Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Erster Abschnitt.
wurde, daß das Studium der alten Sprachen nicht
Zweck an und für sich selbst, sondern nur Vorübung
und Mittel seyn solle, die vollendetsten Meisterwerke
der Cultur mit der Leichtigkeit, die der Genuß eines
Kunstwerkes und die davon zu erlangende Bildung for-
dert, lesen und studiren zu können. Da nun, dieser
Einsicht gerade entgegen, die Schulen immer mehr
über dem bloßen Mittel den Zweck selbst zu vergessen
schienen, die Sprachen nur um der Sprachen willen
trieben, und hie und da ihren ganzen Unterricht in
ein mechanisches Wort- und Buchstabenwesen ausarten
ließen, so mußte der lästige und nutzlose Zwang des
Sprachunterrichts nur um so verhaßter, und eben des-
halb eine Erlösung davon als erste Bedingung einer
gründlichen Reform des Erziehungsunterrichts betrachtet
werden.

In diesem Hasse lag einer der ersten Keime des
Philanthropinismus. Wie der Haß aber nie Mäßi-
gung kennt, so übersprang er auch hier sein Ziel. Man
begnügte sich nicht damit, den wirklichen Mißbrauch
anzugreifen, und dessen Abstellung zu verlangen, son-
dern gieng zu dem andern Extrem einer gänzlichen
Herabwürdigung des allgemeinen Studiums der soge-
nannten gelehrten Sprachen über.

Allein selbst diese eine negative Veranlassung des
Philanthropinismus wird nur unvollkommen erklärt,
wenn man sie bloß von dieser Seite auffaßt; selbst diese
Geringschätzung der alten Sprachen hat weit

Erſter Abſchnitt.
wurde, daß das Studium der alten Sprachen nicht
Zweck an und fuͤr ſich ſelbſt, ſondern nur Voruͤbung
und Mittel ſeyn ſolle, die vollendetſten Meiſterwerke
der Cultur mit der Leichtigkeit, die der Genuß eines
Kunſtwerkes und die davon zu erlangende Bildung for-
dert, leſen und ſtudiren zu koͤnnen. Da nun, dieſer
Einſicht gerade entgegen, die Schulen immer mehr
uͤber dem bloßen Mittel den Zweck ſelbſt zu vergeſſen
ſchienen, die Sprachen nur um der Sprachen willen
trieben, und hie und da ihren ganzen Unterricht in
ein mechaniſches Wort- und Buchſtabenweſen ausarten
ließen, ſo mußte der laͤſtige und nutzloſe Zwang des
Sprachunterrichts nur um ſo verhaßter, und eben des-
halb eine Erloͤſung davon als erſte Bedingung einer
gruͤndlichen Reform des Erziehungsunterrichts betrachtet
werden.

In dieſem Haſſe lag einer der erſten Keime des
Philanthropinismus. Wie der Haß aber nie Maͤßi-
gung kennt, ſo uͤberſprang er auch hier ſein Ziel. Man
begnuͤgte ſich nicht damit, den wirklichen Mißbrauch
anzugreifen, und deſſen Abſtellung zu verlangen, ſon-
dern gieng zu dem andern Extrem einer gaͤnzlichen
Herabwuͤrdigung des allgemeinen Studiums der ſoge-
nannten gelehrten Sprachen uͤber.

