Eben damit aber ist nicht nur die Rücksicht auf materielle sondern auch die auf geistige Berufs- arten von dem Umfang des Erziehungsunterrichts ausgeschlossen, und es soll nicht mehr Bildung zum Gelehrtenberuf mit Humanitätsbildung ver- wechselt werden. Der Gelehrten- und Geschäfts- Beruf ist wie der Künstler- und Gewerbs-Be- ruf getheilte und beschränkte Thätigkeit des Menschen, und darinn hat der erstere vor dem letzteren nichts voraus; der eine so wenig als der andre giebt eine freie Bildung; der eine wie der andre, und oft der erstere noch mehr als der letztere, wenn er nicht auf freie Bildung gegründet ist, macht ein- seitig, kleinlich, pedantisch, zunftmäßig. So wenig kann eigentliche Gelehrtenbildung mit Humani- tätsbildung für gleichbedeutend gelten. Wodurch aber unterscheiden sich denn beide? -- Gerade darinn, was wir in unserer modernen Cultur so auffallend ver- wechselt finden; darinn: daß die Gelehrtenbil- dung das Wissen als Wissen und um des Wis- sens willen zu ihrer Berufsaufgabe hat, und auf diese einzige Thätigkeit sich beschränkt, während die Humanitätsbildung das Wissen nur als Bildungsmittel behandelt und diese Thätigkeit nicht als die einzige, sondern nur als eine von den mehreren, die sie zu üben hat, betrachtet. Wir haben die freie Bildung gänzlich aus den Augen verloren, seitdem unsre Cultur einzig nach gelehrter Bildung strebt, und es ist fast seltsam, daß man in einem Zeit- alter, in welchem bloß Gelehrsamkeit als Bil-
Dritter Abſchnitt.
Eben damit aber iſt nicht nur die Ruͤckſicht auf materielle ſondern auch die auf geiſtige Berufs- arten von dem Umfang des Erziehungsunterrichts ausgeſchloſſen, und es ſoll nicht mehr Bildung zum Gelehrtenberuf mit Humanitaͤtsbildung ver- wechſelt werden. Der Gelehrten- und Geſchaͤfts- Beruf iſt wie der Kuͤnſtler- und Gewerbs-Be- ruf getheilte und beſchraͤnkte Thaͤtigkeit des Menſchen, und darinn hat der erſtere vor dem letzteren nichts voraus; der eine ſo wenig als der andre giebt eine freie Bildung; der eine wie der andre, und oft der erſtere noch mehr als der letztere, wenn er nicht auf freie Bildung gegruͤndet iſt, macht ein- ſeitig, kleinlich, pedantiſch, zunftmaͤßig. So wenig kann eigentliche Gelehrtenbildung mit Humani- taͤtsbildung fuͤr gleichbedeutend gelten. Wodurch aber unterſcheiden ſich denn beide? — Gerade darinn, was wir in unſerer modernen Cultur ſo auffallend ver- wechſelt finden; darinn: daß die Gelehrtenbil- dung das Wiſſen als Wiſſen und um des Wiſ- ſens willen zu ihrer Berufsaufgabe hat, und auf dieſe einzige Thaͤtigkeit ſich beſchraͤnkt, waͤhrend die Humanitaͤtsbildung das Wiſſen nur als Bildungsmittel behandelt und dieſe Thaͤtigkeit nicht als die einzige, ſondern nur als eine von den mehreren, die ſie zu uͤben hat, betrachtet. Wir haben die freie Bildung gaͤnzlich aus den Augen verloren, ſeitdem unſre Cultur einzig nach gelehrter Bildung ſtrebt, und es iſt faſt ſeltſam, daß man in einem Zeit- alter, in welchem bloß Gelehrſamkeit als Bil-
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Dritter Abſchnitt.
Eben damit aber iſt nicht nur die Ruͤckſicht auf
materielle ſondern auch die auf geiſtige Berufs-
arten von dem Umfang des Erziehungsunterrichts
ausgeſchloſſen, und es ſoll nicht mehr Bildung zum
Gelehrtenberuf mit Humanitaͤtsbildung ver-
wechſelt werden. Der Gelehrten- und Geſchaͤfts-
Beruf iſt wie der Kuͤnſtler- und Gewerbs-Be-
ruf getheilte und beſchraͤnkte Thaͤtigkeit des Menſchen,
und darinn hat der erſtere vor dem letzteren nichts
voraus; der eine ſo wenig als der andre giebt
eine freie Bildung; der eine wie der andre, und
oft der erſtere noch mehr als der letztere, wenn er
nicht auf freie Bildung gegruͤndet iſt, macht ein-
ſeitig, kleinlich, pedantiſch, zunftmaͤßig. So wenig
kann eigentliche Gelehrtenbildung mit Humani-
taͤtsbildung fuͤr gleichbedeutend gelten. Wodurch
aber unterſcheiden ſich denn beide? — Gerade darinn,
was wir in unſerer modernen Cultur ſo auffallend ver-
wechſelt finden; darinn: daß die Gelehrtenbil-
dung das Wiſſen als Wiſſen und um des Wiſ-
ſens willen zu ihrer Berufsaufgabe hat, und auf
dieſe einzige Thaͤtigkeit ſich beſchraͤnkt, waͤhrend die
Humanitaͤtsbildung das Wiſſen nur als
Bildungsmittel behandelt und dieſe Thaͤtigkeit
nicht als die einzige, ſondern nur als eine von den
mehreren, die ſie zu uͤben hat, betrachtet. Wir haben
die freie Bildung gaͤnzlich aus den Augen verloren,
ſeitdem unſre Cultur einzig nach gelehrter Bildung
ſtrebt, und es iſt faſt ſeltſam, daß man in einem Zeit-
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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/204>, abgerufen am 24.11.2024.
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