geselligen Vereins ausgedehnt, und der ehrwürdige Vereinigungspunkt, in welchem sich beide als Eins und zu Einer Bestimmung berufen, als Glieder Eines Leibes, als Werkzeuge Einer Vernunft, und als Kinder Eines Gottes erkennen lernen, unverantwortlich ver- nichtet. Nach einer solchen Theilung des Erziehungs- unterrichts würde auch der Gelehrte nur zum Hand- werker seiner Art gebildet, und es wäre für reine Fortbildung der Vernunft nirgend eine Anstalt vor- handen.
Nimmt man aber, dieser Ansicht zufolge, die Menschenbildung als Eigenthum aller Individuen, und will für keine Classe von Lehrlingen die Forderun- gen des einen oder des andern Systems allein und ausschließend gelten lassen; so wäre noch ein anderer Ausweg der Entscheidung durch Trennung der beiden Forderungen: wenn man nämlich für alle Classen von Lehrlingen entweder den Zweck des Humanismus oder den des Philanthropinismus zur ausschließenden Aufgabe des Erziehungsunterrichts machte, und die entgegenge- setzte Forderung der späteren Lebensveriode des Men- schen zuwiese. Allein, welches von beiden Systemen man auch für den Erziehungsunterricht wählen möchte: so bliebe doch immer fürs erste die gegründete Einwen- dung, daß der frühste Unterricht am entscheidendsten und bleibendsten wirke und sonach durch jene Einrich- tung auf die eine oder die andre Seite ein Uebergewicht gelegt, und insofern Einseitigkeit begründet werden würde; fürs zweite bliebe doch noch immer zweifelhaft
Dritter Abſchnitt.
geſelligen Vereins ausgedehnt, und der ehrwuͤrdige Vereinigungspunkt, in welchem ſich beide als Eins und zu Einer Beſtimmung berufen, als Glieder Eines Leibes, als Werkzeuge Einer Vernunft, und als Kinder Eines Gottes erkennen lernen, unverantwortlich ver- nichtet. Nach einer ſolchen Theilung des Erziehungs- unterrichts wuͤrde auch der Gelehrte nur zum Hand- werker ſeiner Art gebildet, und es waͤre fuͤr reine Fortbildung der Vernunft nirgend eine Anſtalt vor- handen.
Nimmt man aber, dieſer Anſicht zufolge, die Menſchenbildung als Eigenthum aller Individuen, und will fuͤr keine Claſſe von Lehrlingen die Forderun- gen des einen oder des andern Syſtems allein und ausſchließend gelten laſſen; ſo waͤre noch ein anderer Ausweg der Entſcheidung durch Trennung der beiden Forderungen: wenn man naͤmlich fuͤr alle Claſſen von Lehrlingen entweder den Zweck des Humaniſmus oder den des Philanthropiniſmus zur ausſchließenden Aufgabe des Erziehungsunterrichts machte, und die entgegenge- ſetzte Forderung der ſpaͤteren Lebensveriode des Men- ſchen zuwieſe. Allein, welches von beiden Syſtemen man auch fuͤr den Erziehungsunterricht waͤhlen moͤchte: ſo bliebe doch immer fuͤrs erſte die gegruͤndete Einwen- dung, daß der fruͤhſte Unterricht am entſcheidendſten und bleibendſten wirke und ſonach durch jene Einrich- tung auf die eine oder die andre Seite ein Uebergewicht gelegt, und inſofern Einſeitigkeit begruͤndet werden wuͤrde; fuͤrs zweite bliebe doch noch immer zweifelhaft
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Dritter Abſchnitt.
geſelligen Vereins ausgedehnt, und der ehrwuͤrdige
Vereinigungspunkt, in welchem ſich beide als Eins
und zu Einer Beſtimmung berufen, als Glieder Eines
Leibes, als Werkzeuge Einer Vernunft, und als Kinder
Eines Gottes erkennen lernen, unverantwortlich ver-
nichtet. Nach einer ſolchen Theilung des Erziehungs-
unterrichts wuͤrde auch der Gelehrte nur zum Hand-
werker ſeiner Art gebildet, und es waͤre fuͤr reine
Fortbildung der Vernunft nirgend eine Anſtalt vor-
handen.
Nimmt man aber, dieſer Anſicht zufolge, die
Menſchenbildung als Eigenthum aller Individuen,
und will fuͤr keine Claſſe von Lehrlingen die Forderun-
gen des einen oder des andern Syſtems allein und
ausſchließend gelten laſſen; ſo waͤre noch ein anderer
Ausweg der Entſcheidung durch Trennung der beiden
Forderungen: wenn man naͤmlich fuͤr alle Claſſen von
Lehrlingen entweder den Zweck des Humaniſmus oder
den des Philanthropiniſmus zur ausſchließenden Aufgabe
des Erziehungsunterrichts machte, und die entgegenge-
ſetzte Forderung der ſpaͤteren Lebensveriode des Men-
ſchen zuwieſe. Allein, welches von beiden Syſtemen
man auch fuͤr den Erziehungsunterricht waͤhlen moͤchte:
ſo bliebe doch immer fuͤrs erſte die gegruͤndete Einwen-
dung, daß der fruͤhſte Unterricht am entſcheidendſten
und bleibendſten wirke und ſonach durch jene Einrich-
tung auf die eine oder die andre Seite ein Uebergewicht
gelegt, und inſofern Einſeitigkeit begruͤndet werden
wuͤrde; fuͤrs zweite bliebe doch noch immer zweifelhaft
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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/140>, abgerufen am 16.07.2024.
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