Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite
Dritter Abschnitt.

Es ist längst durch eine allgemeine Beobachtung
bestätiget, daß nichts die Fortschritte des Lernens mehr
aufhält, als wenn vielerlei mit Einemmal angefangen
wird. Die Anhäufung des Lehrmaterials an sich schon
macht den Lehrling zaghaft, indem er sich die Arbeit,
die er nicht übersehen kann, noch weit schwieriger denkt,
als sie wirklich ist. Noch mehr aber muß er sich nie-
dergeschlagen fühlen durch die langsamen Fortschritte,
die er in den mannichfaltigen Uebungen macht, in de-
nen er sich versucht; während er, wenn seine Kraft auf
wenigere Aufgaben concentrirt wird, in dem schnelleren
Ueberwinden der Schwierigkeit seine Kraft fühlt, und
die merklichen Fortschritte, die er zu machen im Stande
ist, ihm Lust erwecken, und ihn mit Muth zur An-
strengung und Vertrauen zu sich selbst für die folgen-
den schwereren Aufgaben beleben. Sodann ist es auch
keinem Zweifel unterworfen, daß es nur ein scheinbarer
Gewinn ist, wenn der Lehrling in vielerlei Gegenstän-
den zugleich etwas lernt. Die Rechnung (wenn etwas
dieser Art dem Calcul unterliegt) ist ganz einfach.
Soll eine gewisse Zahl von Gegenständen in einer be-
stimmten Zeit bis zu einem gewissen Grade der Fertig-
keit erlernt werden, so ist das Facit dasselbe, ob man
jeden der vorgeschriebnen Gegenstände einzeln bis zu
dem bestimmten Grade von Fertigkeit übt, und so den
ganzen Umkreis der Gegenstände nacheinander durch-
läuft, oder ob man alle vorgeschriebnen Gegenstände
gleichzeitig in einer gewissen Reihenfolge von Graden
übt, und so mit allen zugleich dem bestimmten Grade
von Vollendung entgegenrückt. Demnach wäre auf

Dritter Abſchnitt.

