Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Folge dieses Aufstands heilsame Gesetze gegeben werden
konnten; wie er, anstatt militarische Tyranney über die
Republik zu bringen, sie von ihrer innern Plage erlöset.
Wer sich aber über den historischen Gehalt der römischen
Annalen, auch in diesem Zeitraum, nicht täuscht, und
dann die von Livius vernachläßigten Erzählungen prüft,
so weit er uns Kenntniß davon vergönnt hat, der muß
sich überzeugen, daß der Geschichtschreiber auch hier einer
ganz unwahren Darstellung den Vorzug gegeben hat:
nicht ahndend daß er Vorfälle entstelle welche vor an-
dern die Bürgertugend des Volks der alten Zeiten in ih-
rem höchsten Glanz gezeigt haben würden.

Nach Livius Erzählung erweckte der Glanz und die
Ueppigkeit des reichen Kapua, und der um sie her gelege-
nen kampanischen Städte, bey den römischen Legionen
welche im Winter von 412 dort in Besatzung lagen, die
schändliche Versuchung, die Einwohner zu ermorden oder
zu unterjochen, und dann einen neuen Staat zu stiften,
wie ehemals die Sabeller an den tuskischen Bürgern von
Vulturnum gethan hätten. Als der Consul C. Marcius
Rutilus im Jahr 413 zur Armee kam, sey dieser Entwurf
zu einer völligen Verschwörung gediehen gewesen. Um sie
einzuschläfern habe er das Gerücht ausgebreitet, die
Truppen würden auch im folgenden Winter die Quartiere
nicht verlassen: er habe dann, die Meuterer stille beob-
achtend, jeden Anlaß benutzt um ihre Rädelsführer, bald
als ausgedient von den Fahnen zu entlassen, bald auf den
leisesten Wunsch ihnen Urlaub nach Rom gegeben, wo sein
College O. Servilius Ahala sie zurückgehalten hätte. Eine

Folge dieſes Aufſtands heilſame Geſetze gegeben werden
konnten; wie er, anſtatt militariſche Tyranney uͤber die
Republik zu bringen, ſie von ihrer innern Plage erloͤſet.
Wer ſich aber uͤber den hiſtoriſchen Gehalt der roͤmiſchen
Annalen, auch in dieſem Zeitraum, nicht taͤuſcht, und
dann die von Livius vernachlaͤßigten Erzaͤhlungen pruͤft,
ſo weit er uns Kenntniß davon vergoͤnnt hat, der muß
ſich uͤberzeugen, daß der Geſchichtſchreiber auch hier einer
ganz unwahren Darſtellung den Vorzug gegeben hat:
nicht ahndend daß er Vorfaͤlle entſtelle welche vor an-
dern die Buͤrgertugend des Volks der alten Zeiten in ih-
rem hoͤchſten Glanz gezeigt haben wuͤrden.

