That unbedingte voran. Diese Forderung muß der Erziehungsunterricht vor allen andern, und zwar so vollständig als möglich erfüllen.
Wollte auch der Philanthropinismus dawider noch einwenden: daß der Lehrling zu jenen hohen Gegen- ständen so früh noch gar nicht reif sey, und daß sonach mit einem Unterricht, für welchen dem Kinde noch die Fähigkeit fehle, die Zeit verschwendet werde, die weit zweckmäßiger mit anderen, dem jugendlichen Geiste angemeßneren, Gegenständen ausgefüllt werden könnte; -- so ist dies nur eine von den gewagten Be- hauptungen, die zwar auf den ersten Anblick blenden, bei näherer Beleuchtung aber in ihrer ganzen Nich- tigkeit erkannt werden. Das Gebiet des Geistes und der Vernunft in seinen Gründen zu erfassen, als scien- tifische Metaphysik aus Principien es zu construiren, ist freilich keine Aufgabe für den erst sich entwickelnden Geist. Aber, sollen wir glauben, daß es eine für einen solchen Geist angemeßnere Aufgabe sey, das Gebiet der Materie und der Natur in seinen Gründen zu erfas- sen und als scientisische Physik aus Principien es zu construiren? Und doch wollt ihr die Natur zum er- sten Gegenstand des Unterrichts machen? Wo mag denn also der Unterschied liegen? Darinn, weil die Natur sich mit Händen greifen läßt? -- Wenn ihr es freilich so versteht, dann ist gar nichts mehr dage- gen zu sagen, als daß ihr sehr genügsam seyd mit dem, was ihr Vernunftbildung nennet. Aber, wenn ihr erst einsehen werdet, -- es wird freilich dann
Dritter Abſchnitt.
That unbedingte voran. Dieſe Forderung muß der Erziehungsunterricht vor allen andern, und zwar ſo vollſtaͤndig als moͤglich erfuͤllen.
Wollte auch der Philanthropiniſmus dawider noch einwenden: daß der Lehrling zu jenen hohen Gegen- ſtaͤnden ſo fruͤh noch gar nicht reif ſey, und daß ſonach mit einem Unterricht, fuͤr welchen dem Kinde noch die Faͤhigkeit fehle, die Zeit verſchwendet werde, die weit zweckmaͤßiger mit anderen, dem jugendlichen Geiſte angemeßneren, Gegenſtaͤnden ausgefuͤllt werden koͤnnte; — ſo iſt dies nur eine von den gewagten Be- hauptungen, die zwar auf den erſten Anblick blenden, bei naͤherer Beleuchtung aber in ihrer ganzen Nich- tigkeit erkannt werden. Das Gebiet des Geiſtes und der Vernunft in ſeinen Gruͤnden zu erfaſſen, als ſcien- tifiſche Metaphyſik aus Principien es zu conſtruiren, iſt freilich keine Aufgabe fuͤr den erſt ſich entwickelnden Geiſt. Aber, ſollen wir glauben, daß es eine fuͤr einen ſolchen Geiſt angemeßnere Aufgabe ſey, das Gebiet der Materie und der Natur in ſeinen Gruͤnden zu erfaſ- ſen und als ſcientiſiſche Phyſik aus Principien es zu conſtruiren? Und doch wollt ihr die Natur zum er- ſten Gegenſtand des Unterrichts machen? Wo mag denn alſo der Unterſchied liegen? Darinn, weil die Natur ſich mit Haͤnden greifen laͤßt? — Wenn ihr es freilich ſo verſteht, dann iſt gar nichts mehr dage- gen zu ſagen, als daß ihr ſehr genuͤgſam ſeyd mit dem, was ihr Vernunftbildung nennet. Aber, wenn ihr erſt einſehen werdet, — es wird freilich dann
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0144"n="132"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Dritter Abſchnitt</hi>.</fw><lb/>
That <hirendition="#g">unbedingte</hi> voran. Dieſe Forderung muß<lb/>
