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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

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Wenn ich -- so laßt uns zum Beyspiel den-
ken -- wenn ich viel bedeutender in der Welt wäre,
als ich bin, wenn mein Name viel mehreren be-
kannt, viel mehreren wichtig, und der Einfluß,
den ich auf andre hätte, ungleich ausgebreiteter
wäre -- so würde ich freylich manche Annehmlich-
keit mehr haben als itzt; würde viele Schwierig-
keiten, durch die ich mich nun durchkämpfen muß,
entweder gar nicht vor mir sehen, oder wenigstens
viel leichter und schneller überwinden können. Es
würde auch an sich nicht Unrecht seyn, mich der
Achtung der Welt, des Eifers mir zu dienen, der
Aufmerksamkeit auf meine Mienen und Wünsche
zu freuen. Dies sind Vorzüge, die die Großen
dieser Welt würklich besitzen, und von denen ich so
wenig als jene guten Hirten in der Geschichte der
Geburt Jesu, oder nicht viel mehr weiß. -- Aber
könnte ich denn wohl sicher seyn, daß eben dies Be-
deutendseyn, dies Bemerktwerden mich nicht ver-
dürbe? Ich sehe wenigstens, daß viele, je weniger
sie sich von andern, und je mehr sie andre von sich
abhängig halten, desto weniger ihre große, bestän-
dige Abhängigkeit von Gott fühlen, und, je leichter
ihnen wenigstens eine Zeit lang alles wird, dests
mehr das Gefühl ihrer Schwäche und Ohnmacht

in

Wenn ich — ſo laßt uns zum Beyſpiel den-
ken — wenn ich viel bedeutender in der Welt wäre,
als ich bin, wenn mein Name viel mehreren be-
kannt, viel mehreren wichtig, und der Einfluß,
den ich auf andre hätte, ungleich ausgebreiteter
wäre — ſo würde ich freylich manche Annehmlich-
keit mehr haben als itzt; würde viele Schwierig-
keiten, durch die ich mich nun durchkämpfen muß,
entweder gar nicht vor mir ſehen, oder wenigſtens
viel leichter und ſchneller überwinden können. Es
würde auch an ſich nicht Unrecht ſeyn, mich der
Achtung der Welt, des Eifers mir zu dienen, der
Aufmerkſamkeit auf meine Mienen und Wünſche
zu freuen. Dies ſind Vorzüge, die die Großen
dieſer Welt würklich beſitzen, und von denen ich ſo
wenig als jene guten Hirten in der Geſchichte der
Geburt Jeſu, oder nicht viel mehr weiß. — Aber
könnte ich denn wohl ſicher ſeyn, daß eben dies Be-
deutendſeyn, dies Bemerktwerden mich nicht ver-
dürbe? Ich ſehe wenigſtens, daß viele, je weniger
ſie ſich von andern, und je mehr ſie andre von ſich
abhängig halten, deſto weniger ihre große, beſtän-
dige Abhängigkeit von Gott fühlen, und, je leichter
ihnen wenigſtens eine Zeit lang alles wird, deſts
mehr das Gefühl ihrer Schwäche und Ohnmacht

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[93[105]/0109] Wenn ich — ſo laßt uns zum Beyſpiel den- ken — wenn ich viel bedeutender in der Welt wäre, als ich bin, wenn mein Name viel mehreren be- kannt, viel mehreren wichtig, und der Einfluß, den ich auf andre hätte, ungleich ausgebreiteter wäre — ſo würde ich freylich manche Annehmlich- keit mehr haben als itzt; würde viele Schwierig- keiten, durch die ich mich nun durchkämpfen muß, entweder gar nicht vor mir ſehen, oder wenigſtens viel leichter und ſchneller überwinden können. Es würde auch an ſich nicht Unrecht ſeyn, mich der Achtung der Welt, des Eifers mir zu dienen, der Aufmerkſamkeit auf meine Mienen und Wünſche zu freuen. Dies ſind Vorzüge, die die Großen dieſer Welt würklich beſitzen, und von denen ich ſo wenig als jene guten Hirten in der Geſchichte der Geburt Jeſu, oder nicht viel mehr weiß. — Aber könnte ich denn wohl ſicher ſeyn, daß eben dies Be- deutendſeyn, dies Bemerktwerden mich nicht ver- dürbe? Ich ſehe wenigſtens, daß viele, je weniger ſie ſich von andern, und je mehr ſie andre von ſich abhängig halten, deſto weniger ihre große, beſtän- dige Abhängigkeit von Gott fühlen, und, je leichter ihnen wenigſtens eine Zeit lang alles wird, deſts mehr das Gefühl ihrer Schwäche und Ohnmacht in

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Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 93[105]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/109>, abgerufen am 24.11.2024.