mag; da ist noch nichts von jenen Zerstörern unsres Ruhe, den heftigen und so oft wider einander käm- pfenden Leidenschaften, die uns selbst den Genuß des- sen, was uns an sich fröhlich und froh machen wür- de, verbittern, und uns auf allerley Art hindern, irgend etwas ganz zu genießen. Je unschuldiger man ist, desto reiner und froher genießt man. Und wo wohnt die Unschuld, als in der Kinderwelt? Sie, sie sind noch reines Herzens -- ihrer ist das Reich Gottes, und wer es nicht empfängt als ein Kind, kann nicht hinein kommen.
Laßt uns diese letzten Gedanken von den Freu- den der ersten Jahre auch auf das Leben des Besten der Menschen anwenden. Wäre er nicht als Kind geboren, so wäre wirklich sein theures Leben fast ohne alle Freude dahingegangen. Er hätte sie wohl mögen haben; hätte sie verdient wie kein andrer; würde sie genutzt haben, wie sie so selten genutzt wer- den. Doch sobald er in das mehr geschäfftige Leben trat, so entsagte er den Ansprüchen auf das, was andere froh macht; verläugnete sich selbst, und gieng unter großem Druck still und groß seinen Pfad auf Dornen, weil der viele mit ihm zur Herrlichkeit füh- ren sollte. Aber in dem frühern Alter, an seiner frommen Mutter Seite, unter den Gespielen seiner
Jugend
G 4
mag; da iſt noch nichts von jenen Zerſtörern unſres Ruhe, den heftigen und ſo oft wider einander käm- pfenden Leidenſchaften, die uns ſelbſt den Genuß deſ- ſen, was uns an ſich fröhlich und froh machen wür- de, verbittern, und uns auf allerley Art hindern, irgend etwas ganz zu genießen. Je unſchuldiger man iſt, deſto reiner und froher genießt man. Und wo wohnt die Unſchuld, als in der Kinderwelt? Sie, ſie ſind noch reines Herzens — ihrer iſt das Reich Gottes, und wer es nicht empfängt als ein Kind, kann nicht hinein kommen.
Laßt uns dieſe letzten Gedanken von den Freu- den der erſten Jahre auch auf das Leben des Beſten der Menſchen anwenden. Wäre er nicht als Kind geboren, ſo wäre wirklich ſein theures Leben faſt ohne alle Freude dahingegangen. Er hätte ſie wohl mögen haben; hätte ſie verdient wie kein andrer; würde ſie genutzt haben, wie ſie ſo ſelten genutzt wer- den. Doch ſobald er in das mehr geſchäfftige Leben trat, ſo entſagte er den Anſprüchen auf das, was andere froh macht; verläugnete ſich ſelbſt, und gieng unter großem Druck ſtill und groß ſeinen Pfad auf Dornen, weil der viele mit ihm zur Herrlichkeit füh- ren ſollte. Aber in dem frühern Alter, an ſeiner frommen Mutter Seite, unter den Geſpielen ſeiner
Jugend
G 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0119"n="103[115]"/>
mag; da iſt noch nichts von jenen Zerſtörern unſres<lb/>
Ruhe, den heftigen und ſo oft wider einander käm-<lb/>
pfenden Leidenſchaften, die uns ſelbſt den Genuß deſ-<lb/>ſen, was uns an ſich fröhlich und froh machen wür-<lb/>
de, verbittern, und uns auf allerley Art hindern,<lb/>
irgend etwas ganz zu genießen. Je unſchuldiger<lb/>
man iſt, deſto reiner und froher genießt man. Und<lb/>
wo wohnt die Unſchuld, als in der Kinderwelt?<lb/>
Sie, ſie ſind noch reines Herzens — ihrer iſt das<lb/>
Reich Gottes, und wer es nicht empfängt als ein<lb/>
Kind, kann nicht hinein kommen.</p><lb/><p>Laßt uns dieſe letzten Gedanken von den Freu-<lb/>
den der erſten Jahre auch auf das Leben des <hirendition="#fr">Beſten<lb/>
der Menſchen</hi> anwenden. Wäre er nicht als Kind<lb/>
geboren, ſo wäre wirklich ſein theures Leben faſt<lb/>
ohne alle Freude dahingegangen. Er hätte ſie wohl<lb/>
mögen haben; hätte ſie verdient wie kein andrer;<lb/>
würde ſie genutzt haben, wie ſie ſo ſelten genutzt wer-<lb/>
den. Doch ſobald er in das mehr geſchäfftige Leben<lb/>
trat, ſo entſagte er den Anſprüchen auf das, was<lb/>
andere froh macht; verläugnete ſich ſelbſt, und gieng<lb/>
unter großem Druck ſtill und groß ſeinen Pfad auf<lb/>
Dornen, weil der viele mit ihm zur Herrlichkeit füh-<lb/>
ren ſollte. Aber in dem frühern Alter, an ſeiner<lb/>
frommen Mutter Seite, unter den Geſpielen ſeiner<lb/><fwplace="bottom"type="sig">G 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">Jugend</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[103[115]/0119]
mag; da iſt noch nichts von jenen Zerſtörern unſres
Ruhe, den heftigen und ſo oft wider einander käm-
pfenden Leidenſchaften, die uns ſelbſt den Genuß deſ-
ſen, was uns an ſich fröhlich und froh machen wür-
de, verbittern, und uns auf allerley Art hindern,
irgend etwas ganz zu genießen. Je unſchuldiger
man iſt, deſto reiner und froher genießt man. Und
wo wohnt die Unſchuld, als in der Kinderwelt?
Sie, ſie ſind noch reines Herzens — ihrer iſt das
Reich Gottes, und wer es nicht empfängt als ein
Kind, kann nicht hinein kommen.
Laßt uns dieſe letzten Gedanken von den Freu-
den der erſten Jahre auch auf das Leben des Beſten
der Menſchen anwenden. Wäre er nicht als Kind
geboren, ſo wäre wirklich ſein theures Leben faſt
ohne alle Freude dahingegangen. Er hätte ſie wohl
mögen haben; hätte ſie verdient wie kein andrer;
würde ſie genutzt haben, wie ſie ſo ſelten genutzt wer-
den. Doch ſobald er in das mehr geſchäfftige Leben
trat, ſo entſagte er den Anſprüchen auf das, was
andere froh macht; verläugnete ſich ſelbſt, und gieng
unter großem Druck ſtill und groß ſeinen Pfad auf
Dornen, weil der viele mit ihm zur Herrlichkeit füh-
ren ſollte. Aber in dem frühern Alter, an ſeiner
frommen Mutter Seite, unter den Geſpielen ſeiner
Jugend
G 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 103[115]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/119>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.