Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

gleich in seinem Charakter eine Liebe zum Gehorsam und
zur gesetzlichen Ordnung sichtbar ist, worauf keine an-
dre Nation Anspruch machen kann: eben so wenig hätte
der Senat, dem kein Heer zu Gebot stand, ohne die
zahlreichen Clienten dem Volk Trotz bieten dürfen.

Unter den letzten Königen hatte sich die Plebs zu
einem freyen Stande ausgebildet: und in den Comitien
der Centurien herrschte sie überwiegend. Es mochte,
wenigstens unter Servius Tullius, kein wesentlicher Un-
terschied im Ansehen und der Achtung beyder Stände
gegolten haben: und die Könige waren die natürlichen
Beschützer und Patrone des Volks in der That, wie
M. Manlius den Nahmen empfing. Es kann daher mit
gutem Fug bezweifelt werden ob die Plebejer unter dem
letzten König gedrückt wurden, obgleich er die Krone
durch eine Verschwörung der Patricier empfangen hatte,
welche durch ständischen Haß erregt war. Als die Mo-
narchie abgeschafft ward, und die königliche Gewalt auf
den Senat und die Consuln überging, verlohr das Volk
seinen Schutz, und die Menge, welche sich nicht gelas-
sen durch Hoffnungen einer fernen Zukunft trösten
konnte, sehnte sich nach der Herstellung der Königs-
würde, welche nähere und wahrscheinlichere Erleichte-
rung versprach als ein Kampf um erweiterte bürgerliche
Rechte, und die Ausführung der Verfassung welche
Servius Tullius für die Zukunft vorbereitet hatte. Aber
jene Revolution, die doch nur von einem Patricier aus-
gehen konnte, war bey der Gewalt der Regierung leicht
gehindert, und leicht hätte der Senat allen Unruhen

gleich in ſeinem Charakter eine Liebe zum Gehorſam und
zur geſetzlichen Ordnung ſichtbar iſt, worauf keine an-
dre Nation Anſpruch machen kann: eben ſo wenig haͤtte
der Senat, dem kein Heer zu Gebot ſtand, ohne die
zahlreichen Clienten dem Volk Trotz bieten duͤrfen.

