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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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ter der Kapelle der Carmenta führten, und erforscht daß
diese nicht unersteiglich schroff seyn könne. In der Mit-
ternachtsstunde näherten sie sich in tiefer Stille. Unbe-
merkt von den Schildwachen, und von den Hunden
durch deren Wachsamkeit die Belagerten sich schützten,
hatte bereits ein Gallier die Höhe der Felsenwand er-
stiegen, als das Geschrey der Gänse, welche als der Juno
geweiht bey nagendem Hunger geschont wurden, M.
Manlius, Altconsul und einen der Helden des Zeital-
ters, erweckte. Er stürzte den emporgeklommenen Gal-
lier hinunter: sein Fall warf die nachsteigenden nieder,
und das Capitol ward gerettet. Zum Dank brachte ihm
jeder der sich in der Burg befand ein halbes Pfund Korn,
und einen Quartarius Wein: die herzlichste Gabe in einer
Hungersnoth, als Anerkennung eines jeden dieses eine
Leben sey theurer als das seinige und jedes anderen.

Nach dem Mißlingen dieses Versuchs begannen die
Gallier williger auf die Anträge der Römer zu hören
ihren Abzug zu erkaufen: ein Vertrag den der steigende
Hunger für die Belagerten unvermeidlich machte. So
lange aber Hoffnung war die Burg mit Gewalt einzu-
nehmen, welche die Schätze der Tempel, und was von
Kostbarkeiten des Privateigenthums geborgen war, ent-
hielt, schien es Aufopferung des unausbleiblich Gewon-
nenen sich mit einer Summe zu begnügen die nur aus
diesen Schätzen entlehnt werden konnte. Eine unerwar-
tete Diversion, ein Einbruch der Veneter, rief die Gal-
lier in ihre Heimath zurück, und der Vergleich ward ge-
schlossen, sie sollten tausend Pfund Gold -- eine Mil-

ter der Kapelle der Carmenta fuͤhrten, und erforſcht daß
dieſe nicht unerſteiglich ſchroff ſeyn koͤnne. In der Mit-
ternachtsſtunde naͤherten ſie ſich in tiefer Stille. Unbe-
merkt von den Schildwachen, und von den Hunden
durch deren Wachſamkeit die Belagerten ſich ſchuͤtzten,
hatte bereits ein Gallier die Hoͤhe der Felſenwand er-
ſtiegen, als das Geſchrey der Gaͤnſe, welche als der Juno
geweiht bey nagendem Hunger geſchont wurden, M.
Manlius, Altconſul und einen der Helden des Zeital-
ters, erweckte. Er ſtuͤrzte den emporgeklommenen Gal-
lier hinunter: ſein Fall warf die nachſteigenden nieder,
und das Capitol ward gerettet. Zum Dank brachte ihm
jeder der ſich in der Burg befand ein halbes Pfund Korn,
und einen Quartarius Wein: die herzlichſte Gabe in einer
Hungersnoth, als Anerkennung eines jeden dieſes eine
Leben ſey theurer als das ſeinige und jedes anderen.

Nach dem Mißlingen dieſes Verſuchs begannen die
Gallier williger auf die Antraͤge der Roͤmer zu hoͤren
ihren Abzug zu erkaufen: ein Vertrag den der ſteigende
Hunger fuͤr die Belagerten unvermeidlich machte. So
lange aber Hoffnung war die Burg mit Gewalt einzu-
nehmen, welche die Schaͤtze der Tempel, und was von
Koſtbarkeiten des Privateigenthums geborgen war, ent-
hielt, ſchien es Aufopferung des unausbleiblich Gewon-
nenen ſich mit einer Summe zu begnuͤgen die nur aus
dieſen Schaͤtzen entlehnt werden konnte. Eine unerwar-
tete Diverſion, ein Einbruch der Veneter, rief die Gal-
lier in ihre Heimath zuruͤck, und der Vergleich ward ge-
ſchloſſen, ſie ſollten tauſend Pfund Gold — eine Mil-

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[278/0294] ter der Kapelle der Carmenta fuͤhrten, und erforſcht daß dieſe nicht unerſteiglich ſchroff ſeyn koͤnne. In der Mit- ternachtsſtunde naͤherten ſie ſich in tiefer Stille. Unbe- merkt von den Schildwachen, und von den Hunden durch deren Wachſamkeit die Belagerten ſich ſchuͤtzten, hatte bereits ein Gallier die Hoͤhe der Felſenwand er- ſtiegen, als das Geſchrey der Gaͤnſe, welche als der Juno geweiht bey nagendem Hunger geſchont wurden, M. Manlius, Altconſul und einen der Helden des Zeital- ters, erweckte. Er ſtuͤrzte den emporgeklommenen Gal- lier hinunter: ſein Fall warf die nachſteigenden nieder, und das Capitol ward gerettet. Zum Dank brachte ihm jeder der ſich in der Burg befand ein halbes Pfund Korn, und einen Quartarius Wein: die herzlichſte Gabe in einer Hungersnoth, als Anerkennung eines jeden dieſes eine Leben ſey theurer als das ſeinige und jedes anderen. Nach dem Mißlingen dieſes Verſuchs begannen die Gallier williger auf die Antraͤge der Roͤmer zu hoͤren ihren Abzug zu erkaufen: ein Vertrag den der ſteigende Hunger fuͤr die Belagerten unvermeidlich machte. So lange aber Hoffnung war die Burg mit Gewalt einzu- nehmen, welche die Schaͤtze der Tempel, und was von Koſtbarkeiten des Privateigenthums geborgen war, ent- hielt, ſchien es Aufopferung des unausbleiblich Gewon- nenen ſich mit einer Summe zu begnuͤgen die nur aus dieſen Schaͤtzen entlehnt werden konnte. Eine unerwar- tete Diverſion, ein Einbruch der Veneter, rief die Gal- lier in ihre Heimath zuruͤck, und der Vergleich ward ge- ſchloſſen, ſie ſollten tauſend Pfund Gold — eine Mil-

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/294>, abgerufen am 24.05.2024.