind die ungluͤcklichen Kin- der ohne Aufſicht und Anleitung, koͤrperlich und gei- ſtig verwahrloſt. Dem Manne ergeht es nicht beſſer. Die Kunſt- und Geiſteswerke, ſelbſt die witzigen Ein- faͤlle der geiſtreichen Frau ſind nicht fuͤr ihn, als wenn er die Probe zu uͤberhoͤren hat, und wenn er von der Arbeit koͤmmt, um in der Unterhaltung mit ſeiner Frau im Schooſe ſeiner Familie ſich zu erholen, findet er die Frau entweder durch geiſtige Anſtrengung abge- ſpannt, oder von einem Schwarm von Witzlingen um- geben, von denen ſie ſich bewundern laͤßt. Daneben muß er, wenn das Hausweſen nur einigermaßen im Gange erhalten werden ſoll, ſich einer Menge zerſtreuen- der haͤuslicher Beſorgungen unterziehen, die ſeine Ge- ſchaͤfte unterbrechen, und die er nicht ohne innere Be- ſchaͤmung uͤbernehmen kann. Gleichwohl kann er von der einen Seite den Verfall des Hausweſens nicht hin- dern, von der andern Seite keine Ordnung erhalten,

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/361>, abgerufen am 02.05.2024.