der Erziehungsunterricht vor allen andern, und zwar<lb/>ſo vollſtaͤndig als moͤglich erfuͤllen.</p><lb/><p>Wollte auch der Philanthropiniſmus dawider noch<lb/>
einwenden: daß der Lehrling zu jenen hohen Gegen-<lb/>ſtaͤnden ſo fruͤh noch gar nicht reif ſey, und daß<lb/>ſonach mit einem Unterricht, fuͤr welchen dem Kinde<lb/>
noch die Faͤhigkeit fehle, die Zeit verſchwendet werde,<lb/>
die weit zweckmaͤßiger mit anderen, dem jugendlichen<lb/>
Geiſte angemeßneren, Gegenſtaͤnden ausgefuͤllt werden<lb/>
koͤnnte; —ſo iſt dies nur eine von den gewagten Be-<lb/>
hauptungen, die zwar auf den erſten Anblick blenden,<lb/>
bei naͤherer Beleuchtung aber in ihrer ganzen Nich-<lb/>
tigkeit erkannt werden. Das Gebiet des Geiſtes und<lb/>
der Vernunft in ſeinen Gruͤnden zu erfaſſen, als ſcien-<lb/>
tifiſche Metaphyſik aus Principien es zu conſtruiren,<lb/>
iſt freilich keine Aufgabe fuͤr den erſt ſich entwickelnden<lb/>
Geiſt. Aber, ſollen wir glauben, daß es eine fuͤr einen<lb/>ſolchen Geiſt angemeßnere Aufgabe ſey, das Gebiet der<lb/>
Materie und der Natur in ſeinen Gruͤnden zu erfaſ-<lb/>ſen und als ſcientiſiſche Phyſik aus Principien es zu<lb/>
conſtruiren? Und doch wollt ihr die Natur zum er-<lb/>ſten Gegenſtand des Unterrichts machen? Wo mag<lb/>
denn alſo der Unterſchied liegen? Darinn, weil die<lb/>
Natur ſich mit Haͤnden greifen laͤßt? — Wenn ihr<lb/>
es freilich ſo verſteht, dann iſt gar nichts mehr dage-<lb/>
gen zu ſagen, als daß ihr ſehr genuͤgſam ſeyd mit<lb/>
dem, was ihr Vernunftbildung nennet. Aber, wenn<lb/>
ihr erſt einſehen werdet, — es wird freilich dann<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[132/0144]
Dritter Abſchnitt.
That unbedingte voran. Dieſe Forderung muß
der Erziehungsunterricht vor allen andern, und zwar
ſo vollſtaͤndig als moͤglich erfuͤllen.
Wollte auch der Philanthropiniſmus dawider noch
einwenden: daß der Lehrling zu jenen hohen Gegen-
ſtaͤnden ſo fruͤh noch gar nicht reif ſey, und daß
ſonach mit einem Unterricht, fuͤr welchen dem Kinde
noch die Faͤhigkeit fehle, die Zeit verſchwendet werde,
die weit zweckmaͤßiger mit anderen, dem jugendlichen
Geiſte angemeßneren, Gegenſtaͤnden ausgefuͤllt werden
koͤnnte; — ſo iſt dies nur eine von den gewagten Be-
hauptungen, die zwar auf den erſten Anblick blenden,
bei naͤherer Beleuchtung aber in ihrer ganzen Nich-
tigkeit erkannt werden. Das Gebiet des Geiſtes und
der Vernunft in ſeinen Gruͤnden zu erfaſſen, als ſcien-
tifiſche Metaphyſik aus Principien es zu conſtruiren,
iſt freilich keine Aufgabe fuͤr den erſt ſich entwickelnden
Geiſt. Aber, ſollen wir glauben, daß es eine fuͤr einen
ſolchen Geiſt angemeßnere Aufgabe ſey, das Gebiet der
Materie und der Natur in ſeinen Gruͤnden zu erfaſ-
ſen und als ſcientiſiſche Phyſik aus Principien es zu
conſtruiren? Und doch wollt ihr die Natur zum er-
ſten Gegenſtand des Unterrichts machen? Wo mag
denn alſo der Unterſchied liegen? Darinn, weil die
Natur ſich mit Haͤnden greifen laͤßt? — Wenn ihr
es freilich ſo verſteht, dann iſt gar nichts mehr dage-
gen zu ſagen, als daß ihr ſehr genuͤgſam ſeyd mit
dem, was ihr Vernunftbildung nennet. Aber, wenn
ihr erſt einſehen werdet, — es wird freilich dann
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/144>, abgerufen am 04.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.