Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

von der unverletzten Republik vorher nie gebrochenen
feindlichen Volks 68). Nur die unermüdliche Hart-
näckigkeit der Besiegten, welche gleich nachher aufs
neue unter den Waffen stehen, und der Uebertritt alter
römischer Bundsgenossen zu ihnen, müssen den gläubi-
gen Leser befremden.

Eine ganz andre Vorstellung von Roms hülflosem
Zustand nach der Räumung gewährt eine Nachricht welche
die Verfälscher der Geschichte aus ihr verdrängt haben:
und mit ihrem Geist stimmen erhaltene Sagen überein,
welche Dichtung seyn mögen, doch aber sichtbar in einer
sehr alten, der gallischen Eroberung nahen, Zeit ent-
standen sind, und das Bild darstellen unter dem sich
die Nachkommen dieser Schicksale erinnerten.

Während der sieben Monate in denen die Gallier
ungestört in Rom gelagert waren, hatten sie auch die
Mauern der Stadt zerstört, welche von den Königen mit
etruskischer Größe aufgeführt waren. Diese zerrissenen
Mauern auszufüllen war nebst der Wiedererbauung der
Häuser das Geschäft des zurückkehrenden Volks wäh-
rend des ersten Jahrs nach der Räumung 69). Es
ward aber damals nur für das unmittelbare Bedürfniß

68) Ad deditionem Volscos septuagesimo demum anno sub-
egit.
Livius VI. c. 2. Das siebzigste Jahr rechnet von
Cincinnatus Sieg auf dem Algidus: seit Coriolans Krieg
waren aber schon hundert Jahr verflossen. Eine merkwür-
dige und wohl nicht durch Fehler der Lesart erklärbare Ver-
wirrung der Zeitrechnung.
69) Zonaras VII. c. 23. Ta teikhe anekainisan.

von der unverletzten Republik vorher nie gebrochenen
feindlichen Volks 68). Nur die unermuͤdliche Hart-
naͤckigkeit der Beſiegten, welche gleich nachher aufs
neue unter den Waffen ſtehen, und der Uebertritt alter
roͤmiſcher Bundsgenoſſen zu ihnen, muͤſſen den glaͤubi-
gen Leſer befremden.

Eine ganz andre Vorſtellung von Roms huͤlfloſem
Zuſtand nach der Raͤumung gewaͤhrt eine Nachricht welche
die Verfaͤlſcher der Geſchichte aus ihr verdraͤngt haben:
und mit ihrem Geiſt ſtimmen erhaltene Sagen uͤberein,
welche Dichtung ſeyn moͤgen, doch aber ſichtbar in einer
ſehr alten, der galliſchen Eroberung nahen, Zeit ent-
ſtanden ſind, und das Bild darſtellen unter dem ſich
die Nachkommen dieſer Schickſale erinnerten.

Waͤhrend der ſieben Monate in denen die Gallier
ungeſtoͤrt in Rom gelagert waren, hatten ſie auch die
Mauern der Stadt zerſtoͤrt, welche von den Koͤnigen mit
etruskiſcher Groͤße aufgefuͤhrt waren. Dieſe zerriſſenen
Mauern auszufuͤllen war nebſt der Wiedererbauung der
Haͤuſer das Geſchaͤft des zuruͤckkehrenden Volks waͤh-
rend des erſten Jahrs nach der Raͤumung 69). Es
ward aber damals nur fuͤr das unmittelbare Beduͤrfniß