Es iſt laͤngſt durch eine allgemeine Beobachtung
beſtaͤtiget, daß nichts die Fortſchritte des Lernens mehr
aufhaͤlt, als wenn vielerlei mit Einemmal angefangen
wird. Die Anhaͤufung des Lehrmaterials an ſich ſchon
macht den Lehrling zaghaft, indem er ſich die Arbeit,
die er nicht uͤberſehen kann, noch weit ſchwieriger denkt,
als ſie wirklich iſt. Noch mehr aber muß er ſich nie-
dergeſchlagen fuͤhlen durch die langſamen Fortſchritte,
die er in den mannichfaltigen Uebungen macht, in de-
nen er ſich verſucht; waͤhrend er, wenn ſeine Kraft auf
wenigere Aufgaben concentrirt wird, in dem ſchnelleren
Ueberwinden der Schwierigkeit ſeine Kraft fuͤhlt, und
die merklichen Fortſchritte, die er zu machen im Stande
iſt, ihm Luſt erwecken, und ihn mit Muth zur An-
ſtrengung und Vertrauen zu ſich ſelbſt fuͤr die folgen-
den ſchwereren Aufgaben beleben. Sodann iſt es auch
keinem Zweifel unterworfen, daß es nur ein ſcheinbarer
Gewinn iſt, wenn der Lehrling in vielerlei Gegenſtaͤn-
den zugleich etwas lernt. Die Rechnung (wenn etwas
dieſer Art dem Calcul unterliegt) iſt ganz einfach.
Soll eine gewiſſe Zahl von Gegenſtaͤnden in einer be-
ſtimmten Zeit bis zu einem gewiſſen Grade der Fertig-
keit erlernt werden, ſo iſt das Facit daſſelbe, ob man
jeden der vorgeſchriebnen Gegenſtaͤnde einzeln bis zu
dem beſtimmten Grade von Fertigkeit uͤbt, und ſo den
ganzen Umkreis der Gegenſtaͤnde nacheinander durch-
laͤuft, oder ob man alle vorgeſchriebnen Gegenſtaͤnde
gleichzeitig in einer gewiſſen Reihenfolge von Graden
uͤbt, und ſo mit allen zugleich dem beſtimmten Grade
von Vollendung entgegenruͤckt. Demnach waͤre auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <pb facs="#f0270" n="258"/>
                  <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dritter Ab&#x017F;chnitt</hi>.</fw><lb/>
                  <p>Es i&#x017F;t la&#x0364;ng&#x017F;t durch eine allgemeine Beobachtung<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;tiget, daß nichts die Fort&#x017F;chritte des Lernens mehr<lb/>
aufha&#x0364;lt, als wenn vielerlei mit Einemmal angefangen<lb/>
wird. Die Anha&#x0364;ufung des Lehrmaterials an &#x017F;ich &#x017F;chon<lb/>
macht den Lehrling zaghaft, indem er &#x017F;ich die Arbeit,<lb/>
die er nicht u&#x0364;ber&#x017F;ehen kann, noch weit &#x017F;chwieriger denkt,<lb/>
als &#x017F;ie wirklich i&#x017F;t. Noch mehr aber muß er &#x017F;ich nie-<lb/>
derge&#x017F;chlagen fu&#x0364;hlen durch die lang&#x017F;amen Fort&#x017F;chritte,<lb/>
die er in den mannichfaltigen Uebungen macht, in de-<lb/>
nen er &#x017F;ich ver&#x017F;ucht; wa&#x0364;hrend er, wenn &#x017F;eine Kraft auf<lb/>
wenigere Aufgaben concentrirt wird, in dem &#x017F;chnelleren<lb/>
Ueberwinden der Schwierigkeit &#x017F;eine Kraft fu&#x0364;hlt, und<lb/>
die merklichen Fort&#x017F;chritte, die er zu machen im Stande<lb/>
i&#x017F;t, ihm Lu&#x017F;t erwecken, und ihn mit Muth zur An-<lb/>
&#x017F;trengung und Vertrauen zu &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t fu&#x0364;r die folgen-<lb/>
den &#x017F;chwereren Aufgaben beleben. Sodann i&#x017F;t es auch<lb/>
keinem Zweifel unterworfen, daß es nur ein &#x017F;cheinbarer<lb/>
Gewinn i&#x017F;t, wenn der Lehrling in vielerlei Gegen&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
den zugleich etwas lernt. Die Rechnung (wenn etwas<lb/>
die&#x017F;er Art dem Calcul unterliegt) i&#x017F;t ganz einfach.<lb/>
Soll eine gewi&#x017F;&#x017F;e Zahl von Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden in einer be-<lb/>
&#x017F;timmten Zeit bis zu einem gewi&#x017F;&#x017F;en Grade der Fertig-<lb/>
keit erlernt werden, &#x017F;o i&#x017F;t das Facit da&#x017F;&#x017F;elbe, ob man<lb/>
jeden der vorge&#x017F;chriebnen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde einzeln bis zu<lb/>
dem be&#x017F;timmten Grade von Fertigkeit u&#x0364;bt, und &#x017F;o den<lb/>
ganzen Umkreis der Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde nacheinander durch-<lb/>
la&#x0364;uft, oder ob man alle vorge&#x017F;chriebnen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
gleichzeitig in einer gewi&#x017F;&#x017F;en Reihenfolge von Graden<lb/>
u&#x0364;bt, und &#x017F;o mit allen zugleich dem be&#x017F;timmten Grade<lb/>
von Vollendung entgegenru&#x0364;ckt. Demnach wa&#x0364;re auf<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0270] Dritter Abſchnitt. Es iſt laͤngſt durch eine allgemeine Beobachtung beſtaͤtiget, daß nichts die Fortſchritte des Lernens mehr aufhaͤlt, als wenn vielerlei mit Einemmal angefangen wird. Die Anhaͤufung des Lehrmaterials an ſich ſchon macht den Lehrling zaghaft, indem er ſich die Arbeit, die er nicht uͤberſehen kann, noch weit ſchwieriger denkt, als ſie wirklich iſt. Noch mehr aber muß er ſich nie- dergeſchlagen fuͤhlen durch die langſamen Fortſchritte, die er in den mannichfaltigen Uebungen macht, in de- nen er ſich verſucht; waͤhrend er, wenn ſeine Kraft auf wenigere Aufgaben concentrirt wird, in dem ſchnelleren Ueberwinden der Schwierigkeit ſeine Kraft fuͤhlt, und die merklichen Fortſchritte, die er zu machen im Stande iſt, ihm Luſt erwecken, und ihn mit Muth zur An- ſtrengung und Vertrauen zu ſich ſelbſt fuͤr die folgen- den ſchwereren Aufgaben beleben. Sodann iſt es auch keinem Zweifel unterworfen, daß es nur ein ſcheinbarer Gewinn iſt, wenn der Lehrling in vielerlei Gegenſtaͤn- den zugleich etwas lernt. Die Rechnung (wenn etwas dieſer Art dem Calcul unterliegt) iſt ganz einfach. Soll eine gewiſſe Zahl von Gegenſtaͤnden in einer be- ſtimmten Zeit bis zu einem gewiſſen Grade der Fertig- keit erlernt werden, ſo iſt das Facit daſſelbe, ob man jeden der vorgeſchriebnen Gegenſtaͤnde einzeln bis zu dem beſtimmten Grade von Fertigkeit uͤbt, und ſo den ganzen Umkreis der Gegenſtaͤnde nacheinander durch- laͤuft, oder ob man alle vorgeſchriebnen Gegenſtaͤnde gleichzeitig in einer gewiſſen Reihenfolge von Graden uͤbt, und ſo mit allen zugleich dem beſtimmten Grade von Vollendung entgegenruͤckt. Demnach waͤre auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/270
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/270>, abgerufen am 25.11.2024.