zurückhaltend wäre, was ihre Freude und ihr Ruhm ist: daß man es sich billig, so lange man mit Guten zusammenlebt, nicht zum Verdienst an- rechnen sollte, auch Gut scheinen zu wollen, und, so lange man in dem Kreise aufrichtiger und recht- schaffener Christen ist, es nicht für etwas Großes halten, wenn man sich des Bekenntnisses des Chri- stenthums nicht schämt. Aber wenn nun das Ge- gentheil ist, wenn wir sitzen müssen, wo die Spöt- ter sitzen, wenn es unvermeidlich ist, durch freyes Geständniß, wie wir über manche sehr wichtige Dinge denken, entweder höhnende Anmerkungen, oder verachtendes Stillschweigen derer, die sich dün- ken weise zu seyn, zu ertragen: dann kann es sich zeigen, ob wir den zum Vorbilde gewählt haben, der vor Pilatus ein gutes Bekenntniß gerade in demselben Fall ablegte; ein Bekenntniß, bey dem wohl noch mehr zu wagen war, als wir je wagen können, und das in einer Stunde ausgesprochen ward, wo der Standhafteste vielleicht aufgehört hätte standhaft zu seyn.
Wir sollten uns bey den Betrachtungen über die Leidensgeschichte unsers Herrn vorzüglich die Be- gebenheiten wichtig seyn lassen, bey denen wir ihn in Lagen erblicken, in die wir selbst unter etwas
ver-
zurückhaltend wäre, was ihre Freude und ihr Ruhm iſt: daß man es ſich billig, ſo lange man mit Guten zuſammenlebt, nicht zum Verdienſt an- rechnen ſollte, auch Gut ſcheinen zu wollen, und, ſo lange man in dem Kreiſe aufrichtiger und recht- ſchaffener Chriſten iſt, es nicht für etwas Großes halten, wenn man ſich des Bekenntniſſes des Chri- ſtenthums nicht ſchämt. Aber wenn nun das Ge- gentheil iſt, wenn wir ſitzen müſſen, wo die Spöt- ter ſitzen, wenn es unvermeidlich iſt, durch freyes Geſtändniß, wie wir über manche ſehr wichtige Dinge denken, entweder höhnende Anmerkungen, oder verachtendes Stillſchweigen derer, die ſich dün- ken weiſe zu ſeyn, zu ertragen: dann kann es ſich zeigen, ob wir den zum Vorbilde gewählt haben, der vor Pilatus ein gutes Bekenntniß gerade in demſelben Fall ablegte; ein Bekenntniß, bey dem wohl noch mehr zu wagen war, als wir je wagen können, und das in einer Stunde ausgeſprochen ward, wo der Standhafteſte vielleicht aufgehört hätte ſtandhaft zu ſeyn.
Wir ſollten uns bey den Betrachtungen über die Leidensgeſchichte unſers Herrn vorzüglich die Be- gebenheiten wichtig ſeyn laſſen, bey denen wir ihn in Lagen erblicken, in die wir ſelbſt unter etwas
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[154[166]/0170]
zurückhaltend wäre, was ihre Freude und ihr
Ruhm iſt: daß man es ſich billig, ſo lange man
mit Guten zuſammenlebt, nicht zum Verdienſt an-
rechnen ſollte, auch Gut ſcheinen zu wollen, und,
ſo lange man in dem Kreiſe aufrichtiger und recht-
ſchaffener Chriſten iſt, es nicht für etwas Großes
halten, wenn man ſich des Bekenntniſſes des Chri-
ſtenthums nicht ſchämt. Aber wenn nun das Ge-
gentheil iſt, wenn wir ſitzen müſſen, wo die Spöt-
ter ſitzen, wenn es unvermeidlich iſt, durch freyes
Geſtändniß, wie wir über manche ſehr wichtige
Dinge denken, entweder höhnende Anmerkungen,
oder verachtendes Stillſchweigen derer, die ſich dün-
ken weiſe zu ſeyn, zu ertragen: dann kann es ſich
zeigen, ob wir den zum Vorbilde gewählt haben,
der vor Pilatus ein gutes Bekenntniß gerade in
demſelben Fall ablegte; ein Bekenntniß, bey dem
wohl noch mehr zu wagen war, als wir je wagen
können, und das in einer Stunde ausgeſprochen
ward, wo der Standhafteſte vielleicht aufgehört hätte
ſtandhaft zu ſeyn.
Wir ſollten uns bey den Betrachtungen über
die Leidensgeſchichte unſers Herrn vorzüglich die Be-
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 154[166]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/170>, abgerufen am 26.06.2024.
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