Diese Charte macht keinen Anspruch mehr zu seyn als anschau- liches Bild der in diesem Bande enthaltenen Darstellung, wie Italien von den alten Völkerstämmen bewohnt gewesen zu seyn scheint, ehe die Ausbreitung der Sabeller und die Einwandrung der Gallier es so gestalteten wie es bey der Ausbreitung der rö- mischen Macht im fünften Jahrhundert erscheint. Sie schien mir zur Uebersicht unentbehrlich zu seyn, obgleich sie der Miß- deutung und des Mißbrauchs fähig ist. Denn was als historisch begründet und als Hypothese in der Untersuchung gesondert werden konnte, und gewissenhaft unterschieden ist, erscheint hier unvermeidlich unter einer einzigen Gestalt: davon soll nie- mand sich täuschen lassen, noch beschuldigen es sey die Absicht zu täuschen.
Es ist daher keineswegs gemeint zu behaupten daß die Gränzen der alten Völkerstämme am Anfang des dritten Jahrhunderts der Stadt die auf der Charte angegebenen: daß die Samniter damals noch nicht im Besitz des südlichen Samniums gewesen wären. Eine wenigstens hypothetische Gleichzeitigkeit mußte angenommen werden: und wenn es für mich gar nicht zu bezweifeln scheint daß das ebengenannte Volk sich erst spät über das alte Aufonien und Oenotrien ausbreitete; wenn der Anfang dieser Eroberungen ein ganzes Jahrhundert nach dem für die Charte angenommenen Zeitpunkt fällt, so schien es richtiger anzunehmen daß damals das ganze Thal des Vultur- nus noch ausonisch gewesen sey, als daß die westlichen und südli- chen Gebürge den Eroberern eine längere Zeit hindurch Grän- zen gesetzt hätten. So mag auch wenigstens bis zum ferneren Fortgang der Geschichtserzählung als Hypothese zugelassen wer- den, daß die Gallische Einwanderung in das nördliche Italien zwey Jahrhunderte später als es Livius thut angenommen werden muß.
Hier mußte Wahrscheinlichkeit als Gewißheit über den Stamm mehrerer Nationen entscheiden: so sind also die Mar- ser, Marruciner und Vestiner durch die Farbe als Sabeller, die Volsker, Aequer und Herniker als Ausoner bezeichnet. Auf der andern Seite konnte auch sehr dringenden Vermuthun- gen kein Gewicht gegeben werden: und die Volsker finden sich also hier, wenn gleich in der Geschichte für das Gegentheil Wahrscheinlichkeiten aufgeführt sind, schon im Besitz ihrer west- lichen Landschaft.
Ueber die Charte des aͤlteſten Italiens.
Dieſe Charte macht keinen Anſpruch mehr zu ſeyn als anſchau- liches Bild der in dieſem Bande enthaltenen Darſtellung, wie Italien von den alten Voͤlkerſtaͤmmen bewohnt geweſen zu ſeyn ſcheint, ehe die Ausbreitung der Sabeller und die Einwandrung der Gallier es ſo geſtalteten wie es bey der Ausbreitung der roͤ- miſchen Macht im fuͤnften Jahrhundert erſcheint. Sie ſchien mir zur Ueberſicht unentbehrlich zu ſeyn, obgleich ſie der Miß- deutung und des Mißbrauchs faͤhig iſt. Denn was als hiſtoriſch begruͤndet und als Hypotheſe in der Unterſuchung geſondert werden konnte, und gewiſſenhaft unterſchieden iſt, erſcheint hier unvermeidlich unter einer einzigen Geſtalt: davon ſoll nie- mand ſich taͤuſchen laſſen, noch beſchuldigen es ſey die Abſicht zu taͤuſchen.
Es iſt daher keineswegs gemeint zu behaupten daß die Graͤnzen der alten Voͤlkerſtaͤmme am Anfang des dritten Jahrhunderts der Stadt die auf der Charte angegebenen: daß die Samniter damals noch nicht im Beſitz des ſuͤdlichen Samniums geweſen waͤren. Eine wenigſtens hypothetiſche Gleichzeitigkeit mußte angenommen werden: und wenn es fuͤr mich gar nicht zu bezweifeln ſcheint daß das ebengenannte Volk ſich erſt ſpaͤt uͤber das alte Aufonien und Oenotrien ausbreitete; wenn der Anfang dieſer Eroberungen ein ganzes Jahrhundert nach dem fuͤr die Charte angenommenen Zeitpunkt faͤllt, ſo ſchien es richtiger anzunehmen daß damals das ganze Thal des Vultur- nus noch auſoniſch geweſen ſey, als daß die weſtlichen und ſuͤdli- chen Gebuͤrge den Eroberern eine laͤngere Zeit hindurch Graͤn- zen geſetzt haͤtten. So mag auch wenigſtens bis zum ferneren Fortgang der Geſchichtserzaͤhlung als Hypotheſe zugelaſſen wer- den, daß die Galliſche Einwanderung in das noͤrdliche Italien zwey Jahrhunderte ſpaͤter als es Livius thut angenommen werden muß.
