ernennen, welcher in der Stadt mit derselben unbe- gränzten Hoheit gebieten, und die Ausführung der neuen Gesetze übernehmen werde.
Daß der Staat in dem Kampf der alten Formen mit einem Streben nach Freyheit welches mit jedem Sieg zu größerer Auflösung führte, der Zerstörung ent- gegen ging, und die Form nicht dauernd bestehen durfte welche sich in unmittelbaren Bedürfnissen und gegen- wärtiger Nothwendigkeit gebildet hatte: dies empfanden beyde Stände, obwohl sie daraus ganz entgegengesetzt folgerten. Die Plebejer, daß ihre Freyheit vollendet, die Patricier daß ihre alten Rechte hergestellt werden müßten: nur auf einem Wege von beyden konnte der Staat zu einer Einheit der Verfassung gelangen. Die Erfahrung hat gezeigt daß der erste Stand als Bürger Roms ohne Vergleich für jedes Opfer entschädigt ward welches die plebejische Freyheit forderte: und schon wäre es unrichtig eine getheilte Macht aufgeopfert zu nennen. Verzeihlich ist es indessen daß die Patricier, denen kein Gesicht die ferne Zukunft öffnete, dies nicht fühlten, und die Ursache der Schwäche des Staats in der Ple- bejer Empörung sehen mochten: verzeihlich wenn sie den unstreitigen ehemaligen Besitz ihrer Rechte als entschei- dend über alle Ansprüche ansahen welche sich auf ihren Mißbrauch und ihre Verderblichkeit stützten. Begreiflich ist es auch daß sie nicht einsahen, was der Uebermacht eingeräumt sey, und wodurch sie sich verstärkt hatte, könne ihr nicht wieder entrissen werden. Doch war es geblendete Verwegenheit zu wagen, was die Angegriffe-
ernennen, welcher in der Stadt mit derſelben unbe- graͤnzten Hoheit gebieten, und die Ausfuͤhrung der neuen Geſetze uͤbernehmen werde.
Daß der Staat in dem Kampf der alten Formen mit einem Streben nach Freyheit welches mit jedem Sieg zu groͤßerer Aufloͤſung fuͤhrte, der Zerſtoͤrung ent- gegen ging, und die Form nicht dauernd beſtehen durfte welche ſich in unmittelbaren Beduͤrfniſſen und gegen- waͤrtiger Nothwendigkeit gebildet hatte: dies empfanden beyde Staͤnde, obwohl ſie daraus ganz entgegengeſetzt folgerten. Die Plebejer, daß ihre Freyheit vollendet, die Patricier daß ihre alten Rechte hergeſtellt werden muͤßten: nur auf einem Wege von beyden konnte der Staat zu einer Einheit der Verfaſſung gelangen. Die Erfahrung hat gezeigt daß der erſte Stand als Buͤrger Roms ohne Vergleich fuͤr jedes Opfer entſchaͤdigt ward welches die plebejiſche Freyheit forderte: und ſchon waͤre es unrichtig eine getheilte Macht aufgeopfert zu nennen. Verzeihlich iſt es indeſſen daß die Patricier, denen kein Geſicht die ferne Zukunft oͤffnete, dies nicht fuͤhlten, und die Urſache der Schwaͤche des Staats in der Ple- bejer Empoͤrung ſehen mochten: verzeihlich wenn ſie den unſtreitigen ehemaligen Beſitz ihrer Rechte als entſchei- dend uͤber alle Anſpruͤche anſahen welche ſich auf ihren Mißbrauch und ihre Verderblichkeit ſtuͤtzten. Begreiflich iſt es auch daß ſie nicht einſahen, was der Uebermacht eingeraͤumt ſey, und wodurch ſie ſich verſtaͤrkt hatte, koͤnne ihr nicht wieder entriſſen werden. Doch war es geblendete Verwegenheit zu wagen, was die Angegriffe-
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ernennen, welcher in der Stadt mit derſelben unbe-
graͤnzten Hoheit gebieten, und die Ausfuͤhrung der neuen
Geſetze uͤbernehmen werde.
Daß der Staat in dem Kampf der alten Formen
mit einem Streben nach Freyheit welches mit jedem
Sieg zu groͤßerer Aufloͤſung fuͤhrte, der Zerſtoͤrung ent-
gegen ging, und die Form nicht dauernd beſtehen durfte
welche ſich in unmittelbaren Beduͤrfniſſen und gegen-
waͤrtiger Nothwendigkeit gebildet hatte: dies empfanden
beyde Staͤnde, obwohl ſie daraus ganz entgegengeſetzt
folgerten. Die Plebejer, daß ihre Freyheit vollendet,
die Patricier daß ihre alten Rechte hergeſtellt werden
muͤßten: nur auf einem Wege von beyden konnte der
Staat zu einer Einheit der Verfaſſung gelangen. Die
Erfahrung hat gezeigt daß der erſte Stand als Buͤrger
Roms ohne Vergleich fuͤr jedes Opfer entſchaͤdigt ward
welches die plebejiſche Freyheit forderte: und ſchon waͤre
es unrichtig eine getheilte Macht aufgeopfert zu nennen.
Verzeihlich iſt es indeſſen daß die Patricier, denen kein
Geſicht die ferne Zukunft oͤffnete, dies nicht fuͤhlten,
und die Urſache der Schwaͤche des Staats in der Ple-
bejer Empoͤrung ſehen mochten: verzeihlich wenn ſie den
unſtreitigen ehemaligen Beſitz ihrer Rechte als entſchei-
dend uͤber alle Anſpruͤche anſahen welche ſich auf ihren
Mißbrauch und ihre Verderblichkeit ſtuͤtzten. Begreiflich
iſt es auch daß ſie nicht einſahen, was der Uebermacht
eingeraͤumt ſey, und wodurch ſie ſich verſtaͤrkt hatte,
koͤnne ihr nicht wieder entriſſen werden. Doch war es
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/77>, abgerufen am 17.02.2025.
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