stellen. Wie es funfzig Jahr später die dreyßig Ty- rannen zu Athen hielten, sie beriefen weder den Senat noch die Gemeinde; alles verfügten und verwalteten sie allein despotisch wie sie richteten.
Und diese stolzen Patricier, welche gegen das Volk über jede Frage des Rechts lieber die äußerste Gefahr wagten, als von ihrem Besitz im geringsten zu weichen, sie ertrugen es mehr als ruhig von Appius Claudius, der alles beherrschte, alles Ansehens beraubt zu seyn. Die plebejischen Decemvirn waren Schattenbilder, die furchtbaren tribunicischen Anklagen ruhten, vor allem war die Rede nicht mehr vom widerrechtlichen Besitz der Domaine. Livius, den niemand gehässiger Gesin- nungen gegen die Optimaten irgend eines Zeitalters ver- dächtig machen kann, erzählt wie die jungen Patricier Appius Claudius umgeben; wie sie in der Unterdrückung des Volks geschwelgt hätten: wie jeder Hader des ein- zelnen mit einem Manne vom Volk durch Geisselung und Tod vor dem Tribunal gerochen, wie der Ankläger durch Schenkung des Vermögens seines Opfers erfreut worden wäre. Kein Patricier ward gekränkt; und die Jugend dieses Standes fand den ungebundnen Frevel dieses Zustands glücklicher als allgemeine Freyheit 37). Es waren die Zeiten des letzten Königs, und die Wün- sche der Genossen seiner Söhne wiedergekehrt.
Das Jahr verging, ohne Comitien für eine neue Wahl: und die Decemvirn, als ob auf immer ernannt, legten ihre Macht nicht nieder. Selbst dieses weckte die
37) Livius [ - 1 Zeichen fehlt]II. c. 36. 37.
ſtellen. Wie es funfzig Jahr ſpaͤter die dreyßig Ty- rannen zu Athen hielten, ſie beriefen weder den Senat noch die Gemeinde; alles verfuͤgten und verwalteten ſie allein despotiſch wie ſie richteten.
Und dieſe ſtolzen Patricier, welche gegen das Volk uͤber jede Frage des Rechts lieber die aͤußerſte Gefahr wagten, als von ihrem Beſitz im geringſten zu weichen, ſie ertrugen es mehr als ruhig von Appius Claudius, der alles beherrſchte, alles Anſehens beraubt zu ſeyn. Die plebejiſchen Decemvirn waren Schattenbilder, die furchtbaren tribuniciſchen Anklagen ruhten, vor allem war die Rede nicht mehr vom widerrechtlichen Beſitz der Domaine. Livius, den niemand gehaͤſſiger Geſin- nungen gegen die Optimaten irgend eines Zeitalters ver- daͤchtig machen kann, erzaͤhlt wie die jungen Patricier Appius Claudius umgeben; wie ſie in der Unterdruͤckung des Volks geſchwelgt haͤtten: wie jeder Hader des ein- zelnen mit einem Manne vom Volk durch Geiſſelung und Tod vor dem Tribunal gerochen, wie der Anklaͤger durch Schenkung des Vermoͤgens ſeines Opfers erfreut worden waͤre. Kein Patricier ward gekraͤnkt; und die Jugend dieſes Standes fand den ungebundnen Frevel dieſes Zuſtands gluͤcklicher als allgemeine Freyheit 37). Es waren die Zeiten des letzten Koͤnigs, und die Wuͤn- ſche der Genoſſen ſeiner Soͤhne wiedergekehrt.
