Wo Andacht ist, da pflegt auch Ruhe der Seele zu seyn. Jn dem Aufruhr der Leidenschaften erhebt sich selten die Seele zu Gott oder ihre Erhebung gleicht einer jeden andern Empfindung in diesem Zu- stande, die keinen vorzüglichen Werth hat, und keine merkliche Spur zurückläßt. Wird die Erhebung ernsthafter, so wird auch die Seele ruhiger werden. Das, was sie, wie auf unruhigen Wellen, umher- treibt, wird nachlassen, und der große Gedanke an Gott, der sie erfüllt, wird die kleinern, oft so un- aussprechlich kleinen, zu denen uns die Leidenschaf- ten erniedrigen, verdrängen. Und welch eine Selig- keit, Ruhe in der Seele haben; zufrieden seyn; nichts mit Aengstlichkeit fürchten; vor nichts verzagt erschrecken; nichts mit Ungeduld erwarten; es bis zum Anschauen einsehn, daß Gott alles besser weiß, alles besser ordnet, alles besser hinausführt, als wir glauben und begreifen.
Wo Andacht ist, da ist auch Freude über sein Daseyn; lebendiges Gefühl, welch ein Geschenk das Leben, und gerade dies Menschenleben ist. Denn je mehr der Geist sich mit etwas beschäfftigt, das seiner eignen Würde und Bestimmung angemessen ist, desto deutlicher ist er sich seines Daseyns bewußt, so wie, je tiefer er unter seine Würde heruntersinkt,
desto
Wo Andacht iſt, da pflegt auch Ruhe der Seele zu ſeyn. Jn dem Aufruhr der Leidenſchaften erhebt ſich ſelten die Seele zu Gott oder ihre Erhebung gleicht einer jeden andern Empfindung in dieſem Zu- ſtande, die keinen vorzüglichen Werth hat, und keine merkliche Spur zurückläßt. Wird die Erhebung ernſthafter, ſo wird auch die Seele ruhiger werden. Das, was ſie, wie auf unruhigen Wellen, umher- treibt, wird nachlaſſen, und der große Gedanke an Gott, der ſie erfüllt, wird die kleinern, oft ſo un- ausſprechlich kleinen, zu denen uns die Leidenſchaf- ten erniedrigen, verdrängen. Und welch eine Selig- keit, Ruhe in der Seele haben; zufrieden ſeyn; nichts mit Aengſtlichkeit fürchten; vor nichts verzagt erſchrecken; nichts mit Ungeduld erwarten; es bis zum Anſchauen einſehn, daß Gott alles beſſer weiß, alles beſſer ordnet, alles beſſer hinausführt, als wir glauben und begreifen.
Wo Andacht iſt, da iſt auch Freude über ſein Daſeyn; lebendiges Gefühl, welch ein Geſchenk das Leben, und gerade dies Menſchenleben iſt. Denn je mehr der Geiſt ſich mit etwas beſchäfftigt, das ſeiner eignen Würde und Beſtimmung angemeſſen iſt, deſto deutlicher iſt er ſich ſeines Daſeyns bewußt, ſo wie, je tiefer er unter ſeine Würde herunterſinkt,
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[32[44]/0048]
Wo Andacht iſt, da pflegt auch Ruhe der Seele
zu ſeyn. Jn dem Aufruhr der Leidenſchaften erhebt
ſich ſelten die Seele zu Gott oder ihre Erhebung
gleicht einer jeden andern Empfindung in dieſem Zu-
ſtande, die keinen vorzüglichen Werth hat, und keine
merkliche Spur zurückläßt. Wird die Erhebung
ernſthafter, ſo wird auch die Seele ruhiger werden.
Das, was ſie, wie auf unruhigen Wellen, umher-
treibt, wird nachlaſſen, und der große Gedanke an
Gott, der ſie erfüllt, wird die kleinern, oft ſo un-
ausſprechlich kleinen, zu denen uns die Leidenſchaf-
ten erniedrigen, verdrängen. Und welch eine Selig-
keit, Ruhe in der Seele haben; zufrieden ſeyn;
nichts mit Aengſtlichkeit fürchten; vor nichts verzagt
erſchrecken; nichts mit Ungeduld erwarten; es bis
zum Anſchauen einſehn, daß Gott alles beſſer weiß,
alles beſſer ordnet, alles beſſer hinausführt, als wir
glauben und begreifen.
Wo Andacht iſt, da iſt auch Freude über ſein
Daſeyn; lebendiges Gefühl, welch ein Geſchenk das
Leben, und gerade dies Menſchenleben iſt. Denn
je mehr der Geiſt ſich mit etwas beſchäfftigt, das
ſeiner eignen Würde und Beſtimmung angemeſſen
iſt, deſto deutlicher iſt er ſich ſeines Daſeyns bewußt,
ſo wie, je tiefer er unter ſeine Würde herunterſinkt,
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 32[44]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/48>, abgerufen am 16.02.2025.
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