Ertheilung des Bürgerrechts an viele Tausende, welche auch bezeugt wird 63), konnten die Nachkommen der er- sten Ansiedler keine Ringmauer von funfzig Stadien 64) füllen. So bestanden die Oenotrischen Völker wohl nir- gends mehr selbstständig, noch von den Griechen verschie- den, als die Lucaner alle Herrlichkeit dieses Landes ver- tilgten. Falsch sagt Strabo, sie hätten die Choner und Oenotrer vertrichen 65): sie hatten nicht einmal diese, son- dern ihre Oberherren zu bekriegen, wo sie noch nicht durch Bürgerrecht unzertrennlich mit ihnen vereint waren; und da änderten die Oenotrer ihre Herren; sonst wurden sie aus freyen Griechen unterthänig. Aristoteles (um 415) redet von den Chonern als einem erloschenen Volk, wel- ches allerdings, da die Lucaner damals schon längst groß geworden waren, nur dann eine frühere allmähliche Um- wandlung der Nation bewährt, wenn die ganze Stelle, welches von der alten Völkergeschichte die sie enthält klar ist, nur, als aus Antiochus entlehnt, auf die Zeit dieses Historikers bezogen werden muß 66). Dann würden auch wohl die Italer, welche noch an den alten Gesetzen hiel- ten 67), keine andre seyn, als die Sikeler, von denen im äußersten Süden Italiens zu Thukydides Zeit 68) noch
63) Strabo a. a. O. §. 13.
64) 61/4 Millie.
65) Ton Sanniton auxethenton epipolu kai tous Oinotrous ekba- lonton. Strabo a. a. O. §. 2.
66)Polit. VII. c. 10. esan kai oi Khones Oinotroi to genes.
67) Ebend.
68) Thukydides VI. c. 2.
Ertheilung des Buͤrgerrechts an viele Tauſende, welche auch bezeugt wird 63), konnten die Nachkommen der er- ſten Anſiedler keine Ringmauer von funfzig Stadien 64) fuͤllen. So beſtanden die Oenotriſchen Voͤlker wohl nir- gends mehr ſelbſtſtaͤndig, noch von den Griechen verſchie- den, als die Lucaner alle Herrlichkeit dieſes Landes ver- tilgten. Falſch ſagt Strabo, ſie haͤtten die Choner und Oenotrer vertrichen 65): ſie hatten nicht einmal dieſe, ſon- dern ihre Oberherren zu bekriegen, wo ſie noch nicht durch Buͤrgerrecht unzertrennlich mit ihnen vereint waren; und da aͤnderten die Oenotrer ihre Herren; ſonſt wurden ſie aus freyen Griechen unterthaͤnig. Ariſtoteles (um 415) redet von den Chonern als einem erloſchenen Volk, wel- ches allerdings, da die Lucaner damals ſchon laͤngſt groß geworden waren, nur dann eine fruͤhere allmaͤhliche Um- wandlung der Nation bewaͤhrt, wenn die ganze Stelle, welches von der alten Voͤlkergeſchichte die ſie enthaͤlt klar iſt, nur, als aus Antiochus entlehnt, auf die Zeit dieſes Hiſtorikers bezogen werden muß 66). Dann wuͤrden auch wohl die Italer, welche noch an den alten Geſetzen hiel- ten 67), keine andre ſeyn, als die Sikeler, von denen im aͤußerſten Suͤden Italiens zu Thukydides Zeit 68) noch
63) Strabo a. a. O. §. 13.
64) 6¼ Millie.
65) Τῶν Σαννιτῶν αὐξηϑέντων ἐπιπολὺ καὶ τȣ̀ς Οἰνωτϱȣ̀ς ἐκβα- λόντων. Strabo a. a. O. §. 2.
66)Polit. VII. c. 10. ἦσαν καὶ οἱ Χῶνες Οἰνωτϱοὶ τὸ γένες.
67) Ebend.
68) Thukydides VI. c. 2.
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Oenotrer vertrichen 65): ſie hatten nicht einmal dieſe, ſon-
dern ihre Oberherren zu bekriegen, wo ſie noch nicht durch
Buͤrgerrecht unzertrennlich mit ihnen vereint waren; und
da aͤnderten die Oenotrer ihre Herren; ſonſt wurden ſie
aus freyen Griechen unterthaͤnig. Ariſtoteles (um 415)
redet von den Chonern als einem erloſchenen Volk, wel-
ches allerdings, da die Lucaner damals ſchon laͤngſt groß
geworden waren, nur dann eine fruͤhere allmaͤhliche Um-
wandlung der Nation bewaͤhrt, wenn die ganze Stelle,
welches von der alten Voͤlkergeſchichte die ſie enthaͤlt klar
iſt, nur, als aus Antiochus entlehnt, auf die Zeit dieſes
Hiſtorikers bezogen werden muß 66). Dann wuͤrden auch
wohl die Italer, welche noch an den alten Geſetzen hiel-
ten 67), keine andre ſeyn, als die Sikeler, von denen im
aͤußerſten Suͤden Italiens zu Thukydides Zeit 68) noch
63) Strabo a. a. O. §. 13.
64) 6¼ Millie.
65) Τῶν Σαννιτῶν αὐξηϑέντων ἐπιπολὺ καὶ τȣ̀ς Οἰνωτϱȣ̀ς ἐκβα-
λόντων. Strabo a. a. O. §. 2.
66) Polit. VII. c. 10. ἦσαν καὶ οἱ Χῶνες Οἰνωτϱοὶ τὸ γένες.
67) Ebend.
68) Thukydides VI. c. 2.
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/69>, abgerufen am 21.11.2024.
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