Nach Livius Erzaͤhlung erweckte der Glanz und die
Ueppigkeit des reichen Kapua, und der um ſie her gelege-
nen kampaniſchen Staͤdte, bey den roͤmiſchen Legionen
welche im Winter von 412 dort in Beſatzung lagen, die
ſchaͤndliche Verſuchung, die Einwohner zu ermorden oder
zu unterjochen, und dann einen neuen Staat zu ſtiften,
wie ehemals die Sabeller an den tuskiſchen Buͤrgern von
Vulturnum gethan haͤtten. Als der Conſul C. Marcius
Rutilus im Jahr 413 zur Armee kam, ſey dieſer Entwurf
zu einer voͤlligen Verſchwoͤrung gediehen geweſen. Um ſie
einzuſchlaͤfern habe er das Geruͤcht ausgebreitet, die
Truppen wuͤrden auch im folgenden Winter die Quartiere
nicht verlaſſen: er habe dann, die Meuterer ſtille beob-
achtend, jeden Anlaß benutzt um ihre Raͤdelsfuͤhrer, bald
als ausgedient von den Fahnen zu entlaſſen, bald auf den
leiſeſten Wunſch ihnen Urlaub nach Rom gegeben, wo ſein
College O. Servilius Ahala ſie zuruͤckgehalten haͤtte. Eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0458" n="442"/>
Folge die&#x017F;es Auf&#x017F;tands heil&#x017F;ame Ge&#x017F;etze gegeben werden<lb/>
konnten; wie er, an&#x017F;tatt militari&#x017F;che Tyranney u&#x0364;ber die<lb/>
Republik zu bringen, &#x017F;ie von ihrer innern Plage erlo&#x0364;&#x017F;et.<lb/>
Wer &#x017F;ich aber u&#x0364;ber den hi&#x017F;tori&#x017F;chen Gehalt der ro&#x0364;mi&#x017F;chen<lb/>
Annalen, auch in die&#x017F;em Zeitraum, nicht ta&#x0364;u&#x017F;cht, und<lb/>
dann die von Livius vernachla&#x0364;ßigten Erza&#x0364;hlungen pru&#x0364;ft,<lb/>
&#x017F;o weit er uns Kenntniß davon vergo&#x0364;nnt hat, der muß<lb/>
&#x017F;ich u&#x0364;berzeugen, daß der Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber auch hier einer<lb/>
ganz unwahren Dar&#x017F;tellung den Vorzug gegeben hat:<lb/>
nicht ahndend daß er Vorfa&#x0364;lle ent&#x017F;telle welche vor an-<lb/>
dern die Bu&#x0364;rgertugend des Volks der alten Zeiten in ih-<lb/>
rem ho&#x0364;ch&#x017F;ten Glanz gezeigt haben wu&#x0364;rden.</p><lb/>
        <p>Nach Livius Erza&#x0364;hlung erweckte der Glanz und die<lb/>
Ueppigkeit des reichen Kapua, und der um &#x017F;ie her gelege-<lb/>
nen kampani&#x017F;chen Sta&#x0364;dte, bey den ro&#x0364;mi&#x017F;chen Legionen<lb/>
welche im Winter von 412 dort in Be&#x017F;atzung lagen, die<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ndliche Ver&#x017F;uchung, die Einwohner zu ermorden oder<lb/>
zu unterjochen, und dann einen neuen Staat zu &#x017F;tiften,<lb/>
wie ehemals die Sabeller an den tuski&#x017F;chen Bu&#x0364;rgern von<lb/>
Vulturnum gethan ha&#x0364;tten. Als der Con&#x017F;ul C. Marcius<lb/>
Rutilus im Jahr 413 zur Armee kam, &#x017F;ey die&#x017F;er Entwurf<lb/>
zu einer vo&#x0364;lligen Ver&#x017F;chwo&#x0364;rung gediehen gewe&#x017F;en. Um &#x017F;ie<lb/>
einzu&#x017F;chla&#x0364;fern habe er das Geru&#x0364;cht ausgebreitet, die<lb/>
Truppen wu&#x0364;rden auch im folgenden Winter die Quartiere<lb/>
nicht verla&#x017F;&#x017F;en: er habe dann, die Meuterer &#x017F;tille beob-<lb/>
achtend, jeden Anlaß benutzt um ihre Ra&#x0364;delsfu&#x0364;hrer, bald<lb/>
als ausgedient von den Fahnen zu entla&#x017F;&#x017F;en, bald auf den<lb/>
lei&#x017F;e&#x017F;ten Wun&#x017F;ch ihnen Urlaub nach Rom gegeben, wo &#x017F;ein<lb/>
College O. Servilius Ahala &#x017F;ie zuru&#x0364;ckgehalten ha&#x0364;tte. Eine<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[442/0458] Folge dieſes Aufſtands heilſame Geſetze gegeben werden konnten; wie er, anſtatt militariſche Tyranney uͤber die Republik zu bringen, ſie von ihrer innern Plage erloͤſet. Wer ſich aber uͤber den hiſtoriſchen Gehalt der roͤmiſchen Annalen, auch in dieſem Zeitraum, nicht taͤuſcht, und dann die von Livius vernachlaͤßigten Erzaͤhlungen pruͤft, ſo weit er uns Kenntniß davon vergoͤnnt hat, der muß ſich uͤberzeugen, daß der Geſchichtſchreiber auch hier einer ganz unwahren Darſtellung den Vorzug gegeben hat: nicht ahndend daß er Vorfaͤlle entſtelle welche vor an- dern die Buͤrgertugend des Volks der alten Zeiten in ih- rem hoͤchſten Glanz gezeigt haben wuͤrden. Nach Livius Erzaͤhlung erweckte der Glanz und die Ueppigkeit des reichen Kapua, und der um ſie her gelege- nen kampaniſchen Staͤdte, bey den roͤmiſchen Legionen welche im Winter von 412 dort in Beſatzung lagen, die ſchaͤndliche Verſuchung, die Einwohner zu ermorden oder zu unterjochen, und dann einen neuen Staat zu ſtiften, wie ehemals die Sabeller an den tuskiſchen Buͤrgern von Vulturnum gethan haͤtten. Als der Conſul C. Marcius Rutilus im Jahr 413 zur Armee kam, ſey dieſer Entwurf zu einer voͤlligen Verſchwoͤrung gediehen geweſen. Um ſie einzuſchlaͤfern habe er das Geruͤcht ausgebreitet, die Truppen wuͤrden auch im folgenden Winter die Quartiere nicht verlaſſen: er habe dann, die Meuterer ſtille beob- achtend, jeden Anlaß benutzt um ihre Raͤdelsfuͤhrer, bald als ausgedient von den Fahnen zu entlaſſen, bald auf den leiſeſten Wunſch ihnen Urlaub nach Rom gegeben, wo ſein College O. Servilius Ahala ſie zuruͤckgehalten haͤtte. Eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/458
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/458>, abgerufen am 22.11.2024.