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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Es ist eine traurige aber unläugbare Wahrheit, daß
sobald ein Staat politische Bedeutung erhält, wenn auch
die Masse seines sogenannten Nationalreichthums sich ver-
mehrt, wohin man in neueren Zeiten, so lange politische
Erhaltung selbstständig gesichert ist, mit gutem Recht auch
die inländische Staatsschuld rechnet, im Allgemeinen die
Wohlhabenheit der Bürger aus deren Gesammtheit er be-
steht, beständig abnimmt. Zwar nicht so daß nicht auf
Zeiten außerordentlicher Calamitäten Zeiträume lebhaf-
ter Erholung folgten: aber unter allen diesen Schwankun-
gen wird im Ganzen, bis völlig zerstörende Schicksale sein
altes Daseyn endigen, die Zahl der wohlhabenden Fami-
lien abnehmen: denn diese muß nach einem ganz andern
Maaßstab geschätzt werden als der Nationalreichthum,
und dieser Maaßstab ist kein andrer als der Besitz eines
unverschuldeten sichern Eigenthums für die größte mög-
liche Zahl der Bürger, und eines für das wahre Bedürf-
niß reichlich genügenden Einkommens; daher die Wohl-
habenheit nothwendig von frugalen Sitten abhängt.
Nimmt die Zahl der auf diese Weise Wohlhabenden ab:
vermindert sich die der Eigenthümer, wird ihr Besitz von
Schulden verschlungen 54), wächst die Zahl der Armen

54) Jene hat sich im achtzehnten Jahrhundert fast allenthal-
ben vermindert, und in vielen Ländern ist der erbliche Be-
sitz der Gutsuntergehörigen ihnen entrissen, und ihr Land
auf Zeitpacht ausgegeben worden: mit einer schreyenden Un-
gerechtigkeit. Die Verschuldung aber ist in den vorüberge-
henden Segensjahren noch allgemeiner und weit größer ge-
worden als in der langen Zeit worin nur erhöhter Fleiß das
Vermögen des Landmanns vermehren konnte, und die Preise
eher fielen als stiegen.

Es iſt eine traurige aber unlaͤugbare Wahrheit, daß
ſobald ein Staat politiſche Bedeutung erhaͤlt, wenn auch
die Maſſe ſeines ſogenannten Nationalreichthums ſich ver-
mehrt, wohin man in neueren Zeiten, ſo lange politiſche
Erhaltung ſelbſtſtaͤndig geſichert iſt, mit gutem Recht auch
die inlaͤndiſche Staatsſchuld rechnet, im Allgemeinen die
Wohlhabenheit der Buͤrger aus deren Geſammtheit er be-
ſteht, beſtaͤndig abnimmt. Zwar nicht ſo daß nicht auf
Zeiten außerordentlicher Calamitaͤten Zeitraͤume lebhaf-
ter Erholung folgten: aber unter allen dieſen Schwankun-
gen wird im Ganzen, bis voͤllig zerſtoͤrende Schickſale ſein
altes Daſeyn endigen, die Zahl der wohlhabenden Fami-
lien abnehmen: denn dieſe muß nach einem ganz andern
Maaßſtab geſchaͤtzt werden als der Nationalreichthum,
und dieſer Maaßſtab iſt kein andrer als der Beſitz eines
unverſchuldeten ſichern Eigenthums fuͤr die groͤßte moͤg-
liche Zahl der Buͤrger, und eines fuͤr das wahre Beduͤrf-
niß reichlich genuͤgenden Einkommens; daher die Wohl-
habenheit nothwendig von frugalen Sitten abhaͤngt.
Nimmt die Zahl der auf dieſe Weiſe Wohlhabenden ab:
vermindert ſich die der Eigenthuͤmer, wird ihr Beſitz von
Schulden verſchlungen 54), waͤchſt die Zahl der Armen

54) Jene hat ſich im achtzehnten Jahrhundert faſt allenthal-
ben vermindert, und in vielen Laͤndern iſt der erbliche Be-
ſitz der Gutsuntergehoͤrigen ihnen entriſſen, und ihr Land
auf Zeitpacht ausgegeben worden: mit einer ſchreyenden Un-
gerechtigkeit. Die Verſchuldung aber iſt in den voruͤberge-
henden Segensjahren noch allgemeiner und weit groͤßer ge-
worden als in der langen Zeit worin nur erhoͤhter Fleiß das
Vermoͤgen des Landmanns vermehren konnte, und die Preiſe
eher fielen als ſtiegen.
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[395/0417] Es iſt eine traurige aber unlaͤugbare Wahrheit, daß ſobald ein Staat politiſche Bedeutung erhaͤlt, wenn auch die Maſſe ſeines ſogenannten Nationalreichthums ſich ver- mehrt, wohin man in neueren Zeiten, ſo lange politiſche Erhaltung ſelbſtſtaͤndig geſichert iſt, mit gutem Recht auch die inlaͤndiſche Staatsſchuld rechnet, im Allgemeinen die Wohlhabenheit der Buͤrger aus deren Geſammtheit er be- ſteht, beſtaͤndig abnimmt. Zwar nicht ſo daß nicht auf Zeiten außerordentlicher Calamitaͤten Zeitraͤume lebhaf- ter Erholung folgten: aber unter allen dieſen Schwankun- gen wird im Ganzen, bis voͤllig zerſtoͤrende Schickſale ſein altes Daſeyn endigen, die Zahl der wohlhabenden Fami- lien abnehmen: denn dieſe muß nach einem ganz andern Maaßſtab geſchaͤtzt werden als der Nationalreichthum, und dieſer Maaßſtab iſt kein andrer als der Beſitz eines unverſchuldeten ſichern Eigenthums fuͤr die groͤßte moͤg- liche Zahl der Buͤrger, und eines fuͤr das wahre Beduͤrf- niß reichlich genuͤgenden Einkommens; daher die Wohl- habenheit nothwendig von frugalen Sitten abhaͤngt. Nimmt die Zahl der auf dieſe Weiſe Wohlhabenden ab: vermindert ſich die der Eigenthuͤmer, wird ihr Beſitz von Schulden verſchlungen 54), waͤchſt die Zahl der Armen 54) Jene hat ſich im achtzehnten Jahrhundert faſt allenthal- ben vermindert, und in vielen Laͤndern iſt der erbliche Be- ſitz der Gutsuntergehoͤrigen ihnen entriſſen, und ihr Land auf Zeitpacht ausgegeben worden: mit einer ſchreyenden Un- gerechtigkeit. Die Verſchuldung aber iſt in den voruͤberge- henden Segensjahren noch allgemeiner und weit groͤßer ge- worden als in der langen Zeit worin nur erhoͤhter Fleiß das Vermoͤgen des Landmanns vermehren konnte, und die Preiſe eher fielen als ſtiegen.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/417>, abgerufen am 24.11.2024.