68) Ad deditionem Volscos septuagesimo demum anno sub-
egit.
Livius VI. c. 2. Das ſiebzigſte Jahr rechnet von
Cincinnatus Sieg auf dem Algidus: ſeit Coriolans Krieg
waren aber ſchon hundert Jahr verfloſſen. Eine merkwuͤr-
dige und wohl nicht durch Fehler der Lesart erklaͤrbare Ver-
wirrung der Zeitrechnung.
69) Zonaras VII. c. 23. Τὰ τείχη ἀνεκαίνισαν.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0300" n="284"/>
von der unverletzten Republik vorher nie gebrochenen<lb/>
feindlichen Volks <note place="foot" n="68)"><hi rendition="#aq">Ad deditionem Volscos septuagesimo demum anno sub-<lb/>
egit.</hi> Livius <hi rendition="#aq">VI. c.</hi> 2. Das &#x017F;iebzig&#x017F;te Jahr rechnet von<lb/>
Cincinnatus Sieg auf dem Algidus: &#x017F;eit Coriolans Krieg<lb/>
waren aber &#x017F;chon hundert Jahr verflo&#x017F;&#x017F;en. Eine merkwu&#x0364;r-<lb/>
dige und wohl nicht durch Fehler der Lesart erkla&#x0364;rbare Ver-<lb/>
wirrung der Zeitrechnung.</note>. Nur die unermu&#x0364;dliche Hart-<lb/>
na&#x0364;ckigkeit der Be&#x017F;iegten, welche gleich nachher aufs<lb/>
neue unter den Waffen &#x017F;tehen, und der Uebertritt alter<lb/>
ro&#x0364;mi&#x017F;cher Bundsgeno&#x017F;&#x017F;en zu ihnen, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en den gla&#x0364;ubi-<lb/>
gen Le&#x017F;er befremden.</p><lb/>
        <p>Eine ganz andre Vor&#x017F;tellung von Roms hu&#x0364;lflo&#x017F;em<lb/>
Zu&#x017F;tand nach der Ra&#x0364;umung gewa&#x0364;hrt eine Nachricht welche<lb/>
die Verfa&#x0364;l&#x017F;cher der Ge&#x017F;chichte aus ihr verdra&#x0364;ngt haben:<lb/>
und mit ihrem Gei&#x017F;t &#x017F;timmen erhaltene Sagen u&#x0364;berein,<lb/>
welche Dichtung &#x017F;eyn mo&#x0364;gen, doch aber &#x017F;ichtbar in einer<lb/>
&#x017F;ehr alten, der galli&#x017F;chen Eroberung nahen, Zeit ent-<lb/>
&#x017F;tanden &#x017F;ind, und das Bild dar&#x017F;tellen unter dem &#x017F;ich<lb/>
die Nachkommen die&#x017F;er Schick&#x017F;ale erinnerten.</p><lb/>
        <p>Wa&#x0364;hrend der &#x017F;ieben Monate in denen die Gallier<lb/>
unge&#x017F;to&#x0364;rt in Rom gelagert waren, hatten &#x017F;ie auch die<lb/>
Mauern der Stadt zer&#x017F;to&#x0364;rt, welche von den Ko&#x0364;nigen mit<lb/>
etruski&#x017F;cher Gro&#x0364;ße aufgefu&#x0364;hrt waren. Die&#x017F;e zerri&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Mauern auszufu&#x0364;llen war neb&#x017F;t der Wiedererbauung der<lb/>
Ha&#x0364;u&#x017F;er das Ge&#x017F;cha&#x0364;ft des zuru&#x0364;ckkehrenden Volks wa&#x0364;h-<lb/>
rend des er&#x017F;ten Jahrs nach der Ra&#x0364;umung <note place="foot" n="69)">Zonaras <hi rendition="#aq">VII. c.</hi> 23. &#x03A4;&#x1F70; &#x03C4;&#x03B5;&#x03AF;&#x03C7;&#x03B7; &#x1F00;&#x03BD;&#x03B5;&#x03BA;&#x03B1;&#x03AF;&#x03BD;&#x03B9;&#x03C3;&#x03B1;&#x03BD;.</note>. Es<lb/>
ward aber damals nur fu&#x0364;r das unmittelbare Bedu&#x0364;rfniß<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0300] von der unverletzten Republik vorher nie gebrochenen feindlichen Volks 68). Nur die unermuͤdliche Hart- naͤckigkeit der Beſiegten, welche gleich nachher aufs neue unter den Waffen ſtehen, und der Uebertritt alter roͤmiſcher Bundsgenoſſen zu ihnen, muͤſſen den glaͤubi- gen Leſer befremden. Eine ganz andre Vorſtellung von Roms huͤlfloſem Zuſtand nach der Raͤumung gewaͤhrt eine Nachricht welche die Verfaͤlſcher der Geſchichte aus ihr verdraͤngt haben: und mit ihrem Geiſt ſtimmen erhaltene Sagen uͤberein, welche Dichtung ſeyn moͤgen, doch aber ſichtbar in einer ſehr alten, der galliſchen Eroberung nahen, Zeit ent- ſtanden ſind, und das Bild darſtellen unter dem ſich die Nachkommen dieſer Schickſale erinnerten. Waͤhrend der ſieben Monate in denen die Gallier ungeſtoͤrt in Rom gelagert waren, hatten ſie auch die Mauern der Stadt zerſtoͤrt, welche von den Koͤnigen mit etruskiſcher Groͤße aufgefuͤhrt waren. Dieſe zerriſſenen Mauern auszufuͤllen war nebſt der Wiedererbauung der Haͤuſer das Geſchaͤft des zuruͤckkehrenden Volks waͤh- rend des erſten Jahrs nach der Raͤumung 69). Es ward aber damals nur fuͤr das unmittelbare Beduͤrfniß 68) Ad deditionem Volscos septuagesimo demum anno sub- egit. Livius VI. c. 2. Das ſiebzigſte Jahr rechnet von Cincinnatus Sieg auf dem Algidus: ſeit Coriolans Krieg waren aber ſchon hundert Jahr verfloſſen. Eine merkwuͤr- dige und wohl nicht durch Fehler der Lesart erklaͤrbare Ver- wirrung der Zeitrechnung. 69) Zonaras VII. c. 23. Τὰ τείχη ἀνεκαίνισαν.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/300
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/300>, abgerufen am 23.05.2024.