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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Erster Abschnitt.
samkeit zeigt sich auch in allen Zweigen des Denkens
und der Bildung überhaupt. In der Erziehung, in
der Religion, in der Philosophie, in dem ganzen Um-
kreise der Geistesthätigkeit, war "praktisch" jetzt
das allgemeine Losungswort; nur was unmittelbar
ins Leben eingreifend, in der Anwendung förderlich
war, wurde geachtet. Das ganze Gebiet des Wissens
gewann dadurch neues Leben und eine neue Gestalt;
die Wissenschaften wurden mit angestrengtem Ei-
fer umgearbeitet, um sie von ihrer praktischen
Seite darzustellen, und sie für die Praxis nützlich zu
machen.

Was der große Reformator seiner Zeit durch diese
aufgeregte allgemeine Thätigkeit nach Außen zunächst
in seinem Volk bewirkte, hat die Mitwelt in Erstaunen
gesetzt, und muß bei der späten Nachwelt noch Bewun-
derung finden. Aber nicht bloß sein Reich hat er durch
seinen gewaltigen Geist umgeschaffen; von ihm gieng un-
verkennbar auch der Impuls aus, der nach und nach eine
Totalreform der teutschen Cultur bewirkte. Die Haupt-
stadt seines Reiches war es, die den Ton in der schrift-
stellerischen Welt in Teutschland angab, wie seine Ar-
mee es war, die überall zum Muster genommen wurde,
und seine Regierungskunst, die überall eifrige Nach-
ahmung fand. Dankbar wird die Geschichte seine Zeit
als Epoche einer höchstnöthigen und höchstwohlthätigen
Geistes-Revolution bezeichnen, durch welche der Geist
der Trägheit und der müssigen Speculation verbannt,
das Reich des Aberglaubens erschüttert, die Fessel der

Erſter Abſchnitt.
ſamkeit zeigt ſich auch in allen Zweigen des Denkens
und der Bildung uͤberhaupt. In der Erziehung, in
der Religion, in der Philoſophie, in dem ganzen Um-
kreiſe der Geiſtesthaͤtigkeit, war „praktiſch“ jetzt
das allgemeine Loſungswort; nur was unmittelbar
ins Leben eingreifend, in der Anwendung foͤrderlich
war, wurde geachtet. Das ganze Gebiet des Wiſſens
gewann dadurch neues Leben und eine neue Geſtalt;
die Wiſſenſchaften wurden mit angeſtrengtem Ei-
fer umgearbeitet, um ſie von ihrer praktiſchen
Seite darzuſtellen, und ſie fuͤr die Praxis nuͤtzlich zu
machen.

Was der große Reformator ſeiner Zeit durch dieſe
aufgeregte allgemeine Thaͤtigkeit nach Außen zunaͤchſt
in ſeinem Volk bewirkte, hat die Mitwelt in Erſtaunen
geſetzt, und muß bei der ſpaͤten Nachwelt noch Bewun-
derung finden. Aber nicht bloß ſein Reich hat er durch
ſeinen gewaltigen Geiſt umgeſchaffen; von ihm gieng un-
verkennbar auch der Impuls aus, der nach und nach eine
Totalreform der teutſchen Cultur bewirkte. Die Haupt-
ſtadt ſeines Reiches war es, die den Ton in der ſchrift-
ſtelleriſchen Welt in Teutſchland angab, wie ſeine Ar-
mee es war, die uͤberall zum Muſter genommen wurde,
und ſeine Regierungskunſt, die uͤberall eifrige Nach-
ahmung fand. Dankbar wird die Geſchichte ſeine Zeit
als Epoche einer hoͤchſtnoͤthigen und hoͤchſtwohlthaͤtigen
Geiſtes-Revolution bezeichnen, durch welche der Geiſt
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[16/0028] Erſter Abſchnitt. ſamkeit zeigt ſich auch in allen Zweigen des Denkens und der Bildung uͤberhaupt. In der Erziehung, in der Religion, in der Philoſophie, in dem ganzen Um- kreiſe der Geiſtesthaͤtigkeit, war „praktiſch“ jetzt das allgemeine Loſungswort; nur was unmittelbar ins Leben eingreifend, in der Anwendung foͤrderlich war, wurde geachtet. Das ganze Gebiet des Wiſſens gewann dadurch neues Leben und eine neue Geſtalt; die Wiſſenſchaften wurden mit angeſtrengtem Ei- fer umgearbeitet, um ſie von ihrer praktiſchen Seite darzuſtellen, und ſie fuͤr die Praxis nuͤtzlich zu machen. Was der große Reformator ſeiner Zeit durch dieſe aufgeregte allgemeine Thaͤtigkeit nach Außen zunaͤchſt in ſeinem Volk bewirkte, hat die Mitwelt in Erſtaunen geſetzt, und muß bei der ſpaͤten Nachwelt noch Bewun- derung finden. Aber nicht bloß ſein Reich hat er durch ſeinen gewaltigen Geiſt umgeſchaffen; von ihm gieng un- verkennbar auch der Impuls aus, der nach und nach eine Totalreform der teutſchen Cultur bewirkte. Die Haupt- ſtadt ſeines Reiches war es, die den Ton in der ſchrift- ſtelleriſchen Welt in Teutſchland angab, wie ſeine Ar- mee es war, die uͤberall zum Muſter genommen wurde, und ſeine Regierungskunſt, die uͤberall eifrige Nach- ahmung fand. Dankbar wird die Geſchichte ſeine Zeit als Epoche einer hoͤchſtnoͤthigen und hoͤchſtwohlthaͤtigen Geiſtes-Revolution bezeichnen, durch welche der Geiſt der Traͤgheit und der muͤſſigen Speculation verbannt, das Reich des Aberglaubens erſchuͤttert, die Feſſel der

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/28>, abgerufen am 24.04.2024.