Unter den letzten Koͤnigen hatte ſich die Plebs zu
einem freyen Stande ausgebildet: und in den Comitien
der Centurien herrſchte ſie uͤberwiegend. Es mochte,
wenigſtens unter Servius Tullius, kein weſentlicher Un-
terſchied im Anſehen und der Achtung beyder Staͤnde
gegolten haben: und die Koͤnige waren die natuͤrlichen
Beſchuͤtzer und Patrone des Volks in der That, wie
M. Manlius den Nahmen empfing. Es kann daher mit
gutem Fug bezweifelt werden ob die Plebejer unter dem
letzten Koͤnig gedruͤckt wurden, obgleich er die Krone
durch eine Verſchwoͤrung der Patricier empfangen hatte,
welche durch ſtaͤndiſchen Haß erregt war. Als die Mo-
narchie abgeſchafft ward, und die koͤnigliche Gewalt auf
den Senat und die Conſuln uͤberging, verlohr das Volk
ſeinen Schutz, und die Menge, welche ſich nicht gelaſ-
ſen durch Hoffnungen einer fernen Zukunft troͤſten
konnte, ſehnte ſich nach der Herſtellung der Koͤnigs-
wuͤrde, welche naͤhere und wahrſcheinlichere Erleichte-
rung verſprach als ein Kampf um erweiterte buͤrgerliche
Rechte, und die Ausfuͤhrung der Verfaſſung welche
Servius Tullius fuͤr die Zukunft vorbereitet hatte. Aber
jene Revolution, die doch nur von einem Patricier aus-
gehen konnte, war bey der Gewalt der Regierung leicht
gehindert, und leicht haͤtte der Senat allen Unruhen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0415" n="393"/>
gleich in &#x017F;einem Charakter eine Liebe zum Gehor&#x017F;am und<lb/>
zur ge&#x017F;etzlichen Ordnung &#x017F;ichtbar i&#x017F;t, worauf keine an-<lb/>
dre Nation An&#x017F;pruch machen kann: eben &#x017F;o wenig ha&#x0364;tte<lb/>
der Senat, dem kein Heer zu Gebot &#x017F;tand, ohne die<lb/>
zahlreichen Clienten dem Volk Trotz bieten du&#x0364;rfen.</p><lb/>
          <p>Unter den letzten Ko&#x0364;nigen hatte &#x017F;ich die Plebs zu<lb/>
einem freyen Stande ausgebildet: und in den Comitien<lb/>
der Centurien herr&#x017F;chte &#x017F;ie u&#x0364;berwiegend. Es mochte,<lb/>
wenig&#x017F;tens unter Servius Tullius, kein we&#x017F;entlicher Un-<lb/>
ter&#x017F;chied im An&#x017F;ehen und der Achtung beyder Sta&#x0364;nde<lb/>
gegolten haben: und die Ko&#x0364;nige waren die natu&#x0364;rlichen<lb/>
Be&#x017F;chu&#x0364;tzer und Patrone des Volks in der That, wie<lb/>
M. Manlius den Nahmen empfing. Es kann daher mit<lb/>
gutem Fug bezweifelt werden ob die Plebejer unter dem<lb/>
letzten Ko&#x0364;nig gedru&#x0364;ckt wurden, obgleich er die Krone<lb/>
durch eine Ver&#x017F;chwo&#x0364;rung der Patricier empfangen hatte,<lb/>
welche durch &#x017F;ta&#x0364;ndi&#x017F;chen Haß erregt war. Als die Mo-<lb/>
narchie abge&#x017F;chafft ward, und die ko&#x0364;nigliche Gewalt auf<lb/>
den Senat und die Con&#x017F;uln u&#x0364;berging, verlohr das Volk<lb/>
&#x017F;einen Schutz, und die Menge, welche &#x017F;ich nicht gela&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en durch Hoffnungen einer fernen Zukunft tro&#x0364;&#x017F;ten<lb/>
konnte, &#x017F;ehnte &#x017F;ich nach der Her&#x017F;tellung der Ko&#x0364;nigs-<lb/>
wu&#x0364;rde, welche na&#x0364;here und wahr&#x017F;cheinlichere Erleichte-<lb/>
rung ver&#x017F;prach als ein Kampf um erweiterte bu&#x0364;rgerliche<lb/>
Rechte, und die Ausfu&#x0364;hrung der Verfa&#x017F;&#x017F;ung welche<lb/>
Servius Tullius fu&#x0364;r die Zukunft vorbereitet hatte. Aber<lb/>
jene Revolution, die doch nur von einem Patricier aus-<lb/>
gehen konnte, war bey der Gewalt der Regierung leicht<lb/>
gehindert, und leicht ha&#x0364;tte der Senat allen Unruhen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[393/0415] gleich in ſeinem Charakter eine Liebe zum Gehorſam und zur geſetzlichen Ordnung ſichtbar iſt, worauf keine an- dre Nation Anſpruch machen kann: eben ſo wenig haͤtte der Senat, dem kein Heer zu Gebot ſtand, ohne die zahlreichen Clienten dem Volk Trotz bieten duͤrfen. Unter den letzten Koͤnigen hatte ſich die Plebs zu einem freyen Stande ausgebildet: und in den Comitien der Centurien herrſchte ſie uͤberwiegend. Es mochte, wenigſtens unter Servius Tullius, kein weſentlicher Un- terſchied im Anſehen und der Achtung beyder Staͤnde gegolten haben: und die Koͤnige waren die natuͤrlichen Beſchuͤtzer und Patrone des Volks in der That, wie M. Manlius den Nahmen empfing. Es kann daher mit gutem Fug bezweifelt werden ob die Plebejer unter dem letzten Koͤnig gedruͤckt wurden, obgleich er die Krone durch eine Verſchwoͤrung der Patricier empfangen hatte, welche durch ſtaͤndiſchen Haß erregt war. Als die Mo- narchie abgeſchafft ward, und die koͤnigliche Gewalt auf den Senat und die Conſuln uͤberging, verlohr das Volk ſeinen Schutz, und die Menge, welche ſich nicht gelaſ- ſen durch Hoffnungen einer fernen Zukunft troͤſten konnte, ſehnte ſich nach der Herſtellung der Koͤnigs- wuͤrde, welche naͤhere und wahrſcheinlichere Erleichte- rung verſprach als ein Kampf um erweiterte buͤrgerliche Rechte, und die Ausfuͤhrung der Verfaſſung welche Servius Tullius fuͤr die Zukunft vorbereitet hatte. Aber jene Revolution, die doch nur von einem Patricier aus- gehen konnte, war bey der Gewalt der Regierung leicht gehindert, und leicht haͤtte der Senat allen Unruhen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/415
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/415>, abgerufen am 09.11.2024.