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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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fälschlich in mehrere getrennt schienen. Er arbeitete bey
der Compilation nach der Sitte seines Zeitalters; ge-
wöhnlich abschreibend, verkürzend durch Weglassung,
selten einmal nur zusammenziehend oder wieder ergän-
zend; denn die Latinität der Aelteren ist nur äußerst
einzeln durch eingeschobene Worte der späteren Sprache
verderbt. Das ist klar daß er selbst bey den ganz zer-
rütteten Stellen sich nichts gedacht haben kann.

Ohne mündlichen Unterricht würde das Ganze auch
den damaligen Landmessern unbrauchbar gewesen seyn:
man begreift es daß dieser das Nothwendige verständ-
lich machte.

Das Bedürfniß der Agrimensoren war aber zwie-
fach: der Feldmesser brauchte einen Unterricht in der
Geometrie, wonach er die vorkommenden Probleme me-
chanisch auflösen konnte: andere, welche sich eigentlich
nur dem Geschäft und Mysterium der Gränzscheidekunst
widmeten, bedurften mehr die rechtlichen Kenntnisse und
die Symbolik. Dadurch erklärt es sich wie jene zwey theils
von einander ganz verschiedene, theils übereinstimmende
Sammlungen entstanden sind, welche sich in den uralten
Handschriften finden, seit Rigaltius im Druck zusammen-
geworfen sind: wobey es sich aus der Planlosigkeit des Zeit-
alters leicht erklärt daß die für den Feldmesser bestimmte
dennoch einiges enthält was den Gränzscheider eigen-
thümlich betrifft, und doch in seiner Sammlung fehlt:
wie die ächten Fragmente des Frontinus, theils unter
seinem eigenen Nahmen, theils unter denen die ihn
verstecken.


faͤlſchlich in mehrere getrennt ſchienen. Er arbeitete bey
der Compilation nach der Sitte ſeines Zeitalters; ge-
woͤhnlich abſchreibend, verkuͤrzend durch Weglaſſung,
ſelten einmal nur zuſammenziehend oder wieder ergaͤn-
zend; denn die Latinitaͤt der Aelteren iſt nur aͤußerſt
einzeln durch eingeſchobene Worte der ſpaͤteren Sprache
verderbt. Das iſt klar daß er ſelbſt bey den ganz zer-
ruͤtteten Stellen ſich nichts gedacht haben kann.

Ohne muͤndlichen Unterricht wuͤrde das Ganze auch
den damaligen Landmeſſern unbrauchbar geweſen ſeyn:
man begreift es daß dieſer das Nothwendige verſtaͤnd-
lich machte.

Das Beduͤrfniß der Agrimenſoren war aber zwie-
fach: der Feldmeſſer brauchte einen Unterricht in der
Geometrie, wonach er die vorkommenden Probleme me-
chaniſch aufloͤſen konnte: andere, welche ſich eigentlich
nur dem Geſchaͤft und Myſterium der Graͤnzſcheidekunſt
widmeten, bedurften mehr die rechtlichen Kenntniſſe und
die Symbolik. Dadurch erklaͤrt es ſich wie jene zwey theils
von einander ganz verſchiedene, theils uͤbereinſtimmende
Sammlungen entſtanden ſind, welche ſich in den uralten
Handſchriften finden, ſeit Rigaltius im Druck zuſammen-
geworfen ſind: wobey es ſich aus der Planloſigkeit des Zeit-
alters leicht erklaͤrt daß die fuͤr den Feldmeſſer beſtimmte
dennoch einiges enthaͤlt was den Graͤnzſcheider eigen-
thuͤmlich betrifft, und doch in ſeiner Sammlung fehlt:
wie die aͤchten Fragmente des Frontinus, theils unter
ſeinem eigenen Nahmen, theils unter denen die ihn
verſtecken.


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[539/0555] faͤlſchlich in mehrere getrennt ſchienen. Er arbeitete bey der Compilation nach der Sitte ſeines Zeitalters; ge- woͤhnlich abſchreibend, verkuͤrzend durch Weglaſſung, ſelten einmal nur zuſammenziehend oder wieder ergaͤn- zend; denn die Latinitaͤt der Aelteren iſt nur aͤußerſt einzeln durch eingeſchobene Worte der ſpaͤteren Sprache verderbt. Das iſt klar daß er ſelbſt bey den ganz zer- ruͤtteten Stellen ſich nichts gedacht haben kann. Ohne muͤndlichen Unterricht wuͤrde das Ganze auch den damaligen Landmeſſern unbrauchbar geweſen ſeyn: man begreift es daß dieſer das Nothwendige verſtaͤnd- lich machte. Das Beduͤrfniß der Agrimenſoren war aber zwie- fach: der Feldmeſſer brauchte einen Unterricht in der Geometrie, wonach er die vorkommenden Probleme me- chaniſch aufloͤſen konnte: andere, welche ſich eigentlich nur dem Geſchaͤft und Myſterium der Graͤnzſcheidekunſt widmeten, bedurften mehr die rechtlichen Kenntniſſe und die Symbolik. Dadurch erklaͤrt es ſich wie jene zwey theils von einander ganz verſchiedene, theils uͤbereinſtimmende Sammlungen entſtanden ſind, welche ſich in den uralten Handſchriften finden, ſeit Rigaltius im Druck zuſammen- geworfen ſind: wobey es ſich aus der Planloſigkeit des Zeit- alters leicht erklaͤrt daß die fuͤr den Feldmeſſer beſtimmte dennoch einiges enthaͤlt was den Graͤnzſcheider eigen- thuͤmlich betrifft, und doch in ſeiner Sammlung fehlt: wie die aͤchten Fragmente des Frontinus, theils unter ſeinem eigenen Nahmen, theils unter denen die ihn verſtecken.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/555>, abgerufen am 23.11.2024.