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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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Versandung aus den Wüsten, und Entblößung der Hö-
hen und Flächen.

Man hat gesagt, es sey dem Menschengeschlecht na-
türlich in geometrischer Progression anzuwachsen, und
da sich die Production der Nahrungsmittel nur in arith-
metischer vermehren lasse, entstehe so ein Conflict welcher
es zur Pflicht mache dem Anwachs der Menschenzahl ent-
gegen zu arbeiten. Die Voraussetzung ist factisch un-
wahr. Ein Streben zur Vermehrung der Zahl ist freylich
einerley mit dem Streben zur Erhaltung: aber dieses wird
durch zwey Umstände regulirt, welche die allerverschieden-
sten Resultate geben. Einmal durch die Menschenart, ja
selbst durch die viel feineren Unterschiede der Volksstäm-
me: und hier gewährt unter den edleren Menschenarten
ein höherer Grad gesunder Belebung größere Fruchtbar-
keit, wie im Gegentheil bey niedrigen Racen eine einigen
eigenthümliche Prolificität erscheint, und die Chineser dar-
in ihrem Lieblingshausthier gleichen. Zweitens dadurch,
daß die Natur in dem Umfang eines bestimmten Bezirks
nur einer gewissen Summe Menschenlebens, verschieden
für verschiedene Arten und Stämme, fähig ist; dieses
aber sich zu dieser Summe zu entwickeln strebt, wenn es
nicht unterdrückt wird. Daher ist die Vermehrung in
neu angebauten Ländern so reissend schnell, und nimmt ab
in dem Verhältniß wie die Bevölkerungszahl des Flächen-
inhalts zunimmt; ihr Gesetz ist das umgekehrte Verhält-
niß der Volkszahl zur Quadratfläche, bis sie ein Maxi-
mum erreicht, wo die Fortpflanzung selbst zur Erhaltung
ungenügend wird.


Verſandung aus den Wuͤſten, und Entbloͤßung der Hoͤ-
hen und Flaͤchen.

Man hat geſagt, es ſey dem Menſchengeſchlecht na-
tuͤrlich in geometriſcher Progreſſion anzuwachſen, und
da ſich die Production der Nahrungsmittel nur in arith-
metiſcher vermehren laſſe, entſtehe ſo ein Conflict welcher
es zur Pflicht mache dem Anwachs der Menſchenzahl ent-
gegen zu arbeiten. Die Vorausſetzung iſt factiſch un-
wahr. Ein Streben zur Vermehrung der Zahl iſt freylich
einerley mit dem Streben zur Erhaltung: aber dieſes wird
durch zwey Umſtaͤnde regulirt, welche die allerverſchieden-
ſten Reſultate geben. Einmal durch die Menſchenart, ja
ſelbſt durch die viel feineren Unterſchiede der Volksſtaͤm-
me: und hier gewaͤhrt unter den edleren Menſchenarten
ein hoͤherer Grad geſunder Belebung groͤßere Fruchtbar-
keit, wie im Gegentheil bey niedrigen Racen eine einigen
eigenthuͤmliche Prolificitaͤt erſcheint, und die Chineſer dar-
in ihrem Lieblingshausthier gleichen. Zweitens dadurch,
daß die Natur in dem Umfang eines beſtimmten Bezirks
nur einer gewiſſen Summe Menſchenlebens, verſchieden
fuͤr verſchiedene Arten und Staͤmme, faͤhig iſt; dieſes
aber ſich zu dieſer Summe zu entwickeln ſtrebt, wenn es
nicht unterdruͤckt wird. Daher iſt die Vermehrung in
neu angebauten Laͤndern ſo reiſſend ſchnell, und nimmt ab
in dem Verhaͤltniß wie die Bevoͤlkerungszahl des Flaͤchen-
inhalts zunimmt; ihr Geſetz iſt das umgekehrte Verhaͤlt-
niß der Volkszahl zur Quadratflaͤche, bis ſie ein Maxi-
mum erreicht, wo die Fortpflanzung ſelbſt zur Erhaltung
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[105/0121] Verſandung aus den Wuͤſten, und Entbloͤßung der Hoͤ- hen und Flaͤchen. Man hat geſagt, es ſey dem Menſchengeſchlecht na- tuͤrlich in geometriſcher Progreſſion anzuwachſen, und da ſich die Production der Nahrungsmittel nur in arith- metiſcher vermehren laſſe, entſtehe ſo ein Conflict welcher es zur Pflicht mache dem Anwachs der Menſchenzahl ent- gegen zu arbeiten. Die Vorausſetzung iſt factiſch un- wahr. Ein Streben zur Vermehrung der Zahl iſt freylich einerley mit dem Streben zur Erhaltung: aber dieſes wird durch zwey Umſtaͤnde regulirt, welche die allerverſchieden- ſten Reſultate geben. Einmal durch die Menſchenart, ja ſelbſt durch die viel feineren Unterſchiede der Volksſtaͤm- me: und hier gewaͤhrt unter den edleren Menſchenarten ein hoͤherer Grad geſunder Belebung groͤßere Fruchtbar- keit, wie im Gegentheil bey niedrigen Racen eine einigen eigenthuͤmliche Prolificitaͤt erſcheint, und die Chineſer dar- in ihrem Lieblingshausthier gleichen. Zweitens dadurch, daß die Natur in dem Umfang eines beſtimmten Bezirks nur einer gewiſſen Summe Menſchenlebens, verſchieden fuͤr verſchiedene Arten und Staͤmme, faͤhig iſt; dieſes aber ſich zu dieſer Summe zu entwickeln ſtrebt, wenn es nicht unterdruͤckt wird. Daher iſt die Vermehrung in neu angebauten Laͤndern ſo reiſſend ſchnell, und nimmt ab in dem Verhaͤltniß wie die Bevoͤlkerungszahl des Flaͤchen- inhalts zunimmt; ihr Geſetz iſt das umgekehrte Verhaͤlt- niß der Volkszahl zur Quadratflaͤche, bis ſie ein Maxi- mum erreicht, wo die Fortpflanzung ſelbſt zur Erhaltung ungenuͤgend wird.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/121>, abgerufen am 08.05.2024.