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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Einleitung.
gewonnen hat, der weniger auf deutlich gedachten
Gründen, als auf vorgefaßten Meinungen, unbestimm-
ten Interessen und unentwickelten Ansichten beruht, ge-
gen die am Ende eine wissenschaftliche Erörterung nicht
viel vermag: kann der Einzelne, der den Angriff wagt,
als einer, der gegen den Strom schwimmt, sich kaum
einen günstigen Erfolg versprechen.

Bei der hohen Wichtigkeit aber, welche die Ange-
legenheit hat, können alle Bedenklichkeiten mich nicht
abhalten, meine Ueberzeugung von der Nothwendigkeit
einer allgemeinen Reform des Erziehungsunterrichts
überhaupt, eben so wie meine Ansicht der dabei zu
befolgenden Grundsätze freimüthig auszusprechen. Ich
bescheide mich gern, daß ich Vielen damit nichts Neues
sagen werde; aber auch sie werden es nicht mißbilligen
können, daß die Grundsätze eines richtigeren Unter-
richtssystems öffentlich zur Sprache gebracht und zur
weiteren Prüfung vorgelegt werden, welche sie zwar
für sich längst gekannt und geübt haben mögen, aber
allgemeiner bekannt und gemeinnütziger zu machen bis
jetzt verhindert waren. Eben so bescheide ich mich
auch gern, nicht den ganzen voreingenommenen Theil
des Publicums überzeugen zu können; wohl wissend,
daß überhaupt eine Meinung, die ihren Sitz mehr in
Gewohnheit und Neigung als in deutlich gedachten
Gründen hat, immer schwer zu ändern sey, und daß
insbesondre es auch den Vertheidigern des modernen
Unterrichtssystems an scheinbaren Gründen nicht fehlen
könne. Aber ich weiß doch auch, daß selbst von denen,

Einleitung.
gewonnen hat, der weniger auf deutlich gedachten
Gruͤnden, als auf vorgefaßten Meinungen, unbeſtimm-
ten Intereſſen und unentwickelten Anſichten beruht, ge-
gen die am Ende eine wiſſenſchaftliche Eroͤrterung nicht
viel vermag: kann der Einzelne, der den Angriff wagt,
als einer, der gegen den Strom ſchwimmt, ſich kaum
einen guͤnſtigen Erfolg verſprechen.

Bei der hohen Wichtigkeit aber, welche die Ange-
legenheit hat, koͤnnen alle Bedenklichkeiten mich nicht
abhalten, meine Ueberzeugung von der Nothwendigkeit
einer allgemeinen Reform des Erziehungsunterrichts
uͤberhaupt, eben ſo wie meine Anſicht der dabei zu
befolgenden Grundſaͤtze freimuͤthig auszuſprechen. Ich
beſcheide mich gern, daß ich Vielen damit nichts Neues
ſagen werde; aber auch ſie werden es nicht mißbilligen
koͤnnen, daß die Grundſaͤtze eines richtigeren Unter-
richtsſyſtems oͤffentlich zur Sprache gebracht und zur
weiteren Pruͤfung vorgelegt werden, welche ſie zwar
fuͤr ſich laͤngſt gekannt und geuͤbt haben moͤgen, aber
allgemeiner bekannt und gemeinnuͤtziger zu machen bis
jetzt verhindert waren. Eben ſo beſcheide ich mich
auch gern, nicht den ganzen voreingenommenen Theil
des Publicums uͤberzeugen zu koͤnnen; wohl wiſſend,
daß uͤberhaupt eine Meinung, die ihren Sitz mehr in
Gewohnheit und Neigung als in deutlich gedachten
Gruͤnden hat, immer ſchwer zu aͤndern ſey, und daß
insbeſondre es auch den Vertheidigern des modernen
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[6/0018] Einleitung. gewonnen hat, der weniger auf deutlich gedachten Gruͤnden, als auf vorgefaßten Meinungen, unbeſtimm- ten Intereſſen und unentwickelten Anſichten beruht, ge- gen die am Ende eine wiſſenſchaftliche Eroͤrterung nicht viel vermag: kann der Einzelne, der den Angriff wagt, als einer, der gegen den Strom ſchwimmt, ſich kaum einen guͤnſtigen Erfolg verſprechen. Bei der hohen Wichtigkeit aber, welche die Ange- legenheit hat, koͤnnen alle Bedenklichkeiten mich nicht abhalten, meine Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer allgemeinen Reform des Erziehungsunterrichts uͤberhaupt, eben ſo wie meine Anſicht der dabei zu befolgenden Grundſaͤtze freimuͤthig auszuſprechen. Ich beſcheide mich gern, daß ich Vielen damit nichts Neues ſagen werde; aber auch ſie werden es nicht mißbilligen koͤnnen, daß die Grundſaͤtze eines richtigeren Unter- richtsſyſtems oͤffentlich zur Sprache gebracht und zur weiteren Pruͤfung vorgelegt werden, welche ſie zwar fuͤr ſich laͤngſt gekannt und geuͤbt haben moͤgen, aber allgemeiner bekannt und gemeinnuͤtziger zu machen bis jetzt verhindert waren. Eben ſo beſcheide ich mich auch gern, nicht den ganzen voreingenommenen Theil des Publicums uͤberzeugen zu koͤnnen; wohl wiſſend, daß uͤberhaupt eine Meinung, die ihren Sitz mehr in Gewohnheit und Neigung als in deutlich gedachten Gruͤnden hat, immer ſchwer zu aͤndern ſey, und daß insbeſondre es auch den Vertheidigern des modernen Unterrichtsſyſtems an ſcheinbaren Gruͤnden nicht fehlen koͤnne. Aber ich weiß doch auch, daß ſelbſt von denen,

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/18>, abgerufen am 29.03.2024.