Das Jahr verging, ohne Comitien fuͤr eine neue Wahl: und die Decemvirn, als ob auf immer ernannt, legten ihre Macht nicht nieder. Selbſt dieſes weckte die
37) Livius [ – 1 Zeichen fehlt]II. c. 36. 37.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0140"n="124"/>ſtellen. Wie es funfzig Jahr ſpaͤter die dreyßig Ty-<lb/>
rannen zu Athen hielten, ſie beriefen weder den Senat<lb/>
noch die Gemeinde; alles verfuͤgten und verwalteten ſie<lb/>
allein despotiſch wie ſie richteten.</p><lb/><p>Und dieſe ſtolzen Patricier, welche gegen das Volk<lb/>
uͤber jede Frage des Rechts lieber die aͤußerſte Gefahr<lb/>
wagten, als von ihrem Beſitz im geringſten zu weichen,<lb/>ſie ertrugen es mehr als ruhig von Appius Claudius,<lb/>
der alles beherrſchte, alles Anſehens beraubt zu ſeyn.<lb/>
Die plebejiſchen Decemvirn waren Schattenbilder, die<lb/>
furchtbaren tribuniciſchen Anklagen ruhten, vor allem<lb/>
war die Rede nicht mehr vom widerrechtlichen Beſitz<lb/>
der Domaine. Livius, den niemand gehaͤſſiger Geſin-<lb/>
nungen gegen die Optimaten irgend eines Zeitalters ver-<lb/>
daͤchtig machen kann, erzaͤhlt wie die jungen Patricier<lb/>
Appius Claudius umgeben; wie ſie in der Unterdruͤckung<lb/>
des Volks geſchwelgt haͤtten: wie jeder Hader des ein-<lb/>
zelnen mit einem Manne vom Volk durch Geiſſelung<lb/>
und Tod vor dem Tribunal gerochen, wie der Anklaͤger<lb/>
durch Schenkung des Vermoͤgens ſeines Opfers erfreut<lb/>
worden waͤre. Kein Patricier ward gekraͤnkt; und die<lb/>
Jugend dieſes Standes fand den ungebundnen Frevel<lb/>
dieſes Zuſtands gluͤcklicher als allgemeine Freyheit <noteplace="foot"n="37)">Livius <hirendition="#aq"><gapunit="chars"quantity="1"/>II. c.</hi> 36. 37.</note>.<lb/>
Es waren die Zeiten des letzten Koͤnigs, und die Wuͤn-<lb/>ſche der Genoſſen ſeiner Soͤhne wiedergekehrt.</p><lb/><p>Das Jahr verging, ohne Comitien fuͤr eine neue<lb/>
Wahl: und die Decemvirn, als ob auf immer ernannt,<lb/>
legten ihre Macht nicht nieder. Selbſt dieſes weckte die<lb/></p></div></body></text></TEI>
[124/0140]
ſtellen. Wie es funfzig Jahr ſpaͤter die dreyßig Ty-
rannen zu Athen hielten, ſie beriefen weder den Senat
noch die Gemeinde; alles verfuͤgten und verwalteten ſie
allein despotiſch wie ſie richteten.
Und dieſe ſtolzen Patricier, welche gegen das Volk
uͤber jede Frage des Rechts lieber die aͤußerſte Gefahr
wagten, als von ihrem Beſitz im geringſten zu weichen,
ſie ertrugen es mehr als ruhig von Appius Claudius,
der alles beherrſchte, alles Anſehens beraubt zu ſeyn.
Die plebejiſchen Decemvirn waren Schattenbilder, die
furchtbaren tribuniciſchen Anklagen ruhten, vor allem
war die Rede nicht mehr vom widerrechtlichen Beſitz
der Domaine. Livius, den niemand gehaͤſſiger Geſin-
nungen gegen die Optimaten irgend eines Zeitalters ver-
daͤchtig machen kann, erzaͤhlt wie die jungen Patricier
Appius Claudius umgeben; wie ſie in der Unterdruͤckung
des Volks geſchwelgt haͤtten: wie jeder Hader des ein-
zelnen mit einem Manne vom Volk durch Geiſſelung
und Tod vor dem Tribunal gerochen, wie der Anklaͤger
durch Schenkung des Vermoͤgens ſeines Opfers erfreut
worden waͤre. Kein Patricier ward gekraͤnkt; und die
Jugend dieſes Standes fand den ungebundnen Frevel
dieſes Zuſtands gluͤcklicher als allgemeine Freyheit 37).
Es waren die Zeiten des letzten Koͤnigs, und die Wuͤn-
ſche der Genoſſen ſeiner Soͤhne wiedergekehrt.
Das Jahr verging, ohne Comitien fuͤr eine neue
Wahl: und die Decemvirn, als ob auf immer ernannt,
legten ihre Macht nicht nieder. Selbſt dieſes weckte die
37) Livius _II. c. 36. 37.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/140>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.