Allein ſelbſt dieſe eine negative Veranlaſſung des
Philanthropinismus wird nur unvollkommen erklaͤrt,
wenn man ſie bloß von dieſer Seite auffaßt; ſelbſt dieſe
Geringſchaͤtzung der alten Sprachen hat weit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0026" n="14"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chnitt</hi>.</fw><lb/>
wurde, daß das Studium der alten Sprachen nicht<lb/>
Zweck an und fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;ondern nur Voru&#x0364;bung<lb/>
und Mittel &#x017F;eyn &#x017F;olle, die vollendet&#x017F;ten Mei&#x017F;terwerke<lb/>
der Cultur mit der Leichtigkeit, die der Genuß eines<lb/>
Kun&#x017F;twerkes und die davon zu erlangende Bildung for-<lb/>
dert, le&#x017F;en und &#x017F;tudiren zu ko&#x0364;nnen. Da nun, die&#x017F;er<lb/>
Ein&#x017F;icht gerade entgegen, die Schulen immer mehr<lb/>
u&#x0364;ber dem bloßen Mittel den Zweck &#x017F;elb&#x017F;t zu verge&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;chienen, die Sprachen nur um der Sprachen willen<lb/>
trieben, und hie und da ihren ganzen Unterricht in<lb/>
ein mechani&#x017F;ches Wort- und Buch&#x017F;tabenwe&#x017F;en ausarten<lb/>
ließen, &#x017F;o mußte der la&#x0364;&#x017F;tige und nutzlo&#x017F;e Zwang des<lb/>
Sprachunterrichts nur um &#x017F;o verhaßter, und eben des-<lb/>
halb eine Erlo&#x0364;&#x017F;ung davon als er&#x017F;te Bedingung einer<lb/>
gru&#x0364;ndlichen Reform des Erziehungsunterrichts betrachtet<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p>In die&#x017F;em Ha&#x017F;&#x017F;e lag einer der er&#x017F;ten Keime des<lb/>
Philanthropinismus. Wie der Haß aber nie Ma&#x0364;ßi-<lb/>
gung kennt, &#x017F;o u&#x0364;ber&#x017F;prang er auch hier &#x017F;ein Ziel. Man<lb/>
begnu&#x0364;gte &#x017F;ich nicht damit, den wirklichen Mißbrauch<lb/>
anzugreifen, und de&#x017F;&#x017F;en Ab&#x017F;tellung zu verlangen, &#x017F;on-<lb/>
dern gieng zu dem andern Extrem einer ga&#x0364;nzlichen<lb/>
Herabwu&#x0364;rdigung des allgemeinen Studiums der &#x017F;oge-<lb/>
nannten gelehrten Sprachen u&#x0364;ber.</p><lb/>
          <p>Allein &#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;e eine negative Veranla&#x017F;&#x017F;ung des<lb/>
Philanthropinismus wird nur unvollkommen erkla&#x0364;rt,<lb/>
wenn man &#x017F;ie bloß von die&#x017F;er Seite auffaßt; &#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;e<lb/><hi rendition="#g">Gering&#x017F;cha&#x0364;tzung der alten Sprachen</hi> hat weit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0026] Erſter Abſchnitt. wurde, daß das Studium der alten Sprachen nicht Zweck an und fuͤr ſich ſelbſt, ſondern nur Voruͤbung und Mittel ſeyn ſolle, die vollendetſten Meiſterwerke der Cultur mit der Leichtigkeit, die der Genuß eines Kunſtwerkes und die davon zu erlangende Bildung for- dert, leſen und ſtudiren zu koͤnnen. Da nun, dieſer Einſicht gerade entgegen, die Schulen immer mehr uͤber dem bloßen Mittel den Zweck ſelbſt zu vergeſſen ſchienen, die Sprachen nur um der Sprachen willen trieben, und hie und da ihren ganzen Unterricht in ein mechaniſches Wort- und Buchſtabenweſen ausarten ließen, ſo mußte der laͤſtige und nutzloſe Zwang des Sprachunterrichts nur um ſo verhaßter, und eben des- halb eine Erloͤſung davon als erſte Bedingung einer gruͤndlichen Reform des Erziehungsunterrichts betrachtet werden. In dieſem Haſſe lag einer der erſten Keime des Philanthropinismus. Wie der Haß aber nie Maͤßi- gung kennt, ſo uͤberſprang er auch hier ſein Ziel. Man begnuͤgte ſich nicht damit, den wirklichen Mißbrauch anzugreifen, und deſſen Abſtellung zu verlangen, ſon- dern gieng zu dem andern Extrem einer gaͤnzlichen Herabwuͤrdigung des allgemeinen Studiums der ſoge- nannten gelehrten Sprachen uͤber. Allein ſelbſt dieſe eine negative Veranlaſſung des Philanthropinismus wird nur unvollkommen erklaͤrt, wenn man ſie bloß von dieſer Seite auffaßt; ſelbſt dieſe Geringſchaͤtzung der alten Sprachen hat weit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/26
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/26>, abgerufen am 23.11.2024.