Hier mußte Wahrſcheinlichkeit als Gewißheit uͤber den Stamm mehrerer Nationen entſcheiden: ſo ſind alſo die Mar- ſer, Marruciner und Veſtiner durch die Farbe als Sabeller, die Volsker, Aequer und Herniker als Auſoner bezeichnet. Auf der andern Seite konnte auch ſehr dringenden Vermuthun- gen kein Gewicht gegeben werden: und die Volsker finden ſich alſo hier, wenn gleich in der Geſchichte fuͤr das Gegentheil Wahrſcheinlichkeiten aufgefuͤhrt ſind, ſchon im Beſitz ihrer weſt- lichen Landſchaft.
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[0478]
Ueber die Charte des aͤlteſten Italiens.
Dieſe Charte macht keinen Anſpruch mehr zu ſeyn als anſchau-
liches Bild der in dieſem Bande enthaltenen Darſtellung, wie
Italien von den alten Voͤlkerſtaͤmmen bewohnt geweſen zu ſeyn
ſcheint, ehe die Ausbreitung der Sabeller und die Einwandrung
der Gallier es ſo geſtalteten wie es bey der Ausbreitung der roͤ-
miſchen Macht im fuͤnften Jahrhundert erſcheint. Sie ſchien
mir zur Ueberſicht unentbehrlich zu ſeyn, obgleich ſie der Miß-
deutung und des Mißbrauchs faͤhig iſt. Denn was als hiſtoriſch
begruͤndet und als Hypotheſe in der Unterſuchung geſondert
werden konnte, und gewiſſenhaft unterſchieden iſt, erſcheint
hier unvermeidlich unter einer einzigen Geſtalt: davon ſoll nie-
mand ſich taͤuſchen laſſen, noch beſchuldigen es ſey die Abſicht
zu taͤuſchen.
Es iſt daher keineswegs gemeint zu behaupten daß
die Graͤnzen der alten Voͤlkerſtaͤmme am Anfang des dritten
Jahrhunderts der Stadt die auf der Charte angegebenen:
daß die Samniter damals noch nicht im Beſitz des ſuͤdlichen
Samniums geweſen waͤren. Eine wenigſtens hypothetiſche
Gleichzeitigkeit mußte angenommen werden: und wenn es fuͤr
mich gar nicht zu bezweifeln ſcheint daß das ebengenannte Volk
ſich erſt ſpaͤt uͤber das alte Aufonien und Oenotrien ausbreitete;
wenn der Anfang dieſer Eroberungen ein ganzes Jahrhundert
nach dem fuͤr die Charte angenommenen Zeitpunkt faͤllt, ſo ſchien
es richtiger anzunehmen daß damals das ganze Thal des Vultur-
nus noch auſoniſch geweſen ſey, als daß die weſtlichen und ſuͤdli-
chen Gebuͤrge den Eroberern eine laͤngere Zeit hindurch Graͤn-
zen geſetzt haͤtten. So mag auch wenigſtens bis zum ferneren
Fortgang der Geſchichtserzaͤhlung als Hypotheſe zugelaſſen wer-
den, daß die Galliſche Einwanderung in das noͤrdliche Italien
zwey Jahrhunderte ſpaͤter als es Livius thut angenommen
werden muß.
Hier mußte Wahrſcheinlichkeit als Gewißheit uͤber den
Stamm mehrerer Nationen entſcheiden: ſo ſind alſo die Mar-
ſer, Marruciner und Veſtiner durch die Farbe als Sabeller,
die Volsker, Aequer und Herniker als Auſoner bezeichnet.
Auf der andern Seite konnte auch ſehr dringenden Vermuthun-
gen kein Gewicht gegeben werden: und die Volsker finden ſich
alſo hier, wenn gleich in der Geſchichte fuͤr das Gegentheil
Wahrſcheinlichkeiten aufgefuͤhrt ſind, ſchon im Beſitz ihrer weſt-
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/478>, abgerufen am 22.11.2024.
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